Interview mit Klaus Gietinger
Heino Berg: Aus welchen Gründen hast du dich entschlossen, nach deinem letzten Film zur S-Bahn in Berlin im Rahmen des Klimabahn-Film-Projektes nun das Thema Stuttgart21 aufzugreifen? Ist das Thema noch aktuell?
Klaus Gietinger: Winfried Wolf und ich hatten schon länger geplant, mehrere Filme über die Deutsche Bahn und deren Fehlentwicklung zu machen. Wir planten eine Art Modul-System über Einzelaspekte (S-Bahn Berlin, S 21, Altona/Diebsteich, zweite S-Bahn-Stammstrecke München, Fernbahntunnel Frankfurt etc.). Schließlich sollte daraus dann ein Gesamtfilm über die Deutsche Bahn und konkrete Alternativen zur Betonbahn werden. Beim ersten Modul, dem S-Bahn-Berlin-Film, war das damalige Bündnis Bahn für Alle noch mit dabei. Danach hat ein Triumvirat die Mitgründer Winfried Wolf und Hendrik Auhagen hinausgeekelt und den Laden samt der großen Adressendatei und der Gelder okkupiert. Seitdem fährt dieses Rest-Bahn-für-Alle einen Schmusekurs gegenüber der Bahn AG und müsste sich eigentlich Bahn für die Bahn nennen. Profitable Betonprojekte und Milliardengräber wie Stuttgart 21 werden seither von dieser Truppe nicht mehr dezidiert kritisiert. Entspreche nd hat diese Gruppe die zugesagte ideelle Unterstützung und Werbung für den Stuttgart21-Film abgesagt. Doch genau die Kritik an der Deutschen Bahn AG und ihren Betonprojekten ist für uns zentral.Genau das wollten wir aber. S21 ist ja das Paradebeispiel für falsche, ja für menschenfeindliche Beton-Bahnpolitik. Man kann auch sagen: Es geht hierbei um Profite für wenige und Nachteile für den Rest der Bevölkerung, die die Zeche in jeder Hinsicht bezahlt. In diesem Sinn ist uns 2022 ein echter Turnaround gelungen: Der bereits im Jahr 2000 gegründete Bahnfachleutekreis Bürgerbahn statt Börsenbahn, bei dem ich auch von Anfang an dabei bin, hat sich reaktiviert, in Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene umbenannt und mit dem Alternativen Geschäftsbericht im März 2022, der Konferenz „Klimabahn statt Betonbahn“ im Mai, mit einem Lunapark21-Sonderheft zum gleichen Thema – zugleich das Begleitheft für unseren Film – und dann, am 21. November, mit der Premiere des Films „Das Trojanische Pferd“ im Stuttgarter Programmkino Delphi die gute Tradition einer DB-kritischen Bahnarbeit fortgesetzt.
Auf welche Kräfte stützt du dich bei dieser Arbeit?
Zunächst gibt es bei Bürgerbahn ein halbes Dutzend neue Mitglieder, wobei der alte Stamm erhalten blieb. Sodann gibt es mit den Bahninitiativen Prellbock Altona und Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 bzw. dem Montags-Demo-Team in Stuttgart zwei entscheidende Säulen mit Aktiven, die vor Ort wirklich verankert sind und zugleich eine enorme Kompetenz in Sachen Schiene haben. Schließlich hat sich mit dem Aktionsbündnis Bahn-Bürgerinitiativen Deutschland (ABBD) ein lockerer Verbund von mehr als zwei Dutzend Bahninitiativen gebildet, die zunehmend mit uns kooperieren – dies vor allem aufgrund der jeweils eigenen Erfahrungen vor Ort mit der bahnzerstörerischen Betonpolitik des Bahnkonzerns.
Wie ist „Das Trojanische Pferd“ denn angelaufen? Du bist ja zu vielen Kinoabenden (und Matineen) angereist. Wie war die Resonanz in den Kinos?
Der Erfolg des Films hat alle Erwartungen übertroffen. Schon mehrere tausend Leute haben den Film gesehen. Die Vorführtermine, besonders in den Kinos in Baden-Württemberg, nehmen kein Ende. Auch außerhalb vom Ländle, wo es ähnliche Probleme gibt, sind die Vorstellungen fast immer ausverkauft. Den größten Erfolg gab es übrigens bislang in Bayern – bei der Filmvorführung in der Nähe von Rosenheim waren 300 Menschen anwesend. Bei den Vorführungen in Stuttgart und der Region hat uns das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 enorm unterstützt. Überall, wo wir nicht präsent sein können, sind sie da und diskutieren mit. Ich danke da Ernst Delle, Dieter Reicherter, Werner Sauerborn, Roland Morlock und last not least Tom Adler vom Demo-Team ganz besonders. Natürlich auch allen, die gedrehtes Material zur Verfügung gestellt haben, so Eberhard Linckh, Walter Steiger, Ulli Fetzer, Flügel-TV, Phoenix sowie Ratgeber wie Klaus Gebhard und die Ingenieure22, Christoph Engelhardt, Wolfgang Hesse, die AnStifter und und und.
Kannst du ein wenig von den Filmgesprächen berichten?
Ja, viele Filmbesucher sind überrascht, wie katastrophal das Projekt S 21 ist und vor allem, dass immer noch weitere klimafeindliche brandgefährliche Tunnel (z. B. der sogenannte Pfaffensteigtunnel) geplant werden, die dann die Sache nur noch verschlimmern, statt sie zu verbessern. Jedes Jahr kommt neuer milliardenteurer Murks dazu. Verblüfft sind viele Filmbesucher, weil die Sache aktueller denn je ist, insbesondere, was das Aus für die Gäubahn im Zuge der Zerstörung des Kopfbahnhofes für unsägliche Mobilitätsverluste mit sich bringt. S21 ist schlicht ein verbrecherisches Projekt. Dass der Deutschlandtakt jetzt auf den Sankt Nimmerleinstag (2070!) verschoben worden ist, hat auch viel mit S21 zu tun. Denn mit Stuttgart 21 ist kein integraler Taktfahrplan fahrbar und das Projekt wird auch 2070 nicht funktionieren, wenn wir es nicht verhindern. Und es ist nach wie vor zu verhindern! Dann wird – vor allem von Frauen – positiv angemerkt, dass es auch diverse witzige Szenen im Film gibt, speziell durch die Kunstfigur Herr Büro und durch den Bildhauer Peter Lenk. Nur so sei der Film auszuhalten, so die oft gehörte Ansicht. Und immer wieder keimt die Hoffnung auf, dass sich doch noch was ändern lässt. Viele sagen: Je mehr Menschen den Film sehen, umso größer sei die Chance, dass der Kopfbahnhof bleibe. Wir wollen es hoffen. Der Film zeigt ja auch Alternativen auf: Umstieg 21Plus.
Wie war das Echo in den Medien? Was tut sich in Sachen Werbung für diesen Film?
Die Stuttgarter Zeitung hat erstaunlich positiv berichtet und auch andere regionale Schwaben-Zeitungen. Im SWR gabs einen einzigen Hörfunk-Beitrag zur Premiere, sonst ist da tote Hose. Und man braucht nicht glauben, dass der Film es ins TV schafft. Dafür sprengt er alle formalen, strukturellen, und vor allem politischen Grenzen, auch die des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Überregionale Zeitungen ignorieren den Film bislang ganz einfach.
Auf welche weiteren Kino-Events möchtest du noch hinweisen?
In Überlingen läuft ab dem 24. März 23 eine Ausstellung von Peter Lenk, in der auch Teile seines „Lenkmals“, also des satirischen Denkmals der Menschen, die S21 verbrochen haben, zu sehen sind. Dort läuft eine 45-Minuten-Fassung des Films in Dauerschleife. Peter Lenk, Winfried Wolf und ich sind auf Einladung der Stadt Überlingen bei der Eröffnung vor Ort. Zudem versuchen wir weiterhin, alle Kinos an und um die Gäubahn zu erreichen. Beim Start in Rottweil war das dortige Kino wohl erstmals nach Corona wieder voll. Teilweise haben die Eigentümer der Kinos aber Angst, den Film zu zeigen, da es für Programm- und Kommunale Kinos Fördergelder gibt und wohl einige fürchten, da in Ungnade zu fallen, wenn ein kritischer Film über die Taten der Landesregierung und andere „Mächtige“ zu sehen ist.
Wie geht es weiter mit dem Klimabahn-Filmprojekt?
Durch die Kinoeinnahmen und die vom DVD-Vertrieb haben wir einen bescheidenen Betrag für einen weiteren Film über die Bahn schon fast zusammen. Welches Modul als nächstes dran ist, verraten wir noch. Gleichwohl fehlt noch jede Menge „Kohle“ für das Gesamtprojekt und wir sind über jede Spende hocherfreut.
Das Interview führte Heino Berg für Lunapark21.
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