Die Besteuerung von Reichtum in Deutschland
Während in Deutschland immer mehr Menschen in oder am Rande der Armut leben, konzentrieren sich zwei Drittel des gesamten Vermögens bei den reichsten zehn Prozent. Zentrale Ursache dafür ist eine Steuerpolitik, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem Kapitalinteressen bedient hat.
Eine Besteuerung von Vermögensbeständen kann im deutschen Steuersystem durch vier Steuern erfolgen: die Grundsteuer, die Vermögensteuer, die Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie eine Vermögensabgabe.
Die Grundsteuer besteuert das Eigentum an Grundstücken. Ihr Aufkommen steht den Städten und Gemeinden zu, für die sie mit gut 15 Milliarden Euro eine wichtige Einnahmequelle ist. Grundsteuer darf durch die Immobilienbesitzer umgelegt werden, wodurch die Mieter:innen die Grundsteuer als Teil der Nebenkosten zahlen. Dadurch besitzt die Grundsteuer keine nennenswerte umverteilende Wirkung. Anders sieht es bei den anderen drei vermögensbezogenen Steuern aus, zu denen trotz ihres Namens auch die Vermögensabgabe zählt. Im Unterschied zur jährlichen Vermögensteuer wird die Vermögensabgabe nur einmalig auf den aktuellen Vermögensbestand berechnet. In Deutschland gab es eine Vermögensabgabe auf Basis des Lastenausgleichsgesetzes aus dem Jahr 1952: Durch ihre Erhebung auf den Vermögensbestand des Jahres 1948 sollten Vermögensverluste oder sonstige Nachteile des Krieges ausgeglichen werden. Die Abgabe wurde nicht auf einen Schlag fällig, sondern über 30 Jahre in einen Ausgleichsfond eingezahlt.
Bis einschließlich 1996 wurde – zeitweise parallel zur Vermögensabgabe – eine Vermögensteuer erhoben. Das Bundesverfassungsgericht monierte im Jahr 1995 zu Recht eine Bevorteilung von Grund- und Immobilienvermögen gegenüber anderen Vermögensformen. Nach dem entsprechenden Urteil hätte die Vermögensteuer verfassungskonform reformiert werden müssen. Da die Regierung Kohl die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist verstreichen ließ, ist die Vermögensteuer seit 1997 ausgesetzt.
Seitdem wird nur noch die Erbschafts- und Schenkungssteuer erhoben. Erbschaften und Schenkungen werden in Deutschland in einem gemeinsamen Gesetz geregelt. Bei dieser Steuer handelt sich um eine Erbanfallsteuer, das heißt der Erbe oder Beschenkte muss gegebenenfalls Steuern auf seinen Erbteil oder die Schenkung zahlen. In einigen Staaten ist die Erbschaftssteuer als Nachlasssteuer ausgestaltet, in diesem Fall unterliegt der gesamte Nachlass des Verstorbenen der Erbschaftssteuer.
Wie Grafik 1 zu entnehmen ist, ist die Besteuerung von Vermögen durch den Lastenausgleich, die Vermögens- und die Erbschaftsteuer in Deutschland im Trend deutlich gesunken. Flossen im Jahr 1950 noch rund 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Form von vermögensbezogenen Steuern in die öffentlichen Kassen, sind es im Jahr 2023 noch gut 0,2 Prozent. Es ist angesichts einer solchen Entwicklung kein Wunder, dass die Vermögensungleichheit zugenommen hat. Verantwortlich dafür ist allerdings auch die Besteuerung der Einkommen.
Wechselwirkung zwischen Einkommens- und Vermögensverteilung
Je höher das laufende Einkommen einer Person oder eines Haushalts ist, desto größer ist in der Regel der Anteil, der zwecks Vermögensaufbau gespart wird. Die Sparquote, also der Anteil der Ersparnis am Einkommen, nimmt mit steigendem Einkommen zu. Erhöht sich aber das individuelle Vermögen durch hohe Ersparnisse, so wirft dieses in Zukunft höhere Kapitaleinkommen ab, was das Gesamteinkommen der entsprechenden Person weiter vergrößert.

In Deutschland nahmen Debatten um Steuersenkungen Mitte der 1990er Jahre stark zu. Insbesondere seitens der deutschen Industrie wurden – mit Verweis auf den globalen Wettbewerb und die angeblich bedrohte internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland – Forderungen nach einer tiefgreifenden Steuerreform laut. Die Politik kam diesen Forderungen in den kommenden Jahrzehnten nach. So wurde wie bereits erwähnt die Vermögenssteuer nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt. Vor allem die Regierung Schröder/Fischer reduzierte die Steuern auf hohe Einkommen und die Unternehmenssteuern in erheblichem Umfang. So verringerte die Koalition aus Grünen und SPD den Einkommensteuerspitzensatz von 53 auf 42 Prozent – aktuell liegt er inklusive der so genannten Reichensteuer bei 45 Prozent.
Gerade mit Blick auf die Besteuerung von Unternehmensgewinnen ist relevant, dass sie sich stark auf Personen bzw. Haushalte mit hohen Einkommen konzentrieren. So speisen sich die Einkommen der rund 29.400 Einkommensmillionäre in Höhe von insgesamt rund 75 Milliarden Euro im Jahr 2020 zu zwei Dritteln von Einkünften aus Gewerbebetrieben. Nehmen Gewinn- und Vermögenseinkommen aufgrund einer sinkenden Spitzenbesteuerung zu, wird dies zu verstärktem Sparen der reichen Haushalte führen und die Ungleichverteilung von Vermögen weiter erhöhen. Und sinken vermögensbezogene Steuern, dann steigert dies potenziell die Vermögens- und im zweiten Schritt auch die Einkommensungleichheit.
Umgekehrt könnte eine hohe Besteuerung von Vermögen egalitär auf Vermögens- und Einkommensverteilung wirken – hier aber war die Lobbyarbeit von Unternehmerverbänden so erfolgreich, dass dies selbst im Rahmen der immer noch erhobenen Erbschafts- und Schenkungsteuer kaum erfolgt.
Verschonung großer Erbschaften und Schenkungen
In Deutschland werden nach den verfügbaren Schätzungen jährlich mindestens 300 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt, dabei geht die Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen an die reichsten zehn Prozent der Begünstigten. Die Erbschaftssteuer sieht je nach Verwandtschaftsgrad verschiedene Steuerklassen vor, diese wiederum weisen verschiedene Freibeträge und unterschiedliche, mit der Höhe der Erbschaft steigende Steuersätze auf. Hinzu kommen viele Detailregelungen wie etwa großzügige Steuerbefreiung für selbstgenutzte Immobilien. Von Relevanz ist mit Blick auf Verteilungsfragen vor allem die Behandlung von Unternehmensvermögen, da diese in den besonders großen Erbschaften übertragen werden.
Seit der vorletzten Reform der Erbschaftsteuer im Jahr 2009 bestehen erhebliche Verschonungsregeln für Betriebsvermögen, das seitdem ganz oder zumindest weitgehend steuerfrei übertragen werden kann. Hieran hat auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 nichts geändert, dass diese Privilegierung großer Erbschaften eigentlich für grundgesetzwidrig erklärt hatte. Unternehmenserbschaften werden auch nach der dann folgenden Reform im Jahr 2016 in extremer Form bevorzugt. So fallen für ein geerbtes Unternehmen bis zu einem Wert von 26 Millionen Euro keine Steuern an, wenn der Betrieb für sieben Jahre in der bestehenden Form – gemessen an der Lohnsumme der Beschäftigten – fortgeführt wird. Bei einem Unternehmenswert zwischen 26 und 90 Millionen Euro sinkt die Steuerbefreiung zwar kontinuierlich auf null. Allerdings muss der Erbende nur maximal 50 Prozent seines eigenen Privatvermögens für die Begleichung der Erbschaftsteuer a uf ein geerbtes Unternehmen einsetzen. Ein Kind, das über kein Privatvermögen verfügt, kann so im Extremfall ein Unternehmensvermögen in Milliardenhöhe von seinen Eltern durch Schenkung erhalten, ohne auch nur einen Cent Erbschaftsteuer zu zahlen. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass die eigentlich progressiv ausgestaltete Erbschaftsteuer de facto regressiv wirkt – das heißt, sehr hohe Erbschaften und Schenkungen werden aufgrund der besonderen Regeln für Unternehmen geringer besteuert als weniger hohe Nachlässe.
Wachsende Ungleich- verteilung und leere öffentliche Kassen
Angesichts der geschilderten Besteuerung von großen Vermögen ist eine hohe Ungleichverteilung des Reichtums in Deutschland kein Wunder (vgl. Abbildung 2). So verfügen die reichsten 10 Prozent über gut zwei Drittel des gesamten Nettovermögens (Bruttovermögen abzüglich Schulden). Beim reichsten Prozent ballt sich mehr als ein Drittel und bei den reichsten 0,1 Prozent ein Fünftel des Nettovermögens.
Neben der zunehmenden Ungleichverteilung von Reichtum hat der Verzicht auf jede auch nur moderate Besteuerung von großen Vermögensbeständen eine strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Hand zur Folge. Das gilt mit Blick auf Erbschafts- und Vermögensteuer insbesondere für die Bundesländer, denn ausschließlich ihnen fließt das Aufkommen aus beiden Steuern zu. Indirekt hat dies auch Auswirkungen auf die Kommunen, da sich deren Einnahmen in erheblichem Umfang aus Zuweisungen der Bundesländer speisen. Kaputte Schulen, marode Hochschulgebäude, fehlendes Personal in Kitas oder fehlendes Geld für kommunale Kliniken hängen unmittelbar mit der Nicht-Besteuerung von großen Vermögen zusammen.
So weist der aktuelle Subventionsbericht der Bundesregierung die Privilegierung von Unternehmenserbschaften mit jährlich 4,5 Milliarden Euro als größten steuerlichen Subventionstatbestand aus. Laut einer Schätzung aus dem Jahr 2020 sind seit dem Jahr 2009 insgesamt rund 70 Milliarden Euro an Erbschaftsteuern aufgrund der geschilderten Unternehmensprivilegien nicht erhoben worden. Mit diesem Geld hätte der gesamte Investitionsstau im Bereich von Schulen und Kitas in Höhe von knapp 70 Milliarden beseitigt werden können.
Unternehmensverbände führen gegen vermögensbezogene Steuern gerne ins Feld, dass diese Betriebe und damit Arbeitsplätze gefährdeten. Denn Erbschafts- und Vermögenssteuern müssten gerade im Falle einer schwachen Ertragslage bzw. bei fehlenden liquiden Mitteln »aus der Substanz heraus« bezahlt werden. Diese Argumente laufen ins Leere, denn den vermeintlichen Problemen kann mit zwei Instrumenten begegnet werden: zum einen mit der Stundung von Steuerzahlungen, und zum anderen mit der Übertragung von Unternehmensanteilen an die öffentliche Hand.
Gegen eine höhere Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften wird außerdem häufig auf den internationalen Steuerwettbewerb verwiesen. Unter den fortgeschrittenen Industrieländern erheben in der Tat nur noch wenige eine Vermögensteuer, und dies auch dann meist nur in eingeschränkter Form (z.B. nur für juristische Personen). Im Gegensatz dazu findet sich die Erbschaftsteuer in der Mehrzahl dieser Länder – allerdings sind Ausnahmeregeln bei der Besteuerung von Unternehmenserbschaften sehr weit verbreitet. Aber das heißt nicht, dass vermögensbezogene Steuern Auslaufmodelle sein müssen: Denn tatsächlich gibt es kaum einen empirischen Beleg dafür, dass die Erhebung von Erbschafts- und Vermögensteuern massive Wohnsitz- oder Vermögensverlagerungen zur Folge hätte. Und außerdem verhindern in Deutschland verschiedene Regelungen ebendies. So macht etwa die Wegzugsbesteuerung den Umzug von reichen Personen ins Ausland extrem teuer – laut Berechnungen von Oxfam müsste die BMW-Erbin Susanne Klatten in so einem Fall 6,5 Milliarden Euro ihres Vermögens bezahlen. Wer trotzdem an das Märchen der Steuerflucht glaubt, geht einer neoliberalen Propaganda auf den Leim, die in den vergangenen Jahrzehnten eine Besteuerung von großen Unternehmenserbschaften und Vermögen erfolgreich zurückgedrängt hat.
Kai Eicker-Wolf, Ökonom und Politikwissenschaftler, arbeitet als hauptamtlicher Gewerkschafter in Frankfurt / Main.