Eine Auswahl seiner Kolumnen in Lunapark21

Heft 1/2008

Die drei von der Geldtankstelle

Oder: Casino Capital

Bei der Société Générale habe es, so die gängige Berichterstattung, einen „einmaligen Fall von Betrug“ gegeben. Tatsächlich gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten drei Fälle „betrügerischer Geldhändler“, die ein zu großes Rad drehten.

1987 meldete der VW-Konzern den Verlust von einer Milliarde Mark durch Spekulationsgeschäfte, für die ein „untergeordneter Händler“ mit dem vielsagenden Namen Schmidt allein die Verantwortung getragen habe. 1995 teilte Barings, die größte britische Privatbank, den Verlust von 860 Millionen Pfund mit, die ein Geldhändler namens Jack Leeson allein zu verantworten gehabt habe. Im Januar 2008 soll nun ein Händler namens Jérome Kerviel knapp fünf Milliarden Euro verzockt haben.

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Venedig-Impressionen

Oder: Warum die Lagunenstadt auch heute noch Vorbild für eine autofreie Stadt ist

Die 30 Millionen Menschen, die alljährlich Venedig besuchen, dürften auch dann, wenn sie keinen ausgeprägten Kunstsachverstand haben, von der Lagunenstadt begeistert sein. Diese massenhaften „Besuche“ wiederum werden von den meisten der nur noch rund 50.000 Menschen, die in der Lagunenstadt, im „centro storico“, mit festem Wohnsitz leben, überwiegend als Heimsuchung empfunden, auch wenn deren Einkommen überwiegend vom Tourismus abhängt – was in Zeiten der Pandemie besonders schmerzhaft zu spüren war.

Inwiefern die Impressionen, die ich bei meinem sechstägigen Aufenthalt in der Lagunenstadt im Januar hatte, von den durchschnittlichen Touristinnen und Touristen vergleichbar empfunden werden, weiß ich nicht. Zumindest unbewusst dürfte es jedoch bei allen das Gefühl geben, dass diese Stadt etwas Besonderes ist. Dass es hier – trotz Tourismus-Flut, trotz Immobilienspekulation, trotz Privatisierungen und Kunst-Ausverkauf – in Ansätzen etwas gibt, das man als „echte Stadtqualität“ bezeichnen kann. Susanna Böhme-Kuby, die wir im eher ruhigen Viertel Dorsoduro besuchten, spricht zu Recht von der „Einzigartigkeit dieses relativ kleinen urbanen Konglomerats (von etwa 800 Hektar, ohne Laguneninseln)“, bei dem dank der besonderen Lage „mit differenzierten, einander ergänzenden Verkehrsebenen (Kanälen und Gehwegen) die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten eben keine Gerade ist.“1

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Weltweite Rüstungsbranche und Ukraine-Krieg

Mit der Kriegsgeräte-S-Klasse an die Front – kaum geschult in den Tod

Im Sommer 2022 war es Emmanuel Macron, der von der Notwendigkeit einer „europäischen Kriegswirtschaft“ sprach. Das konnte man noch als Alleingang des Präsidenten der Grande Nation und als Ausdruck der spezifischen Interessen der in der EU führenden französischen Rüstungsindustrie werten. Am 29. Dezember 2022 hatte dann die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Seite-1-Kommentar überschrieben mit „Der Umbau zur Wehrwirtschaft“.

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Was Sie über Charles III. wissen sollten, aber nie erfahren haben

Medien hinterfragen den Pomp von London kaum. Dabei wird der Monarch die reaktionäre Politik seiner Mutter fortsetzen. Eine königskritische Übersicht.

Ich finde es immer befremdlich, wenn Wladimir Putin durch eine gefühlt sechs Meter hohe Tür schreitet, irgendwelche Kadetten ihm die Türflügel öffnen und er die Reihen seiner Getreuen durchschreitet, dabei oft einen Knopf am Anzug öffnend, schließend oder diesen auch nur berührend. Und natürlich wirken die Aufnahmen von Putin mit irgendwelchen Gremien, deren Mitglieder beispielsweise im direkten Vorfeld des aktuellen Krieges in der Ukraine von ihm aufgerufen und gegebenenfalls abgekanzelt werden, wie Szenerien aus der Zarenzeit.

Doch was ist das alles im Vergleich zu dem feudalen Pomp und das Schmierentheater, was in diesen Tagen in London stattfindet und was uns unsere elektronischen Medien – seien es die mit Steuergeld finanzierten, seien es die privatem – stundenlang zumuten? Das übertrifft all die Perversitäten, mit denen wir uns im Zusammenhang mit dem Tod  von Elisabeth II im September 2022 konfrontiert sahen.

Ohne Zweifel kann man sich über all diese Szenen belustigen – wie Charles dem Dritten die schwere Krone wie ein umgestülpter Nachttopf auf den Ohren  sitzt. Wie er und Camilla – die gleich in einem Aufwasch zur Königin mutierte – „gesalbt“ werden – wo? wie? mit was bloß?

Doch die Belustigung wird einem vergällt, wenn man hinter die royalen Kulissen blickt.

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Kriegswirtschaft, Wirtschaftskrieg und die Rekordgewinne der Öl- und Rohstoffkonzerne

Reichtum und Luxus boomen. Armut weitet sich aus. Klimaschutz ist kein Thema

 Die Zeit verdichtet sich. Die Ereignisse überschlagen sich. Der Weg in die Selbstzerstörung beschleunigt sich.

Es wird gesagt, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Tatsächlich trug der Ukraine-Krieg wesentlich zu einer Lage bei, die vor zwei Jahren niemand für möglich hielt:

Es gibt einen Umbau zur Kriegswirtschaft. Es existiert ein Wirtschaftskrieg. Es gibt einen Boom bei den Öl- und Rohstoffkonzernen und in der Luxusbranche. All das zusammen veranlasst den angesehenen US-amerikanischen Ökonom Nouriel Roubini dazu, vor dem Weg in den Weltuntergang zu warnen.1

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Die Gefahr eines Atomkriegs ist real

Interview mit Jürgen Grässlin über den Ukraine-Krieg und die Alternative eines Sozialen Widerstands

Winfried Wolf: Mitten im Ukraine-Krieg, Anfang Januar 2023, brachte das wichtigste deutsche politische Magazin ein vierseitiges Portrait über dich. Darin die beiden Sätze: „Es scheint, als wäre er [Jürgen Grässlin; W.W.] auf einer ewigen Tour. Wie Bob Dylan, der immer noch singt, redet Grässlin immer noch vom Pazifismus“. Jetzt mal abgesehen davon, dass Dylan viele Wandlungen und Positionsveränderungen durchgemacht hat und Du eher nicht – so ist das ein bewundernswerter Ritterschlag seitens des Autors Uwe Buse und des Magazins Der Spiegel. Wie kam es dazu?

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Der Kollaps der Silicon Valley Bank und die lange Geschichte vonKrisen und Krach

Finanzmärkte und Arbeitskämpfe

Diese Bank hatte niemand auf dem Schirm. Am 10. März musste in den USA die Silicon Valley Bank (SVB) von der Aufsichtsbehörde geschlossen werden. Verluste in Höhe von zwei Milliarden Dollar hatten sich angehäuft, einen „Bank-Run“ ausgelöst und die Aktien des Instituts um 80 Prozent schrumpfen lassen. Das Institut gehörte zu den 20 größten US-Banken; seit 2018 ist die SVB auch in Deutschland vertreten. Die Wirtschaftswoche kommentierte: „Genau vor einer solchen Situation fürchten sich Finanzaufseher seit Jahren, weil Notverkäufe Bankkunden in Panik versetzen und ein Institut blitzartig in Schieflage bringen können. Aus einer solchen Situation kann eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem erwachsen.“

Tatsächlich ist der Zusammenbruch der Bank ein Lehrstück. Nicht wegen der Art des Kollapses (die Bank-Manager haben vieles richtig und eher wenig falsch gemacht). Nicht wegen der Folgen dieser Bankpleite (ob sich diese zu einem weltweiten Finanzkrach ausweitet oder nicht, kann hier bereits aus Gründen des Redaktionsschlusses1 nicht gesagt werden). Sondern hinsichtlich des Rahmens, in dem sich diese Krise abspielt und hinsichtlich des geschichtlichen Hintergrunds.

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„Wir sind keine Kriegsgewinnler“

quartalslüge I/MMXXIII

„Wir sind keine Kriegsgewinnler, sondern Krisenhelfer“. So der Vorstandschef des Rüstungskonzerns Rheinmetall, Armin Papperger.1 Das ist eine Quartalslüge. Nicht nur Rheinmetall, sondern auch Herr Papperger sind Kriegsgewinnler. Inwieweit sie Krisenhelfer im Ukraine-Krieg sind, ist vor dem Hintergrund früherer Rheinmetall-Geschäfte in Russland fragwürdig.

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Eingeblättert

Selbstmorde wegen Zinsanstieg

Die Fotos von Menschen, die während des Börsenkrachs im Jahr 1929 aus oberen Stockwerken von New Yorker Wolkenkratzern in den Tod springen, sind ikonographisch. Vergleichbares dürfte sich nicht wiederholen – schließlich sind die Fenster in Hochhäusern nicht mehr zu öffnen und es gibt Absicherungen für finanzielle Risiken wie Festzins oder Fonds mit Papieren aus unterschiedlichen Branchen. Nun berichtete Anfang März der Gouverneur der Reservebank of Australia – der Zentralbank des Landes –, er erhalte „täglich Briefe von Verzweifelten“, die unter den ständig ansteigenden Kreditzinsen litten. Er kündigte an, die Selbsthilfegruppe für Suizidgefährdete zu besuchen, um sich Rat zu holen. Seit Mai 2022 wurde der Leitzins um 3,25 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent angehoben. Dort, wo die Banken den Anstieg weitergeben, was so gut wie überall der Fall ist, steigt die Zinslast für einen landestypischen, 30 Jahre laufenden Immobilienkredit  über 640.000 Australische Dollar (400.800 Euro) bei variablem Zins um rund 1200 Dollar monatlich.

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Editorial Winfried Wolf

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Leipziger Nationalbibliothek vermisst Lunapark21. Seit 1913 sammelt die Nationalbibliothek alle „deutsche und fremdsprachige Literatur des Inlandes und deutschsprachige Literatur des Auslandes“. Als ich vor der Wende für die Zeitungen „was tun“ (1974-1985) und später für die „Sozialistische Zeitung /SoZ“ verantwortlich zeichnete, hatte ich oft einen interessanten Austausch mit dieser Institution. Jede fehlende Ausgabe unserer aus DDR-Sicht „trotzkistisch/konterrevolutionären“ Publikationen wurde moniert. Dabei landeten unsere Blätter damals zweifellos im „Giftschrank“. Fanden sie dann doch interessierte Leserinnen und Leser? Jetzt also erneut Reklamationen aus Leipzig, wo man registriert hat, dass LP21 nicht im gewohnten Rhythmus erschien – Doppelnummer eben. Die Lücke wird mit diesem Heft ja geschlossen. Und auch ich melde mich pflichtschuldig zurück auf dem wackeligen Chefredakteurs-Klappstuhl. Die Berliner Charité ist der Auffassung, dass mir einige Zeit – „ein paar Jährchen“ – geschenkt wurden. Wir werden sehen. Und vor allem weiter kämpfen. Ermutigt haben uns dabei Dutzende persönliche Zuschriften und die Treue der Abonnenten und Abonnentinnen und zwei Dutzend neu Abonnierende. Hinzu kommt, dass mehr als 50 Abonnierende bei ihrem Abo ein Upgrade vornahmen. Das hilft uns sehr: Der erhebliche Anstieg der Kosten für Druck und Vertrieb würde uns unter normalen Bedingungen zum neuerlichen Anheben der AboGebühren zwingen. Angesichts der deutlich verbesserten Abo-Struktur sollten wir auf eine solche Maßnahme zumindest im laufenden Jahr verzichten können.

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