Wer noch alle seine bürgerlichen Klasseninteressen beisammen hat, sollte sie nicht der FDP anvertrauen.
Wer meint, es brauchte Geld für Forschung, Innovationen und Ausbildung, kann mit der Senkung von Steuern nicht zufrieden sein. Wer weiß, dass Energie regenerativ hergestellt werden sollte, wird die Deckelung des Staatshaushaltes als Hindernis ansehen. Wer findet, dass leistungsfähiges Internet Energie und Zeit spart, beißt in sein Telefonkabel ob des Umstandes, dass im deutschen Netz Glasfaserkabel verschiedener Anbieter nebeneinander verlegt werden. Wer begreift, dass im Krieg der Einsatz funktionierender Waffen entscheidet und nicht deren Preis, wird unterbinden wollen, dass die Rüstungsindustrie mit Höchstpreisen bedient wird.
Wer so räsoniert, wird sich fragen, ob die FDP wirklich bürgerlich-liberal ist – eine Partei, die das bürgerliche Wirtschaften derart behindert.
Die Haltung der Freien Demokraten ist rein ideologisch. Sie glauben ihren eigenen Reden und wundern sich, wenn der amerikanische Präsident ein Infrastrukturprogramm auflegt, das durch Staatsschuld finanziert wird und mit Materialien aus dem eigenen Land bewerkstelligt werden soll.
Die FDP kann seit Jahrzehnten einfach nicht den Kern des bürgerlich-liberalen Geschäftes: die Bedingungen der herrschenden bürgerlichen Klasse aus deren Gesamtinteressen verteidigen. Die nach Alimenten ausschauende Splitterpartei versteht unter bürgerlich-liberal nur, staatliche Mittel an diejenigen Produktionsmittelbesitzer zu geben, die am lautesten schreien und den größten Payback versprechen.
Malermeisterpartei wurde die FDP vor einigen Jahrzehnten in Hamburg genannt, weil viele Eigentümer von Anstreicherfirmen ihr beigetreten waren, um Staatsaufträge zu bekommen. Selbst angesichts von Strukturwandel, Digitalisierung, Klimakrise und Krieg bedient die FDP das Bürgertum nicht als Klasse. Sie verfehlt seit Jahrzehnten den Nutzen, den das Politische für Produktionsmittelbesitzer hat.
Über Produkte täuschen, Preise erhöhen und Gewinne machen, das können bürgerliche Produktionsmittelbesitzer nämlich allein. Beschränkt sein und nicht über den eigenen Erwerbshorizont schauen – dafür brauchen sie nicht die FDP. Was sie für die Verteidigung ihrer bürgerlichen Interessen brauchten, wäre eine Partei, die nicht das Einzelgeschäft wittert, sondern die Bedingungen kennt, die allen die Möglichkeit der Profitmacherei bietet.
Lenin verstand den Staat als eine Maschine zur Aufrechterhaltung der Herrschaft einer Klasse über eine andere. Wie aber gelingt das Kunststück, wenn Produktionsmittelbesitzer unterschiedliche Interessen haben? Wenn ihre Selbstverwirklichung mittels Gewinn an Bedingungen geknüpft ist, die sie selber nicht schaffen können?
Nicht nur die FDP hat offenbar kein Bewusstsein davon, dass es für das Handeln im Kapitalinteresse eines Standpunktes bedarf, den Marx mit der gedachten Position des „ideellen Gesamtkapitalisten“ bezeichnet. Und im Vertrauen, das ist nicht der Mittelwert der letzten Konsumklima-Umfrage.
Wer ihre oder seine Klasseninteressen kennt, sollte sich durch diesen Text beunruhigt auf die Routine im Umgang mit dem Aktiendepot besinnen: Umschichten von Parteien, die ihr Fünf-Prozent-Ziel verfehlen, zu denjenigen, die jedenfalls eine Ahnung davon haben, dass ein Staat funktionieren muss, um das Gewinnmachen zu ermöglichen.
Jürgen Bönig würde diesmal geisterbahn lieber geisterfahrt ohne Tempolimit nennen.