Stellvertreterabriss
Es war nicht einfach, in der DDR als Kind patriotisch zu sein. Unsere Kindergartenkunstwerke, die stolz die Landesfahne zeigen sollten, scheiterten regelmäßig am Emblem: Hammer, Zirkel, Ährenkranz – das konnte niemand von einer Fünfjährigen verlangen. Die Lösung war pragmatisch: ein Loch in der Mitte. Aber zufrieden konnte man damit nicht sein. Es fehlte etwas. Man möchte sagen: das Entscheidende.
Pikanterweise wurde das fehlende Emblem, das Loch in der Fahne später zum Symbol selbst: Für ein Land, das untergegangen war, weil es das Entscheidende nicht hinbekommen hatte. Auch an der Fassade des Palasts der Republik fehlte das Emblem bald: offiziell abgeschraubt, nicht ersetzt. Kein Symbol, kein Anspruch, kein Zentrum.
Gestartet war der Palast nicht als bloßes Gebäude, sondern als Anspruch: „Power to the People“, in Architektur gegossen. Das Volk sollte nicht nur zuschauen, sondern dabei sein. Parlament und Freizeit unter einem Dach. Volkskammer und Kegelbahn. Hochgradig symbolisch – aber eben auch real. Nicht, dass das für alle funktioniert hätte. Eine Siebenjährige zum Beispiel hatte davon wenig. Eis, ja. Rolltreppe, auch. Aber der Ort blieb unverständlich. Groß, hell, überwältigend. Irgendetwas stimmte nicht. Man passte nicht hinein.
Inzwischen sieht die Berliner Mitte an der Stelle so aus, als ob es den Palast der Republik nie gegeben hätte. Auch von den jahrelangen Debatten um Abriss oder Erhalt ist nichts mehr zu sehen. Heute ersetzt die Hohenzollern-Fassade den entkernten Fortschrittsversuch: ein neu gebautes altes Schloss, dessen Ruinen einst für den Bau des Palasts weichen mussten. Nicht als Rekonstruktion des Alten, sondern als Attrappe des vermeintlich Ewigen. Als hätten sich die Machtverhältnisse rückabgewickelt. Geschichte nicht bewältigt, sondern umetikettiert.
Die letzte Volkskammer-Sitzung im Palast fand im März 1990 statt. Im September, noch vor dem offiziellen Ende der DDR, erwirkte die Mitarbeiterversammlung die Schließung des Palasts – wegen der Gesundheitsgefahren durch die Asbestbelastung. Es stand die Frage: Wie weiter mit dem Palast? Die offizielle Antwort hatte sich schnell gefunden: Schon 1991 gab der Bundestagsbeschluss zur »Wiederherstellung der historischen Mitte Berlins unter Einbeziehung des Schlossstandorts« den indirekten Startschuss für die Debatte um den Abriss.
Die Umsetzung der offiziellen Antwort dagegen zog sich. Nicht wenige Stimmen gab es für Sanierung und Weiternutzung, als so etwas wie ein Ort gesamtdeutscher Demokratie.
Salamitaktik
Dass der Asbest wegmusste, da gab es kein Drumherum, auch für keine Palastbefürworterin. Und tatsächlich wurde die Asbestsanierung ergebnisoffen durchgeführt. 1995, nach knapp zwei Jahren Arbeit und rund 70 Millionen DM Kosten wäre eine Weiternutzung nach Umbau möglich gewesen.
Der endgültige Bundestagsbeschluss zum Palast-Abriss folgte 1998: Das Gebäude sei nicht mehr wirtschaftlich nutzbar; eine Rekonstruktion des Schlosses wurde in Aussicht gestellt. Die Debatte um Für und Wider war damit nur weiter angeheizt. Nicht nur die »Palast-Initiative«, sondern auch Künstler:innen und Architekt:innen erhoben Einspruch. Proteste, Petitionen, Debatten hielten noch viele Jahre an. Sogar Wolf Biermann und Gregor Gysi waren sich einig, vielleicht zum ersten und einzigen Mal.
Zwischenzeitlich wurde das Gebäude entkernt. Nur das Stahlskelett blieb und wurde als »Kunstbaustelle« für Theaterproduktionen, Lichtinstallationen, Raumexperimente zwischengenutzt. Im gleichzeitigen Architekturwettbewerb zum »Schlossareal« 2002 fiel die Entscheidung zugunsten eines historisierenden Schloss-Neubaus mit rekonstruierten Fassaden und moderner Nutzung im Innern. Die Proteste verstummten erst allmählich, als ab 2006 auch das Stahlgerüst zurückgebaut wurde. 2008 war der Schlossplatz wieder frei. Während der Pandemie eröffnete schließlich das neu gebaute Humboldt-Forum.
Was hätte sein können
Der Palast war ein politischer Körper. Glänzend verkleidet, innen strukturell vergiftet. Die massenhafte Verwendung von Spritzasbest – obwohl in der DDR seit 1969 verboten – war mehr als eine technische Entscheidung. Es war ein toxischer Kompromiss: Fortschritt um jeden Preis, selbst auf Kosten der eigenen Lunge. Eine Ausnahme, extra für das Vorzeigeprojekt genehmigt – und am Ende der Grund für die Rückabwicklung. Ökonomischer Zwang in ideologischer Verpackung? Oder eben andersherum.
Der Palast war Projektionsfläche. Zu seinen Lebzeiten, und danach erst recht. Es ging um das Projekt, das Versprechen: eine moderne Gesellschaft, sozialistisch, technokratisch vielleicht, aber doch mit einem anderen Grundton. Dass es so nicht kam, ist bekannt. Wer sich über »Erichs Lampenladen« lustig machte, meinte selten nur die Beleuchtung. Doch der Abriss war nicht nur das Ende eines dysfunktionalen Bauwerks. Es war die endgültige Rückabwicklung des Versuchs, Macht und Öffentlichkeit in ein Verhältnis zu setzen, das mehr versprach als Repräsentation. Nicht, dass die DDR das eingelöst hätte – aber der Versuch war erkennbar. Symbole zerstören wirkt nicht nur auf das, was war. Sondern mindestens ebenso auf das, was hätte sein können. Der Abriss war ein symbolischer Schlussstrich unter eine Idee, ein Stellvertreterabriss.
Heute lebt Erichs Lampenladen auf Ebay weiter. Die »Originale Palast der Republik Lampe Sputnik Systemleuchte DDR Design #624« wird in klein für knapp 4000 Euro angeboten, in groß für stolze 12.500 Euro. Günstiger kommt die »Vintage Pusteblume Sputnik DDR Palast der Republik Kronleuchter Mid Century« mit nur 1150 Euro. Man kann das als Ironie der Geschichte lesen – oder als Fortsetzung des Projekts mit anderen Mitteln. Wo einst Volkseigentum leuchtete, leuchten nun Einzelstücke im Wohnzimmer. Vom kollektiven Ort zur privaten Trophäe. Geschichte als Einrichtungsstil.
Der neue Bau – das Humboldt Forum – gibt sich aufgeschlossen. Postkoloniale Führungen, digital gestützte Vermittlung, Eintritt frei im Erdgeschoss. Ein Fortschritt. Und doch steht auf dem Platz heute wieder ein Schloss. Symbol einer anderen Weltordnung. Eine, in der man das Volk draußen stehen lässt.
Was bleibt
Vielleicht war die Idee erst im Kontrast zu verstehen. Als Gegenbild zum Schloss. Als Fortschrittsversuch, der aus der Zeit fiel. Als Symbol für die Möglichkeit, dass es auch anders gehen könnte. Der Palast der Republik war nie der Ort, an dem alle Versprechen eingelöst wurden. Aber er war der Ort, an dem Versprechen wenigstens sichtbar waren. Als Kegelbahn mit Parlament, als Lampenladen mit Volksanspruch. Ein Ort, der zu seinen Lebzeiten nicht recht zu verstehen war – und hinterher dennoch fehlt.
Was ist ökonomisch an dieser Geschichte? Der gute schwedische Stahl, einst mit raren Devisen teuer bezahlt, am Ende als Schrott verscherbelt. Vielleicht aber auch: Dass die Zerstörung von Symbolen immer auch Kosten produziert, die sich nicht in Haushaltszahlen messen lassen. Und dass Fortschritt nicht nur eine Frage der Technik oder Mittel ist, sondern des kollektiven Lernens.
1999, ein paar Fahrradminuten von den Abrissdebatten zum Palast entfernt, prangte auf dem Ostberliner Haus des Lehrers ein riesiges Banner: »Wir waren das Volk«. Chance vertan. Die Geschichte um den Palast-Abriss ist am Ende doch nur ein recht kleiner Zipfel eines ziemlich großen Ganzen.