Aufbruch zu einer Revolution für das Klima

Wir Menschen haben unsere optimale ökologische Nische in der Mitte des Holozäns gefunden. Seit ca. 6000 Jahren ermöglichen durchschnittliche Jahrestemperaturen um 13°C das Wachsen und Gedeihen der menschlichen Zivilisation.1 Doch der Anteil der Erdoberfläche mit diesen lebensfördernden Bedingungen schrumpft. In den kommenden 50 Jahren werden ein bis drei Milliarden entweder fliehen müssen oder tödlichen Bedingungen ausgesetzt sein.2

Die Ursachen für den Zusammenbruch unserer Lebensgrundlagen, das Massensterben der Arten und die Zerstörung von Ökosystemen sind bekannt. Trotzdem verbrennen wir weiter Öl, Gas und Kohle, verbrauchen riesige Flächen mit intensiver Agrarindustrie, tränken Land in Pestizide und Mineraldünger und holzen Wälder großflächig ab.

Das Ziel, die Erwärmung der Erde auf 1,5°C zu beschränken, ist gescheitert. Das Budget von Kohlendioxid, das wir angeblich noch in die Atmosphäre entsorgen können,3 ist so ungewiss, dass es genau so sicher auch bereits aufgebraucht oder schon überschritten sein kann. Selbst wenn wir heute die Emissionen vollständig einstellen könnten, würden Prozesse im Klimasystem der Erde, die einmal angestoßen wurden, nicht sofort aufhören.4 Der vom IPCC modellierte Pfad, mit dem theoretisch die Erwärmung noch auf 1,5°C beschränkt werden könnte, enthält Annahmen über den globalen Einsatz von Technologien, Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre zu entfernen, die nicht von Science-Fiction zu unterscheiden sind.

Eine Erwärmung um 1,5°C allein bedeutet schon Dürren, Starkwetterereignisse, Fluten, Hungersnöte und Konflikte, mit denen schwierig genug umzugehen ist.5 Die derzeitige Erwärmung um mehr als 1°C reicht schon, um das Kippen von mehreren wichtigen Elementen im Erdklimasystem, darunter der westantarktische Eisschild, auszulösen.6 Das wird kein Spaziergang für die Menschheit. Und wir – vor allem die stolz entwickelten Industrieländer – sind immer noch dabei, unbeeindruckt vom zukünftigen Leid und das Wirtschaftswachstum anbetend, mehr zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre zu pusten.

Unsere Klimapolitk hat versagt. Allen, die nicht die Augen fest verschließen, ist klar, dass die Normalität aufgehört hat, normal zu sein.

Was bleibt zu tun? Wissenschaftler:innen können die Modelle verbessern, deren Vorhersage dann noch eindringlichere Warnungen generieren, die noch besser substanziiert sind. Und dann wird sich die Menschheit endlich noch mehr am Riemen reißen und alles noch besser machen. Richtig?

Vielleicht sollten wir als Wissen-schaftler:innen, anstatt nur die Zer-störung, das Sterben und die heiße Zukunft zu dokumentieren, doch irgendwie, irgendwelche Konsequenzen ziehen?

Okay, genug geredet. Hier ist der Plan.

Um die Kohlendioxid-Emissionen im nötigen Ausmaß reduzieren zu können, müssen wir die Wirtschaft schrumpfen lassen. Damit darüber nicht Aufstände und Bürgerkriege ausbrechen, brauchen wir eine gerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen – sowohl zwischen Menschen als auch zwischen den reichen Industrieländern und der übrigen Welt. Und wir brauchen staatliche Institutionen, die den Auftrag der Fürsorge für uns Menschen ernst nehmen.

Da die Klimagerechtigkeitsbewegung mittlerweile gelernt hat, dass Informieren, Demonstrieren und ein bisschen Streiken wenig geholfen haben, bleibt als effektivstes Mittel, um den dringlichen Übergang in Gang zu bringen, gewaltfreier ziviler Widerstand. Das folgt auch aus der Betrachtung historischer Widerstandsbewegungen.7

Scientist Rebellion wird den Alltag mit Aktionen stören und zeigen, dass die Normalität, an der sich viele noch festhalten, schon längst nicht mehr existiert. Wir werden die Politik in Zugzwang bringen. Politik, das ist die Öffentlichkeit, wo jetzt noch Männer und Frauen, die von uns allen in ihre Ämter gewählt wurden, ihre Erfolge feiern. Die Politik wird sich nicht mehr rhetorisch aus der Affäre ziehen können, weil sie sich entscheiden muss, ob sie unseren zivilen Widerstand als Wissenschaftler:innen als Straftat verurteilt, oder ob sie auf unsere Forderungen eingeht, mit denen echte Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe und ein Wandel zu einer gerechteren Gesellschaft beginnen können. Wenn die Öffentlichkeit uns eingesperrt sehen will, werden andere Rebell:innen kommen und übernehmen. Wenn wir freikommen, werden wir weitermachen.

Viele Menschen, sagen jeden-
falls Umfragen, vertrauen Wissen-schaftler:innen mehr als Menschen mit anderen Berufen. Das liegt am Stellenwert, den Wissenschaft in unserer Kultur hat. Es liegt aber vielleicht auch daran, dass uns zugetraut wird, die Wahrheit zu sagen, während andere um den heißen Brei herumreden. Der zivile Widerstand von Scientist Rebellion ist eine konsequente Fortsetzung dieser Ehrlichkeit.

Denjenigen, die noch Bedenken haben, empfehle ich das Paper The Role of Life Scientists in the Biopsheric Emergence, ausgearbeitet von rebellischen Wissenschaftler:innen.8 Es schildert nicht nur unsere Situation mit dem Klima und dem Massenaussterben, es spricht auch über Gerechtigkeit und die sich verschlechternde psychische Gesundheit in der Bevökerung. Es untersucht Formen des Protests, ihre Wirksamkeit und Rechtfertigung. Und es zeigt, wie akademisches Leben für Scientist Rebellion im Zentrum der Überlegungen steht und keinesfalls aufgegeben werden soll.

Wenn du, lieber Leser, liebe Leserin, jetzt unsere konkreten Forderungen für den anstehenden Herbst hören möchtest – anstatt nur die Allgemeinplätze in diesem Text in der Rubrik des subjektiven Faktors –, wenn du nicht auf die Medienberichte warten möchtest, wenn es losgeht, dann ist das nächste online Induction Meeting9 für Scientist Rebellion eine gute Gelegenheit für deine Neugier.

„Dazu fiel ihr Fall in eine Zeit, in der sich nach Jahren des Wartens, der Apathie und der Skepsis verschiedenen Formen des Trotzens gegenüber, ein neues Phänomen bemerkbar machte – eine Art ‚Müdigkeit von der Müdigkeit‘. Die Leute hatten es allmählich satt, fruchtlos abzuwarten und sich, in der Hoffnung, daß sich die Verhältnisse vielleicht doch noch bessern, in passivem Überleben zu üben. Im gewissen Sinne war das jener letzte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.“ —Václav Havel über die Band The Plastic People, 1978.

Manuel Gebauer lebt im Südharz. Er hat als Biologe sowohl im Labor (Neurophysiologie) als auch in Wiesen und Wäldern (Artenschutz) gearbeitet. Das Landeskriminalamt Berlin hat ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet, nachdem er im Juli bei Straßenblockaden gefordert hat, keine neuen Ölquellen in der Nordsee zu erschließen.