Zum Heft 54

Liebe Leserin, lieber Leser,

zunehmend finden sich Beispiele für den Zusammenhang zwischen der drohenden Klimakatastrophe und den neuesten Technologien der kapitalistischen Fertigung. Seit März wird in Teilen von Taiwan das Wasser rationiert; es herrscht die schlimmste Dürre seit einem halben Jahrhundert. Dass die Menschen dann oft stundenlang oder sogar einen Tag lang kein frisches Wasser erhalten, wäre wohl für die Weltmedien kaum der Rede wert. Was die Dürre jedoch zu einer heißen Angelegenheit macht, ist die Chipindustrie auf der Insel. Firmen wie TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing) und Globalwafers kontrollieren über die Hälfte des Weltmarktes der spezialisierten Auftragsfertigung für die Chipproduktion. Dafür wird hochreines Wasser benötigt, um die nur noch wenige Nanometer kleinen Strukturen der Halbleiter zu reinigen. Allein TSMC benötigt pro Tag 150.000 Tonnen Wasser. Die Firma kauft bereits „lastwagenweise Wasser aus dem etwas regnerischen Norden der Inse l“, so ein Bericht in der Neuen Züricher Zeitung vom 21. Mai 2021, wobei die konservative Zeitung offen bekennt: „Wassermangel und Stromausfälle hängen miteinander zusammen. Sie ereignen sich vor dem Hintergrund des Klimawandels, was für Taiwan – und für die Weltwirtschaft – in den kommenden Jahren Ungutes erahnen lässt.“

Die immer stärkere Vernetzung der Weltwirtschaft bei gleichzeitiger Überlastung bestehender Strukturen und dem unverantwortlichen Verbrauch wertvoller Ressourcen findet in diesem Lunapark21-Heft seinen Niederschlag in den Beiträgen zu Globalisierung und Transport, Seite 43, zum grünen Ziel der „10 Millionen Elektroautos bis 2030“, Seite 62, und zur neuen Tesla-Fabrik in Grünheide – wo plötzlich auch eine Batteriefabrik mit gewaltigem Wasserverbrauch entstehen soll, Seite 68.

Übrigens: Taiwan gehörte bislang zu denjenigen Ländern, die durch eine weitgehend vorbildliche Pandemie-Bekämpfung nahe „Zero Covid“ lagen. Seit Mai häufen sich jedoch die Infektionszahlen; ein Lockdown wurde beschlossen. Wobei derselbe Fehler gemacht zu werden scheint wie zuvor in Nordamerika und Europa: Während die Schulen landesweit geschlossen wurden, sollen die Fabriken unbedingt offen gehalten werden – mit Rücksicht auf die Chipfertigung. Es gehe, so der Minister des Rats für nationale Entwicklung, Kung Ming-Hsin, „um unsere Verantwortung gegenüber der gesamten Welt“.

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Die Quartalslüge unserer Zeitschrift gilt als feste Institution; sie wird viel gelobt – und ab und an sogar von Lehrkräften im Unterricht eingesetzt. Das hat Emmo Frey aus Dachau, ein LP21-Leser der ersten Stunde, veranlasst, selbst in die Tasten und zu Bleistift und Millimeterpapier zu greifen. Wir waren davon so beindruckt, dass wir große Teile seines Textes und seine graphische Umsetzung übernahmen, siehe Seite 6 und 7.

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Nach mehr als fünf Jahren stabiler Preise für das LP21-Abo und für das LP21-Einzelheft stehen – voraussichtlich im Herbst – Preiserhöhungen an. Wir werben bereits heute um das Verständnis unserer Leserinnen und Leser; die Preisehöhungen dürften als gerechtfertigt erscheinen, zumal wir in jüngerer Zeit den Heftumfang um 16 Seiten erhöhten und gleichzeitig komplett auf Vierfarbdruck umstellten. Wir bemühen uns darum, den Sozialtarif auf dem bisherigen Niveau zu halten. Was rekordverdächtig wäre, da wir diesen Abopreis seit Gründung von Lunapark21 im Jahr 2008 nicht angehoben haben.

Erkenntnis bringende Lektüre wünscht

Winfried Wolf · Chefredakteur Lunapark21

PS: Wir scheuen uns, Bücher von Leuten aus dem LP21-Team zu rezensieren. Erlaubt sei jedoch der kurze Hinweis: Gisela Notz veröffentlichte jüngst das Buch Genossenschaften – Geschichte, Aktualität und Renaissance (Schmetterling-Verlag, Stuttgart). Von Hannes Hofbauer erschien neu Europa – Ein Nachruf (Promedia, Wien). Von Winfried Wolf gibt es seit April das Buch Tempowahn. Vom Fetisch der Geschwindigkeit zur Notwendigkeit der Entschleunigung (Promedia, Wien).

Inhalt Heft 54

3 quartalslüge II/MMXXI kein x für ein u

6 „Deutschland hat seine Klimaschutzziele doch noch geschafft“

kolumne winfried wolf

8 Es rettet uns kein höh‘res Wesen – schon gar nicht das Klima

welt & wirtschaft

10 Wundersame Geldvermehrung – zur Heilung der ökonomischen Coronakrise · Lucas Zeise

12 Die indische Katastrophe: Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit · Arundhati Roy

soziales & gegenwehr

17 Erntehilfskräfte: Elend in der Spargelzeit · Silke Koppermann

historisch-kritisches wörterbuch des marxismus

19 Misogynie (M)

feminismus & ökonomie

22 „Land of Last Resort“ – Rollback in der Pandemie · Therese Wüthrich

24 Mehr Chefinnen durch Frauen-Quoten? · Gisela Notz

energie – umwelt – verkehr

58 Atomkraft: Irrweg in der Klimakrise · Angela Wolff

62 Elektro-Pkw konterkarieren die deutschen Klimaziele für 2030 · Helmut Zell

68 Neues aus GrünTeslaheide · Heidemarie Schröder

leseprobe andré geicke

70 Joseph Vogl: „Kapital und Ressentiment

quartalsbericht 02/2021 150 jahre pariser kommune

74 Bürgerkrieg in Frankreich – von Preußens Gnaden · Jürgen Bönig

ort & zeit

76 Der Suez-Kanal – Nadelöhr des Welthandels · Christian Bunke

geschichte & ökonomie

79 Politökonomische Aspekte von Pflege- und Bewahrarbeit· Thomas Kuczynski

geisterbahn jürgen bönig

81 Einbildung / Ein-Bildung

strichcode

82 LunaArt-Portraits, Tischerücken & Impressum

schwerpunkte

spezial 1 >> kapital, reichtums-akkumulation & ideologie

Die Schere geht auseinander. Die Armen werden ärmer, die Reichen werden reicher. Das protokollieren Armutsberichte und Wissenschaft seit Jahren und nicht nur aus linker Perspektive. Und der Trend hat sich in der Pandemie, in der die Gesellschaft so wacker zusammengehalten hat, sogar noch verstärkt. Die Entwicklung wird begleitet und unterstützt durch einen Wandel vorherrschender Ideologie, den dieses Spezial mit vier recht unterschiedlichen Beiträgen einer analytischen Betrachtung unterzieht und dem sich auch unsere Leseprobe (Seite 70) widmet.

28 Ungleichheit im Coronakapitalismus · Christoph Butterwegge

30 Thomas Piketty „Kapital und Ideologie“ – Versuch, einen Misserfolg zu erklären · Georg Fülberth

34 Tartuffe – Molière über Kapital und Ideologie · Volker Lösch

38 Das britische Königshaus pflegt seinen Reichtum · Christian Bunke

spezial 2 >> globalisierung & transport

„Ein Schiff wird kommen“ sang Lale Andersen 1960 und dachte nicht an eine Ever Given, die sich im Suez-Kanal quer legen, die Durchfahrt blockieren und die Lieferketten rund um den Globus lahm legen würde. Das kleine Missgeschick des 400 Meter langen Riesenfrachters warf ein Licht auf Dimension, Größenwahn und Fragilität einer globalisierten Produktion und des Welthandels. Von Containern wusste man 1960 noch nichts. Anlass, in einem Spezial in vier Beiträgen Entwicklung, Stand und Perspektiven des Gütertransports unter die Lupe zu nehmen. Dem Suez-Kanal widmet sich auch die Rubrik Ort & Zeit (Seite 76).

42 Die Blockierung des Suez-Kanals · Georg Anton Leimig

44 Eine Kiste verändert die Welt – Containerschifffahrt · Burkhard Ilschner

54 Havarien mit Containerschiffen im Mai 2021

56 Vom Atlantik zum Pazifik – Eine Trasse durch Mexiko · Gerold Schmidt

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