Solidarity Transport

Hub Airport, Warschau
Neue Mega-Drehscheibe für Nord-Osteuropa

Der in der Nähe Warschaus geplante neue polnische Zentralflughafen ist ein Prestigeprojekt der amtierenden nationalkonservativen Regierung. Darüber hinaus ist er in geopolitische und geowirtschaftliche Planungen der nord-osteuropäischen Nato-Staaten eingebettet.

Seine Funktionsweise wird multimodal sein. Das heißt, der Flughafen ist als Drehscheibe gedacht, die als Knotenpunkt Güter und Personen auf verschiedene Transportmittel verteilen kann. Es geht bei dem Flughafen also nicht nur um die Luftfahrt, sondern auch um Autobahnen und Eisenbahnen. 1600 Schienenkilometer sollen als Teil des Flughafenprojektes entstehen und unter anderem eine neue Schnellzugverbindung nach Frankfurt/Oder schaffen. Auch Verbindungen nach Warschau sollen beschleunigt werden. Der Ausbau von Schnellzugverbindungen ins Baltikum ist ebenfalls Teil des Flughafenprojekts.

Die Kombination aus Flughafen und Eisenbahn sollte allen, die allein schon aus Klimaschutzgründen ein Interesse am Ausbau des Schienenverkehrs haben, Grund genug sein, näher hinzuschauen. Dass der Schienenverkehr eine positive Rolle bei der Gestaltung einer sozial-ökologischen Verkehrswende zu spielen hat, ist unbestritten. Doch unter den gegebenen gesellschaftlichen Machtverhältnissen ist der Eisenbahnverkehr fest in den globalen fossilen Kapitalismus eingebettet. Die Ausrichtung des schienenbasierten Fernverkehrs an den Bedürfnissen national und transnational bedeutsamer Flughafen-Infrastrukturen ist überall in Europa zu beobachten. So wurde in Wien unter anderem deshalb ein neuer Hauptbahnhof errichtet und der bislang bestehende Westbahnhof als Fernbahnhof entwertet, um eine direkte Schnellzugverbindung zum Flughafen Wien-Schwechat zu ermöglichen. Auch das umstrittene Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21 hat neben anderen Intentionen das Ziel, die Eisenbahn an den  Flughafen zu binden.

Der neue polnische Zentralflughafen wird von großspurigen Versprechungen begleitet. Mehr als 150.000 neue Jobs sollen laut Regierungsangaben dort entstehen. Doch die Lokalbevölkerung der Anrainergemeinden steht dem Bauvorhaben skeptisch gegenüber. Bei einer Volksbefragung im Juni 2018 stimmten 84 Prozent der Teilnehmenden dagegen. Die Wahlbeteiligung betrug 47 Prozent. Das ist ziemlich hoch für Umfragen dieser Art. Die Bauwerber setzen aufgrund der Opposition in der Bevölkerung auf Greenwashing. Der Flughafen wird als ökologisches und nachhaltiges Projekt beworben, wobei der ökologische Aspekt vor allem aus der unterirdischen Führung neuer Schienen und Autobahnen in der Nähe des Flughafens bestehen soll. Außerdem gibt es ein fesches Glasdach.

Begrüßt wurde der geplante neue polnische Flughafen unter anderem durch ein Transparent auf der Fassade des skandalträchtigen Flughafens Berlin-Brandenburg. 2027 will man in Polen die Baumaßnahmen beendet haben, um 2028 mit dem Flugbetrieb zu beginnen. Wenn es mit der Fertigstellung des Zentralflughafens auch nur annähernd so viele Pleiten, Pech und Pannen wie in Berlin gibt, klingt dieses Datum reichlich optimistisch.

Solidarity Hub und die Drei Meere

Eine spannende Doppeldeutigkeit verbirgt sich in der Namensgebung der geplanten neuen Warschauer Transportdrehscheibe. Der Begriff „Solidarität“ verweist zum einen auf die polnische Gewerkschaftsbewegung gleichen Namens und deren Kampf gegen den Stalinismus. Es ist ein in Polen patriotisch aufgeladener Begriff, der heute vor allem mit dem nationalen Kampf gegen die sowjetische Besatzung Polens und gegen den russischen Einfluss in Nord-Osteuropa allgemein in Verbindung gebracht wird. Das ist kein Zufall, denn der neue Flughafen ist als zivil-militärisches Infrastrukturprojekt geplant. Wie die Zeitschrift Airport Technology am 10. Juni 2022 berichtete, soll er eine „signifikante Bedeutung“ bei der Gewährleistung der „Sicherheit“ Polens sowie Zentral- und Ost-Europas spielen. So könne der Flughafen von militärischen Transportflugzeugen zur Bereitstellung von Truppen und Kriegsgerät angeflogen werden, etwa um bei der Verteidigung Polens und der Staaten  des Baltikums gegen „feindliche Aggressoren“ zu helfen, so das Blatt weiter. Es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl. Gemeint ist Russland.

Damit wird umgekehrt auch deutlich, mit wem durch den neuen Flughafen gemeinsame Interessen wahrgenommen werden sollen. Das Großprojekt ist auf dreierlei Weise in teilweise miteinander konkurrierende westliche Großmachtstrukturen eingebunden: der Europäischen Union, der „Drei-Meere-Initiative“ und der Nato. Die Europäische Union steuert große Geldbeträge bei. Sie listet den Flughafen als infrastrukturelle Investment-Priorität. Für den Bau der an den Flughafen angeschlossenen Eisenbahnverbindungen stellt die Europäische Kommission rund 25 Millionen Euro zur Verfügung. Die zivil-militärische Ausrichtung des Flughafens korrespondiert auffällig mit den Vorgaben der von der EU-Kommission entwickelten europäischen Transportstrategie. Diese hat eine klare militärische Note.

Besonders gut lässt sich das an den sogenannten Transeuropäschen Netzwerken (TEN) festmachen. Dabei handelt es sich um von der EU-Kommission finanzierte und geplante, länderübergreifende, multimodale Verkehrsnetze. Sie sollen den Wirtschaftsraum der Europäischen Union infrastrukturell erschließen und global wettbewerbsfähig machen. Neben Transport geht es bei den TEN-T-Netzen auch um Energieversorgung, Kommunikationsnetze – und um Kriegsplanung. Ein Ziel der EU ist es, das Transport-Netz (TEN-T) auszubauen, um Nato- und EU-Truppenverbände schnell innerhalb der EU, und explizit auch über die Grenzen der EU hinaus, bewegen zu können. Die TEN-T-Routen sind somit zivil-militärische Infrastrukturen, wie es auch der Solidarity Hub ist. Um deren Entwicklung zu fördern, existiert seit 2019 ein von der EU-Kommission erstellter, mit TEN-T korrespondierender „Action Plan on Military Mobility“. Seit 2021 sind mit dem TEN-T Netzwerk assoziierte Bautr_ e4ger verpflichtet, die militärische Nutzbarkeit bei der Errichtung neuer Autobahnen und Eisenbahnstrecken immer mitzudenken.

Der Solidarity Hub ist als Bestandteil des „baltisch-adriatischen-Korridors“ geplant. Dieser Transport-Korridor soll die Ostsee mit dem Mittelmeer verknüpfen und ist auch zentrales Element der sogenannten Drei-Meere-Initiative. Dabei handelt es sich um ein 2015 auf polnische und kroatische Initiative gegründetes Bündnis zentral- und ost-europäischer Staaten. Die zwölf Mitglieder sind Österreich, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Bis auf Österreich sind alle Mitgliedsstaaten offizieller Teil der Nato. Derzeit wird angestrebt, auch die Ukraine in das Bündnis zu integrieren. Deutschland möchte inzwischen auch dabei sein, was jedoch von Polen und den baltischen Staaten abgelehnt wird.

Die Initiative strebt eine wirtschaftliche und strategische Koordination im Raum zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und dem Mittelmeer an. Hierfür soll vor allem der baltisch-adriatische Korridor aufgebaut werden, wofür die an der Initiative beteiligten Staaten gerne EU-Gelder annehmen. Der baltisch-adriatische Korridor gilt den Betreibern der Drei-Meere-Initiative als Schlüssel-Element zur Bekämpfung des russischen Einflusses in Ost- und Zentral-Europa, da die transnationalen Verkehrswege der Region derzeit fast ausschließlich entlang einer Ost-West-Achse ausgerichtet sind und die Region damit – so der Sprachgebrauch der an der Initiative beteiligten Staaten – an Russland ketten würden. Gleichzeitig richtet sich die Initiative auch explizit gegen Staaten wie Deutschland und Frankreich, deren Einfluss in der Region ebenso zurückgedrängt werden soll. Letztendlich geht es um den Versuch, den Wirtschaftsraum der ehemaligen österreichisch-ungarischen  Monarc hie neu zu erschaffen. Der Solidarity Hub ist mittendrin. Im Januar 2023 kündigte die offizielle Homepage des Hubs „4500 Kilometer neuer Schnellzugverbindungen für die Drei-Meere-Region“ an. Ausgehend von Warschau sollen neue Routen nach Tallinn, Prag, Budapest und Wien erschlossen werden. Bis 2030 soll auch die Verbindung der „Rail Baltica“ fertig werden, die Teil des adriatisch-baltischen Korridors ist.

Impulsgeber USA

Während in den Publikationen der Initiative viel von der Schaffung eines neuen Selbstbewusstseins und neuer Unabhängigkeit für die daran beteiligten Mitgliedsstaaten die Rede ist, kam ein entscheidender Impuls für die Gründung der Initiative aus den USA. Der amerikanische Thinktank Atlantic Council veröffentlichte bereits 2014 ein 90 Seiten starkes Dokument mit dem Titel „Completing Europe – From the North-South Corridor to Energy, Transportation, and Telecommunications Union“. In diesem Dokument wird die infrastrukturelle Aufrüstung zentral- und ost-europäischer Staaten gefordert, um chinesische und russische Einflüsse in der Region zurückzudrängen. Ein Autor dieses Dokuments ist James L. Jones, der ehemalige Kommandeur des US European Command and Supreme Allied Command Europe. Heute leitet Jones das private Sicherheitsunternehmen „Jones Group International“. Am 22. Juni 2022 machte US-Außenminister Antony Blinken die Intentionen de r USA auf einem Gipfeltreffen der Drei-Meere-Initiative deutlich:: „Die Straßen, Eisenbahnen und Flughäfen der Region wurden von der Nato genutzt, um Personal und Equipment zur Stärkung der Ostflanke der Nato heranzuführen.“ Das Interesse der an der Initiative beteiligten Staaten an der Schwächung des Einflusses Deutschlands und Frankreichs dürfte den USA ebenfalls entgegenkommen.

Die Bauplanung des Warschauer Solidaritäts-Flughafens wird in erheblichem Umfang mit der britischen Botschaft in Polen koordiniert. Großbritannien agiert in Zentral- und Ost-Europa als inoffizielles Sprachrohr der USA. Ein Fonds, der von den an der Drei-Meere-Initiative beteiligten Staaten eingerichtet wurde und der der eigenständigen, von der EU unabhängigen Finanzierung von Infrastrukturprojekten dient, wird ebenfalls von London aus betreut. 2019 führte die britische Botschaft Architekturworkshops für den Flughafen durch.

Am 21. Mai 2020 verkündete das britische Ministerium für internationalen Handel die Unterzeichnung eines Vertrages mit Polen. Dessen Inhalt: die „vertiefte Kooperation“ zur Unterstützung des Baus des Solidarity Hub. Für das Design und die Konstruktion des Flughafens zeichnen britische Architekten- und Ingenieur-Büros verantwortlich.

Dass Polen bei der Errichtung einer für die EU bedeutsamen zivil-militärischen Infrastruktur eng mit dem gerade erst aus dem europäischen Staatenbündnis ausgetretenen Großbritannien kooperiert, dürfte in Brüssel nicht unbedingt mit Freude zur Kenntnis genommen worden sein. Auf jeden Fall werden hier die komplexen Kräfteverschiebungen im Osten des europäischen Kontinents deutlich. Kräfteverschiebungen, die innerhalb der friedenspolitischen Linken stärker als bislang analysiert werden sollten.

Christan Bunke lebt in Wien und schreibt seit zehn Jahren die Rubrik „Ort und Zeit“ in Lunapark21.