Thomas Kuczynski ist gestorben

Trauerrede von Sebastian Gerhardt

Liebe Annette,

liebe Mitglieder der Kuczynski-Großfamilie,

liebe Freunde und Weggefährten,

liebe Nachbarn von Thomas und Annette,

verehrte Trauergäste,

heute haben wir uns eingefunden, um gemeinsam Abschied zu nehmen, indem wir uns an Thomas erinnern. Jede und jeder hat viele Gründe, hier zu sein. Viele sind hier, die Thomas länger kennen als ich, und ihn ganz anders kennengelernt haben. Mein Name ist Sebastian Gerhardt. Dass ich allein hier vorn stehe und rede, heißt nicht, dass ich für alle sprechen könnte. Ich stehe hier, weil wenige Tage vor seinem Tod Thomas mich in einem Gespräch mit Annette danach gefragt hat. Und es gibt Fragen, auf die kann man nicht mit „Nein“ antworten.

Ich werde nicht über Dinge reden, von denen ich keine Ahnung habe. Ich werde über den lebenden Thomas sprechen.

Thomas war ein höflicher Freund. Höflich nicht im Sinne einer übertriebenen Wertschätzung für die Privatsphäre, sondern im Sinne eines tiefen Verantwortungsbewusstseins. Von ihm übernommene Aufgaben wollte er immer pünktlich erfüllen. Gleiches erwartete er von anderen und legte keinen Wert darauf, ihnen in ihre Arbeit hineinzureden. Als Ökonom wusste er, dass Kooperation nur funktioniert, wenn man nicht alles selber macht. Auch als Direktor des Instituts für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR war der Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ nicht sein Motto. Ein Dirigent leitet ein Orchester, sollte aber nicht versuchen, Trompetern oder Bassisten ihre Instrumente zu erklären.

Wo Thomas diese Haltung gelernt hat, weiß ich nicht. Ich vermute, dass hier seine Herkunft eine Rolle spielt. Über den Einfluss seiner Familie gilt die von ihm gern herangezogene Bemerkung von Niels Bohr: „Das Gegenteil einer richtigen Behauptung ist eine falsche Behauptung. Aber das Gegenteil einer tiefen Wahrheit kann wieder eine tiefe Wahrheit sein“. Eine tiefe Wahrheit ist, dass seine Herkunft aus der Familie Kuczynski, dass seine Eltern Marguerite und Jürgen Kuczynski einen großen Einfluss auf Thomas’ Leben hatten.

Geboren 1944 in Hendon/London, im rettenden britischen Exil seiner Eltern, wurde Thomas als kleines Kind „nach Deutschland verschleppt“, wie er oft halb ernst, halb ironisch die Remigration seiner Eltern und seiner Geschwister Madeleine und Peter beschrieb. Thomas’ Welt immer war größer als nur ein Land, auf jeden Fall größer als „die größte DDR der Welt“.

Die Kuczynski-Großfamilie – ihr gehören im Jahr 2023 über 80 Nachkommen in Großbritannien, Irland, Frankreich, Slowenien, Spanien, Estland und in der Bundesrepublik Deutschland an –, verliert mit Thomas’ Tod den letzten Träger des Namens Kuczynski. Thomas’ Tanten, die 5 Schwestern seines Vaters, hatten den Normen der Zeit folgend bei der Eheschließung den Namen ihrer Männer anzunehmen.

Mit dem Tod von Thomas endet auch die Tradition der Kuczynski-Statistiker, die 3 Generationen umfasst. Thomas’ Großvater Robert René Kuczynski (1876-1947) war Demograph und Statistiker. Sein Vater Jürgen Kuczynski (1904-1997) nutzte die Statistik vielfach in seinen Forschungen zur Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus.

Thomas entschied sich Mitte der 1960er Jahre in Ostberlin für ein Studium der Statistik an der Hochschule für Ökonomie in Karlshorst und spezialisierte sich in Wirtschaftsgeschichte. Andere Interessen – die Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus, die politische Ökonomie – verfolgte er persönlich weiter. In seiner Arbeitsweise nahm sich Thomas die Akribie seiner Mutter Marguerite zum Vorbild, die er mit dem Motto des Mathematikers C.F. Gauß beschrieb: pauca sed matura – weniges, aber ausgereift. Das Interesse für die Mathematik und die Anwendung mathematischer Methoden hat Thomas in seiner wissenschaftlichen Arbeit stets begleitet.

Seine Herkunft hatte einen Einfluss auf ihn und er wollte sich von dieser Familie und Tradition nicht trennen. Eine tiefe Wahrheit. Ebenso richtig ist jedoch, dass er sich von Herkunft und Konventionen emanzipieren konnte. Er war ein eigenwilliger, wenn es ihm richtig schien auch starrköpfiger Mensch. Er hat seine Umgebung nicht einfach hingenommen, sich Partner und Kooperationspartner gesucht, persönliche Beziehungen gepflegt und die Balance zwischen verschiedenen Verpflichtungen immer wieder gefunden. Er schätzte den richtigen Abstand – größer oder kleiner, je nachdem. Er hatte Humor, der auch bösartig sein durfte. Humor ist Distanzgefühl (Brecht).

Der Umbruch 1989 und das Ende der DDR bildeten tiefe Einschnitte in Thomas’ Lebenslauf. Sie kamen für ihn nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Schon zuvor war er ein „ungläubiger Thomas“. Er war nicht wirklich gut darin, sich blauen Dunst vorzumachen und scheute sich nicht, den Finger in die Wunde zu legen. Im Frühjahr 1990 schrieb Thomas im Rückblick über seine eigenen Forschungen der 1970er Jahre, er habe sich insgeheim schon damals gefragt, ob ein Neuanfang nötig ist. „Der Prager Frühling und die Maiereignisse 1968 in Paris schienen mir Vorboten dafür gewesen zu sein. Vor allem die Existenz des Realsozialismus hatte diesen Neubeginn verhindert.“ (ND, 26./27. Mai 1990)

Seine Position nach diesen Umbrüchen beschrieb Thomas 1991 als Platz „zwischen allen Stühlen“ – nicht ohne etwas optimistisch darauf zu hinzuweisen, dass man dort zwar nicht bequem sitzen, aber durchaus stehen könne. Er bestand darauf, mit den Worten der großen Wirtschaftswissenschaftlerin Joan Robinson festzustellen: „Es ist töricht, einer Vergangenheit nachzutrauern, die die Gegenwart hervorgebracht hat.“ Er fügte nur hinzu: „Insbesondere, wenn es sich um eine Gegenwart wie die unsere handelt.“

Zum 31.12.1991 wurde das von ihm geleitete Institut für Wirtschaftsgeschichte aufgelöst. Als Arbeitsloser musste Thomas nun, in der vergrößerten Bundesrepublik, das Leben eines Privatgelehrten, eines „freelancer“, führen, zeitweise unterbrochen von Werkverträgen und ähnlichen befristeten Jobs. Große Projekte, wie die Fortsetzung seiner Forschungen zu den Langen Wellen der Wirtschaftsentwicklung, waren so nicht zu realisieren. Er zeigte die Verletzungen nicht, er „übersah“ und „überhörte“ hämische Bemerkungen, kränkende Äußerungen, beleidigende und herabsetzende Formulierungen. Gezwungen, als Privatgelehrter zu leben, nahm er diese Herausforderung an. Er dachte an seinen Großvater Robert René Kuczynski, der nach der Bildung von Groß-Berlin sein Direktoramt beim Statistischen Amt Schöneberg verloren hatte und fortan eigene Forschungen betrieb und publizierte. Noch kurz vor seinem Tod wollte Thomas Hans-Peter Grubers Biographie von Felix Weil lesen, denn Weil war viel mehr als der „argentinische Krösus“, der Mäzen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Felix Weil war Wissenschaftler und ein politischer Linker. Wie beides zugleich im Kapitalismus möglich ist – das hat Thomas interessiert.

Den alten Slogan der Humanisten „Ad fontes – zu den Quellen!“ hat er ernst genommen. In seinem ersten Editionsprojekt – „Das Kommunistische Manifest (Manifest der Kommunistischen Partei). Von der Erstausgabe zur Leseausgabe“, das 1995 in den Schriften des Karl-Marx-Hauses Trier erschien – fand er ein spannendes Unternehmen, das ihm half, die Verwerfungen und Ausgrenzungen ohne psychische Schäden zu überstehen. Es eröffnete auch neue Räume, Fragestellungen und Themen. Nicht nur aufgrund dieses Buches hatte ich Thomas 1998 zu einer Veranstaltung zum 150. Jahrestag der Veröffentlichung des Manifests im alten Haus der Demokratie an der Friedrichstraße 165 eingeladen. Wir kannten uns schon länger – 1989 gehörte ich zu denen, die an der DDR nicht kritisierten, dass sie sozialistisch gewesen wäre, sondern dass sie nicht sozialistisch war. Auch Thomas verwendete später das Kürzel „Nominalsozialismus“. Der Gesprächsfaden, der damals begann, ist erst jetzt abgerissen. Im Fragen nach den Gründen für den Zustand der Gesellschaft, in der wir lebten, waren wir unabhängig voneinander auf verwandte Probleme gestoßen, hatten die gleichen Artikel und Bücher nicht nur einmal gelesen. Thomas konnte an Problemen festhalten, auch wenn keine Lösung in Sicht war: So hat er den Linken aller Richtungen die Eigentumsfrage als die ungelöste Grundfrage der Bewegung immer wieder in Erinnerung gerufen. Gut gemeint ist gerade hier das Gegenteil von gut.

Im Gespräch war Thomas konzentriert, aber nie einseitig. Ihm waren Literatur, Kunst, Musik wichtig, er hat sie ernst genommen. Auf einen Bericht zu einer neuen, großen Ausstellung zum Judenmord Nazideutschlands in den Gebieten der Sowjetunion im Jahr 2016 in der Topographie des Terrors nannte er nur ein Buch, dass man zur Geschichte der Shoah gelesen haben sollte: Keine historische Arbeit, sondern Soma Morgensterns „Die Blutsäule. Zeichen und Wunder am Sereth“.

Das größte von Thomas’ neuen Projekten nach 1990 war das Vorhaben einer Neuen Textausgabe (NTA) von Band 1 des Kapital, das er über 20 Jahre verfolgte und 2017 mit der Veröffentlichung im VSA-Verlag erfolgreich abschließen konnte. Das Studium des Marxschen Kapital prägte Thomas’ wissenschaftliche Arbeiten von Anfang an – ebenso wie die Fragen nach den Vorarbeiten, den Brüchen und Umbrüchen in der Entstehung dieses großen Werks. Eine Vorarbeit, die „Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses“, waren für ihn besonders wichtig. Der junge Marx hatte mal geschrieben: „Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten.“ – So einfach, das merkte Marx später, ist es nicht. Thomas verfolgte den Fortschritt der MEGA 2 kenntnisreich und kritisch. 2016 legte er den kleinen Text „Lohn Preis Profit“ vor. Mit Hegel wies er sein Publikum gern darauf hin, dass ein Wesen, das nicht erscheint, ein Unwesen ist. Will heißen: Nicht alles Wichtige ist immer gleich sichtbar, aber was wichtig ist, muss sich sehen lassen. 

Die Arbeit an der NTA war einerseits eine Suche und eine Selbstvergewisserung. Sie war aber nur möglich durch ein großes und gut begründetes Selbstbewusstsein. Die Idee, Marx’ ausufernde und barocke Fußnoten in den Haupttext zu verschieben – dass muss man sich erstmal trauen. Thomas hat sich das getraut. Gregor Benton bereitet zur Zeit die englische Übersetzung der NTA vor. Er schrieb jetzt an einen gemeinsamen Freund: „What a shame he died – … – before his book came out in English.“

Zu den neuen Projekten gehörten Thomas’ Überlegungen zu den Grundlagen der Arbeitswerttheorie. Noch während seines Studiums, 1968, war in Ostberlin die deutsche Ausgabe eines kleinen, „epoch-making book“ (Maurice Dobb) erschienen: „Warenproduktion mittels Waren“ von Piero Sraffa. Eine wissenschaftliche Übersetzungsleistung ersten Ranges, eine Innovation made in GDR. Dieses kleine Buch war für Thomas ebenso Vorbild wie Herausforderung. In der Diskussion mussten – davon war er überzeugt – auch allgemein-unverständliche Fragen zur Sprache gebracht werden: Wie kann nicht nur die Herstellung neuer Produkte, sondern auch die Beseitigung gefährlicher Umweltschäden ökonomisch analysiert werden? Gibt es so etwas wie negative Arbeitswerte – wenn ja, warum? Darüber haben wir nicht nur diskutiert, sondern konnten neue Modelle formulieren.

Thomas konnte mit Daten umgehen und schätzte diese Fähigkeit an anderen. Ende 1999 legte er kurzfristig ein Gutachten zu den Entschädigungsansprüchen von Zwangsarbeitern vor, die in den Jahren des 2. Weltkriegs nach Deutschland verschleppt worden waren. Wo andere Kollegen nur bedenklich den Kopf schüttelten und alles zu kompliziert fanden, da sah Thomas eine Lösung: Er stimmte zu, die Höhe des Profits, der mit der Zwangsarbeit gemacht wurde, lässt sich nicht so schnell bestimmen. Aber wie viel Lohn den Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen vorenthalten wurde, das berechnete er grob, aber effektiv anhand der überlieferten Statistiken. Das Ergebnis, umgerechnet in DM, sorgte für Überraschung auch bei den Auftraggebern: 180 Milliarden DM, das sei sehr viel. Tatsächlich wurden der Stiftung Erinnerung-Verantwortung-Zukunft nur 10 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. 2004 erschienen Thomas’ weiter ausgearbeitete Analysen im Verbrecher Verlag: „Brosamen vom Herrentisch“. Er bedauerte, dass es keine Möglichkeit gab, die Arbeit an einer kritischen Wirtschaftsgeschichte Nazideutschlands fortzusetzen. Er sei ein „gewesener Wirtschaftshistoriker“, der die aktuellen Debatten zum Thema nicht verfolgen könne.

Eine andere spannende Auftragsarbeit war die Herausgabe eines Geschäftsbuches von Moses Mendelssohn (1729-1786) aus dem 18. Jahrhundert. In der Folge wurden Annette und Thomas Mitglieder im Wissenschaftlichen Beirat der Dessauer Moses-Mendelssohn-Stiftung zur Förderung der Geisteswissenschaften für den seit 2012 alle zwei Jahre verliehenen Moses-Mendelssohn-Preis. Es war das erste und einzige Mal, dass Thomas und Annette mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen – Thomas als Wirtschaftshistoriker und Statistiker und Annette als Mathematikhistorikerin – in einem gemeinsamen Projekt beteiligt waren. Vielleicht bildeten ihre unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen die Voraussetzung, dass sie immer in der Lage waren, die Arbeiten des jeweils anderen vor dem Erscheinen nicht nur zu lesen, sondern auch kritisch zu beurteilen. Sie verstanden es, die fachlichen Kritiken von ihrem persönlichen Verhältnis zu trennen.

Die vielseitigen Kooperationen, darunter mit der Leibniz-Societät oder der Rosa-Luxemburg-Stiftung, haben den Eindruck erweckt, dass Thomas ein ebenso vielfältiger Funktionär gewesen wäre. So war es nicht. Tatsächlich ging er mit Anfragen auf eine Mitgliedschaft in Vereinen sehr vorsichtig um. Der unermüdliche Peter Schüren und Ingo Nentwig konnten ihn mit dem Versprechen, er werde nicht als Symbol ausgestellt, überzeugen, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bildungsgemeinschaft SALZ zu werden. SALZ – das stand für Soziales-Arbeit-Leben-Zukunft. Wie die Tätigkeit im Beirat der Mendelssohn-Stiftung war das eine Ausnahme.

Selbst bei „Lunapark21“ legte Thomas stets Wert darauf, zwar fester Autor, jedoch kein Mitglied der Redaktion zu sein. In der 2007 gegründeten Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie hatte er eine feste Rubrik, Geschichte&Ökonomie. Das war fast die einzige Rubrik, die tatsächlich von Anfang bis Ende der Zeitschrift funktionierte. Thomas war ein sehr verantwortungsbewusster Autor. Er beteiligte sich an den inhaltlichen Debatten um Gestalt und Inhalt der Hefte gründlicher, als manche „offiziellen“ Redakteure. Zu seinen Superkräften gehörte es, manchmal sehr deutlich ungeduldig zu sein. Wenn Menschen in einer Debatte nicht bei der Sache bleiben wollten oder schon alles gesagt war – nur noch nicht von allen – dann zögerte er nicht, darauf hinzuweisen. Wenn es das überhaupt gab, dann war Lunapark in diesen Jahren seine politische Heimat. Aber er bestand darauf, nicht der Redaktion anzugehören. Er interessierte sich für die politischen und gewerkschaftlichen Erfahrungen, die wir anderen mitgebracht und eingebracht haben. Ihm gefiel der Satz: „Politik fängt da an, wo man nicht mehr alle Beteiligten persönlich kennt.“ Nur in der Frage, wie denn politische Praxis, wie eine sozial verankerte Linke aussehen könnte, blieb er skeptisch.

In den letzten Jahren war Thomas manchmal auf eine neue Art ungeduldig. Er hatte das Gefühl, nicht mehr genug Zeit zu haben. Der Tod von Winnie Wolf am 22. Mai 2023 und das damit absehbare Ende von „Lunapark 21“ trafen Thomas tief. Es war wie ein böses Omen. Thomas hatte vor vielen Jahren 2 Krebs-Operationen erfolgreich überstanden. Als er am 11. Juni in das St.-Hedwig-Krankenhaus musste und am 14. Juni operiert wurde, hatte er keine Chance. Anfangs bestand noch Hoffnung, aber nach 6 Wochen nahte das Ende. Thomas litt darunter, dass er in diesen letzten Wochen nicht mehr wissenschaftlich schreiben konnte und zunehmend Schwierigkeiten bekam, wissenschaftliche Texte ohne lange Pausen dazwischen zu lesen.

Im letzten Winter wollte Thomas ein neues Buch zu den Krisenstudien von Marx diskutieren, Timm Graßmann, Der Eklat aller Widersprüche: Das für und wider einer Rezension, die er selbst schreiben wollte, die inhaltlichen und methodischen Schwierigkeiten. Dann schlug er mir vor, die Aufgabe zu übernehmen, vielleicht könnten wir es gemeinsam machen. Er begann, sich zu verabschieden. Schließlich drückte er mir die Bücher zur Diskussion über die Langen Wellen der Konjunktur in die Hand, die er immer griffbereit in seinem Arbeitszimmer stehen hatte. Dank der ärztlichen Begleitung konnte Thomas zu Hause und ohne Schmerzen einschlafen, Annette war bei ihm, er war nicht allein.

Er wird fehlen. Für Juli 2024 ist das alle 2-3 Jahre stattfindende Familientreffen der Kuczynski-Großfamilie in Berlin geplant, er hätte nicht einmal verreisen müssen. Im November 2024 hätte er seinen 80. Geburtstag feiern können und mit seiner Frau Annette 30 Jahre gemeinsames Leben.

Thomas hat am Ende gefragt: Was bleibt? Er war nicht fertig geworden, mit all dem, was ihm wichtig war. Pauca sed matura – weniges, aber ausgereift. Das braucht seine Zeit. Nicht alles ist veröffentlicht, einiges Veröffentlichte nur an schwer zugänglichen Stellen zu finden. Ich bin ihm dankbar. Die Freundschaft mit ihm war ein Geschenk.

Wir danken Annette, die in guten wie in schweren Zeiten zu ihm gehalten hat.

Thomas wird in unser aller Gedächtnis bleiben als der außerordentlich kluge und kritische Wissenschaftler, der freundliche und warmherzige Lebens-Partner, Verwandte, Freund, Weggefährte, Nachbar, Kollege. Jede und jeder hat viele Gründe, hier zu sein. Wie wir mit der Erinnerung an Thomas umgehen werden, liegt an uns. Was bleiben wird, liegt teilweise auch an uns.