Das Linksbündnis NUPES, zu dem sich Sozialisten, Kommunisten, Grüne und vor allem die Partei „La France Insoumise“ („Unbeugsames Frankreich“) zusammenfanden, ging am 19. Juni als „moralischer Sieger“ aus den Parlamentswahlen hervor. NUPES selbst wurde erst am 1. Mai gegründet; der Name steht für „Nouvelle Union populaire, écologique et sociale“ („neue ökologische und soziale Volksunion“). Der führende Kopf von NUPES ist Jean-Luc Mélanchon, der allerdings kein Mandat in der Nationalversammlung haben wird. Der NUPES-Sieg besteht zunächst darin, zweitstärkste Kraft im Parlament geworden zu sein. Sodann darin, die Wiedererlangung der absoluten Mehrheit der Macron-Partei „Ensemble“ (zuvor La République en marche) verhindert zu haben. Damit gibt es in der neuen Nationalversammlung für den französischen Präsidenten keine sichere Mehrheit mehr für dessen wichtigste Projekte. So dürfte es im neu zusammengeset zten Parlament keine Mehrheit für die Position geben, Waffen an die ukrainische Regierung zu liefern.
Erstarkte Rechtsextreme
Gefährlich ist ohne Zweifel, dass mit der Wahl am 19.6. die Rechtsextremen um Marine Le Pen in Fraktionsstärke in das französische Parlament einzogen sind. Vergleicht man deren Ergebnis allerdings mit der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vom April, so ergibt sich ein differenziertes Bild. Bei dieser kamen Marine le Pen von der Rassemblement National und der noch weiter rechts stehende Eric Zemmour addiert auf 42 Prozent. In der Nationalversammlung entfallen auf die Rechtsextremen rund 15 Prozent der Sitze. Da Marine Le Pen selbst ein Abgeordnetenmandat errang, dürfte sie das Parlament als Bühne für die Rechtsextremen nutzen. Mélanchon wird sich auf die Gewerkschaften und auf neue außerparlamentarische Bewegungen stützen müssen, wie es solche in jüngeren Jahren mit „Nuit debout“ („Die Nacht über wach bleiben“; 2016) und „gilets jaunes“ (Gelbwesten; ab 2018) und den Massenbewegungen des Klinikpersonals 2020/21 gab.
Unpolitische Jugend?
Nach der Präsidentschaftswahl vom April (Macron erhielt in der zweiten Runde 58 Prozent) und im Vorfeld der ersten Runde der Parlamentswahlen gab es in den französischen Medien dutzende Beiträge, in denen „die Jugend“ als unpolitisch abqualifiziert wurde. Tatsächlich lag die Wahlenthaltung bei den 18- bis 24-Jährigen im ersten Wahlgang bei knapp 70 Prozent. Das liegt auch daran, dass „die Parteien“ in Frankreich ein extrem schlechtes Image haben. Es liegt auch daran, dass bisher zu Recht der Eindruck entstanden war, Wahlen hätten keine tatsächliche Bedeutung mehr; „die da oben“, die selbsternannte Elite, würde ohnehin machen, was sie für richtig hält – auch wenn es gewaltige Massenbewegungen, wie die oben erwähnten gab. Im Übrigen sei die Linke viel zu zersplittert, um für diese Elite eine Herausforderung darzustellen. Das wurde vor allem bei der Präsidentschaftswahl dokumentiert, bei der Sozialisten, Kommunisten und Trot zkisten auf jeweils eigenen Kandidaten bestanden – mit dem Ergebnis, dass am Ende dem mit Abstand aussichtsreichsten Kandidaten auf der Linken, Jean-Luc Mélenchon, ein paar Hunderttausend Stimmen dafür fehlten, in die zweite Runde zu gelangen. Mit der Schaffung des neuen Linksbündnisses NUPES hatte sich die Situation erheblich verändert. Zum ersten Mal seit langem schien es möglich, dass ein sozial ausgerichtetes und antimilitaristisches Bündnis die Mehrheit im Parlament stellen könnte beziehungsweise dass dieses zumindest den aggressiven antisozialen und militaristischen Kurs von Macron ausbremst. Ein Bündnis, das gegen die von Macron geforderte Erhöhung des Renteneintrittsalters, für deutlich höhere Mindestlöhne und für einen Austritt aus der Nato wirbt. Das trug deutlich dazu bei, dass die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang, auch unter den jüngeren Menschen, eine höhere war – und dass es zu einer Verschiebung der Kräfteverh e4ltnisse nach links kam.
Mit Schaum vor dem Mund
Die internationalen Leitmedien sind über die Ergebnisse in Frankreich ausgesprochen beunruhigt. Dies sei „ein Votum für ein anderes System“ (Der Spiegel). Macron sei „abgestraft worden“ (BBC). Macron habe „ein absolutes Debakel erlebt; der Lack ist ab“ und „Hier entsteht ein Sog nach links, der auch uns mitreißen kann“ – so lautete der Kommentar in den ARD-Tagesthemen in der Wahlnacht. Die ARD-Korrespondentin Sabine Rau betonte dabei den Zusammenhang mit der drei Tage vor der Wahl erfolgten Reise Macrons – zusammen mit Olaf Scholz und Mario Draghi – nach Kiew und argumentierte, Macron könne zukünftig nicht mehr in dieser Form „Putin gegenüber treten“. Im Übrigen sei der Ausgang der Wahl insbesondere für die deutsch-französische Zusammenarbeit „brandgefährlich“.