Lobau bleibt!

Widerstand gegen die drohenden Autobahnprojekte im Nordosten Österreichs

Kaum ein Land ist in Punkto Einhaltung von Klimaschutzzielen so säumig wie Österreich, das deshalb auch schon mehrfach die Negativ-Auszeichnung “Fossil of the Day” bei den UN-Klimakonferenzen erhalten hat.

Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass der Autoverkehr das Problem ist. Dessen Ausstoß an Treibhaus-hausgasen gleicht alle Einsparungen von thermischer Gebäudesanierung, Landwirtschaft und Abfallwirschaft aus und legt Jahr für Jahr noch mehr drauf. Nach einer kurzen Atempause durch Corona ist Österreich nun wieder mit Vollgas unterwegs in die Klimakatastrophe und setzt voll auf Autobahnbau.

Während die Bevölkerung im Westen Österreichs schon erfahren hat, dass durch Autobahnen der Verkehr, vor allem der grenzüberschreitende, massiv zunimmt und die Lebensqualität auch in der schönsten Landschaft vernichten kann, hoffen im Osten des Landes immer noch viele auf eine Verkehrsentlastung durch neue Autobahnen. Sie glauben den Versprechungen von Politiker:innen, obwohl zahlreiche Studien belegen, dass mehr Straßen mehr Verkehr bedeuten.

Eines der verrücktesten Projekte ist die Lobau-Autobahn. Schon unter den Nazis mit Zwangsarbeitern begonnen, musste sie aber aufgrund der Kriegsentwicklung eingestellt werden. In der derzeitigen Planung wäre sie Teil einer Lkw-Transitschneise von Gdansk an der Ostsee nach Wien. Sie würde den Nordosten von Wien hinter eine Lärmschutzwand sperren und mit zwei Röhren die Donau und die Lobau, den Nationalpark Donau-Auen, an dessen breitester Stelle untertunneln. Gesammtlänge 18,5 km. Der staatliche Autobahnbetreiber Asfinag spricht seit Jahren von 1,9 Milliarden Euro Errichtungskosten, unabhängige Experten gehen eher von 3 bis 4,5 Milliarden aus. Gemeinsam mit der ebenfalls drohenden Autobahn direkt durch Wien – geteilt in eine „Stadtstrasse”, eine S1-Spange und eine S8-Marchfeldschnellstraße Richtung Bratislava, würde sich die Bevölkerung des Großraums Wien im Fadenkreuz des internationalen Schwerverkehrs wiederfinden.

Dagegen kämpfen Umweltorganisationen und BürgerInitiativen seit fast 20 Jahren und schöpfen alle Instanzen aus und bekamen jetzt weitere Unterstützung. Unter dem Aufschrei “Lobau bleibt!” sammelten sich Fridays for Future, Extinction Rebellion, System Change not Climate Change, der Jugendrat und viele engagierte Einzelpersonen. Vor allem junge Leute haben erkannt, dass man konkrete Klimazerstörungsprojekte ins Visier nehmen muss. Die Hilfe kommt gerade rechtzeitig, denn die Genehmigungsverfahren – Umweltverträglichkeitsprüfung, Wasserrechts-, Naturschutz- und Nationalparkrechtsverfahren sind leider schon fortgeschritten – entscheiden nur darüber, ob gebaut werden darf. Aber die Entscheidung, ob gebaut werden soll, ist eine der Politik.

Mit der Errichtung des angemeldeten Lobau-bleibt-Camps am 27. August vorigen Jahres in der Grünanlage Anfanggasse überstürzten sich die Ereignisse: Am 30. August wurde auf der Asfinag-Baustelle neben der Hirschstettner Straße eine Mahnwache abgehalten, eine weitere am 6. September auf der Baustelle bei der U-Bahn-Station Hausfeldstraße. Beide Orte sind Teil der geplanten sogenannten Stadtstrasse, einer Straße von der Dimension einer Stadtautobahn. Die Bauarbeiten ließ die Stadtverwaltung beginnen, ohne dass die Genehmigungsverfahren dazu abgeschlossen waren.

Am 1. Dezember konnten die Umweltschützer:innen einen Zwischenerfolg feiern: Die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler verkündete, keine Lobau-Autobahn und keine S8-Marchfeldschnellstraße bauen lassen zu wollen. Leider gehen die laufenden Genehmigungsverfahren dazu unvermindert weiter, und die Asfinag hat lediglich verkündet, diese beiden Projekte nicht in ihrem Sechsjahresplan zu haben. Der wird aber jedes Jahr aktualisiert.

Aus dem Bundesstraßengesetz wurde die Lobau-Autobahn noch nicht gestrichen. Genauso wenig wie eine S1-Spange, die die von der Stadt Wien geplante Stadtautobahn verlängern sollte und ohne die Lobau-Autobahn „ins Nichts führen wird”, wie Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig glaubt.

Am 11. Dezember verschickte die Anwaltskanzlei Jarolim Partner im Auftrag der Stadt Wien an mehr als 40 Personen eine Klageandrohung, für den Fall, dass jemand Bauarbeiten für eine Stadtautobahn behindern sollte. Im Raum stehen existenxbedrohende Klagesummen. Betroffen waren Schüler:innen, Wissenschafter:innen, Künstler:innen und Menschen, denen die Stadt Wien „mentale Unterstützung” der Protestbewegung vorwirft. Gegen solche Repression protestierten 2000 Menschen vor dem Rathaus. Die Klagedrohung gegen drei Minderjährige zog die Stadt zurück, nachdem verschiedene Medien darüber berichteten.

In der Silvesternacht wurde von „Unbekannt” ein Brandanschlag auf den hölzernen Witterungsschutz der Klimaschützer:innen in der besetzten Baustelle in der Hischstettner Strasse verübt. Acht Klimaaktivist:innen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, die sich in dem Unterstand aufhielten, konnten sich mit knapper Not, aber unverletzt retten. Die Klimaschutzbewegung ließ sich nicht einschüchtern. Nachdem die Polizei ihre Ermittlungen am Tatort beendet hatte, beseitigten Aktive die Brandreste und bauten einen neuer Witterungsschutz.

Ein Ergebnis der Untersuchungen dieses Anschlages ist noch nicht bekannt. Neben der Kripo ermittelt auch der Verfassungsschutz, denn auch die Polizei bewertet die Mahnwache als politische Versammlung. Bürgermeister Ludwig war der Brandanschlag gegen die Klimaschützer:innen einzig die Aussage „Ein rechtsfreier Raum in einer Stadt ist kein Vorteil” wert.

Am 1. Februar ließ der Stadtsenat die von den Klimaanktivist:innen „Wüste” genannte Fläche bei der U-Bahn-Station Hausfeldstraße unter Polizeieinsatz gewaltsam räumen. Während Bagger eine hölzerne Pyramide zerstörten, die die Aktivist:innen als Symbol gegen den Klimakollaps errichtet hatten, und damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zogen, ließ die Stadt die Kettensägen starten und unter dem Schutz eines gewaltigen Aufgebots von Polizei und Wachdienst Hunderte Bäume auf der Trasse der geplanten Stadtautobahn fällen. Noch am selben Abend kam es dagegen zu einer Großdemonstration vor der SPÖ-Zentrale.

Seitdem fanden zahlreiche Ein-Tages-Aktionen statt, um Bäume vor der Fällung zu retten oder Bauarbeiten zu blockieren, und Aktivist:innen begannen eine Informationsoffensive in der ganzen Stadt und verteilten die Lobau-bleibt-Zeitung. Bürgermeister Ludwig verweigert den Dialog mit den Klimaschützern und ließ stattdessen auch die Mahnwache in der Hirschstettner Straße räumen.

Trotzdem, der Widerstand wächst. An der letzten eintägigen Baustellen-Blockade beteiligten sich deutlich mehr Aktivist:innen als zuvor, 94 kamen vorübergehend in Polizeigewahrsam. Die Bewegung muss weiter wachsen, denn für nächstes Jahr ist von der Asfinag der Baubeginn der S1-Spange vorgesehen. Die Stadt Wien und das Land Niederösterreich kündigten an, gegen die Entscheidung der Klimaschutzministerin gegen eine Lobau-Autobahn gerichtlich vorzugehen. Zum Parteitag der Wiener SPÖ am 28. Mai musste ein Großaufgebot an Polizei aufmarschieren, um eine Demo des Lobau-bleibt-Bündnisses fern zu halten. „Lobau bleibt!“ schreibt inzwischen selbst Geschichte: Drei Austellungen sind geplant.

Jutta Matysek, geboren 1972, lebt in Wien, ist Gründungsmitglied und Obfrau der Bürgerinitiative „Rettet die Lobau – Natur statt Beton“ und seit 2003 gegen die drohenden Autobahnen im Nordosten von Österreich aktiv. Sie arbeitet als Greenpeace-Actionsassistentin und -Klettertrainerin und macht ehrenamtlich die Radiosendereihen „trotz allem“ und „OpenUp“ auf Radio Orange 94.0, dem Freien Radio in Wien.