Wem nutzt und wem schadet das?
Anstatt weiter Neubauten zu errichten, sei eine Umverteilung im Wohnungsbestand nötig. Dafür plädierte Andrej Holm in der vorletzten Ausgabe von Lunapark21.1 Doch kann das ohne massive Einschnitte in mühsam erkämpfte Errungenschaften insbesondere von und für Frauen gelingen?
Ansätze zur Umverteilung sowie zur besseren Nutzung des bestehenden Wohnraums existieren in der Wohnungspolitik in Deutschland viele, alte wie neue, angedachte und auch zeitweilig oder punktuell realisierte. Sie stoßen allerdings nicht nur an ökonomische und politische Hürden, sondern evozieren auch neue Ungleichheiten, die zu überwinden verschiedenen Emanzipationsbewegungen in den letzten Jahrzehnten erhebliche Anstrengungen abverlangt haben. Ich konzentriere mich in diesem Artikel auf feministische Ansätze und Aktivitäten.
Wer sich mit der Frage einer gerechteren Verteilung des Wohnungsbestands auseinandersetzt, kommt nicht umhin, sich mit dem scheinbar neutralen Begriff »Haushalt« zu beschäftigen, dessen patriarchaler Ursprung – das von vielen Alternativen unterschiedlicher Couleur, auch von manchen Feministinnen idealisierte »ganze Haus«, in dem die Großfamilie einschließlich Gesinde unter der Herrschaft des Patriarchen zusammen wohnte und arbeitete – sich in mancher Hinsicht bis heute in der Wohnungspolitik mit ihrer Orientierung an der (heterosexuellen) Familie erhalten hat. Für ein solches Familienkonzept sind abweichende Lebensformen, vor allem Alleinwohnende und »unvollständige Familie«, wie Alleinerziehende lange Zeit bezeichnet wurden, ein tendenzieller Stör- beziehungsweise Problemfall, der allerdings immer mehr und gerade in den begehrten Städten um sich greift.
Dabei sind drei Gruppen zu unterscheiden: die jungen Erwachsenen, die aus der Herkunftsfamilie in eine eigene Wohnung ziehen, die Männer und Frauen, die aus einer aufgelösten Lebensgemeinschaft heraus zwei Einpersonenhaushalte oder einen Einpersonenhaushalt und eine »unvollständige Familie« bilden, sowie die älteren und alten Menschen, die als »Hinterbliebene« in ihrer einstigen »Familienwohnung« verharren. All das führt zur Verkleinerung der Haushalte und damit zu einem erhöhten Wohnflächenkonsum, der seit langem ein Ärgernis wohnungspolitischer Akteure ist.
Ideen, wie dieser Entwicklung zu begegnen sei, werden seit langem vorgetragen und zum Teil auch umgesetzt. So schlug der damalige Geschäftsführer des Gesamtverbands der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in den 1990er Jahren vor, eine Pro-Kopf-Wohnfläche, die einen festgelegten Höchstwert überschreitet, mit einer Steuer zu belegen, wobei der angepeilte Höchstwert ein Alleinwohnen ohne Besteuerung praktisch unmöglich gemacht hätte – ein Vorschlag, der bei vielen meiner in WGs oder zu Hause wohnenden Studenten der Raumplanung – aber kaum bei Studentinnen – zustimmend aufgenommen wurde.
Zwar wurde diese Idee nicht realisiert, doch zumindest für Erwachsene im Alter unter 26 Jahren erschwert inzwischen eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen (von Bafög bis Wohngeld) einen Auszug aus dem Elternhaus, wenn kein ausreichendes Einkommen erzielt wird oder keine ausreichende elterliche Unterstützung vorliegt.
Rigide Vorschriften bestehen unabhängig von Alter und Haushaltsgröße für Bezieher:innen von Sozialleistungen, bei denen nur Wohnungen »angemessener Größe« förderungswürdig sind. Erst vor kurzem schlug der inzwischen abgewählte Finanzminister Christian Lindner vor, bei Sozialleistungen auch die Heizkosten zu deckeln. Wenn diese zu hoch seien, so sein Argument, könnten die Menschen ja in kleinere Wohnungen ziehen.
Solche Vorschläge sind gerade im Hinblick auf die in der ehemaligen Familienwohnung verbleibenden »Hinterbliebenen« seit Jahrzenten en vogue. »Macht die großen Wohnungen für Familien frei« tönt es aus Wohnungspolitik, Wohnungswirtschaft, und auch von um die Wohnungsversorgung bemühten Wissenschaftlern und NGOs wie etwa der in diesem Thema sehr rührigen Schrader-Stiftung. Das zeitigt durchaus bis in weite Bevölkerungsschichten hinein Wirkung, in denen insbesondere nach Corona Alten-Bashing zunehmend salonfähig geworden ist.
In manchen Fällen mag dabei sogar eine Win-Win-Situation entstehen, etwa wenn Wohnungsgenossenschaften Bewohner:innen für ihre ehemalige Familienwohnung eine modernisierte kleinere Wohnung zu günstigen Mieten in ihrem Bestand in derselben Wohngegend anbieten und auch den Umzug organisieren. Abgesehen von diesen besonderen Fällen zeugt die Forderung nach dem Freimachen ehemaliger Familienwohnungen von völliger Unkenntnis der Realitäten am Wohnungsmarkt. Es wäre in angespannten Wohnungsmärkten ein Glücksfall, wenn ein Umzug in eine kleinere Wohnung zu einer geringeren Mietbelastung führen würde, insbesondere, wenn dafür ein langjähriger Mietvertrag aufgegeben wird. Zum einen haben kleine Wohnungen deutlich höhere Quadratmetermieten, zum anderen lässt der Gesetzgeber selbst in Gebieten mit »Mietpreisbremse« eine zehn Prozent über dem Mietspiegel liegende Miete zu, wobei es kaum eine effektive Überprüfung gibt, ob wenigstens die se Grenze eingehalten wird. Bei langer Mietdauer liegt die Miete dagegen oft deutlich unter der Vergleichsmiete.2
Da passiert es leicht, dass ein Umzug in eine kleinere Wohnung zu einer höheren Mietbelastung führt, eine Mietbelastung, die »Hinterbliebene« oft nicht tragen können, insbesondere, wenn die neue Wohnung frisch modernisiert ist und einen deutlich höheren Standard hat als die ehemalige Familienwohnung. Zu all dem kommt noch eine unter privaten Vermietern verbreitete Abneigung, sich bei Neuvermietung für ältere Menschen zu entscheiden, sie könnten ja zum Härtefall werden.
Umverteilung zum Nachteil selbständig wohnender Frauen?
Die bloße Forderung nach Umverteilung führt leicht zu einem gesellschaftlichen Backlash, der besonders Frauen trifft: Frauen, die allein wohnen wollen, Frauen, die nicht akzeptable, nicht mehr gewünschte Beziehungen verlassen wollen, Frauen, die aus Gewaltbeziehungen fliehen, alte Frauen, die nach einem langen Leben ohne eigenen Raum wenigstens in ihren letzten Jahren erfahren wollen, was es heißt, my home is my castle sagen zu können.
Diese Erfahrung wurde Frauen lange verwehrt. Deshalb ist selbständiges Wohnen von Frauen ein wesentlicher Aspekt der Emanzipation, der hart erkämpft werden musste – ein Kampf, der noch schwieriger und langwieriger war als der zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erkämpfte Zugang zu qualifizierter Lohnarbeit und Studium. Alleinstehende Frauen fanden keine Wohnmöglichkeit, zumal ihnen auch die für alleinstehende Männer übliche Untermiete vielfach mietrechtlich verwehrt blieb. In dieser Zeit entstanden erste, bescheidene Wohnprojekte für berufstätige Frauen (Lehrerinnen, Sekretärinnen) sowie Studentinnen.
Im Faschismus hatten solche Projekte keine Chance und auch das Alleinwohnen von Frauen war kein Thema. Das hielt nach dem Zweiten Weltkrieg an, die 1950er und 1960er Jahre waren eine Hochzeit der familienzentrierten Politik vornehmlich im Wohnungssektor. Das änderte sich erst Mitte der 1970er Jahre mit den Emanzipationsbestrebungen der zweiten Frauenbewegung. Heute sind es in erster Linie Frauen, die die Zunahme kleiner, Wohnfläche verschwendender Haushalte auslösen: Junge Frauen verlassen im Durchschnitt früher ihr Elternhaus als junge Männer, und Frauen reichen häufiger die Scheidung ein als ihre Ehemänner. Dass sie dabei häufig auch noch bevorzugt in die Städte ziehen, verstärkt das Wohnungsproblem, ebenso wie die Tatsache, dass es vor allem alte Frauen sind, die als »Hinterbliebene« in der ehemaligen Familienwohnung verharren.

Und die Frauen, die sich von Ihrem Partner trennen, selbst wenn es Kinder gibt? Sie lösen noch andere Wohnbedarfe aus, zumindest, wenn sie ihr Kind oder ihre Kinder nicht allein dem Vater überlassen wollen. Da Väter nach einer Scheidung immer häufiger aus Zuneigung oder aus Rache an der ehemaligen Partnerin ein zumindest gemeinsames Sorgerecht beantragen und die Gerichte dem immer häufiger folgen, wird das sogenannte »Wechselmodell« mehr und mehr zur Regel – eine Entwicklung, die der ehemalige Justizminister Marco Buschmann auch gesetzlich fixieren wollte. Abgesehen von den damit verbundenen psychischen Aspekten hat das nicht unerhebliche Konsequenzen für den Wohnungsbedarf, müssen doch dafür in zwei Haushalten adäquate Unterbringungsmöglichkeiten für die Scheidungskinder vorgehalten werden – auch das nicht gerade ein Beitrag zum Wohnflächensparen.
Kurz: es sind vor allem die Frauen, die mit ihrem »Emanzipationsgedöns« oder, wie es möglicherweise bald heißen wird, ihrer »Emanzipations-ideologie« die Steigerung des Wohnflächenverbrauchs verursachen. Soll/muss/kann das zur Umverteilung im Bestand und damit zur Reduktion des Neubaubedarfs unterbunden oder zumindest zurückgedrängt werden?
Erste, wenn auch noch kleine, Ansätze sind schon gemacht. Die Schwierigkeit für junge Erwachsene unter 26, sich aus dem Elternhaus ohne ausreichende finanzielle Mittel zu lösen, trifft nicht nur, aber doch in höherem Maße junge Frauen, da in vielen ihrer bevorzugten Ausbildungsberufe besonders niedrige Ausbildungsvergütungen bezahlt werden oder statt Vergütungen Schulkosten anfallen. Trotz mancher Veränderungen der rechtlichen Bedingungen ist die Botschaft des Gesetzgebers klar: Junge Menschen, bleibt zu Hause, wenn ihr kein Geld habt, was jungen Frauen trotz ihrer geringeren Einkommen, wie die Abstimmung mit den Füßen zeigt, schwerer fällt als jungen Männern. Blöderweise treffen diese Hürden häufig junge Menschen in ärmeren, oft überbelegten Haushalten, die eigentlich die Nutznießer:innen der geforderten Umverteilung sein sollten.
Reduktion der Wohnfläche überversorgter Haushalte – bisher Fehlanzeige
Doch was ist mit der Reduktion der Wohnfläche der »überversorgten« Haushalte mit höheren Einkommen? Wie kann da die Umverteilung gelingen?
Tatsächlich wurden in der Vergangenheit zumindest in »Gebieten mit erhöhtem Wohnraumbedarf« hierzu einige Grundlagen geschaffen, so der verlängerte Kündigungsschutz bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sowie das in diesen Gebieten mögliche zeitweilige Verbot solcher Umwandlungen. Das schützt nicht nur die Mieter:innen, sondern kann auch dazu beitragen, die weitere Steigerung des Wohnflächenverbrauchs zumindest zu dämpfen. Denn mit einer Umwandlung und dem Einzug der neuen Eigentümer:innen sinkt die Zahl der Bewohner:innen – im Durchschnitt ziehen drei Mieter:innen aus und zwei Eigentümer:innen ein.
In welchem Maße diese Regelungen tatsächlich um- und durchgesetzt werden, ist regional sehr unterschiedlich – denn zuständig sind hier die Länder und die Kommunen, die vielerorts ein ausgesprochen unterentwickeltes Interesse an solchen mieter:innenfreundlichen Maßnahmen haben. Der Einfallsreichtum der professionellen Umwandler tut hier ein Übriges, um die Wirkung solcher Regelungen abzuschwächen.
Eingriffe in das Wohnungseigentum widersprechen den Glaubenssätzen der bundesrepublikanischen Wohnungspolitik der letzten 70 Jahre, die von allen Parteien der Mitte von CDU, über SPD, FDP bis zu den Grünen getragen wurden und werden: Das Wohnen im Eigentum ist besser als Miete und der ökonomische Fortschritt wird das auch im Laufe der Zeit ermöglichen. Alle mietrechtlichen Eingriffe, alle Beschränkungen des Wohnungseigentums, alle staatlichen Fördermaßnahmen für den Bau von Wohnungen für »benachteiligte Schichten« sind als befristete Notmaßnahmen gedacht, die möglichst bald obsolet werden sollten. Das zeigt auch die Entwicklung des Sozialen Mietwohnungsbaus, dessen Beendigung bereits in den ersten Gesetzen der 1950er Jahre vorprogrammiert war, in denen die Möglichkeit einer späteren Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen festgeschrieben wurde, ein Gedanke der durch die Verlagerung der Fördermittel auf die Förderung von selbstg enutztem, großzügiger bemessenem Wohneigentum fortgeführt wurde.
Einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Unterstützung des Wohnflächenkonsums mittlerer und höherer Einkommensschichten leistete die steuerliche Förderung der »unechten Zweifamilienhäuser«, also von Einfamilienhäusern mit einer »Einliegerwohnung«, kleine Wohnungen, die für die Dauer der Förderung vermietet werden mussten und heute überwiegend als Hobby- oder Partykeller genutzt werden. Auch das hat zur Erhöhung der durchschnittlichen Wohnfläche geführt, ohne dass dies der auf Mietwohnungen angewiesenen Bevölkerung auf Dauer zugutegekommen wäre.
Es würde eines eigenen Artikels bedürfen, all die wohnungspolitischen Maßnahmen aufzuzählen, die zur Ungleichverteilung des verfügbaren Wohnraums geführt haben. Nicht zu vergessen ist die systematische Zerschlagung der Arbeits-, Lebens-, und Wohnmöglichkeiten in den neuen Bundesländern einschließlich eines staatlich geförderten massiven Rückbaus des als nicht mehr akzeptabel angesehenen Plattenbaus aus DDR-Zeiten.
Eine Abkehr der jetzigen CDU-SPD-Regierung von der eigentums- und familienorientierten Politik ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Die geplante Erhöhung der Pendlerpauschale senkt zumindest für Besserverdienende die Kosten des Wohnens im großzügigen Einfamilienhaus im Umland, und die Wiedereinführung der steuerlichen Absetzbarkeit des häuslichen Arbeitszimmers unterstützt das Wohnen auf zusätzlicher Fläche. Auch das nützt besonders denjenigen, für die Home-Office überhaupt in Frage kommt und die ein Einkommen erzielen, bei dem steuerliche Abzugsmöglichkeiten zu relevanten Einsparungen führen.
Wo also sind die Verteilungspotentiale im Bestand für eine ressourcenschonende Stadt- und Wohnungspolitik, ohne einen sozial- und geschlechterpolitischen Backlash auszulösen? Ansätze sind kaum zu erkennen, doch ohne solche führt der Versuch, statt Neubau auf eine Umverteilung des Bestands zu setzen, nicht zu der dringend notwendigen Verbesserung der desolaten Wohnungssituation erheblicher Teile der Bevölkerung.
Ruth Becker forscht und publiziert seit vielen Jahren zu Wohnungspolitik und Stadtplanung und war bis 2009 Professorin für »Frauenforschung und Wohnungswesen in der Raumplanung« an der TU Dortmund.
Anmerkungen:
1 https://www.lunapark21.net/ ?s=andrej+holm
2 wobei die Vergleichsmiete keineswegs ein vollständiges Abbild des Mietwohnungmarkts liefert, sondern durch seine Erfassungsmethode selbst zur steten Mietsteigerung beiträgt.