Bilanz des ersten Jahres
Eine Feminist Foreign Policy hat sich die deutsche Ampel-Regierung in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Nur eines der Zuckerle an die woke Mittelstandswähler:innenschaft?
Die Überzeugung der Koalierenden scheint jedenfalls nicht von tiefem Verständnis getragen, was sich auch darin spiegelt, dass die bescheidenen fünf Zeilen, die dazu im Koalitionsvertrag stehen, mit den Schlagworten Recht, Repräsentanz, Ressourcen (3R) plus Diversität, bislang, wie aus der Website des Auswärtigen Amtes zu entnehmen ist, nicht mit Inhalt gefüllt sind. Das wiederum erklärt, warum die neue Regierung die ihr gleich bei Amtsantritt mit der russischen Aggression gegen die Ukraine gebotene Gelegenheit, eine solche Politik wenigstens ansatzweise umzusetzen, so gründlich vertan hat und stattdessen geschlossen auf die überwunden gehoffte archaische Auseinandersetzungsebene einstieg, die Putin vorgab und die nur eine Richtung kennt, die der Eskalation.
Das wäre so kaum möglich gewesen, hätte sie auch nur berücksichtigt, was im grünen Wahlprogramm proklamiert wird, oder hätten sie gar beherzigt, was die Uno-Resolution 1325 – Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit, als eine der Grundlagen für eine feministische Außenpolitik, unterstreicht: dass „Waffen konflikttreibende Faktoren sind“. Im Rahmen einer feministischen Außenpolitik müsse „die Bundesregierung daher eine nachhaltige staatliche Abrüstungspolitik sowie neue kooperative Ansätze für Abrüstung und Rüstungskontrolle vorantreiben (…) eine gemeinsame Abrüstungspolitik in Europa und weltweit“. Ja, hätten sie schon vor dem Überfall, wie dort gefordert, „neue Verhandlungsformate“ angestrebt und „insbesondere auf die zivile Konfliktbearbeitung zur Friedenserhaltung“ gesetzt, dann wären wir heute möglicherweise nicht in der Situation, so massiv zu einem erneuten globalen Wettrüsten beizutragen, dann müssten wir solche Formen jetzt nicht mühsam suchen, um das Schlachten beenden zu können.
Selbst wenn all das unrealistisch und, wie aus dem politikberatenden „Centre for Feminist Foreign Policy“ verlautet, erst mal nur Utopie wäre, bliebe doch die Frage, warum gerade jetzt, warum gerade für die Ukraine sich eine solche Rücknahme des nicht zuletzt von den Frauenbewegungen erreichten Um- und Neudenkens durchsetzen konnte, eine solch bedingungslose Parteilichkeit, eine solch zielgerichtete Einseitigkeit der Berichterstattung, die sämtliche anderen Kriege und Konflikte auf der Welt banalisiert – und das mit Frauen in sämtlichen sicherheitsrelevanten Ämtern.
Die Gründe finden sich ebenfalls im grünen Wahlprogramm, in der Treue zu „unseren transatlantischen Partnern“, Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Antrittsbesuch in den USA bekräftigt hat. Ungleich schwerer als die gern vorgeschobene Schuld gegenüber den Opfern „unserer besonderen Geschichte“ scheinen danach die offenbar untilgbaren Schulden bei unseren Rettern und Wiederaufbauhelfern zu wiegen. Sie lassen uns alles erdulden, von den Atomwaffen auf unserem Territorium samt „nuklearer Teilhabe“ über die Instrumentalisierung für ihre geopolitisch motivierten Konflikte bis zur Verhinderung von Nordstream 2, die nicht nur Russland, sondern auch den Europäischen Green Deal ausgeschaltet hat. Diese sträflich unterschätzte Abhängigkeit steht der von russischen Rohstoffen wahrhaft nicht nach. Wenn Baerbock also davon spricht, wir müssten im Bündnis mit unseren Partnern die Ukraine unterstützen, um „unsere Werte“ zu ver teidigen, ist es höchste Zeit, unsere Bewunderung für den mächtigsten dieser Partner daraufhin zu prüfen, welche seiner Werte, welche seiner Freiheiten noch die unseren sein können. Der nach wie vor krasse Rassismus, mit dem auch das absurde Wahlsystem manipuliert wird? Die phobische Ablehnung von Sozialinstitutionen oder die nicht zu bremsende „Freiheit“ des Waffenbesitzes? Die bigotte, frauenverachtende Innenpolitik, die eine Mehrheit sowohl in der Regierungsopposition wie deren Anhänger:innen hinter sich weiß?
Die Außenministerin und ihre feministische Politik
Wer sie reden hört – wie zuletzt im September auf ihrer Konferenz „Shaping Feminist Foreign Policy“– möchte ihr das ehrliche Engagement für eine feministische Außenpolitik schon abnehmen. Irritierend ist nur, dass sie mit gleicher Eloquenz die ständig gesteigerte Waffenausstattung der Ukraine vertritt, die nun „für die Menschenrechte“ ganz „im Sinne der Grünen Partei“ sei. Wobei sie sich im Einklang mit der ganzen Bundesregierung recht praktikabel zurechtlegt, welchen Menschen Rechte zustehen.
So sind die bisherigen außenpolitischen Versäumnisse in feministischer Hinsicht in keiner Weise durch diesen Krieg entschuldbar. Nicht das fehlende Mitgefühl für die Opfer anderer Aggressoren und Autokraten wie etwa für die Menschen, die sich noch zu Beginn des Krieges in den Belarussischen Wäldern verstecken mussten, oder für die noch immer unter Lebensgefahr über das Mittelmeer Flüchtenden, gegen die die Innenministerin die Europäischen Außengrenzen nun noch wirksamer abschotten will, angesichts der angeblich kaum zu bewältigenden Zahl ukrainischer Flüchtender. Und das Bombardement des Nato-Verbündeten Türkei auf die zivile Infrastruktur von Rojava scheint auch nicht der Rede wert.
Als ginge sie ihr Geschwätz von gestern nichts mehr an, ihre vehemente Absage an Waffenexporte in Krisenregionen, explizit auch an Saudi-Arabien, wie auch an „Exporte von Komponenten in Partnerländer“, konnte die Ministerin offenbar den Waffendeal mit Saudi-Arabien, den die Ministerkollegen um Öl und Wasserstoff ausgekungelt haben, mit der Klimakrise als unserem „größten Sicherheitsrisiko“ vereinbaren. Ebenso scheint sie den „Petersberger Klimadialog“, dessen Gastgeberschaft sie sich mit dem ägyptischen Despoten Sisi teilte, der in Sachen Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung von Kritik Putin in nichts nachsteht, mit dem milliardenschweren Deutsche-Bahn-Deal mit Ägypten vereinbaren zu können.
Aber wollte sie sich auch nur um die „3R+“ bemühen, so hat sie dafür schon etliche Gelegenheiten ungenutzt verstreichen lassen. Keine Worte der Distanzierung seitens der empörungsbereiten Ministerin gegen die gruselig wahrwerdende Atwood-Dystopie1 bei den Partnern in Übersee. Fünf Wochen lang nicht mehr als Worte des Bedauerns für die Massaker an den protestierenden Iraner:innen, und auch dann nur wirkungslose Sanktionen, um eines zweifelhaften Atomabkommens Willen, das eher die despotische Regierung stützt als den Weltfrieden. Und wo bleibt schließlich ein klarer und wirkungsvoller Plan der Ministerin und ihrer Koalition, um den von wahnhaftem Frauenhass getriebenen faktischen Femizid in Afghanistan abzuwenden?
Eine feministische Außenpolitik – für einen neuen Sicherheitsbegriff
Ungeachtet der fragwürdigen Standfestigkeit oder des Handlungsspielraums der Außenministerin und ihrer Regierung ist feministische Außenpolitik notwendig, wenn wir noch eine Hoffnung für den Planeten haben wollen. Allerdings in einem umfassenderen Verständnis als dem, leider noch notwendigen, Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisensituationen. Feministische Außenpolitik befasst sich nicht vornehmlich mit Kriegen, sondern bereitet den Frieden vor. Dafür bedarf es eines Paradigmenwechsels oder, wie das Netzwerk 1325 – Frauen, Frieden, Sicherheit es in einem im Sommer 2022 veröffentlichten Positionspapier2 formuliert:
„Sie setzt sich für den Abbau von patriarchalen Strukturen und Gewaltverhältnissen ein. Sie erkennt Geschlechtergerechtigkeit als eine zentrale Voraussetzung für Frieden an. Für sie ist die Überwindung struktureller Gewalt, die aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Rassifizierung, sexueller Orientierung, Behinderungen und anderen mehrfach ineinandergreifenden Diskriminierungskategorien ausgeübt wird, Voraussetzung für Frieden und menschliche Sicherheit.“
Das Papier, das auf den diversen Frauenrechts-Konventionen basiert, betrachtet feministische Außenpolitik nicht nur unter den Aspekten von Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie Friedensverhandlungen, sondern auch von Internationaler Handelspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, von Humanitärer Hilfe sowie auch von Flucht und Migration, von Klimaaußenpolitik und geschlechtsspezifischer Gewalt und betont die Notwendigkeit ihrer Institutionalisierung und Finanzierung.
Eine noch so ambitionierte Außenministerin wird nicht weit kommen, wenn nicht die Vertreter:innen möglichst vieler politischer Ressorts kooperieren. Das wiederum setzt deren Einsicht voraus, dass bei allen Fortschritten, die der Feminismus bewirkt hat, das patriarchale Ganze, auch bei uns, noch immer intakt ist. Feministische Außen- und Sicherheitspolitik muss es gegen den weltweiten männlichen Irrsinn schaffen, der Sicherheit einzig in Überlegenheit und Beherrschung sucht – Herrschaft über Frauen, über die Natur, über alles Unwägbare, als potenziell feindlich Antizipierte – und seinen ganzen Erfindungsgeist seit Jahrtausenden darauf konzentriert, immer noch raffiniertere Waffensysteme zu entwickeln, deren zivile Nebenprodukte Fortschritt heißen und nicht selten ebenso destruktiv sind. Wer so denkt, dem ist soziale Gerechtigkeit bestenfalls egal.
Da Frauen diesem System der Machterhaltung offenbar eine besonders große Bedrohung sind, wie die autoritären und reaktionären Regime dieser Welt nur besonders unverhohlen zum Ausdruck bringen, braucht eine Politik, die Frauen von Opfern und Heldenverehrerinnen, von im besten Falle Nutznießerinnen der starken Akteure, zu einflussreich Agierenden wandeln will, einen langen Atem und starken zivilgesellschaftlichen Rückenwind – der allerdings im Moment eher flau ist.
So wäre es zwar wahrhaft revolutionär, wenn Außenpolitik künftig konsequent die Rechte und Handlungsmöglichkeiten der Frauen zum Maßstab nähme und „die sieben Dimensionen menschlicher Sicherheit – gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische, gesundheitliche, persönliche Sicherheit sowie Ernährungs- und Umweltsicherheit“ prioritär an ihnen messen würde. Wenn auch nur ein Land begänne, seine diplomatischen Beziehungen, finanzielle Unterstützung oder wirtschaftliche Zusammenarbeit an Frauenrechte zu knüpfen, dann wären auf einmal ganz andere Kriterien relevant für den Einkauf von Rohstoffen, von Arbeitskräften und Energie oder für Absatzmärkte. Eine Herausforderung für den Kapitalismus und seine sprichwörtliche Anpassungsfähigkeit.
Es müssten aber auch Selbstverständlichkeiten der internationalen Bemühungen um Sicherheit und Zusammenarbeit hinterfragt werden, denn die Grenzsicherung von Nationalstaaten ebenso wie die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten stehen in vielen Fällen im Widerspruch zur Parteilichkeit zugunsten von Frauenrechten. Diese verlangt zu intervenieren, wo Frauen nicht nur von politischer Teilhabe ferngehalten, sondern in ihrem Alltag nach wie vor kleingehalten werden, Gewalt ausgesetzt sind, gehandelt als Besitz eines Mannes, inklusive ihres „Vermögens“, sprich ihrer Arbeitskraft, ihrer Fähigkeiten, ihres Reproduktionspotenzials und ihres materiellen beziehungsweise finanziellen Besitzes. Sie verlangt auch, falsche Verständnisse von Respekt gegenüber anderen Kulturen, sogenannten „Traditionen“, „religiösen Gefühlen“ und dergleichen außen vor zu lassen, die zur Untermauerung geschlechterungerechter Strukturen dienen.

Von alldem sind wir, ist die derzeitige Politik weit entfernt. Feministische Außenpolitik, ein sehr anspruchsvolles und komplexes Unterfangen, das sich die Koalition da vorgenommen hat. Womit sie auf jeden Fall schon hätte beginnen können – und müssen – ist, gleiche Maßstäbe an alle Konflikte anzulegen, die eigenen Motivationen zu klären, Kompromisse aktiv zu suchen, ohne Ideale zu verraten, und die Produktion von Waffen als gewöhnliche Handelsware zu unterbinden.
Eveline Linke, Diplom-Ingenieurin, Feministin, freie Autorin, lebt in Hamburg und Berlin.
Anmerkungen:
1 Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hat in zwei Romanen („Der Report der Magd“, „Die Zigeunerin“) einen totalitären Staat entworfen mit einer düsteren Vision für Frauen.
2 „Annäherung an eine feministische Außenpolitik Deutschlands“ unter: gwi-boell.de