Oder: Warum die Lagunenstadt auch heute noch Vorbild für eine autofreie Stadt ist
Die 30 Millionen Menschen, die alljährlich Venedig besuchen, dürften auch dann, wenn sie keinen ausgeprägten Kunstsachverstand haben, von der Lagunenstadt begeistert sein. Diese massenhaften „Besuche“ wiederum werden von den meisten der nur noch rund 50.000 Menschen, die in der Lagunenstadt, im „centro storico“, mit festem Wohnsitz leben, überwiegend als Heimsuchung empfunden, auch wenn deren Einkommen überwiegend vom Tourismus abhängt – was in Zeiten der Pandemie besonders schmerzhaft zu spüren war.
Inwiefern die Impressionen, die ich bei meinem sechstägigen Aufenthalt in der Lagunenstadt im Januar hatte, von den durchschnittlichen Touristinnen und Touristen vergleichbar empfunden werden, weiß ich nicht. Zumindest unbewusst dürfte es jedoch bei allen das Gefühl geben, dass diese Stadt etwas Besonderes ist. Dass es hier – trotz Tourismus-Flut, trotz Immobilienspekulation, trotz Privatisierungen und Kunst-Ausverkauf – in Ansätzen etwas gibt, das man als „echte Stadtqualität“ bezeichnen kann. Susanna Böhme-Kuby, die wir im eher ruhigen Viertel Dorsoduro besuchten, spricht zu Recht von der „Einzigartigkeit dieses relativ kleinen urbanen Konglomerats (von etwa 800 Hektar, ohne Laguneninseln)“, bei dem dank der besonderen Lage „mit differenzierten, einander ergänzenden Verkehrsebenen (Kanälen und Gehwegen) die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten eben keine Gerade ist.“1