Eingeblättert

Verpasste Chance

»Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug«, heißt es in Brechts »Lied von der Unzulänglichkeit«. Da haben wir im vorigen Heft unseren Grips angestrengt, um Donald Trumps Wahlsieg zu kommentieren, und in der Abo-Werbung wiesen wir auf unsere knappen Finanzen hin. – Und das in einem Blatt über Ökonomie!

Aktien hätten wir kaufen sollen. Denn was hat Trump nicht im Wahlkampf getönt? »Tough on crime« werde er sein, Migrant:innen werde er zu Hunderttausenden einkassieren. Und das bei ohnehin vollen US-Knästen, die zum Teil von privaten Firmen betrieben werden, etwa von Core Civic. Es lag auf der Hand. Kaum hatte Trump gewonnen, schoss deren Aktienkurs um 70 Prozent nach oben. Die Aktie der GEO Group, eines weiteren Kommerz-Kerkers, kletterte sogar um 140 Prozent. Die nächsten fünf Hefte hätten wir finanzieren können.

1,9 Millionen Menschen sitzen in den USA im Gefängnis, rund 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Deutschland sind es 0,05 Prozent. Joe Biden hatte begonnen, die Kontrakte der privaten Haftanstalten auslaufen zu lassen. Unter Trump aber dürfte die Branche einen neuen Höhenflug erleben, wobei das Projekt, etwa zwölf Millionen »undocumented migrants« zu deportieren, rechtlich, logistisch und finanziell kaum zu stemmen sein wird, und der US-Wirtschaft infolge des Verlusts an Arbeitskräften obendrein eine Rezession bescheren würde.

Frohe Botschaft

Wer marxistische Presse liest, dem oder der sind die Ankündigungen sich verschärfender Widersprüche, fataler Krisen des Kapitalismus oder gar eines Zusammenbruchs des internationalen Währungssystems geläufig.

Nicht nur die Linke neigt dazu, schwärzer zu sehen, als es ohnehin schon ist. Und manchmal ist es tröstlich zu wissen, dass Prognosen in der Regel fehlgehen.

So erwartete die Internationale Energieagentur (IEA) der OECD zu Beginn des Jahrtausends, dass der jährliche Ausbau erneuerbarer Energien bis 2030 in etwa konstant bleiben würde. Auch ein Anstieg um 200 Prozent auf ein jährliches Plus von 100 Gigawatt Anfang der 2010er Jahre tat ihrem Pessimismus keinen Abbruch. Wieder gingen die IEA-Analysen von einem kontinuierlichen Zuwachs auf dem erreichten Niveau bis ins Jahr 2035 aus.

Erstmals im Jahr 2020, als die Erneuerbaren um 300 Gigawatt zulegten, sahen die Expert:innen einen minimal höheren jährlichen Zuwachs für die kommenden 20 Jahre voraus.

2023 schließlich, als das jährliche Plus 500 Gigawatt bereits deutlich überschritten hatte, traute sich die IEA ein wenig Optimismus zu und erwartete bis 2040 ein jährliches Wachstum von gut 600 Gigawatt, womit sie zumindest für 2024 schon mal richtig lag.

»Lachs oder Leben!«

Beim Kauf von Fisch kommt es vor allem darauf an, dass er frisch ist. Man erkennt es an den klaren Augen, den anliegenden Kiemen und an der glänzenden Haut. Ob er aber geklaut ist, das sieht und riecht man nicht.

Für die Lachs-Farmen in Chile ist Diebstahl zu einem ernsten Problem geworden. Dabei dreht es sich nicht um heimliches Stibitzen, sondern um Raub mit vorgehaltener Waffe. Üblicherweise überfallen die Banditen Transport-Lastwagen, nicht ungefährlich für die Fahrer. Eine Wagenladung ist rund 200 Millionen Pesos wert, etwa 200.000 Euro. Der gestohlene Lachs landet dann auf den lokalen Märkten, was auf ein gut organisiertes Netz von Hehlern hinweist.

Wurden 2018 zwei Überfälle gemeldet, waren es während der folgenden fünf Jahre 158. SalmonChile, der Verband der Fisch-Farmer, veranschlagt den Verlust durch Raub seit 2019 auf umgerechnet 70 Millionen Euro. Es sieht so aus, als habe sich die chilenische Holz-Mafia umorientiert, nachdem die Polizei dem Holzdiebstahl erfolgreich Einhalt geboten hat.

Chilenischer Zuchtlachs generiert mit rund 70.000 Beschäftigten einen Umsatz von sechs Milliarden Euro im Jahr und ist ein relevanter Export-Artikel. Die Branche ist aber auch berüchtigt wegen schlechter Arbeitsbedingungen und massenhaften Ausbrüchen von stark mit Antibiotika belasteten Tieren in den Ozean.

Eine komplette Lkw-Ladung zu klauen, ist schon ein starkes Stück, aber es geht dreister. Im März vergangenen Jahres drangen im Hafen von San Antonio, 100 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Santiago de Chile, zehn Bewaffnete in ein Kühlhaus, bedrohten die dort Arbeitenden und verschwanden in vier Lastwagen mit Lachs für 600.000 Euro. Der Coup war vermutlich der hohen Nachfrage während der Semana Santa, der Woche vor Ostern geschuldet, wenn Fleischkonsum den Gläubigen verboten, Fisch aber erlaubt ist.

Doch dieses Mal kam die Polizei der Bande auf die Spur, setzte an die 100 Beamte ein und konnte in einer Santo Salmón genannten Operation im August elf Männer festnehmen.

Stampede

Kühe sind in Indien heilig – aber dann waren die Bullen los. Die Nation hatte die Börse entdeckt.

Während der vergangenen fünf Jahre investierten zig Millionen Inder:innen zum ersten Mal in ihrem Leben in Aktien. Der Anteil der Haushalte, die Wertpapiere besitzen, ist von sieben Prozent im Jahr 2019 auf 20 Prozent gestiegen, der Wert der börsennotierten Unternehmen um 80 Prozent gewachsen.

Die National Stock Exchange of India in Mumbai und die 1875 gegründete Bombay Stock Exchange, die älteste Börse Asiens, sind die wichtigsten Aktienhandelsplätze des Landes. Der Marktwert der an den beiden Börsen gehandelten Unternehmensaktien lag Ende 2024 bei über fünf Billionen Dollar.

Der Run hat die Preise in die Höhe getrieben. Im Durchschnitt kostete eine Aktie das 23-fache des Unternehmensgewinns, mehr als an der teuren Wall Street. Das wiederum heißt, die Papiere werden nicht in Hinblick auf die Dividenden erworben, sondern nur noch spekulativ in der Hoffnung auf weiter steigende Kurse. Die aber waren auf gefährlich hohem Niveau. Ausländische Investoren haben begonnen, sich zurückzuziehen, was unter den übrigen Anlegern für Verunsicherung sorgte. Seit Dezember fielen die Kurse um zehn Prozent.

Sorgen bereitet der indischen Börsenaufsicht Sebi vor allem der explosionsartige Anstieg an Derivaten. Vier Fünftel des weltweiten Options-Handels fanden im vergangenen Jahr in Indien statt.

Die eigentlich sinnvollen Kontrakte für Unternehmen zur Absicherung gegen Preis- oder Wechselkursschwankungen werden inzwischen massenweise allein wegen der Aussicht auf hohe Gewinne erworben unter Ausblendung der Risiken.

Die Sebi ging sicherlich zu Recht davon aus, dass die meisten privaten Anleger solche Geschäfte ohne hinreichende finanzielle Kenntnis tätigen, weshalb sie den Handel mit Derivaten einschränkte. Es ist zu befürchten, dass ein deutlicher Kurseinbruch erhebliche Teile privaten Vermögens vernichten und die Zuversicht der Anleger:innen nachhaltig zerstören würde.

Spieltheorie und Praxis

Da lacht der deutsche Fiskus. Um fast 60 Prozent sind die Einnahmen in den vergangenen zehn Jahren gestiegen, zumindest die aus der Lotteriesteuer.

Der klassische Lottoschein bringt zwar immer noch am meisten, doch das Plus verdankt sich den Online-Wetten. Ein weltweiter Trend – ob Philippinen oder Polen – die Online-Zocke wächst von Jahr zu Jahr um zweistellige Prozente, gar um 40 Prozent in den USA.

150 Milliarden Dollar riskierten die Bürger:innen der Vereinigten Staaten 2024 bei Sport-Wetten. 80 Milliarden Dollar landeten in Online-Kasinos. Pro Kopf der US-Bevölkerung entfielen 670 Dollar aufs Glücksspiel.

Auch Xi Jinping weiß seine Landsleute nicht zu bremsen. Seit Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 ist Glücksspiel in China verboten, mit Ausnahme der 1987 eröffneten staatlichen Lotterie. Gegen andere Wett-Organisationen ließ Xi seit einigen Jahren konsequent vorgehen, worauf sich das Geschäft ins Ausland verlagerte.

In Südostasien sprießen die Kasinos aus dem Boden. Sihanoukville an der Küste Kambodschas zählt an die Hundert, ein Dutzend weiterer ist in Bau. Den illegalen Kapitalabfluss aus China in die Spielbuden der Nachbarländer schätzt die Uno für 2020 auf 145 Milliarden Dollar, inzwischen ist sicherlich deutlich mehr zu veranschlagen.

Über die Botschaft in Singapur ließ Xi Tourist:innen daran erinnern, dass eine Beteiligung am Glücksspiel, wenn auch am Ort legal, für Chines:innen auch im Ausland verboten sei. Die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungsregion Macau drängte der Staatspräsident, ihre Abhängigkeit von den Kasino-Einnahmen zu verringern. Worte in den Wind. 85 Prozent des Staatsbudgets Macaus und jeder fünfte Arbeitsplatz hängen am Glücksspiel. Im August 2024 verzeichnete die Region mit 3,7 Millionen Besuchenden einen neuen Rekord. Während die Volksrepublik unter Wachstumsschwäche leidet, legte Macau im vergangenen Jahr um elf Prozent zu. Spielfreude kennt keine Grenzen.

Nose Job

Die Aufnahmeprüfung zur Universität bestanden, und zur Belohnung spendieren Vati und Mutti eine Schönheitsoperation. In Südkorea nicht ungewöhnlich, weshalb im November nach den Hochschul-Eintrittsexamen in den Praxen der plastischen Chirurgie Hochbetrieb herrscht, vor allem in Gangnam, einem Nobel-Stadtteil Seouls mit rund 400 spezialisierten Kliniken.

Um erfolgreich zu sein, sollte man attraktiv erscheinen; davon sind auch viele Eltern überzeugt und unterstützen ihre Kids. Rund ein Viertel der Koreanerinnen im Alter zwischen 20 und 30 hatte sich laut einer Umfrage im Jahr 2020 bereits einem plastischen chirurgischen Eingriff unterzogen, 1994 waren es nur etwa fünf Prozent. Filme und Popmusik aus Südkorea sind auch in Japan und China populär und inspirieren japanische und chinesische Frauen zu entsprechenden Korrekturmaßnahmen. »Girly, cute and pretty – zu reif zu erscheinen ist schlecht«, lautet die Empfehlung.

Das gewisse Stigma, das der Schönheits-OP lange anhaftete, scheinen jüngere Menschen nicht mehr zu kennen. Während die Anbieter sich mit Werbung in Magazinen und Fernsehen noch zurückhalten, nutzen viele Plast-Chirurgen Social Media. Einige Doctores haben es auf TikTok oder Instagram zur Berühmtheit gebracht mit Millionen Followern.

Die Nutzung kosmetischer Chirurgie ist zu einem nahezu weltweiten Trend geworden, dem sich auch Männer nicht länger verschließen. Isaps, die internationale Gesellschaft für Schönheitschirurgie, gibt die Zahl der Behandlungen einschließlich nicht-invasiver Eingriffe wie Faltenunterspritzungen für 2023 mit 35 Millionen an. Die tatsächliche Zahl dürfte ein Mehrfaches betragen, da etliche Praxen nicht registriert sind. In China, wo sich das Gewerbe seit 2021 verdoppelt hat, ist nur eine unter sieben Kliniken registriert.

Das globale auf über 100 Milliarden Dollar geschätzte Geschäft wird trotz der gesundheitlichen Risiken, die die Patient:innen bei einem Eingriff eingehen, weiter wachsen, zumal der medizinische Fortschritt, der uns die wunschgemäße Veränderbarkeit der äußeren menschlichen Erscheinung beschert hat, diese zugleich auch der Mode unterwerfen wird. Was, wenn die 2025er Stupsnase zwei Jahre später out ist?

2010 bis 2020 – ein Jahrzehnt des Protests

Bilanz eines Journalisten

São Paulo, 13. Juni 2013. »Ohne Warnung schossen sie plötzlich in die Menge – Tränengas, Schockgranaten, womöglich Gummigeschosse – schwer zu sagen in dem Moment. Es geht darum, einen zu zwingen, sofort Schutz zu suchen und an nichts anderes zu denken als an die eigene Sicherheit. Die Menge hört auf eine Menge zu sein, ist reduziert auf eine An-
sammlung von Individuen«, schreibt Vincent Bevins.

Der damals 29-Jährige gebürtige Kalifornier arbeitete als Korrespondent der Los Angels Times in der größten Stadt Südamerikas und hatte über eine Demonstration für kostenlosen Busverkehr berichten wollen. Auch er flüchtete in Panik. Demo und Polizeigewalt hätten wohl wenig Aufsehen verursacht, wenn es nicht das Foto von einer Frau gegeben hätte, die durch ein Gummigeschoss im Gesicht verletzt worden war. Die Frau war Fernsehjournalistin, ihr Bild erschien in Brasiliens bedeutendster Tageszeitung und erregte Empörung bis in konservative Kreise. Wie so oft löste ein einzelnes Ereignis, medial verbreitet, eine enorme Dynamik aus. Die Bewegung bekam ungeahnte Unterstützung und am 17. Juni 2013 erlebte São Paulo die größte Massenkundgebung seit 20 Jahren.

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Das China-Syndrom

Kapitalistische Krise unter kommunistischer Führung

Als die Welt angesichts der rasanten Entwicklung Chinas noch den Atem anhielt, erklärte Xi Jinping, Wachstum sei nicht seine Hauptsorge. Das war im Jahr 2017 und schien einen Paradigmenwechsel anzukündigen.

Im Jahr darauf ließ Xi die Begrenzung seiner Amtszeit als Staatspräsident aus der Verfassung streichen. Nun steht er seit über elf Jahren an der Spitze des riesigen Landes und wird über Haupt- und Nebensorge manches gelernt haben.

China erlebt die schwerste Wirtschaftskrise seit den Reformen Deng Xiaopings vor gut vierzig Jahren. Mit dem Zusammenbruch der Baukonzerne Evergrande und Country Garden, mit unbezahlten Schulden in Höhe von einer halben Billion Dollar, endete der Bauboom, den China mit einem gigantischen Investitionsprogramm zur Überwindung der Finanzkrise nach 2008 initiiert hatte. Allein zwischen 2011 und 2013 verbrauchte China mehr Zement als die USA im gesamten 20. Jahrhundert.

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editorial Heft 63

Nach seiner Entlassung warnte der Verteidigungsminister Israels sein Land vor einem Abgleiten in »moralische Finsternis«. Am Tag danach gewann Donald Trump die US-Wahl. Sein Erfolg beruht auf der Methode, die Medien mit Lügen und Obszönitäten zu stopfen, und diese Methode ist zum Modell zahlreicher Wahlkämpfe in aller Welt geworden. Nicht nur autoritäre, anti-demokratische Parteien bedienen sich ihrer, auch einige ehemals respektable Parteien scheinen sich um Anstand und Aufrichtigkeit nicht länger zu scheren. Womit Silvio Berlusconi noch schockierte, ist 30 Jahre nach seinem ersten Wahlsieg hemmungslose Gepflogenheit. Nach dem Ampel-Aus werden wir im anstehenden Bundestagswahlkampf Gelegenheit haben, das Phänomen aus der Nähe zu bestaunen.

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Siebter Oktober

Antisemitismus und internationale Solidarität

Palästinenserinnen und Palästinenser brauchen unsere Solidarität. Das schien schon eine Zeit lang in Vergessenheit geraten zu sein. Doch seit dem vergangenen Herbst haben sich viele Menschen weltweit wieder besonnen und sich lautstark für Palästina und die Palästinenser eingesetzt. Der Zeitpunkt dieser Rückbesinnung ist bemerkenswert.

Nachdem Bewaffnete der Hamas, einer palästinensischen Organisation, die die Tötung aller Juden zu ihrem Ziel erklärt, an die 1200 Menschen in Israel mordeten und mehr als 5000 verletzten, Zivilist:innen zumeist, Alte wie Kinder, die sie oft in entsetzlichster Weise quälten und verstümmelten, da antworteten Demonstrierende auf der halben Welt, als ob eine Forderung nach Solidarität mit Palästina am Himmel aufgeleuchtet hätte.

Solidarität, Anteilnahme, Mitleid mit den Opfern dieses Massakers und mit deren Angehörigen wurden nur spärlich und zögernd laut.

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Kannibalismus

Die US-amerikanische Philosophin Nancy Fraser ordnet den kapitalistischen Dschungel

Der Kapitalismus ist chancenlos. Das versteht, wer Nancy Frasers Buch „Der Allesfresser“ gelesen hat.

Und man versteht auch, dass das nicht unbedingt eine gute Nachricht ist. Der Kapitalismus zehre in zunehmendem Maße seine eigenen Grundlagen auf, indem er sämtliche gesellschaftlichen und außergesellschaftlichen Bereiche kannibalisiere. Das legt die Autorin auf rund 250 Seiten überzeugend dar. „Cannibal Capitalism“ lautet denn auch der Originaltitel des 2022 erschienenen Werks, das seit März dieses Jahres auf Deutsch vorliegt.

Nancy Fraser, 1947 in Baltimore geboren, ist Professorin an der New School for Social Research in New York. In ihrem jüngsten Buch knüpft sie an Karl Marx und dessen Analyse kapitalistischer Ökonomie an, fasst den Gegenstand aber weiter und unterzieht außerökonomische Bereiche ihrer Betrachtung. Den Kapitalismus nur als eine besondere Wirtschaftsweise zu sehen, reiche nicht aus. Wir müssten uns als „kapitalistische Gesellschaft“ verstehen.

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Vom Kriege

Frieden schaffen, womit?

Das Sterben muss aufhören. Mehr Waffen bedeuten mehr Tote, lautet eine These. Und dennoch hat die Regierung Panzer geschickt, um „die brutalen Invasoren zurückzuschlagen“, wie sie am 22. September in London erklärte. Es war das Jahr 1941.

Den ersten ausgelieferten Panzer taufte die Gattin des sowjetischen Botschafters auf den Namen Stalin. Die weiteren blieben namenlos. Insgesamt lieferten Briten und Kanadier während des Zweiten Weltkrieges 5000, die USA 7000 Panzer an die Sowjetunion – und Lkw, Flugzeuge, Lokomotiven, Frachtschiffe, Reifen, Schienen, Telefone, Verbandskästen.

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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

Lunapark21 Heft 62 ist die letzte Ausgabe dieser Zeitschrift.

Am 22. Mai ist Chefredakteur Winfried Wolf gestorben. Er hat gegen die Krankheit gekämpft. Eine Operation zwei Jahre zuvor und eine neuartige Immuntherapie zeitigten Erfolg. Um ihm Zeit zur Erholung zu geben, brachten wir die Herbst-Ausgabe 2022 als Doppelnummer heraus und legten eine Pause ein. Anfang dieses Jahres schien Winfried Wolf in guter Verfassung zu sein. „Die Berliner Charité ist der Auffassung, dass mir einige Zeit – ›ein paar Jährchen‹ – geschenkt wurden. Wir werden sehen“, hatte er im Editorial der Frühjahrs-Ausgabe Heft 61 geschrieben.

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Grünes Wachstum oder blaues Wunder? Klimapolitik auf dem Prüfstand

Direkt vom Festival, noch mit dem Schlamm von Woodstock an den Hosen, kamen „Crosby, Stills and Nash“ 1969 im New Yorker TV-Studio bei Dick Cavett an, der sie in seine Talkshow eingeladen hatte. In der Sendung erklärte David Crosby, der einzige Weg, die Atmosphäre sauber zu kriegen, wäre, „GM, Ford, Chrysler, 76 Union*, Shell und Standard zu überzeugen, ihr Geschäft aufzugeben.“

Fünf Jahrzehnte später scheinen auch die Funktionäre in Industrie und Ministerien verstanden zu haben, dass der Ausstoß an Kohlenstoffdioxid drastisch reduziert werden muss, wenn der Planet sich nicht weiter aufheizen soll. Doch anders, als David Crosby meinte, brauchen Ford und Shell ihre Produktion deshalb nicht einzustellen, ebenso wenig VW, Mercedes und BASF.

Das versprechen zumindest McKinsey und Anton Hofreiter, aber auch renommierte Institute wie Agora Energiewende und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Produktion müsse nur umweltfreundlich werden. „Grünes Wachstum“ sei der Weg, der nicht allein das Überleben der Menschheit, sondern weiterhin Profite und Beschäftigung garantiere.

Dass aber ein grüner Kapitalismus die Klimakatastrophe verhindern werde, bestreitet die Publizistin Ulrike Herrmann und legt in ihrem jüngsten Buch „Das Ende des Kapitalismus“ dar, warum Wirtschaftswachstum und Klimaschutz unvereinbar sind.

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„Keine Schande, eine ›Schlampe‹ zu sein“

Laurie Pennys Buch zur Sexuellen Revolution

Mit ihrem jüngsten Buch, das im Februar in London erschienen ist und schon einen Monat später auf deutsch vorlag, liefert Laurie Penny ein feministisches Manifest und zugleich eine Charakterstudie der aktuellen gesellschaftspolitischen Verhältnisse, wobei sie vor allem die Entwicklungen in Großbritannien und in den USA in den Blick nimmt.

Die Mittdreißigerin ist eine erfolgreiche Journalistin und bedeutende Feministin. Und sie ist eine brillante Stilistin, deren Texte durch analytische Schärfe und schnoddrige Metaphorik bestechen. Mit Anne Emmert hat ihr der Nautilus-Verlag eine kongeniale Übersetzerin zur Seite gestellt, so dass auch die deutsche Ausgabe eine zündende Lektüre bietet. Wollte man die prägnanten Sätze der „Sexuellen Revolution“ unterstreichen, würde man den Stift wohl gar nicht mehr aus der Hand legen.

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