Der Kollaps der Silicon Valley Bank und die lange Geschichte vonKrisen und Krach

Finanzmärkte und Arbeitskämpfe

Diese Bank hatte niemand auf dem Schirm. Am 10. März musste in den USA die Silicon Valley Bank (SVB) von der Aufsichtsbehörde geschlossen werden. Verluste in Höhe von zwei Milliarden Dollar hatten sich angehäuft, einen „Bank-Run“ ausgelöst und die Aktien des Instituts um 80 Prozent schrumpfen lassen. Das Institut gehörte zu den 20 größten US-Banken; seit 2018 ist die SVB auch in Deutschland vertreten. Die Wirtschaftswoche kommentierte: „Genau vor einer solchen Situation fürchten sich Finanzaufseher seit Jahren, weil Notverkäufe Bankkunden in Panik versetzen und ein Institut blitzartig in Schieflage bringen können. Aus einer solchen Situation kann eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem erwachsen.“

Tatsächlich ist der Zusammenbruch der Bank ein Lehrstück. Nicht wegen der Art des Kollapses (die Bank-Manager haben vieles richtig und eher wenig falsch gemacht). Nicht wegen der Folgen dieser Bankpleite (ob sich diese zu einem weltweiten Finanzkrach ausweitet oder nicht, kann hier bereits aus Gründen des Redaktionsschlusses1 nicht gesagt werden). Sondern hinsichtlich des Rahmens, in dem sich diese Krise abspielt und hinsichtlich des geschichtlichen Hintergrunds.

Seit den 1980er Jahren befindet sich das kapitalistische Weltsystem im Krisenmodus. Es gibt rückläufige Profitraten – als Ergebnis des immer höheren Kapitaleinsatzes. Das wird ergänzt um eine zurückbleibende kaufkräftige Nachfrage – als Ergebnis des Drucks auf die Arbeitseinkommen und der Existenz riesiger Heere von Erwerbslosen und Verarmten. Es kommt zu einer relativen Deindustrialisierung in Nordamerika und Westeuropa und zu einer Jagd des Kapitals nach neu Verwertbarem: im Binnenmarkt in Form von Privatisierungen im Gesundheitssektor, bei Bahn, Post, Energie, in der Pflege. Auf den äußeren Märkten mit der Jagd um den Globus, mit Enteignung von Kleinbauern, Landgrabbing und Anbau von agrarischen Kraftstoffen. Überschüssiges Kapital wird zunehmend in spekulativen Bereichen angelegt: im Immobiliensektor, in Gold, in Kryptowährungen – und natürlich an den Börsen. Besonders pervers: Aktiengesellschaften investieren in den Kauf eigener  Aktien, womit der Aktienkurs zusätzlich angeheizt und die Boni der Manager gesteigert werden2. Eine große Rolle spielt auch das Wagnis-Kapital: Man investiert – meist gebündelt über Kapitalsammelplattformen – in Start-up-Unternehmen, die oft ein Jahrzehnt lang Verluste machen, deren Börsenwert jedoch im allgemeinen Boom hochgezogen wird, sodass sich das Investment lohnt – solange die Aktienkurse nicht fallen. Die Silicon Valley Bank hatte vor allem Kredite an Start-up-Firmen ausgereicht.

Nun bilden sich in all diesen spekulativen Bereichen Blasen; die Marktwerte liegen weit über den realen Werten. Oft – bei den zitierten jungen Unternehmen oder gar bei den Kryptowährungen – gibt es gar keine realen Werte. Es herrscht das Prinzip Hoffnung. Diese deutlich spekulative Gesamtentwicklung wurde wiederum ein Jahrzehnt lang von den Zentralbanken mit der Politik billiger Kredite (Nullzins-Politik) gefördert. Als ab März 2022 die US-Notenbank den Leitzins in schneller Folge um mehr als vier Prozentpunkte anhob – unter anderem begründet mit der Bekämpfung der Inflation und zur Dämpfung einer überhitzten Wirtschaft – gerieten Unternehmen wegen des steigenden Schuldendienstes in Bedrängnis. Darüber hinaus hatten sich viele Banken, so die SVB, im großen Stil (im Grunde nicht unvernünftig) mit niedrig verzinsten Staatsanleihen eingedeckt, die jedoch nach den Zinserhöhungen an Wert einbüßten. Wer sie jetzt – erneut: wie die  SVB – verkaufen musste, um Liquidität zu sichern, machte große Verluste.

In der aktuellen Situation werden die beschriebenen Krisentendenzen verschärft durch Verluste aus den Pandemie-Zeiten, durch unterbrochene Lieferketten, die Sanktionspolitik und die – vor allem in Europa – massiv gestiegenen Energiepreise.

Nun kommt es im Kapitalismus seit mehr als 250 Jahren zu ähnlichen Entwicklungen. Diese münden in unregelmäßigen Abständen in großen Weltwirtschaftskrisen, die oft mit einem Börsenkrach verbunden sind. Es gab solche Krisen 1873ff, 1929ff und 2008f. Die Erholung im Fall der Krise 1873ff bestand in einem Rüstungswettlauf, der in den Ersten Weltkrieg führte. Die Weltwirtschaftskrise, die 1929 begann, mündete in Deutschland erneut in Hochrüstung und Krieg; in den USA konnte diese Krise, trotz des New Deal, in Gänze erst mit dem Kriegseintritt der USA beendet werden. Die Krise 2008f wurde im Westen durch bis dahin einmalige staatliche Stützungsgelder für einen ins Wanken geratenen Finanzsektor in Höhe von rund 3,5 Billionen Dollar eingedämmt. Zusätzlich gab es als wichtigen Stabilitätsanker die chinesische Wirtschaft, die auch in den Krisenjahren 2008/2009 deutlich wuchs.

Die Weltwirtschaftskrise 2008, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008, kam für die meisten  Beobachter überraschend. 2023 ist die Lage eine andere. Im Dezember veröffentlichte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich eine Warnung vor weltweit „hohen Finanzrisiken“ mit „versteckten Schulden in Höhe von 80 Billionen Dollar“. Im Februar verwiesen Aktienstrategen auf den „Fear & Greed-Index“ von CNN, wonach die Stimmung in „Greed“ (Gier) umgeschlagen sei, weswegen – so die FAZ vom 11.2. – sich „die Signale für eine Überhitzung mehren“ würden. Seit Ende 2022 rutscht die zweitgrößte Bank der Schweiz, die Crédit Suisse, in eine gefährliche Schieflage; die Verluste im vergangenen Jahr betragen sieben Milliarden Euro. Anfang März verlor das Bankhaus seinen Großaktionär Harris Associates. Diverse Kryptowährungen befinden sich im freien Fall; 2022 ist  der Krypto-Markt um 1,6 Billionen Dollar geschrumpft. Superreiche wie Elon Musk (Tesla, USA) und Gautam Adani (Adani Group; Indien) verloren im letzten Jahr jeder für sich mehr als 100 Milliarden Dollar. Es gibt inzwischen eine ganze Gruppe von Ländern, die von der Staatspleite bedroht sind. Das trifft zu auf San Salvador, Sri Lanka, Libanon, Argentinien, Laos, Pakistan und möglicherweise auch auf die Türkei. Vor allem ist China im Wortsinn keine sichere Bank mehr: Das Wirtschaftswachstum ist auf Rekord-Tief, die Pandemie führte zu Einbrüchen, der Handelskrieg mit den USA und mit Taiwan hinterlässt Bremsspuren. Bauindustrie und Häusermarkt sind von einer Vertrauenskrise erfasst; der größte chinesische Immobilienkonzern, Evergrande, geriet im vergangenen Jahr ins Wanken. Und: Man ist verblüfft, in der Financial Times das Folgende zu lesen: „Die Silicon Valley Bank war insbesondere unter jungen chinesischen Biotech-Firmen, deren Operationsbasis zwis chen den USA und China lag, populär.“3 Die SVB war ein Joint Venture mit der chinesischen Shanghai Pudong Development Bank eingegangen, die nun auch von Abwicklung bedroht ist.

Die Beobachtung des weiteren Verlaufs der Bankenkrise und der Börsen-Fieberkurven ist zweifellos interessant. Wichtiger in diesen Tagen sind jedoch die Arbeitskämpfe – die durchaus in einem Zusammenhang mit dem Geschehen an den Finanzmärkten stehen. Die Erschütterungen an den Finanzmärkten und die absehbar neuen staatlichen Mittel, die eingesetzt werden dürften, um Banken zu retten, werden – zusammen mit den Kosten des russischen Kriegs gegen die Ukraine und der Inflation – den Abbau der Realeinkommen beschleunigen. Massenentlassungen sind längst an der Tagesordnung (IT-Sektor, Galeria Karstadt, Ford). Ein Erfolg der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften in ihren aktuellen Kämpfen in Großbritannien (gegen Einschränkungen des Streikrechts), in Frankreich (gegen das höhere Renteneintrittsalter) und in Deutschland (gegen Lohnabbau durch Inflation) sind die einzige Möglichkeit, den Generalangriff von Unternehmen, Banken und Regierungen auf  die arbeitenden und erwerbslosen Klassen auszubremsen.

Winfried Wolf verfasste Bücher zu den Wirtschaftskrisen 1974/75 („Ende der Krise oder Krise ohne Ende“; zusammen mit Ernest Mandel; Wagenbach 1979), zum Börsenkrach 1987 („Cash, Crash & Crisis“; zusammen mit Ernest Mandel; Rasch und Röhring; 1988) und zur Krise 2008 („Sieben Krisen – ein Crash“; Promedia 2009).

Anmerkungen:

1 Die letzten Infos für diesen Artikel datieren auf Dienstag, den 14. März.

2 Die 500 größten US-Unternehmen gaben 2022 mehr als 1 Billion Dollar für den Kauf eigener Aktien aus.

3 Financial Times vom 13. März 2023.