Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

in jüngerer Zeit hat sich die Spekulation mit Bitcoin & Co. enorm verstärkt. Selbst in meinem engen Umfeld gibt es einen guten Bekannten, der so zum Millionär aufstieg – und parallel dazu seine früheren antikapitalistischen Positionen entsorgte. Einer der gefährlichsten Männer der Welt, der Milliardär und Trump-Unterstützer Peter Thiel, hetzte noch im April auf der Bitcoin-Konferenz in Miami Beach gegen die „Finanzgerontokratie“ (gemeint sind der Großinvestor Warren Buffet, der BlackRock-Boss Larry Fink und der JP-Morgan-Chef Jamie Dimon). Diese ältlichen Herren seien „Schuld daran, dass der Bitcoin immer noch nicht die Schallgrenze von 100.000 Dollar geknackt“ hat (Süddeutsche Zeitung vom 8.4.). In dieser LP21-Ausgabe gehen wir auf die jüngsten Entwicklungen im Sektor der Kryptowährungen ein (Seiten 6/7). Thomas Kuczynski schrieb zu dem Thema bereits in den Heften 41/2018 und 51/2021 Grundsätzliches. Er argumentierte, dass der Aufstieg von Bitcoin & Co. Ergebnis der Finanzkrise, der Schwäche der Banken, einschließlich der Zentralbanken und der Nullzinspolitik sei. Seine Schlussfolgerung (in LP21 Heft 51/2021) lautete: „Die einst erträumte Demokratisierung des Weltfinanzsystems [durch Kryptowährungen; W.W.] findet also nicht statt, und die gegenwärtige Entwicklung zeigt nur, wie hoch instabil es nach wie vor ist. Die Frage ist bloß, wann es wieder kracht, und das weiß niemand.“ In den letzten Wochen erleben wir ein Revival der Macht der Zentralbanken, eine Abkehr von der Nullzinspolitik – und einen dramatischen Verfall der Kryptowährungen. Es könnte durchaus sein, dass dies das Vorbeben von einem neuen Finanzcrash ist.

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Die Krise der Partei DIE LINKE

Was Münchhausen geschafft hat, kann eine Basisbewegung in der LINKEn auch schaffen

Eine Linke, die konsequent die neoliberale Unordnung bekämpft, die ohne Wenn und Aber für Abrüstung und Frieden eintritt und die den Kapitalismus nicht als das Ende der Welt, wohl aber als Ursache für das absehbare Ende akzeptabler Lebensbedingungen auf dem Planeten erkennt, ist heute notwendiger denn je. Denn die innere Logik des bestehenden Wirtschaftssystems führt erkennbar in zerstörerische Krisen, zu weltweitem Hunger, in einen neuen großen Krieg und in die Klimakatastrophe. Umso tragischer sind der Niedergang der Partei DIE LINKE. Umso größer die Herausforderungen auf deren Parteitag am letzten Juni-Wochenende.

Dabei ist die Krise dieser Partei erkennbar Teil einer umfassenden Krise der europaweiten Linken. Diese hat sich durch drei Ereignisse vertieft. Erstens durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und der übrigen nicht-kapitalistischen Staaten, die fälschlich als sozialistische verstanden wurden. Das trug zur Zersetzung der großen sozialistischen und kommunistischen Parteien in Italien, Frankreich und Spanien bei. Zweitens durch die Covid-19-Pandemie, die die Mehrheit der linken Parteien nicht als gesundheitliche Bedrohung insbesondere für die ärmeren Bevölkerungsschichten wahrnahm und wo darüber hinaus ein Teil der Linken diese mit grotesken Verschwörungstheorien zu erklären versuchte. Drittens durch den russischen Krieg in der Ukraine, bei dem sich einige Linke noch in einem pro-russischen Lager bewegen und andere Teil der Kriegspartei wurden und Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten.

Dass es diese europaweite Krise der Linken gibt, mag die Krise der LINKEN in Teilen erklären. Dies entschuldigt jedoch nicht den Selbstzerstörungsprozess.

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Nicaragua:

Das traurige Ende der Sandinistischen Revolution

Das politische Experiment, das am 19. Juli 1979 mit der Eroberung der Macht der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN begann, wurde nach einer völlig manipulierten Wahlfarce und der erneuten Übernahme der Präsidentschaft durch Daniel Ortega am 10. Januar 2022 unwiderruflich zu Grabe getragen. Der gesellschaftliche Aufbruch der 1980er Jahre, der als Sandinistische Revolution in die Geschichte einging, sollte den sozialen Wandel, politische Freiheit und Christentum miteinander verschmelzen. Er wurde mehrheitlich von einer enthusiastischen Bevölkerung getragen und erwarb weltweite Unterstützung bis weit in das liberale Lager hinein. Von einer ganzen politischen Generation der Linken wurde diese Revolution als Modell für kommende Emanzipationsprozesse angesehen. Davon ist nichts mehr übriggeblieben. Ortega und seine Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo haben das Land in ein großes Gefängnis verwandelt. Es herrschen Angst und Schrecken. Anfang Februar d ieses Jahres begannen Scheinprozesse gegen eine Reihe von politischen Häftlingen. Die ersten von ihnen wurden wegen friedlicher oppositioneller Meinungsäußerungen zu Gefängnisstrafen zwischen 8 und 15 Jahren verurteilt. Der ehemalige Guerillakommandant der FSLN Hugo Torres ist am 12. Februar 2022 im Gefängnis verstorben. Ortega kann seine Herrschaft nur noch mittels seiner Kontrolle über das Militär, die Polizei und die ihm treu ergebenen Paramilitärs aufrechterhalten.

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Inszenierung der Albträume

Zu den Protesten gegen Maßnahmen der Seuchen-Bekämpfung

Helmut Dahmer

Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. (Karl Marx)

Im Frühjahr 1945, als ihnen dämmerte, dass es mit dem verhießenen „Endsieg“ nichts würde, suchten viele der „hauptbelasteten“ Nazis ihr Heil in der Flucht – etwa über die „Ratten-Linie“ nach Lateinamerika –, andere tauchten unter und legten sich flugs eine „neue“, falsche Identität zu. Die Mehrheit unserer Landsleute aber flüchtete sich ins „Vergessen“. Diese mehr oder weniger geglückte, angestrengte „kollektive Amnesie“ hielt ein paar Jahrzehnte lang vor, so dass Optimisten sogar den Eindruck gewinnen konnten, der „Antisemitismus ohne Juden“ sei an ein Ende gekommen. Im Gefolge der libertären Minderheiten-Revolte der 68er begann dann ein langwieriger „Aufarbeitungs“-Prozess der verschütteten Geschichte der fatalen zwölf Jahre, der, wie die Wiederkehr faschistischer Terroristen und Parteien zeigt, der intergenerationell tradierten „autoritären“ Mentalität etwa eines Drittels der Bevö lkerung keinen Abbruch getan hat. Die seit 1945 eingeübte Fähigkeit, die NS-Vergangenheit zu „vergessen“, trifft auch deren Wiedergänger. Anders ist weder das „Erstaunen“, das die Bevölkerung und die Repräsentanten der drei Gewalten bei jedem neuen Terrorakt, jedem Waffenfund und jedem „neo“-faschistischen „Chat“ überkommt, zu erklären noch die Unfähigkeit und der Unwille, die NSU-Bande zu verhaften und ihr Unterstützer-Feld aufzurollen.

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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit Gründung von Lunapark21 Anfang 2008 erlebten wir drei tiefe Einschnitte: ab Sommer 2008 die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, ab Frühjahr 2020 die Covid-19-Pandemie und ab dem 24. Februar 2022 den Krieg des Kreml gegen die Ukraine. Bei jedem dachten wir, wir erlebten eine Zeitenwende. Was zutrifft.

Der erste Einschnitt wurde der Bevölkerung als Ergebnis fataler Zockerei fern ab, in den USA, und als ein vorübergehendes Ereignis präsentiert. Lucas Zeise schrieb jedoch in Nr. 1: „Eine Weltrezession ist wahrscheinlich.“ Was dann stattfand. Wir gingen damals davon aus, dass diese Krise sich nunmehr durch das gesamte Gebäude des Weltkapitals fressen würde. Was bis heute zutrifft. Siehe die deutsche Krise. Siehe die Euro-Krise. Siehe die Griechenland-Krise. Siehe das Andauern der Krise.

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„…die Eigentumsfrage stellen.“

quartalsbericht 04/2021 150 jahre pariser kommune

Vor 150 Jahren wehrte sich die Nationalgarde in Paris gegen ihre Entwaffnung, und die Kommune begann die Stadt in einer neuen Form zu verwalten. 72 Tage währte das zukunftsweisende Experiment, vom 18. März bis zu ihrer Niederschlagung am 28. Mai 1871. Die bisherigen Quartalsberichte beschäftigten sich mit der Rolle der Frauen, der des Staates und in Heft 55 mit Fragen der Demokratie in der Pariser Kommune.

Wie produzieren?

Welche Bedeutung hatten die Erfahrungen der Pariser Kommune für die Verständigung der Arbeiterbewegung darüber, was hinsichtlich der Produktion und der Ökonomie erreicht werden soll?

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Muhammad Ali: Verdienste und Tragödien

Mit seiner Kriegsdienstverweigerung schrieb er Geschichte. Aber kämpfte der Boxchampion, der heute 80 Jahre alt geworden wäre, für die Emanzipation aller Schwarzen? (Teil 1)

Zum 80. Geburtstag von Muhammad Ali an diesem 17. Januar 2022 erschien bereits eine Vielzahl von Publikationen, Artikeln und Dokus – oft Wiederholungen – über das Leben dieses Berufsboxers. Meist wird dabei Ali weiterhin als „der Größte“ präsentiert, mitunter garniert mit ein paar kritischen Seitenhieben auf seine Prahlerei, auf seine Zugehörigkeit zu einer Islam-Sekte und auf Widersprüche bei seinen politischen Auftritten.

Bei all diesen kritischen Zwischentönen überwiegt das Positive. Mehr noch: Muhammad Ali wird zur Ikone stilisiert. In der deutschen Ausgabe von Wikipedia wird er als „herausragender Sportathlet des 20. Jahrhunderts“ präsentiert. Das Internationale Olympische Komitee ernannte ihn 1999 zum „Sportler des Jahrhunderts“.

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SchotterGärten

Schotter-Gärten sind der Versuch, eine selbständige Natur unter Steinen zu erdrücken. Wenn schon der wöchentlich gemähte Rasen zeigen will, dass der Besitzer es nicht nötig hat, eine Fläche landwirtschaftlich zu nutzen, so steigert ein Schottergarten die Abwehr des Gedeihens zu einer Todeszone, in der Pflanzen austauschbare Dekoration sind, die sich fügen sollen.

Schotter-Gärten benötigen viel Aufwand an Arbeit und Geld. Der Garten soll ein immer gleiches Bild bieten. Wenn die Pflanzen zwischen den Steinen diesem Anspruch nicht länger genügen und sogar wachsen, blühen und vergehen, dann werden sie ausgewechselt. Schotter-Gärten sind die Fototapete für draußen.

Schotter-Gärten wollen die Natur stillstellen. Doch gerade in dem Bemühen, keinen Wandel zuzulassen, zeigen sie sich der Natur nicht gewachsen. Kunststoffrasen, Blechblumen und Bambi-Figuren aus Plastik wären die ehrlichere Variante.

Plätschernde Wasser, sich wiegende Zweige, duftende Blüten und Schatten spendende Bäume – eine Paradiesvorstellung. Der Schotter-Verwender stattdessen will Stein, Starrheit und Stille, ein Ideal, wie es sich nur in dieser Wüstenei findet.

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Editorial

Betrifft: Tod Kostas Papanastasiou

Liebe Leserin, lieber Leser,

An einem Frühlingstag im Jahr 1972 – ich war 23 Jahre alt – standen zwei junge Griechen vor der Tür meiner Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Der eine wies sich als Kostas Papanastasiou aus. Er sei auf mich aufmerksam geworden, weil ich 1969 das Theater-Stück „Hellas Report“ verfasst hatte und mit diesem und einer kleinen Laienschauspielschar 1970/71 in verschiedenen westdeutschen Städten vor griechischen „Gastarbeitern“ aufgetreten war. Es war die Zeit der faschistischen Diktatur in Griechenland. Kostas und sein Freund baten nun mich und meine Frau, getarnt als Touristen, Material für den Widerstand nach Griechenland zu schmuggeln. Zuerst sollten es Waffen sein (das lehnten wir ab), dann war es Propagandamaterial in griechischer Sprache. Wir stimmten zu. Über die Hindernisse, die bei der Erledigung dieses Jobs für die „gute Sache“ auftauchten (bereits die Volkspolizisten an der Grenze Westberlin/DDR wurden auf unsere Koffer mit dem Propagandamaterial, das einigermaßen unprofessionell in die doppelten Böden eingelagert war, aufmerksam), ist an anderer Stelle zu berichten.

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