Bilder Schreiben: Während ich am Layout dieses Heftes saß – es war heiß in Köln und ich hatte die Tür des Ladenlokals offen, in dem mein Rechner steht – kam ein Nachbarsjunge rein und sah auf meinem Bildschirm die hier abgebildete Montage. Er kannte das da-Vinci-Bild mit dem rätselhaften Lächeln von Abbildungen und war spürbar irrtiert. „Mama, der Joachim hat der Mona Lisa einen I-Mac anstelle des Kopfes gemacht,“ sagte er zu seiner Mutter.
kultur&gesellschaft
I dreamed I saw Joe Hill last night
2015 organisierte ich zum 100sten Todestag des Songwriters und Gewerkschaftsaktivisten Joe Hill einen Konzertabend im „Museum für Arbeit” in Mannheim. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der örtlichen IG Metall. Zu diesem Engagement kam es, weil sich damals beim Mannheimer Turbinenbauer Alstom eine Übernahme durch den US-amerikanischen Global-Player GE (General Elelectric) abzeichnete.
Aus Köln konnte ich für den Abend „The Overall Brigade”, mit Joe Hill-Liedern im Skiffle-Sound gewinnen. Und neben dem Chor aus Alstomkolleg|nnen, den ich damals leitete, beteiligte sich auch das kleine elektronische Weltorchester „ewo2” mit neu aufbereiteten Workersong-Klassikern, wie „Sixty tons”, „I dreamed I saw Joe Hill last night” oder „John Henry” und Brecht/Eisler-Stücken, wie der „Ballade vom Wasserrad” oder dem „Solidaritätslied”. Fahnen und Transparente aus aktuellen Arbeitskämpfen hingen von den Balkonen des Auditoriums und die ver.di-Betriebsgruppe des Museums übernahm ehrenamtlich die technischen Dienste für diesen Abend.
Schon damals geisterte ab und zu eine unglaubliche Erzählung durch unsere Vorbereitung: Es ging um die Totenasche von Joe Hill, die über die Gewerkschaft IWW eine weltweite Verbreitung gefunden haben sollte. Eine irgendwie etwas verrückte US-amerikanische Story, die vor kurzem aber durch ein gut recherchiertes SWR2-Feature ihre Unterfütterung und Aufhellung erfuhr. In diesem Sinne also dieser Artikel.
Vom Kampf ums leere Segment
Ein Documenta-Besuch
Das Werk sei „auf politischen Druck hin“ abgehängt worden, kritisierte Documenta-Forums-Chef Jörg Sperling den Schritt. Es gehe in dieser Debatte um Politik, nicht um Kunst. Das Bild sei eine Karikatur und seiner Meinung nach von der Kunstfreiheit gedeckt. „Die Kunst hat ein Thema aufgebracht, das außerhalb der Kunst liegt: das Verhältnis von Palästinensern und Israelis. Dieses Problem kann die Kunst nicht lösen, das kann auch die Documenta nicht lösen.“
Forderungen, die ausgestellten Kunstwerke hätten vorab überprüft werden müssen, lehnte Sperling kategorisch ab. „Das wäre Zensur.“ Angesichts der Menge der ausgestellten Objekte an mehr als 30 Orten sei das zum einen nicht leistbar. Zum anderen widerspreche es der Idee der Documenta. Zwei Tage nach seiner Stellungnahme musste Sperling den Vorsitz des Documenta-Forums, dem 1972 gegründeten Freundeskreis der Documenta, abgeben.
Documenta fifteen
Kunstkollektive, vorwiegend aus dem globalen Süden, stellten während der 100 Tage documenta in Kassel ihre Sicht auf die großen Krisen und Probleme der Welt aus und zur Diskussion. Mehrere Menschen aus dem Umfeld der Lunapark21-Redaktion fuhren nach Kassel, wie ca. 750.000 andere, schauten, lasen, diskutierten und ließen sich auf die vielfältigen Sichtweisen der beteiligten Künstler:innen ein. Wir geben hier eine kleine Auswahl der bei unseren Documenta-Besuchen entstandenen Fotos wieder.
Joachim Römer
Battlefields
Fotografien von Peter Hebeisen
Battle of Verdun, La-Meuse
deutsch – französische Schlacht um Verdun | eine der längsten und verlustreichsten Schlachten des Ersten Weltkriegs | 21. Februar 1916 bis 19. Dezember 1916 | geschätzte tote Soldaten: mindestens 200.000 | es finden sich keine Angaben zu getöteten Zivilistinnen und Zivilisten
Mikis Theodorakis
*29. Juli 1925 †2. September 2021
Der Patrizier, der die Hochkultur proletarisierte
Mit Pop-Musik hatte er wenig im Sinn. Und auch nicht mit Jazz. Mikis Theodorakis war nicht von den musikalischen Strömungen angesteckt, die in der Nachkriegszeit die westliche Welt überfluteten. Mit seinem eigenen, mal melancholischen, mal anarchischen Sound aber konnte er zeitweise die Welt mehr rocken als es der härteste Rock jemals vermochte.
Das Ideal des weltbekannten Komponisten war eigentlich die Klassik, besonders die deutsche, bereichert mit dem antiken „Melos“, der „kosmischen Harmonie“, wie sie der Philosoph Pythagoras definierte. In seiner Jugend wähnte Theodorakis sich als der „griechische Bach und Beethoven“. Dieses künstlerische Credo hat er in den fünfziger Jahren, während seines Studiums am Konservatorium von Paris, ins Politische umgewandelt. „Ich wollte klangliche Wandmalereien schaffen, allerdings mit absolut lebendigen Materialien“ erklärte er. „Das Wichtigste für mich war aber, dass das Volk diese Wandmalereien als die absolut seinen betrachtete, als etwas, das aus ihm selbst hervorgeht“.
DER TARTUFFE
KAPITAL UND IDEOLOGIE – eine Inszenierung in Dresden
spezial 1: kapital, reichtumsakkumulation & ideologie
Am 2. Oktober 2021 wird am Staatsschauspiel Dresden meine Inszenierung mit dem sperrigen Titel „Der Tartuffe von Soeren Voima nach Molière und Kapital und Ideologie nach Thomas Piketty“ Premiere haben – niedrige Corona-Fallzahlen vorausgesetzt.
Mit Tartuffe hat Molière einen demagogischen Antihelden geschaffen, dem es gelingt, die bislang halbwegs intakte bürgerliche Familie von Orgon zu zerstören, indem er Orgon und dessen Mutter davon überzeugt, sich einer neuen Ideologie anzuschließen. In Molières Zeiten waren es die Auswüchse der Religion, die das Sozialgefüge der Gesellschaft beeinflussten und in neue Bahnen lenkten. Heute ist es die Ideologie der Ungleichheit, die unsere Gesellschaft prägt. Seit ungefähr 1980 ist es weltweit zu einem Siegeszug neoliberaler Ideologien gekommen, die bestehende Sozialsysteme attackieren. Vermögenssteuern wurden gesenkt oder abgeschafft, die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums hat zu einer Spaltung der Gesellschaften geführt, praktisch in allen Teilen der Welt. Dies geschieht mit dem Versprechen, dass der zunehmende Reichtum der oberen ein bis zehn Prozent zum Wohlstand für alle führt.
Der französische Ökonom Thomas Piketty schreibt in „Kapital und Ideologie“ dazu: „Der weltweite Wiederanstieg der sozio-ökonomischen Ungleichheiten gehört zu den destruktivsten strukturellen Veränderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind… Es gibt bei den Reichsten eine Einkommens- und Vermögenskonzentration, die offensichtlich außer Kontrolle geraten ist.“
Kapital – Macht – Staat
Stichworte von Werner Goldschmidt
Um diese Begriffe, die angesichts der Entwicklungen in den USA oder der Corona-Pandemie noch wichtiger erscheinen als vordem, geht es in einem Sammelband, der Beiträge von Werner Goldschmidt, kommentiert von seinen Freunden, zusammenfasst. Der 2019 verstorbene Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg hat nichts ausgelassen, was kontrovers ist in der marxistischen Diskussion: Herrschaft, Diktatur, Gewaltenteilung, Macht und politische Repräsentation, Staatformen und zugleich auch Kapital – Kapitalismus, Klassenkampf und Ware. Das sind die Stichworte, die er lieferte für zwei Wörterbücher des Marxismus: einerseits für die von Hans Jörg Sandkühler initiierte Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften und zum anderen von der Gruppe um Zeitschrift und Verlag Das Argument, also von Wolfgang Fritz Haug und anderen herausgegebene Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus. Beide in langen Jahren und von viel en Autorinnen und Autoren entwickelte Nachschlagewerke fußen auf der Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus. Während der Entstehung der Lexika gingen die Vertreter beider Schulen nicht immer freundlich mitein-ander um, aber Werner Goldschmidt lieferte Artikel für beide Darstellungen marxistischer Theorie. „Nicht meine Kapelle“, wie der trotzkistische Ökonom Ernest Mandel gesagt hätte, aber in Ausführung, Ton und Argumentationslinie so beschaffen, dass sie zum Weiterdenken anregen.
Leben und Treiben in der Spätmoderne
Eine soziologische Studie gesellschaftlicher Diskontinuität
Andreas Reckwitz: „Das Ende der Illusionen – Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne“, Suhrkamp 2019, 308 Seiten, 18 Euro
Die Erwartungen von vor 30 Jahren, der Fortschritt würde sich quasi automatisch als Siegeszug von Demokratie und Marktwirtschaft vollziehen, erwiesen sich als Täuschung, als Illusion, deren Ende Andreas Reckwitz nüchtern konstatiert, um dann seine Sicht auf die gesellschaftlichen Entwicklungen vorzustellen.
Das LenkMal in Stuttgart
Die Monstrosität von Stuttgart 21 auf den Sockel gehoben
Obgleich die Skulptur „Schwäbischer Laokoon“ von Peter Lenk erst seit dem 27. Oktober im Zentrum der baden-württembergischen Landeshauptstadt steht, zeichnen sich bereits zwei Dinge ab: Zum einen kann man jetzt Tag für Tag beobachten, wie Hunderte Personen das Werk bestaunen und versuchen, einzelne Figuren zu erkennen: „Da ganz oben – sitzt da nicht der Jesuitenschüler Heiner Geissler und guckt wie ein scheinheiliger Pfaff?“ Oder: „Die mit den Schweizer-Garde-Hosen: Könnte das nicht Frau Schavan sein, die zum Ausgleich für den verlorenen, da erschwindelten Doktortitel den Botschafterin-Posten im Vatikan erhielt?“ Und dann auch: „Das passt doch! Wie die Friederike dem Ex-Ministerpräsidenten Günther Oettinger im Genick sitzt und ihn reitet!“