Shoppen in der ehemaligen Gestapo-Zentrale

Schwaches Gedenken an das Stadthaus in Hamburg

»Ich habe nach 1945 jahrzehntelang einen großen Bogen um das Stadthaus gemacht, unruhig, ja, irritiert, wenn ich nur in die Nähe kam. Es gab noch andere Orte, denen ich große Scheu entgegenbrachte, aber der abschreckendste Topos war immer die ehemalige Leitstelle der Geheimen Staatspolizei Hamburg, Ecke Neuer Wall/Stadthausbrücke. (…) Auch nach 65 Jahren noch hatte der Ort für mich nichts von seinem Schrecken eingebüßt.« So schildert es Ralph Giordano in seinen »Erinnerungen eines Davongekommenen«.

Heute erinnert nur ein kleiner Geschichtsort Stadthaus an die Schrecken, die dieser Ort für alle bedeutete, die hier von der Gestapo verhört, gefoltert oder ermordet wurden. Er befindet sich seit dem Jahre 2020 in einem 100.000 Quadratmeter großen Komplex historischer Gebäude, der in Hamburgs bester Innenstadtlage als Stadthöfe werbewirksam vermarktet wird. Dieser kleine Erinnerungsort ist das Ergebnis des Versuchs der Stadt Hamburg, das Erinnern einem privaten Investor zu überlassen. Er hat eine lange Vorgeschichte.

Das erste Gebäude wurde 1710/11 am Neuen Wall errichtet, es wurde ab 1814 als Stadthaus der zentrale Sitz der Hamburger Polizei. Mit dem Wachsen der Stadt und zunehmender Polizeistärke entstand 1891 an der Ecke Neuer Wall/Stadthausbrücke ein viergeschossiger Erweiterungsbau mit einer charakteristischen Rotunde. Um die Jahrhundertwende zeigte sich, dass die Polizeiverwaltung weiteren Raumbedarf hatte, nicht zuletzt weil die Hamburger Polizei nach preußischem Vorbild neu strukturiert wurde. Dazu gehörte auch die Aufstellung einer Politischen Polizei, wodurch der im Bürgertum verbreiteten Angst vor der stärker werdenden Arbeiterbewegung mit ihren Streiks und Demonstrationen Rechnung getragen werden sollte. Bis 1921 wurden weitere Gebäude an der Straße Stadthausbrücke errichtet. Nach der Novemberrevolution blieb auch in der Weimarer Republik die Aufstandsbekämpfung eine zentrale Aufgabe der Polizei. In Hamburg wurde aus Soldaten und Volkswehrangehörige n die kasernierte Ordnungspolizei gebildet. Sie war mit Kriegswaffen ausgerüstet und wurde wie ein militärischer Verband geführt. Offiziere und Mannschaften waren mehrheitlich reaktionäre Republikfeinde, ebenso wie die Beamten der Politischen Polizei, die nun Staatspolizei hieß.

Terrorzentrale

So gelang es der NSDAP relativ einfach, diese Polizeistrukturen zu unterwandern und nach der Machtübergabe an Hitler gleichzuschalten. Mit Hilfe einer schnell aufgestellten Hilfspolizei und des Kommandos zur besonderen Verwendung wurden bereits im ersten Jahr der NS-Herrschaft die Organisationen und Strukturen der Arbeiterbewegung in Hamburg fast vollständig zerschlagen. Die Unterordnung der Polizei unter die SS und die Bildung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) bedeuteten einen weiteren Ausbau des NS-Verfolgungsapparats. Die Zentrale der Polizeidienststellen war im Stadthaus, zuständig für Hamburg und weite Teile Norddeutschlands.

Von hier aus wurden die Deportationen der Hamburger Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma geplant und vorbereitet, hier wurden die Polizeibataillone aus Hamburg, Bremen und Lübeck für den Einsatz im Vernichtungskrieg im Osten organisiert. Hier begann der Leidensweg Tausender, die Widerstand leisteten oder als Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Swing-Jugendliche, Berufsverbrecher oder Asoziale stigmatisiert, verfolgt, verhaftet und in die Konzentrationslager deportiert wurden. Die Zerstörung durch die Bombenangriffe 1943 stellte einen schweren Schlag gegen die polizeiliche Infrastruktur Hamburgs dar.

Nach dem Krieg wurden die Gebäude provisorisch wieder aufgebaut. In ihnen war bis 2013 die Baubehörde der Stadt untergebracht, die sich weder um deren Erhalt noch um deren historische Bedeutung kümmerte. Im Gegenteil, eine kleine Erinnerungstafel konnte von Behördenmitarbeiter:innen nur gegen den Widerstand der Behördenleitung im Jahre 1981 angebracht werden.

Vergessen beim Kaufen

2008 wurde erstmals bekannt, dass der Senat den gesamten Komplex verkaufen wollte, um dort Investoren die Errichtung einer neuen Shopping-Passage zu ermöglichen. Der Verkauf erfolgte ein Jahr später unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zum Schnäppchenpreis von 54 Millionen Euro an die Investmentfirma Quantum AG. Dafür verpflichtete diese sich im Kaufvertrag, auf 750 Quadratmetern in geeigneten Räumen einen Gedenk- und Lernort zur Geschichte des Stadthauses einzurichten, öffentlich zugänglich zu machen und dauerhaft zu betreiben. Dieses Erbe übernahm 2011 der SPD-geführte Senat.

Nach siebenjähriger Kernsanierung unter Bewahrung der historischen Fassaden stehen die Stadthöfe seit dem Jahr 2020 für die kommerzielle Nutzung zur Verfügung. Die neoklassizistischen Gebäude erstrahlen nun in neuem Glanz und laden mit den Innenhöfen, dem Hotel, den Cafés, Restaurants und Geschäften zum Verweilen ein. Um diese Konsumatmosphäre möglichst wenig zu stören, erfand der Investor die »Dreiklang«-Lösung: Statt der vertraglich vereinbarten 750 Quadratmeter wurde eine verwinkelte Restfläche von zirka 300 Quadratmetern ausgesucht und einer Buchhandlung mit angeschlossenem Café zur kostenlosen Nutzung überlassen. 70 Quadratmeter dieser Fläche blieben für einen »Geschichtsort« reserviert (davon nur 50 qm nutzbar), der unter Leitung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gestaltet und von den Mitarbeiter:innen der Buchhandlung betreut werden sollte.

Dieser »Dreiklang« wurde von Senat und Bürgerschaftsmehrheit für gut befunden und ging 2020 an den Start. Schon 2018 regte sich heftiger Widerstand dagegen, die Initiative Gedenkort Stadthaus wurde gegründet, die mehrere Kundgebungen und wöchentliche Mahnwachen abhielt. Ohne Erfolg. Im Frühjahr 2022 musste die Buchhandlung Insolvenz anmelden und der »Geschichtsort« wurde um die frei gewordene Fläche erweitert.

Nach langen Verhandlungen entließ die Stadt Hamburg den Investor und die neuen Mehrheitseigentümer aus ihrer vertraglichen Verpflichtung und übernahm die organisatorische, personelle und finanzielle Verantwortung für den »Geschichtsort«. Er wird jetzt von der Stiftung Hamburger Gedenk- und Lernorte geführt, mit einem knappen Budget der Kulturbehörde und knappen personellen Ressourcen. Der neu hinzugewonnene Raum wird vor allem für Veranstaltungen genutzt, die bisherige Ausstellung bleibt weitgehend unverändert. Die notwendigen Erweiterungen um den Hamburger Widerstand, die Geschichte der Polizei auch vor dem Nationalsozialismus und die politischen Auseinandersetzungen um das Stadthaus nach 1945 sind auf diesem immer noch zu knappen Raum kaum zu realisieren. Seit über sieben Jahren findet an jedem Freitag eine Mahnwache einer kleinen Gruppe von Aktiven statt, die nicht bereit sind, sich mit der aktuellen Situation abzufinden. Sie fordern weiterhin ein  würdiges und umfassendes Erinnern an Täter, Opfer und Widerstand am authentischen Ort. Den Versuch, Erinnern und Kommerz zu verbinden, sehen sie als gescheitert an. Uwe Leps, Jahrgang 1952, pensionierter Berufsschullehrer, Mitbegründer der »Initiative Gedenkort Stadthaus« in Hamburg. http://www.foerderkreis-