Guten Morgen liebe
Kolleginnen
und Kollegen,
es sind schon
denkwürdige Zeiten, in denen wir da leben. Am Wochenende war ich mit
meiner Kinderfeuerwehr im Zeltlager. Und auf der Fahrt dahin habe ich
erst festgestellt, wie viele Bäume in unserer Region dieses Jahr
nicht mehr grün geworden sind. Gestern bin ich dann einfach mal kurz
durch Wipshausen, Neubrück und Didderse geradelt und habe ein paar
Fotos gemacht. Die laufen jetzt im Hintergrund durch.
Als ich vor gut 25
Jahren in diesem Unternehmen angefangen habe, hatte ich nicht einmal
einen Führerschein. Nicht, dass ich etwa ein Autohasser war. Ich bin
einfach nur in der Stadt immer Fahrrad gefahren und in andere Orte
bin ich liebend gerne mit der Bahn gefahren. Da konnte ich während
der Fahrt ganz entspannt Bücher lesen, oder auch eine Rede für die
nächste Jugendversammlung schreiben. 1994, also noch unter Kohl,
wurde die Deutsche Bahn AG gegründet, angeblich um die Bahn zu
modernisieren.
2005, am Ende der
Regierung Schröder, war dann der öffentliche Nah- und Fernverkehr
so weit ruiniert, das auch ich mich gezwungen sah, einen Führerschein
zu machen und mir ein Auto zu kaufen. Der Autokanzler Schröder und
sein olivgrüner Umweltminister haben im neoliberalen
Privatisierungswahn nicht nur unsere Rente zerstört, sondern auch
die Deutsche Bahn weithin kaputtgespart.
In der ganzen
Privatisierungsdebatte wird immer betont, dass sich die Bahn und alle
anderen öffentlichen Einrichtungen wie Schwimmbäder, Krankenhäuser
usw. angeblich rentieren müssten. Mit dem Argument der fehlenden
Unrentabilität wurden 2010 auch die Pläne für eine
„RegioStadtBahn“ Braunschweig nach 14 Jahren Planung eingestellt.
Das ist genau so
ein Schwachsinn, wie die These, dass ein Krankenhaus Gewinn
erwirtschaften müsse. Ein Schwimmbad muss sich nicht lohnen. Der
Gewinn ist doch, dass die Kinder schwimmen lernen und sich gesund
bewegen. Genau so wenig muss ein öffentlicher Verkehr Gewinn
abwerfen. Umweltfreundliche Mobilität für alle, das ist
gesellschaftlicher Reichtum, der ruhig aus Steuergeldern unterstützt
werden darf.
In dieser
Gesellschaft tun sich geistige Abgründe auf, unbeschreiblich und
tiefer noch als der Marianengraben.
Im Gegensatz zu
den plumpen Behauptungen in dieser ausgelegten Werbebroschüre sind
nur die wenigsten Wissenschaftler der Meinung, dass private
Elektromobilität umweltfreundlich ist. Die meisten sind der Meinung,
dass allein der Aufbau der benötigten Infrastruktur so viel CO2
produziert, das es ökologisch eine Katastrophe ist. Die Produktion
der Elektroautos und der Akkus benötigt unglaublich viel Energie.
Nicht umsonst will Volkswagen die Batteriezellenfertigung nur nach
Salzgitter bringen, wenn der Staat auf die Energiesteuern so gut wie
ganz verzichtet. Und woher kommt dann dieser enorme Strom, der für
die Batteriefertigung benötigt wird? Aus den Kohlekraftwerken, die
noch fast 20 Jahre laufen sollen. Super, da haben wir richtig was
gewonnen! Natürlich kann ein Elektroauto CO2-neutral produziert
werden, wenn sowohl die Produktion als auch der Betrieb der Fahrzeuge
über erneuerbare Energie geleistet werden. Wie viele Windräder
wollen wir bei dem stän dig steigenden Strombedarf der
Volkswagenflotte denn noch aufstellen? Wollen wir so weitermachen,
bis selbst der Sonnenuntergang dahinter verschwindet? Das kann sich
doch niemand ernsthaft wünschen.
Das Elektroauto
oder auch der Lkw sind keine Lösung unserer Probleme, sondern eine
absolute Sackgasse. Volkswagen erpresst ja sogar den Staat, damit der
Konzern die Umlage für Erneuerbare Energien nicht zahlen muss. Und
wenn ich höre, das die grüne hessische Umweltministerin Priska Hinz
völlig begeistert davon ist, die Autobahn mit Oberleitungen für Lkw
zu versehen, wird mir ehrlich gesagt ganz übel. Die geschätzten
Kosten für 1000 Kilometer Autobahn liegen bei eine Milliarde Euro.
Staatskosten, versteht sich.
Die mittlerweile
28.000 Wissenschaftler, die den Aufruf der Science for Future
unterschrieben haben, fordern aber jetzt gegenzusteuern und nicht
noch auf Teufel komm raus Kohle zu verfeuern. Genau das bedeutet aber
der Ausbau der Elektromobilität.
Wenn Herbert Dies
als Vorstandsvorsitzender gemeinsam mit Ministerpräsident Weil jetzt
fordert, dass der Bund die Infrastruktur für die E-Autos bauen soll,
kann ich nur laut und deutlich „nein danke!“ sagen. Nein, nein
und nochmals nein! Nicht in meinem Namen! Wir müssen weniger Auto
fahren und nichts anderes. Wir brauchen Busse und Bahnen und nicht
Millionen Pkw und Lkw. Warum sollte der Staat Elektroparks bauen,
wenn wir nicht mal genug Kindergärten haben. Es kann doch nicht
sein, das der Staat einen Millionär von der Steuer befreit, nur weil
er sich einen Porsche Spider für 1,5 Millionen oder auch nur einen
Tuareg für 80.000 Euro leisten kann und will. Wer so große Autos
fährt, soll gefälligst 5.000 Euro Kfz-Steuer im Monat zahlen
anstatt auf null gesetzt zu werden, nur weil es ein Elektro-Auto ist.
Wir brauchen einen
wirklich attraktiven und günstigen öffentlichen Verkehr. Im Moment
fährt der Bus doch nur für diejenigen, die nicht anders wegkommen.
Wir brauchen schnelle Verbindungen, die alle 20 Minuten über die
Dörfer fahren, nur noch ein- oder zweimal im Ort halten, aber dafür
auch zügig voran kommen. Wir brauchen eine Zugverbindung zwischen
Harz und Heide, die wie eine S-Bahn pendelt und nicht wie ein
Bummel-Express. Das sind Aufgaben des Staates, Busspuren mit E-Autos
zu verstopfen hingegen keine. Wir brauchen mehr Ärzte und
Krankenhäuser auf dem Land, dann müssen die Menschen auch nicht
ständig in die Stadt fahren.
Natürlich werden
wir dann weniger Autos bauen und entsprechend weniger Arbeit haben.
Dann müssen wir halt für Arbeitszeitverkürzungen kämpfen. Wir
müssen weniger produzieren, wenn wir über kurz oder lang hier noch
leben wollen.
Der Dieselbetrug
und die Folgen hat den Volkswagen Konzern gute 30 Milliarden Euro
gekostet. Das sind die Gelder gewesen, die wir in den letzten 20
Jahren versäumt haben, gerecht zu verteilen. Wir sollten im großen
Stil über eine 30-Stunden-Woche reden, anstatt darüber
nachzudenken, was wir noch alles produzieren können.
Der Bahnvorstand
hat erst kürzlich erklärt, dass die Politik der letzten 25 Jahre
ein Fehler war. Er fordert den Bund auf, stillgelegte Strecken wieder
in Betrieb zu nehmen und die Bahngesellschaften in eine Gesellschaft
öffentlichen Rechts zu überführen. Geplant wird mit einem
zusätzlichen Personalbedarf von 100.000 Menschen. Da ist zwar viel
Spinnerei und leere Versprechung dabei, aber es macht allemal mehr
Sinn als Steuergelder in einer Technik zu versenken, die nicht
umweltfreundlich ist und deren Gewinne dann wieder in die Taschen der
Millionäre fließen.
Wir wollen unseren
Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen!
Lars Hirsekorn, auf der Betriebsversammlung von VW am 27. Juni 2019 in Braunschweig
Nach den uns vorliegende Berichten wurde die Rede von den anwesenden VW-Kolleginnen und Kollegen nachdenklich und ohne Buh-Rufe aufgenommen. Die LP21-Redaktion