Eingeblättert

Verpasste Chance

»Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug«, heißt es in Brechts »Lied von der Unzulänglichkeit«. Da haben wir im vorigen Heft unseren Grips angestrengt, um Donald Trumps Wahlsieg zu kommentieren, und in der Abo-Werbung wiesen wir auf unsere knappen Finanzen hin. – Und das in einem Blatt über Ökonomie!

Aktien hätten wir kaufen sollen. Denn was hat Trump nicht im Wahlkampf getönt? »Tough on crime« werde er sein, Migrant:innen werde er zu Hunderttausenden einkassieren. Und das bei ohnehin vollen US-Knästen, die zum Teil von privaten Firmen betrieben werden, etwa von Core Civic. Es lag auf der Hand. Kaum hatte Trump gewonnen, schoss deren Aktienkurs um 70 Prozent nach oben. Die Aktie der GEO Group, eines weiteren Kommerz-Kerkers, kletterte sogar um 140 Prozent. Die nächsten fünf Hefte hätten wir finanzieren können.

1,9 Millionen Menschen sitzen in den USA im Gefängnis, rund 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Deutschland sind es 0,05 Prozent. Joe Biden hatte begonnen, die Kontrakte der privaten Haftanstalten auslaufen zu lassen. Unter Trump aber dürfte die Branche einen neuen Höhenflug erleben, wobei das Projekt, etwa zwölf Millionen »undocumented migrants« zu deportieren, rechtlich, logistisch und finanziell kaum zu stemmen sein wird, und der US-Wirtschaft infolge des Verlusts an Arbeitskräften obendrein eine Rezession bescheren würde.

Frohe Botschaft

Wer marxistische Presse liest, dem oder der sind die Ankündigungen sich verschärfender Widersprüche, fataler Krisen des Kapitalismus oder gar eines Zusammenbruchs des internationalen Währungssystems geläufig.

Nicht nur die Linke neigt dazu, schwärzer zu sehen, als es ohnehin schon ist. Und manchmal ist es tröstlich zu wissen, dass Prognosen in der Regel fehlgehen.

So erwartete die Internationale Energieagentur (IEA) der OECD zu Beginn des Jahrtausends, dass der jährliche Ausbau erneuerbarer Energien bis 2030 in etwa konstant bleiben würde. Auch ein Anstieg um 200 Prozent auf ein jährliches Plus von 100 Gigawatt Anfang der 2010er Jahre tat ihrem Pessimismus keinen Abbruch. Wieder gingen die IEA-Analysen von einem kontinuierlichen Zuwachs auf dem erreichten Niveau bis ins Jahr 2035 aus.

Erstmals im Jahr 2020, als die Erneuerbaren um 300 Gigawatt zulegten, sahen die Expert:innen einen minimal höheren jährlichen Zuwachs für die kommenden 20 Jahre voraus.

2023 schließlich, als das jährliche Plus 500 Gigawatt bereits deutlich überschritten hatte, traute sich die IEA ein wenig Optimismus zu und erwartete bis 2040 ein jährliches Wachstum von gut 600 Gigawatt, womit sie zumindest für 2024 schon mal richtig lag.

»Lachs oder Leben!«

Beim Kauf von Fisch kommt es vor allem darauf an, dass er frisch ist. Man erkennt es an den klaren Augen, den anliegenden Kiemen und an der glänzenden Haut. Ob er aber geklaut ist, das sieht und riecht man nicht.

Für die Lachs-Farmen in Chile ist Diebstahl zu einem ernsten Problem geworden. Dabei dreht es sich nicht um heimliches Stibitzen, sondern um Raub mit vorgehaltener Waffe. Üblicherweise überfallen die Banditen Transport-Lastwagen, nicht ungefährlich für die Fahrer. Eine Wagenladung ist rund 200 Millionen Pesos wert, etwa 200.000 Euro. Der gestohlene Lachs landet dann auf den lokalen Märkten, was auf ein gut organisiertes Netz von Hehlern hinweist.

Wurden 2018 zwei Überfälle gemeldet, waren es während der folgenden fünf Jahre 158. SalmonChile, der Verband der Fisch-Farmer, veranschlagt den Verlust durch Raub seit 2019 auf umgerechnet 70 Millionen Euro. Es sieht so aus, als habe sich die chilenische Holz-Mafia umorientiert, nachdem die Polizei dem Holzdiebstahl erfolgreich Einhalt geboten hat.

Chilenischer Zuchtlachs generiert mit rund 70.000 Beschäftigten einen Umsatz von sechs Milliarden Euro im Jahr und ist ein relevanter Export-Artikel. Die Branche ist aber auch berüchtigt wegen schlechter Arbeitsbedingungen und massenhaften Ausbrüchen von stark mit Antibiotika belasteten Tieren in den Ozean.

Eine komplette Lkw-Ladung zu klauen, ist schon ein starkes Stück, aber es geht dreister. Im März vergangenen Jahres drangen im Hafen von San Antonio, 100 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Santiago de Chile, zehn Bewaffnete in ein Kühlhaus, bedrohten die dort Arbeitenden und verschwanden in vier Lastwagen mit Lachs für 600.000 Euro. Der Coup war vermutlich der hohen Nachfrage während der Semana Santa, der Woche vor Ostern geschuldet, wenn Fleischkonsum den Gläubigen verboten, Fisch aber erlaubt ist.

Doch dieses Mal kam die Polizei der Bande auf die Spur, setzte an die 100 Beamte ein und konnte in einer Santo Salmón genannten Operation im August elf Männer festnehmen.

Stampede

Kühe sind in Indien heilig – aber dann waren die Bullen los. Die Nation hatte die Börse entdeckt.

Während der vergangenen fünf Jahre investierten zig Millionen Inder:innen zum ersten Mal in ihrem Leben in Aktien. Der Anteil der Haushalte, die Wertpapiere besitzen, ist von sieben Prozent im Jahr 2019 auf 20 Prozent gestiegen, der Wert der börsennotierten Unternehmen um 80 Prozent gewachsen.

Die National Stock Exchange of India in Mumbai und die 1875 gegründete Bombay Stock Exchange, die älteste Börse Asiens, sind die wichtigsten Aktienhandelsplätze des Landes. Der Marktwert der an den beiden Börsen gehandelten Unternehmensaktien lag Ende 2024 bei über fünf Billionen Dollar.

Der Run hat die Preise in die Höhe getrieben. Im Durchschnitt kostete eine Aktie das 23-fache des Unternehmensgewinns, mehr als an der teuren Wall Street. Das wiederum heißt, die Papiere werden nicht in Hinblick auf die Dividenden erworben, sondern nur noch spekulativ in der Hoffnung auf weiter steigende Kurse. Die aber waren auf gefährlich hohem Niveau. Ausländische Investoren haben begonnen, sich zurückzuziehen, was unter den übrigen Anlegern für Verunsicherung sorgte. Seit Dezember fielen die Kurse um zehn Prozent.

Sorgen bereitet der indischen Börsenaufsicht Sebi vor allem der explosionsartige Anstieg an Derivaten. Vier Fünftel des weltweiten Options-Handels fanden im vergangenen Jahr in Indien statt.

Die eigentlich sinnvollen Kontrakte für Unternehmen zur Absicherung gegen Preis- oder Wechselkursschwankungen werden inzwischen massenweise allein wegen der Aussicht auf hohe Gewinne erworben unter Ausblendung der Risiken.

Die Sebi ging sicherlich zu Recht davon aus, dass die meisten privaten Anleger solche Geschäfte ohne hinreichende finanzielle Kenntnis tätigen, weshalb sie den Handel mit Derivaten einschränkte. Es ist zu befürchten, dass ein deutlicher Kurseinbruch erhebliche Teile privaten Vermögens vernichten und die Zuversicht der Anleger:innen nachhaltig zerstören würde.

Spieltheorie und Praxis

Da lacht der deutsche Fiskus. Um fast 60 Prozent sind die Einnahmen in den vergangenen zehn Jahren gestiegen, zumindest die aus der Lotteriesteuer.

Der klassische Lottoschein bringt zwar immer noch am meisten, doch das Plus verdankt sich den Online-Wetten. Ein weltweiter Trend – ob Philippinen oder Polen – die Online-Zocke wächst von Jahr zu Jahr um zweistellige Prozente, gar um 40 Prozent in den USA.

150 Milliarden Dollar riskierten die Bürger:innen der Vereinigten Staaten 2024 bei Sport-Wetten. 80 Milliarden Dollar landeten in Online-Kasinos. Pro Kopf der US-Bevölkerung entfielen 670 Dollar aufs Glücksspiel.

Auch Xi Jinping weiß seine Landsleute nicht zu bremsen. Seit Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 ist Glücksspiel in China verboten, mit Ausnahme der 1987 eröffneten staatlichen Lotterie. Gegen andere Wett-Organisationen ließ Xi seit einigen Jahren konsequent vorgehen, worauf sich das Geschäft ins Ausland verlagerte.

In Südostasien sprießen die Kasinos aus dem Boden. Sihanoukville an der Küste Kambodschas zählt an die Hundert, ein Dutzend weiterer ist in Bau. Den illegalen Kapitalabfluss aus China in die Spielbuden der Nachbarländer schätzt die Uno für 2020 auf 145 Milliarden Dollar, inzwischen ist sicherlich deutlich mehr zu veranschlagen.

Über die Botschaft in Singapur ließ Xi Tourist:innen daran erinnern, dass eine Beteiligung am Glücksspiel, wenn auch am Ort legal, für Chines:innen auch im Ausland verboten sei. Die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungsregion Macau drängte der Staatspräsident, ihre Abhängigkeit von den Kasino-Einnahmen zu verringern. Worte in den Wind. 85 Prozent des Staatsbudgets Macaus und jeder fünfte Arbeitsplatz hängen am Glücksspiel. Im August 2024 verzeichnete die Region mit 3,7 Millionen Besuchenden einen neuen Rekord. Während die Volksrepublik unter Wachstumsschwäche leidet, legte Macau im vergangenen Jahr um elf Prozent zu. Spielfreude kennt keine Grenzen.

Nose Job

Die Aufnahmeprüfung zur Universität bestanden, und zur Belohnung spendieren Vati und Mutti eine Schönheitsoperation. In Südkorea nicht ungewöhnlich, weshalb im November nach den Hochschul-Eintrittsexamen in den Praxen der plastischen Chirurgie Hochbetrieb herrscht, vor allem in Gangnam, einem Nobel-Stadtteil Seouls mit rund 400 spezialisierten Kliniken.

Um erfolgreich zu sein, sollte man attraktiv erscheinen; davon sind auch viele Eltern überzeugt und unterstützen ihre Kids. Rund ein Viertel der Koreanerinnen im Alter zwischen 20 und 30 hatte sich laut einer Umfrage im Jahr 2020 bereits einem plastischen chirurgischen Eingriff unterzogen, 1994 waren es nur etwa fünf Prozent. Filme und Popmusik aus Südkorea sind auch in Japan und China populär und inspirieren japanische und chinesische Frauen zu entsprechenden Korrekturmaßnahmen. »Girly, cute and pretty – zu reif zu erscheinen ist schlecht«, lautet die Empfehlung.

Das gewisse Stigma, das der Schönheits-OP lange anhaftete, scheinen jüngere Menschen nicht mehr zu kennen. Während die Anbieter sich mit Werbung in Magazinen und Fernsehen noch zurückhalten, nutzen viele Plast-Chirurgen Social Media. Einige Doctores haben es auf TikTok oder Instagram zur Berühmtheit gebracht mit Millionen Followern.

Die Nutzung kosmetischer Chirurgie ist zu einem nahezu weltweiten Trend geworden, dem sich auch Männer nicht länger verschließen. Isaps, die internationale Gesellschaft für Schönheitschirurgie, gibt die Zahl der Behandlungen einschließlich nicht-invasiver Eingriffe wie Faltenunterspritzungen für 2023 mit 35 Millionen an. Die tatsächliche Zahl dürfte ein Mehrfaches betragen, da etliche Praxen nicht registriert sind. In China, wo sich das Gewerbe seit 2021 verdoppelt hat, ist nur eine unter sieben Kliniken registriert.

Das globale auf über 100 Milliarden Dollar geschätzte Geschäft wird trotz der gesundheitlichen Risiken, die die Patient:innen bei einem Eingriff eingehen, weiter wachsen, zumal der medizinische Fortschritt, der uns die wunschgemäße Veränderbarkeit der äußeren menschlichen Erscheinung beschert hat, diese zugleich auch der Mode unterwerfen wird. Was, wenn die 2025er Stupsnase zwei Jahre später out ist?

Eingeblättert…

in die Welt des systematischen Wahnsinns

Klima I: In vino veritas

Kann man sich das Wetter schöntrinken? Vielleicht – auf jeden Fall ist der Alkoholgehalt von Wein deutlich gestiegen, eine Folge des Klimawandels. Galt ein Rotwein mit zwölf Prozent vor fünfzig Jahren noch als kräftig, so ist heute kaum noch ein Bordeaux mit weniger als 13,5 Grad Alkohol zu bekommen und selbst 15 Grad sind keine Seltenheit mehr.

Die Wärme lässt die Trauben mehr Zucker entwickeln, der während der Gärung in Alkohol gewandelt wird. Zwar ließe sich der Gärvorgang vorzeitig stoppen, der Alkoholgehalt wäre geringer, der Anteil von Restzucker aber höher. Der Wein wäre süß. Ein Problem vor allem für hochklassige und renommierte Weingüter. Oder können Sie sich einen James Bond vorstellen, der einen Chateau Latour „halbtrocken“ orderte?

Lässt sich das Klima am Abend noch vergessen, belehrt der schwere Kopf am anderen Morgen.

Von den gestiegenen Temperaturen profitieren die Weinbauregionen weiter im Norden. Dänische Winzer – kein Scherz – bieten inzwischen recht ansprechende Tropfen.

Dramatisch sieht es dagegen für den Weinbau der südlichen Hemisphäre aus, vor allem aufgrund von Trockenheit. So ist die Menge produzierten Weins im vergangenen Jahr in Chile, Argentinien und Australien um 20 und mehr Prozent eingebrochen. Südafrikas Weinbauern hatten einen Verlust von zehn Prozent zu verkraften.

Vorteil Vorurteil

Frauen gelten als von Natur aus fürsorglich; sie seien einfühlsamer als Männer und wüssten Konflikte zu entspannen statt zu eskalieren. Die angeblichen Fähigkeiten qualifizieren sie für entsprechende Berufe. Wenn dann noch eine Ausbildung im Polizei- oder Militärdienst hinzukommt, jahrelanges Kampfsporttraining und ein routinierter Umgang mit Schusswaffen, bietet sich eine Tätigkeit als „E.P. specialist“ an.

E.P. steht für Executive Protection und bedeutet Personenschutz für gesellschaftlich hochstehende Persönlichkeiten – Bodyguard.

Man kennt die Bilder von Politiker:innen, umstanden von breitschultrigen Typen in ausgepolstertem Sakko, starkes Kinn, die Augen hinter dunklen Gläsern, Sprechfunk am Mann – Schutz und Abschreckung: Hier ist nicht gut Kirschen essen.

Derartige Sicherung beraubt die zu schützende Person aber auch jeglicher Anonymität, und mag für mögliche Angreifer geradezu zielführend sein – auch nicht nach jedermanns Geschmack, frauens noch weniger.

Gefragt ist eben oft diskreter Schutz. Vor allem auf Privat- und Geschäftsreisen wollen vermögende oder hochrangige Individuen nicht unnötig auffallen, noch weniger auf den Wegen alltäglicher Besorgungen. Gefragt ist ein Bodyguard mit Tarnkappe, und wer wäre da besser geeignet als eine Frau. Die Tarnkappe verleihen ihr die gesellschaftlichen Klischeevorstellungen. Eine begleitende Frau mag persönliche Assistentin sein, die Tante oder das Kindermädchen. Eine abwehrbereite Martial-Arts-Expertin wird kaum jemand erwarten.

Weibliche Angehörige der Herrscherhäuser des Mittleren Ostens buchen Personenschützerinnen, schon aus religiösen Gründen. Aber auch mit der steigenden Zahl von Frauen in Führungspositionen wächst der Bedarf an femininem Begleitschutz.

Neben der Qualifikation in Sicherheitstechniken braucht es Anpassungs- und Einfühlungsvermögen für den Umgang in und mit wohlhabenden Kreisen, Mehrsprachigkeit ist von Vorteil. Die Fortbildung lohnt sich. Gegenüber dem Polizeidienst ist als E.P. specialist das Vier- bis Fünffache zu verdienen. „Für weniger als 1000 Dollar am Tag stehe ich nicht auf“, zitiert die New York Times eine Spezialistin.

Klima II: Süßreserve

Auf ein katastrophales Jahr 2023 folgte eine Rekordsaison 2024, so dass Kanada seine strategische Reserve wieder auffüllen konnte. Es stand schlimm. Die Pegel in den Tanks für Ahornsirup waren auf den niedrigsten Stand seit 16 Jahren gefallen. Und „Pfannkuchen ohne“, das geht eigentlich nicht.

Die gestiegenen Temperaturen infolge des Klimawandels könnten sogar höhere Erträge generieren, wenn nicht zugleich extreme Wetterereignisse häufiger eintreten würden. Heftige Winde, vor allem Eisstürme haben im vergangenen Jahr die Menge des landesweit geschöpften Baumsafts um 40 Prozent vermindert.

Ahorn, dessen karamellartige Rindentropfen schon den Speisezettel der Irokesen bereicherte, ist Symbol des Landes. Maple Leaf heißt denn auch die berühmte Münze aus kanadischem Gold.

Knapp 80 Prozent des weltweit konsumierten Ahornsirups produziert Kanada, und zwar zu 90 Prozent in der Provinz Quebec. 55 Millionen Ahornbäume sind angezapft und liefern in guten Jahren an die 80 Millionen Liter der klebrigen Köstlichkeit.

Einige wenige Großhandelsunternehmen setzen einen Mindestpreis fest, der den Produzierenden ein auskömmliches Leben garantiert. Die Regierung goutiert das Verfahren.

Die globalen klimatischen Veränderungen stellen das traditionelle Gewerbe in Frage. Das wärmere Wetter lässt den Sirup früher fließen, begünstigt aber auch Parasiten. Und die Zapfzeit, März bis April, endet früher. Viele der Sirupproduzierenden hoffen auf Genehmigungen, um Pflanzungen weiter nördlich anzulegen. Dafür können sie ein starkes Argument ins Feld führen. Die Blätter des Ahorns enthalten wesentlich mehr an Feuchtigkeit als Kiefernnadeln und sind weniger leicht entflammbar. Kanada musste 2023 die verheerendsten Waldbrände seiner Geschichte verzeichnen.

With God on his Side

Es ist kein freier und fairer Markt, wenn China seine Exportprodukte, vor allem die seiner Autoindustrie, im großen Stil subventioniert. Geradezu unanständig aber ist es, Güter zu verschenken und damit anderen das Geschäft gänzlich zu verderben.

Zweieinhalb Milliarden Bibeln hat <I>The Gideons<I> seit Gründung des Vereins im Jahre 1899 kostenlos verteilt. In über 100 Sprachen liegen die Exemplare in den Hotels, Spitälern, Kasernen und Gefängnissen von rund 200 Ländern.

Bibeln sind eine spezielle Ware. Ein Copyright gibt es nicht, und den längst verstorbenen Autoren gebührt auch kein Honorar. Andererseits kann der Markt als gesättigt gelten. Darüber hinaus ist der Inhalt sakrosankt. Neue Folgen zeitgenössischer Autor:innen, die das Werk fortsetzen, wie beispielsweise das James-Bond-Oeuvre von Ian Fleming, oder wie die frischen Abenteuer des Hercule Poirot, den einst Agatha Christie erschuf, verbieten sich.

Clevere Verlage bieten Ausgaben zugeschnitten auf ein besonderes Publikumssegment, etwa Neuübersetzungen in Dialekt oder eine „Boys Bible“ mit „blutrünstigen Geschichten, die du in der Bibel nicht erwartet hättest“. Es gibt die „Biker Bibel“ und eine „Mother’s Bible“.

Rund 800 Millionen Dollar waren im vergangenen Jahr allein in den USA mit religiösen Schriften zu verdienen.

Gegenüber dem kommerziellen sollte aber der spirituelle Wert der Heiligen Schrift im Vordergrund stehen. Und der kam jüngst im Wahlkampf zur Wirkung. Unter dem Slogan „Let’s make America pray again“ ließ Donald Trump seine eigene „God Bless the USA Bible“ vertreiben, zum Preis von 59,99 Dollar.

Klima III: Endless Night

Wie viele? Das weiß niemand so genau. Die letzte Volkszählung in Somalia fand 1986 statt, Ergebnisse wurden nie veröffentlicht.

1969, neun Jahre nach der Unabhängigkeit, übernahm das Militär die Macht. Die frühere koloniale Aufteilung Somalias zwischen Italien, Großbritannien und Frankreich wirkt bis heute nach, Grenze und Gebietsansprüche gegenüber Äthiopien sind umstritten. Seit 1988 befindet sich das Land am Horn von Afrika, dessen Kultur stärker von Clanstrukturen geprägt ist als durch Loyalität gegenüber der Zentralgewalt, im Bürgerkrieg.

Als wäre das Ausmaß an Elend noch nicht groß genug, trifft der Klimawandel Somalia mit voller Härte. Rund 70 Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft. Zwei Regenperioden pro Jahr erlaubten Weidewirtschaft sowie Gemüse- und Getreideanbau vor allem im Süden des Landes.

Zwischen 2020 und 2022 fielen fünf Regenperioden in Folge aus. Eine Hungersnot konnte durch ein über zwei Milliarden Euro teures Hilfsprogramm der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen und weitere Spenden abgewendet werden.

Darauf folgten im vergangenen Jahr die heftigsten Regenfälle und Überflutungen seit hundert Jahren. Felder und Straßen wurden weggeschwemmt, zahlreiche Gesundheitseinrichtungen zerstört, ebenso Trinkwasserreservoirs und Latrinen; mehr als eine Million Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen.

Die Naturkatastrophe trifft eine Bevölkerung, die über Jahrzehnte durch Kämpfe, räuberische Warlords, Dschihadisten und korrupte Behörden verarmt ist. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wird auf unter 800 Dollar geschätzt.

Etwa ein Fünftel der knapp 20 Millionen Bewohnenden sind in Not, und 1,7 Millionen Kleinkinder unterernährt. Nahezu vier Millionen Menschen leben in Lagern und können nicht zurück. Ihre Herden sind verdurstet, ihre Felder verdorrt, Kapital für einen Neuanfang haben sie nicht.

Und die Welt ist es leid. Von dringend nötiger Hilfe in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar stehen laut Uno nur ein Bruchteil bereit. In der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwindet Somalia hinter dem Krieg im Sudan, und auch der wird von der westlichen Berichterstattung zwischen Ukraine und dem Nahen Osten nur gestreift.

Souvenirs

Wie wäre es mit einem Schlüsselanhänger für 200 Euro? Echtes Handwerk, gefertigt aus Patronenhülsen und anderem Militärschrott von der ukrainisch-russischen Front.

Ukrainische Soldaten gehen neue Wege bei der Beschaffung von Ersatz für verlorene oder zerstörte Ausrüstung und schicken, was immer sich als Kriegstrophäe eignen mag, an Händler in der Etappe. Die wiederum suchen Käufer via Internet, auf eBay oder eigener Plattform.

Ein russischer Helm, der vielleicht sogar den Namen seines ehemaligen Trägers aufweist, bringt 1400 Dollar oder mehr. Uniformstücke sind gefragt, besonders von Spezialeinheiten des russischen Nachrichtendienstes. Sehr begehrt sind auch Wrackteile abgeschossener Sukhoi‑Kampfjets.

Der Kauf solchen Auswurfs der Kriegshölle wird als Unterstützung der ukrainischen Soldaten beworben, denen der Erlös übersandt werde.

Die Käufer sitzen meist im Ausland, darunter fanatische Sammler von Kriegsmemorabilia. Angebote von Gegenständen mit allzu schrecklichen Spuren hat eBay von der Site genommen und Dealer gesperrt.

Ein kriegsversehrter ukrainischer Veteran bietet einen speziellen Service für Sammler, die nach bestimmten Gegenständen fragen, übermittelt den Wunsch an Frontsoldaten, die sich dann auf die Pirsch machen.

Ein Netz von Helfern, meistens auch Veteranen, übernimmt den Schmuggeldienst über die Grenze, denn der Export von Militärgerät aller Art ist in der Ukraine verboten. Die Lieferung von der Front bis zum Empfänger dauert in der Regel nur Tage.

Die Einnahmen kommen wohl tatsächlich der kämpfenden Truppe zugute, die aber weniger an Geld, vielmehr an neuer Ausrüstung interessiert ist. Eine einzelne Granate kann einem das komplette Equipment zerstören, erklärt ein britischer ehemaliger Fallschirmjäger, der sich in seinem Online-Shop als Babbs vorstellt.

Die Zwischenhändler bemühen sich, das benötigte Material – Medikamente und Verbandszeug, Kleidung, Ausrüstung – einzukaufen und an die entsprechende Stellung an der Front zu liefern, per Boten oder Drohne.

eingeblättert

Altersweise

Die Spezielle Relativitätstheorie publizierte Albert Einstein im Alter von 26 Jahren. Mit 36 schloss er die Allgemeine Relativitätstheorie ab. Die Zwanziger und Dreißiger waren seine produktivsten Jahre. Und das sind sie für die allermeisten Menschen. „Jetzt möchte ich gern in Ruhe vertrotteln“, gestand Einstein später.

Im Jahr 2010 lag die Fertilitätsrate in 98 Ländern unterhalb des zur Stabilisierung der Bevölkerungszahl nötigen Faktors von 2,1. Im Jahr 2021 blieben 124 Länder unter dieser Marge. Besonders niedrig ist die Fertilitätsrate in Italien und Japan, und in Südkorea liegt sie sogar nur bei 0,8. Selbst Indien kommt inzwischen auf knapp unter 2,1.

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Ausgeblättert

Auf Ärmellänge

Wir rätseln, ob die einstigen Vertreter einer sozialistischen Gesellschaft, Russland und China, inzwischen echte kapitalistische Staaten geworden sind. Kennzeichen wäre die Herausbildung einer Bourgeoisie, die die Funktion der herrschenden Klasse ausfüllte. Immerhin suchen ihre ersten Repräsentanten sich in Stil und Habit als Angehörige jener Klasse darzubieten: dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte, durchaus respektabel. Doch bei genauerer Betrachtung fallen Unzulänglichkeiten ins Auge. Ausgerechnet der Kleinere reckt Kopf und Kragen weit hervor, so dass das Sakko wirkt, wie zur ersten Tanzstunde erworben.

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eingeblättert globaler lunapark

Der globale Lunapark:
das große Vergnügen
auf wessen Kosten?
das Glitzern der Verkaufsmeilen
Wer kann da noch kaufen?
das Feuerwerk über der Alster, über Hongkong und Sydney
Wer bezahlt, was da funkelt?

Rolf Becker

Klimakrise & Politik-Versagen (1)

Am 16.9. war in der Stuttgarter Zeitung zu lesen: „Die bis zu vier Kilometer dicken Eismassen in der Antarktika galten bisher als weitgehend stabil.“ Inzwischen würden „veränderte Strömungen im Südpolarmeer wärmeres Wasser“ unter die Antarktis schieben: „Sie drohen den größten Eismantel der Welt zu unterspülen, der sich über eine Fläche von der Größe der Vereinigten Staaten ausdehnt.“ Die Eismassen beginnen zu schmelzen. Es drohe ein erheblicher Anstieg des Meeresspiegels. Die Reaktion aus Politik und Wirtschaft: In derselben Zeitung wurde unkommentiert berichtet, es sei ein „Schatz im ewigen Eis entdeckt worden“. Danach lagerten unter dem eben nicht mehr „ewigen Eis“ „Erdöl- und Gasfelder in einem Gesamtumfang von bis zu 500 Milliarden Barrel Hydrogenkarbonaten“, was „fast das Doppelte der in Saudi-Arabien nachgewiesenen Reserven“ sei. Je mehr das Eis schmilzt, desto schneller sollen diese Öl- und Gasquellen von westlichen und von russischen Konzernen erschlossen werden.

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Linker Wahlsieg in Frankreich

Das Linksbündnis NUPES, zu dem sich Sozialisten, Kommunisten, Grüne und vor allem die Partei „La France Insoumise“ („Unbeugsames Frankreich“) zusammenfanden, ging am 19. Juni als „moralischer Sieger“ aus den Parlamentswahlen hervor. NUPES selbst wurde erst am 1. Mai gegründet; der Name steht für „Nouvelle Union populaire, écologique et sociale“ („neue ökologische und soziale Volksunion“). Der führende Kopf von NUPES ist Jean-Luc Mélanchon, der allerdings kein Mandat in der Nationalversammlung haben wird. Der NUPES-Sieg besteht zunächst darin, zweitstärkste Kraft im Parlament geworden zu sein. Sodann darin, die Wiedererlangung der absoluten Mehrheit der Macron-Partei „Ensemble“ (zuvor La République en marche) verhindert zu haben. Damit gibt es in der neuen Nationalversammlung für den französischen Präsidenten keine sichere Mehrheit mehr für dessen wichtigste Projekte. So dürfte es im neu zusammengeset zten Parlament keine Mehrheit für die Position geben, Waffen an die ukrainische Regierung zu liefern.

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Ausgeblättert

Streik an NRW-Unikliniken (1)

Seit dem 4. Mai streiken Beschäftigte der sechs Unikliniken in NRW für einen Tarifvertrag Entlastung (TVE), der die Qualität der Pflege und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ermöglichen soll. 98,31 Prozent der ver.di-Mitglieder hatten für den Streik gestimmt. Die Stimmung bei den Streikposten soll kämpferisch sein. Das Land NRW und die Unikliniken haben sich bisher kaum bewegt. Erst nach zwei Wochen Streik begannen die ersten Verhandlungen. In den Medien taucht der Streik kaum auf, die meisten Menschen haben nicht mitbekommen, was an den Unikliniken passiert.

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Eingeblättert:

Internationales Finanzsystem

Mitte 2022 befindet sich die Weltökonomie in einem ausgesprochen labilen Zustand. Dieser hat fünf Charakteristika:

Erstens gibt es enorme Blasen der Spekulation, die deutlich angepiekst sind. So hatte der Markt mit Kryptowährungen bis Ende 2021 das gigantische Volumen von drei Billionen US-Dollar erreicht. Bis Mitte Juni ist er auf weniger als 1 Billion oder auf ein Drittel geschrumpft. Der Kurs der führenden Kryptowährung, derjenige von Bitcoin, lag im November 2021 noch bei 69.000 Dollar. Mitte Juni liegt er unter 20.000 Dollar. Dies wird ergänzt durch die Blasenerscheinungen im chinesischen Immobilienmarkt, über die wir in LP21 (so in den Heften 55 und 53) mehrfach berichteten und die anhalten.

Zweitens befinden sich mehrere Länder in einer tiefen Krise. Der Libanon, El Salvador und Sri Lanka erleben eine Staatspleite. In der Türkei gibt es mehr als 70 Prozent Inflation und einen Verfall der Lira. Russlands Wirtschaft erleidet 2022 eine deutliche Rezession. Die westlichen Sanktionen und die enormen Kosten des Kriegs können auch zu einer technischen Zahlungsunfähigkeit führen.

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Meldungen aus dem Alltag des systematischen Wahnsinns

Arm durch Pandemie

In den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 fielen laut Weltbank mehr als 100 Millionen Menschen in absolute Armut. Es kam zu einer Trendumkehr beim weltweiten Kampf gegen die Armut. Konkret berichtete die Asiatische Entwicklungsbank, dass in 35 Ländern dieser Region „bis zu 80 Millionen Menschen unter die Grenze der extremen Armut zurückgefallen“ seien. Sie liegt bei 1,90 Dollar am Tag.

Für die Reichsten der Welt waren die beiden Pandemie-Jahre die Phase mit der bislang größten Steigerung ihrer Vermögen. Die Zahl der identifizierten Milliardäre erreichte 2018 den damaligen Höchststand von 2300. 2019 gab es einen leichten Rückgang. Bis Mitte 2021 ist diese Zahl dann auf 2755 hochgeschnellt – es gab einen Sprung um ein Fünftel binnen knapp zweier Jahre. Dabei konnten die fünf Reichsten der Reichen – Elon Musk (Tesla), Jeff Bezos (Amazon), Bill Gates (Microsoft), Mark Zuckerberg (Facebook) und Bernard Arnault (LVMH – Louis Vuitton, Moët, Hennessy) – im besonderen Maß ihren Reichtum steigern.

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