Krieg

In dieser Rubrik bringt Lunapark21 jeweils einen Eintrag aus dem Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus (HKWM). Das HKWM erschien mit seinem ersten Band 1994, begründet und herausgegeben vom Philosophen Wolfgang Fritz Haug. Anlässlich der Herausgabe des Bandes 9 II im Dezember 2023 schrieb Haug: »Die Vorgeschichte von 1989 hat es vorgeführt: Lange kaum merklich, kann der geschichtliche Prozess zum unwiderstehlichen Strom sich steigern, der Standpunkte und Perspektiven mit sich reißt. (…) Wer das HKWM nicht nur als Nachschlagewerk nutzt, sondern auch oder sogar primär als ›Vorschlagwerk‹, in dem man auf Erkundung gehen kann, wird die Erfahrung machen, dass Vergangenheitserkenntnis der Gegenwart auf eine Weise zu begegnen vermag, die ihr bei aller Differenz ein Licht aufsteckt.«

Krieg (K) ist nach Energie, Krieg und Frieden, Lüge, Finanzkrise, Kurzarbeit, Mensch-Naturverhältnis, Kubanische Revolution, Misogynie, Landnahme, Klimapolitik, militärisch-industrieller Komplex, Finanzmärkte und Handel das 14. ausgewählte Stichwort aus der alphabetischen Stichwörtersammlung des HKWM, das wir hier auszugsweise zitieren.

Dieser wiedergegebene Ausschnitt enthält den Textanfang, den Suchende bei Eingabe des Links: http://www.inkrit.de/e_inkritpedia/e_maincode/doku.php?id=k:krieg  zum Stichwort Krieg finden, also wesentlich weniger als im Original. Das ist in mehrere Abschnitte gegliedert und mit einer umfangreichen Bibliographie versehen. Der Bestellvorgang wird auf der Website des InkriT erläutert. (JHS)

E: war – F: guerre – S: guerra

Autor: Étienne Balibar. HKWM 7/II, 2010, Spalten 2006-2026

K ist für den Marxismus nicht eigentlich ein Begriff, aber gewiss ein Problem. Tatsächlich gibt es in den Sozialwissenschaften oder in der politischen Philosophie kaum einen allgemeinen Begriff des K, nur eine auf unterschiedliche Erfahrungen und historische Situationen projizierte ›regulative Idee‹ (im kantschen Sinn): das Gegenteil von ›Frieden‹. Es gibt allenfalls einen juristischen (d.h. restringierten) Begriff des K – und der Marxismus ist zutiefst antijuristisch. So konnte er allenfalls Vorstellungen des K übernehmen und sich mit dessen philosophischer Idee auseinandersetzen, doch sind ihm diese Quellen mehr noch als in anderen Fällen äußerlich.

Der Marxismus konnte also keinen Begriff des K prägen, ihn aber sozusagen ›wiedererschaffen‹, d.h. die Frage in seine eigene Problematik einführen und eine marxistische Kritik des K oder eine kritische Theorie der Kriegführung oder der K-Konstellationen und -Prozesse hervorbringen, die einen ganz neuen Inhalt hat. Man könnte (und konnte) darin gewissermaßen eine Probe aufs Exempel sehen, ob er sich als wirklich selbständiger Diskurs zu behaupten vermag. In der Geschichte marxistischen Denkens findet sich viel Eigenständiges und ein großer Reichtum an erhellenden Analysen, was den K im Allgemeinen und seine besonderen Formen betrifft. Das Problem des K hat aber nicht dazu beigetragen, das Feld des Marxismus zu erweitern und seinen Zusammenhang zu festigen, es hat vielmehr eine zutiefst dekonstruktive Wirkung gezeitigt, indem es ihn an seine Grenzen führte und gleichzeitig aufgezeigt hat, dass er sich dieser Grenzen nicht wirklich bewusst werden konnte.  So blieb der K für marxistische Denker eine beständige Quelle der Inspiration, doch je stärker er ins Zentrum gegenwärtiger Geschichte und Politik rückte, desto mehr wurde der Marxismus selbst – gleich jeder anderen politischen Theorie – zwischen gegensätzlichen Diskursen zerrieben, ja trotz seiner charakteristischen Betonung der Klassenkämpfe, der Antithesis von Staat und Revolution oder der globalen Auswirkungen des Kapitalismus von anderen politisch-theoretischen Diskursen ununterscheidbar.

Mehr noch: Das Eingreifen des Marxismus in die Debatten um K, daher auch um K und Frieden, hat diesen traditionellen Gegensatz von Grund auf in Frage gestellt und als zusätzliches Element die Revolution eingeführt. Die ›Klassenkämpfe‹ bilden dabei zum großen Teil nur den Hintergrund für die Idee der Revolution: der Revolution als einer Form des K, einer Alternative zum K, die nicht die des Friedens ist, oder dem Weg zu einem Frieden, der nicht durch K entsteht. Die verwirrenden Folgen für den Begriff des Politischen sind nicht nur im Marxismus zu finden, sondern auch in der ›bürgerlichen‹ Wissenschaft. Vom marxistischen Standpunkt, wie er von Marx ursprünglich formuliert wurde (Elend, Manifest), sind aber die Begriffe vom Klassenkampf und der Revolution apolitisch; sie antizipieren das ›Ende des politischen Staates‹ oder beseitigen die Autonomie der Politik. Umgekehrt stellt sich in der Kombination von ›Krieg‹ und ›Revolution‹ ein e Kombination von Realisierungen und Hindernissen des Klassenkampfs dar, die sich im Endeffekt als zutiefst apolitisch erweist. Der Umgang mit K und dessen Verständnis bleibt also für Marxisten nicht nur ein Problem, eine (womöglich konstitutive) Grenze des historischen Materialismus; auch der apolitische Charakter des K tritt durch die Konfrontation mit dem Marxismus zutage. Das zeugt von dessen Bedeutung als einem der tiefgründigsten neuzeitlichen Theorisierungsversuche der Politik und des Politischen, deutet aber auch darauf hin, dass eine ›marxistische‹ Lösung bzw. überhaupt eine Auflösung der Rätsel, die jede Politik des Krieges aufgibt, unerreichbar bleibt.

Die Bearbeitung dieser Probleme orientiert sich an drei Leitfragen, die sich zwar überschneiden, aber dennoch separate Untersuchungen erfordern: Erstens das Problem, den Klassenkampf metaphorisch oder im Wortsinne als ›Bürgerkrieg‹ oder ›sozialen K‹ zu begreifen – ein Problem, das schon durch den ständigen Gebrauch von Begriffen wie ›Lager‹, ›Feinde‹ oder ›Gegner‹, ›Strategie‹ und ›Taktik‹ oder ›Schlachten‹, ›Siege‹ und ›Niederlagen‹ ungeheuren Einfluss auf die politische Organisation des Klassenkampfs hatte und auch die Rezeption des Marxismus in der politischen Theorie stark bestimmte.

Zweitens ist zu fragen nach dem Verhältnis von K und Kapitalismus und den ›kapitalistischen K.en‹ oder den spezifischen Formen, Zielen und politischen Konsequenzen von K.en im Kapitalismus. Dies bildet zusammen mit damit verbundenen Fragen wie z.B. nach der Nationform und der nationalen Frage in der modernen Geschichte oder nach der Konstruktion des bürgerlichen Staates und seiner Militarisierung, aber auch nach seiner zunehmenden Stützung auf Volksarmeen und schließlich nach der Transformation des Kapitalismus zum Imperialismus den Kern jenes beständigen Versuchs, den historischen Materialismus auf das Problem des K anzuwenden, der in den 1850er Jahren mit Engels begann. Besonders hier müssen wir auf das clausewitzsche Erbe im Marxismus hinweisen. Drittens muss das historische Verhältnis von K und Revolution erörtert werden, d.h. das zentrale Problem der ›revolutionären K.e‹, d.h. die Dialektik von Militärischem und Politischem in revolution ären Prozessen oder Situationen, was gleichzeitig verunsichernde – und per definitionem ›apolitische‹ – Fragen bezüglich der Umkehrung revolutionärer in konterrevolutionäre Politik aufgrund der Militarisierung der Revolutionen aufwirft. Obwohl sich dieser Punkt nicht ohne die beiden anderen behandeln lässt, ist eine besondere Darstellung und Diskussion der Frage von K und Revolution notwendig zum Verständnis der gegenwärtigen Situation des Marxismus. Abschließend werden die ethischen und anthropologischen Dimensionen dieser politischen Debatten angesprochen, die eigentlich ein eigenes Thema wären. Selbstverständlich ist das Thema K auch durch andere Zugänge erschließbar. Das vorliegende Stichwort beansprucht gewiss nicht Vollständigkeit, lässt es doch Namen und Fakten beiseite, die wichtig sein mögen. Es artikuliert jedoch Hypothesen, deren Diskussion dazu beitragen soll, einen kritischen Zugang zur Geschichte und zum aktuelle n Potenzial des Marxismus zu finden.

Gefahr erkannt, …

Finanzbeschiss mit Credit Suisse

Vier Banken mussten seit März die Schalter schließen. Drei mittelgroße US-Banken kippten einfach um, als Kunden ihr Geld plötzlich abzogen: Die Silicon Valley Bank, die Signature Bank sowie die First Republic. Die vierte war die Schweizer Credit Suisse, die als nicht weniger solide galt als die drei US-Banken.

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Die USA – Weltordnungs- oder Weltunordnungsmacht?

Doppelstandards und Blindheit in der historischen Rückschau

An viele der Krisen und Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg erinnern wir uns kaum, oder wir haben sie verdrängt, vergessen oder wollen sie als Beiträge zu Frieden, Freiheit, Demokratie und Sicherheit wahrnehmen.

Thilo Bode, langjähriger Chef von Greenpeace und bis Ende vergangenen Jahres Geschäftsführer von Foodwatch International erinnerte sich im Mai im Zeit-Interview an einen Besuch im Jahr 1969 bei seinem Vater, der damals Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Singapur war. Die Faktenlage und der Standpunkt respektive das väterliche Narrativ bezüglich des Vietnamkriegs stimmten überein: „Der Vietnamkrieg ist ein verbrecherischer Krieg der USA.“ Für den 22-Jährigen wie für den heute 75-Jährigen Bode gilt diese Übereinstimmung von Fakten und Narrativ ebenfalls für den aktuellen Ukraine-Krieg: „Der russische Angriffskrieg ist ein schreckliches Verbrechen“.

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Utopie und Gemeinschaft

50 Jahre Salecina. Von Theo und Amalie Pinkus-de Sassi bis heute

Nun sind sie längst Geschichte, die 1970er Jahre, in denen nicht nur in Westdeutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern selbstverwaltete Betriebe und Projekte wie Pilze aus dem Boden schossen. Nur wenige bestehen heute noch. Eines von ihnen ist Salecina, in der traumhaften Oberengadiner Gebirgsregion unweit der Innquelle, am Maloja-Pass, der gen Süden direkt von der Schweiz ins italienische Chiavenna führt – für uns beide seit mehreren Jahrzehnten ein Sehnsuchtsort. Gisela hat dort seit sehr vielen Jahren Seminare zur Geschichte der Frauenbewegung und zur alternativen Wirtschaft durchgeführt und ist zu allen Jahreszeiten in den Bergen und an den Seen gewandert. Jürgen hat Salecina erstmalig im Sommer 2016 besucht, als er an der Florawoche des Züricher Erdwissenschaftlers Conradin Burga teilnahm.1 Und zuletzt erhielt er beim Hochgebirgswandern und Gipfelklettern im Sommer 2021 in einer kleinen italienisch-deutsch-schweizer Gruppe neue Einbl icke ins Bergell. Beide haben bei ihren Aufenthalten ganz verschiedene Menschen auf Tour außer Haus und in der gemeinsam arbeitsteilig tätigen Hausgemeinschaft kennengelernt. Beide lieben Alpenrosen ebenso wie die verschneiten Berge, die abendlichen Diskussionen, Gesellschaftsspiele, Tanzen und Singen und den Austausch im Gespräch mit jungen und alten Besucherinnen und Besuchern.

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Mensch-Natur-Verhältnis

historisch-kritisches wörterbuch des marxismus

ist nach Finanzkrise und Kurzarbeit das dritte ausgewählte Stichwort aus der alphabetischen Stichwörtersammlung im Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus (HKWM), das wir im LP21 auszugsweise zitieren. Dieser wiedergegebene Ausschnitt aus dem HKWM enthält mehr als man bei Eingabe des Links: http://www.inkrit.de/e_inkritpedia/e_maincode/doku.php?id=m:mensch-natur-verhaeltnis zum Stichwort Mensch-Natur-Verhältnis findet, aber wesentlich weniger als im Original. Das beginnt genauso, nämlich nach der Begriffsnennung und den Übersetzungen des Stichworts mit einer allgemeinen Definition, die anschließend (unter I.) in weiteren sechs Abschnitten und (unter II.)in drei Abschnitten ausgeführt wird. Daraus ziteren wir hier weitergehend. Im HKWM befindet sich am Ende eines jeden Stichworts eine umfangreiche Bibliographie.

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Rücknahme der Privatisierung – wann, wenn nicht jetzt!

Universitätsklinikum Gießen und Marburg

Der Brief des Herrn Eugen Münch, Gründer der Rhön-Klinikum AG, vom 2. März 2020 an die Klinik-Beschäftigten und die besondere politische Verantwortung der hessischen Grünen in der Landesregierung Bouffier/Al-Wazir, den Rücknahmeprozess der privatisierten Universitätskliniken Marburg und Gießen in öffentliche Trägerschaft endlich zu beginnen.

Anlässlich des geplanten Verkaufs der Rhön-Klinikum AG an den Gesundheitsmarktkonzern Asklepios (vom Bundeskartellamt am 6.5. 2020 genehmigt) hat sich der Gründer der Rhön-Klinikum AG und Multimillionär Eugen Münch in einem dreiseitigen Brief an die knapp 10.000 Beschäftigten des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) mit der förmlichen Anrede „Sehr geehrte Mitarbeiterinnen, sehr geehrte Mitarbeiter“ gewandt.1

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Kuba: gestern, heute und morgen


Impressionen auf einer vierwöchigen Radtour durch das nordwestliche Kuba

„Se pudo, se puede, se podrá.“ Das ist ein aktueller Ausspruch von Raúl Castro, den ich auf meiner Radtour im Januar und Februar 2018 durch den Nordwesten der Insel in den Provinzen Havanna, Mayabeqe, Artemisa und Pinar del Rio in Städten und auf dem Land auf großen Plakaten lesen konnte. Manchmal stand die Zitatwand direkt neben einer wilden Müllkippe. Manchmal vor verfallenden Gebäuden. Manchmal auch am Rande von gepflegten Tabak- und Bananenfeldern.

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Katalonien hat gewählt

Die Vorgeschichte der (von der spanischen Regierung des Ministerpräsidenten Rajoy auf den 21.12. 2017 datierten) vorgezogenen Neuwahlen in Katalonien besteht aus einer Entwicklung, die Julia Macher das Ergebnis einer kalkulierten Eskalation nennt (vgl. Blätter für deutsche und internationale Politik 11.2017 S. 11ff). Als Kontrahenten sieht sie einerseits die letzte katalanische Regionalregierung unter Puigdemont, die mit gezielten Provokationen unter Einschluss von bewusster Verletzung rechtsstaatlicher Spielregeln einen Prozess auf die Spitze getrieben hat, der auf der Grundlage des ersten Autonomiestatuts im Rahmen  der spanischen Verfassung nach der franquistischen Diktatur schon seit 1980 bis 2003 in der Regierungszeit des korrupten bürgerlich-nationalistischen Regionalpräsidenten Jordi Pujol systematisch als Prozess der Katalanisierung  betrieben worden ist.

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