I dreamed I saw Joe Hill last night

2015 organisierte ich zum 100sten Todestag des Songwriters und Gewerkschaftsaktivisten Joe Hill einen Konzertabend im „Museum für Arbeit” in Mannheim. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der örtlichen 
IG Metall. Zu diesem Engagement kam es, weil sich damals beim Mannheimer Turbinenbauer Alstom eine Übernahme durch den US-amerikanischen Global-Player GE (General Elelectric) abzeichnete.

Aus Köln konnte ich für den Abend „The Overall Brigade”, mit Joe Hill-Liedern im Skiffle-Sound gewinnen. Und neben dem Chor aus Alstomkolleg|nnen, den ich damals leitete, beteiligte sich auch das kleine elektronische Weltorchester „ewo2” mit neu aufbereiteten Workersong-Klassikern, wie „Sixty tons”, „I dreamed I saw Joe Hill last night” oder „John Henry” und Brecht/Eisler-Stücken, wie der „Ballade vom Wasserrad” oder dem „Solidaritätslied”.  Fahnen und Transparente aus aktuellen Arbeitskämpfen hingen von den Balkonen des Auditoriums und die ver.di-Betriebsgruppe des Museums übernahm ehrenamtlich die technischen Dienste für diesen Abend.

Schon damals geisterte ab und zu eine unglaubliche Erzählung durch unsere Vorbereitung: Es ging um die Totenasche von Joe Hill, die über die Gewerkschaft IWW eine weltweite Verbreitung gefunden haben sollte. Eine irgendwie etwas verrückte US-amerikanische Story, die vor kurzem aber durch ein gut recherchiertes SWR2-Feature ihre Unterfütterung und Aufhellung erfuhr. In diesem Sinne also dieser Artikel.

Die Sache mit der Asche

Am 19. November 1915 wurde der schwedisch-US-amerikanische Gewerkschaftaktivist und Liedermacher Joe Hill, gebürtig Joel Emmanuel Hägglund, in Salt Lake City von einem Erschießungskommando hingerichtet. Seine letzten Worte „Don’t mourn, organize“ – Trauert nicht, organisiert euch – wurden zu einer Proklamation der Gewerkschaften weltweit.

1902 war Joe Hill nach dem Tod seiner Mutter auf der Suche nach einem besseren Leben, gemeinsam mit seinem Bruder aus dem schwedischen Gävle, in die USA ausgewandert. Bis 1910 war er dort als migrantischer Wanderarbeiter, als „Hobo“ unterwegs, bis er 1910 sein musikalisches und rednerisches Talent entdeckte. Aus der Feder Joe Hills stammen zahlreiche Klassiker der Lieder der Arbeiterbewegung, die in Deutschland zwar weitgehend unbekannt sind, aber in den USA nahezu sprichwörtlichen Charakter angenommen haben. So die Zeile „You’ll get pie in the sky when you die“ – Du bekommst Kuchen im Himmel, wenn du stirbst – aus „The Preacher and the Slave“. Bis heute wird dieser Kuchen zitiert, wenn es darum geht, gewerkschaftliche Forderungen für das Diesseits zu stellen. Joe Hills wohl bekanntestes Lied, „Rebel Girl“, widmete er der feministischen und katholischen Gewerkschafterin Elizabeth Gurley Flynn. „Power in the Union“ wurde in den 1980ern d urch die Version Billy Braggs zu einem der Lieder des britischen Bergarbeiterstreiks und „The Tramp“ finden wir in den Filmen Charlie Chaplins wieder.

Über Joe Hills ersten Jahre im „Land der Hoffnung” ist nicht viel bekannt. In späteren Briefen erwähnte er, dass er Kneipen-Böden putzend seinen Lebensunterhalt verdiente und recht bald New York verließ. Über die Hobos und Jobs als Erntearbeiter, Bahnarbeiter, Minenarbeiter oder Obstpflücker kam er in Kontakt mit der kleinen aber sehr rührigen Gewerkschaft IWW (Industrial Workers of the World). Deren Mitglieder „Wobblies” waren, also Underdogs wie er.

1912 wurde der IWW durch den „Bread an Roses”-Streik weltbekannt, als 23 000 Arbeiterinnen aus 51 Nationalitäten die Textilfabriken von Lawrence (Massachusetts) lahmlegten. Wie phantasievoll die Agitation für ihre Sache damals ablief, erzählt ein Ausschnitt aus der SWR2-Sendung:

„Damals hatten die Wobblies ihre eigenen Methoden, das Lied unter die Leute zu bringen: Es gab immer einen, der mit Tricks Menschen um sich scharte. Er trug einen schwarzen Anzug, eine schwarze Melone, eine Fliege und hatte einen Regenschirm und Aktentasche dabei – wie ein Banker. Er lief die Straße entlang und begann plötzlich zu schreien: „Hilfe! Ich wurde ausgeraubt!“ Die Leute kamen angerannt: „Was ist los? Was ist passiert?“ Als er genug Leute um sich hatte, schrie er: „Ich wurde ausgeraubt vom kapitalistischen System, Fellow Workers!“

Ausgeraubt vom System

Er sprach zehn Minuten zu ihnen und dann tauchten seine Kumpels auf und begannen zu singen. Und sie sangen das hier:

Long-haired preachers come out every night, / Try to tell you what’s wrong and what’s right; / But when asked, how ‘bout something to eat, / They will answer with voices so sweet: / you will eat, bye and bye, / In that glorious land above the sky – way up high. / Work and pray, live on hay, / You’ll get pie in the sky when you die.

Jeden Abend kommen langhaarige Prediger heraus, / Versuchen dir zu sagen, was falsch und was richtig ist;

Aber wenn man sie fragt, wie wär‘s mit etwas zu essen,/ antworten sie mit so süßen Stimmen: / du wirst essen, bye and bye, / In dem glorreichen Land über dem Himmel – ganz hoch oben. / Arbeite und bete, lebe von Heu, / du bekommst Kuchen im Himmel, wenn du stirbst.”

Joe Hill, klinkte sich mit Artikeln und radikalen Songs in diese Aktivitäten ein und geriet so schnell in den Fokus der Kapitalisten und der staatlichen Organe, was 1914 zu einer konstruierten Mordanklage führte. Der Vorwurf lautete, in Salt Lake City einen Gemüsehändler und seinen Sohn erschossen zu haben. Joe Hill schrieb dazu aus dem Gefängnis:

„… die einzig wichtige Tatsache, die es sich lohnt zu erörtern, ist: Ich habe Morrison nicht getötet und weiß nichts über seine Ermordung. Wie aus den Akten klar hervorgeht, wurde er aus Rache von einem Feind getötet, und ich bin noch nicht lang genug in dieser Stadt, um ihn mir zum Feind gemacht zu haben.

Herr Morrison war eine angesehene Persönlichkeit, weshalb ein Sündenbock hermusste, und der Autor dieser Zeilen, in ihren Augen ein wurzelloser Tramp, ein Schwede und – am schlimmsten von allem – ein Mitglied der „Industrial Workers of the World“, hatte ohnehin kein Daseinsrecht, und wurde als Sündenbock auserkoren.”

Don‘t Mount – Organize

Trotz der IWW-Solidarität, Joe Hill hatte keine Chance gegen die korrupte Justiz. In einem kurz vor der Erschießung hinterlassenen Kassiber fand sich das folgende kurze Testament:

Mein Testament? Leicht zu verfassen! / Denn ich habe nichts zu hinterlassen. / Die Freunde sollen um mich nicht weinen – / „Moos setzt nicht an auf rollenden Steinen“. / Mein Leichnam? Könnt’nen Wunsch ich nennen: / Man soll zu Asche ihn verbrennen. / Und lasst die heiteren Winde weh’n / den Staub dahin, wo Blumen steh’n. / Vielleicht kann so ein armes Grün / dann weiterleben, wieder blüh’n. / Das wär‘s. Das ist mein letzter Will‘. / Glückauf Euch allen wünscht – Joe Hill.

Am Tag nach der Hinrichtung wurde der Leichnam eingeäschert. Die Wobblies nahmen die Asche mit und teilten sie in 600 Umschläge, die ein Jahr danach, auf einem IWW-Kongress an die Delegierten verteilt wurden. Der Rest ging an Gewerkschaften in den USA und weltweit. Die Idee war, die Delegierten und GewerkschafterInnen sollten von der Asche etwas zu sich nehmen und so Joe Hills Spirit für immer weiterverbreiten. Einige hoben die Tütchen aber für „besondere Anlässe” auf und so kam sehr spät auch der britische Songwriter Billy Bragg in diesen Genuss: „Ich hatte einen Gig in Chicago, wo sich das Headquarter der Wobblies befindet und unterhielt mich mit den Leuten am Merchandise-Stand. Dort hingen auch drei Typen schüchtern rum und wollten mit mir reden. Es stellte sich heraus, dass sie Wobblies waren und etwas von Joes Asche dabeihatten. Sie erklärten mir den Hintergrund und fragten: „Bist du dabei und möchtest etwas von dieser Asche essen?“ I ch meinte nur: „OK, das ist ein interessanter Vorschlag…” Wir besorgten uns ein paar Bier aus einem gewerkschaftlich organisierten Betrieb, von einer lokalen Brauerei. Und dann spülten wir Joes Asche mit diesem Gewerkschafts-Bier herunter.” Einen Rest der Asche nahm Billy Brag dann noch mit nach England und gab ihn später dem Sänger Otis Gibbs. O-Ton Otis Gibbs: „Wir haben darüber gelacht. Und ich glaube, Billy fragte mich, wie es schmeckte. Und ich sagte, es schmecke nach Solidarität. Und dann haben wir wieder gelacht” und O-Ton Billy Bragg: „Das Ganze hatte natürlich eine symbolische Bedeutung. Joe Hill steht am Anfang einer Tradition gewerkschaftlich engagierter Lieder. Und ich bin Teil davon, denke ich.”

„1969 sang Joan Baez in Woodstock ein Lied, das dem jungen Publikum vollkommen unbekannt war: „I dreamed I saw Joe Hill last night“. Das Lied wurde in den 1930er-Jahren von Drehbuchautor Alfred Hayes und dem Komponisten Earl Robinson geschrieben. Gesungen wurde es von Woody Guthrie, Pete Seeger und Paul Robson. Der Auftritt von Joan Baez brachte dem alten Lied neue Aufmerksamkeit. Ende der 1960er-Jahre entdeckte eine neue Generation die Geschichte der IWW. In dieser Zeit wurde auch in Gävle, im Haus, in dem Joe Hill aufwuchs,  ein Museum eröffnet. In Amerika verfilmte Regisseur Bo Widerberg sein Leben.” Billy Bragg schrieb einige Songs über Joe Hill und die damaligen Zeiten. Und auch Otis Gibs hat einige Joe-Hill-Songs in seinem Repertoire.

Beim Schreiben dieser bizarren Geschichte ging mir durch den Kopf, ob ich wohl auch etwas von dem „Zeugs” genommen hätte. Ich denke eher nicht. Ich hatte es nie so mit Drogen,  Mystik oder sonstigen Übersinnlichkeiten. Vielleicht hätte ich es aber für andere mitgenommen, die in dieser Richtung „aufnahmebereiter” sind als ich.

Bernd Köhler ist Mitbegründer von Lunapark21 und war früher unter dem Namen „Schlauch” als politischer Liedermacher und Sänger unterwegs. Heute setzt er diese Tradition mit der Mannheimer Gruppe ewo2 (das kleine elektronische weltorchester) fort.

Alle zitierten Beiträge sind aus dem SWR2-Feature „Die Asche von Joe Hill” – als Podcast unter: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/essay.xml