Meldungen aus dem Alltag des systematischen Wahnsinns

Arm durch Pandemie

In den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 fielen laut Weltbank mehr als 100 Millionen Menschen in absolute Armut. Es kam zu einer Trendumkehr beim weltweiten Kampf gegen die Armut. Konkret berichtete die Asiatische Entwicklungsbank, dass in 35 Ländern dieser Region „bis zu 80 Millionen Menschen unter die Grenze der extremen Armut zurückgefallen“ seien. Sie liegt bei 1,90 Dollar am Tag.

Für die Reichsten der Welt waren die beiden Pandemie-Jahre die Phase mit der bislang größten Steigerung ihrer Vermögen. Die Zahl der identifizierten Milliardäre erreichte 2018 den damaligen Höchststand von 2300. 2019 gab es einen leichten Rückgang. Bis Mitte 2021 ist diese Zahl dann auf 2755 hochgeschnellt – es gab einen Sprung um ein Fünftel binnen knapp zweier Jahre. Dabei konnten die fünf Reichsten der Reichen – Elon Musk (Tesla), Jeff Bezos (Amazon), Bill Gates (Microsoft), Mark Zuckerberg (Facebook) und Bernard Arnault (LVMH – Louis Vuitton, Moët, Hennessy) – im besonderen Maß ihren Reichtum steigern.

Reich durch Pandemie (1) · Personen

Reichtum ist immer auch Macht über menschliche Arbeitskraft. Allein die erwähnten fünf Reichsten der Reichen kommandierten im Jahr 2020 direkt über die Arbeitskraft von 1,8 Millionen Menschen. Darüber hinaus sind die meisten Superreichen Vertreter von neuen Wirtschaftszweigen. Diese Branchen wirken vielfach wie ein Stemmeisen, mit dem in den traditionellen Wirtschaftszweigen Strukturen aufgebrochen und dort erreichte soziale Standards wie Tariflöhne, Pausenregelungen, gewerkschaftlicher Organisationsgrad flächendeckend abgesenkt werden. Auf solche Weise ziehen diese Superreichen in enormem Umfang Extraprofite auf sich. Konkret lässt sich das für die Tesla-Fabriken – nicht zuletzt für das neue Tesla-Werk in Grünheide, Brandenburg, und für die Autobranche als Ganzes darstellen (siehe den Artikel hierzu in diesem Heft auf Seite 48).

Reich durch Pandemie (2) · Banken

Im zweiten Jahr der Pandemie fuhren die internationalen Großbanken Rekordgewinne ein. Selbst die Deutsche Bank konnte wieder deutliche Gewinne verbuchen; sie zählt allerdings nicht mehr zu den ganz Großen. Bei den fünf Großen in den USA (Citigroup, Bank of Amerika, Wells Fargo, Morgan Stanley und Goldman Sachs) waren es vor allem die Beratergebühren für Fusionen und Übernahmen, die Rekordgewinne bescherten. Anderswo, so bei der Großbank UBS in der Schweiz, waren die steigenden Vermögen der Superreichen der Treiber. Allein im dritten Quartal 2021 lag der UBS-Gewinn bei 3,2 Milliarden Dollar. Hierzu heißt es, man habe „in der Paradedisziplin Vermögensverwaltung“ den Gewinn in diesem Quartal „um 43 Prozent auf 1,5 Milliarden Dollar“ steigern können. UBS verwaltet Vermögen von Superreichen in einer Höhe von 3,2 Billionen Dollar.

Geld stinkt gelegentlich

„Pecunia non olet – Geld stinkt nicht“, diese Erkenntnis gab es bereits im Römischen Reich. Zunächst war das direkt gemeint, da es unter Kaiser Vespasian (69-79) um eine neu eingeführte Latrinensteuer ging. Im Kapitalismus mit seiner verallgemeinerten Geldwirtschaft sollte die Erkenntnis vom geruchlosen Medium Geld erst recht gelten. Eigentlich. Doch manchmal stinkt ein gewisser Reichtum denen, die mit Reichtum noch mehr Geld machen wollen.

So hat die zweitgrößte Schweizer Bank, Credit Suisse, Ende 2021 den wohlhabenden chinesischen Konzeptkünstler, Dissidenten und Regimekritiker Ai Weiwei gegen dessen Willen „aus dem Kundenstamm entfernt“. Sein seit Jahren bei der Credit Suisse geführtes Konto wurde gekündigt.

Ai Weiwei lebte einige Zeit in Bern und lebt inzwischen in Portugal. Das Institut, das in China stark engagiert ist, geht offensichtlich davon aus, dass die Kritik von Ai an der Regierung der VR China geschäftsschädigend ist.


Pandemie-Jahre mit Rüstungsrekorden

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri meldete im Dezember 2021 im sechsten Jahr in Folge gesteigerte Umsätze der Rüstungsindustrie weltweit – und das in Zeiten der Corona-Pandemie. Die 100 größten Rüstungshersteller verkauften 2020 Waffen und Dienstleistungen im Volumen von 531 Milliarden Dollar. Der Friedenaktivist Jürgen Grässlin kommentierte dies so: „Während in vielen Teilen der Welt Impfstoffe fehlen und deshalb Abertausende Menschen sterben, finanzieren und unterstützen Regierungen ihre Rüstungsindustrie – was für ein Skandal!“ Laut Sipri gehört die deutsche Rüstungsindustrie zu den Gewinnern in Krisen- und Kriegszeiten. Alle vier rein deutschen Firmen konnten ihre Platzierungen im Sipri-Ranking der TOP 100 der rüstungsproduzierenden Unternehmen gegenüber dem Vorjahr verbessern: Rheinmetall stieg von Platz 32 (2019) auf 27 (2020), ThyssenKrupp von 56 auf 55, Krauss-Maffei Wegmann von 71 auf 70 und Hensoldt von 86 auf 78. Mit einem Umsatzplus von über fünf Prozent stieg Rheinmetall in die Top Ten der Unternehmen mit den höchsten Zuwächsen bei Rüstungsverkäufen auf. Zudem sind die transeuropäischen Unternehmen Airbus (von 13 auf 11) und MBDA (von 29 auf 30) mit starker deutscher Beteiligung zu beachten. Sipri erfasst ausschließlich Großwaffensysteme wie Kampfflugzeuge und Kampfpanzer, Militärhelikopter und Kriegsschiffe und deren Bestandteile. Grässlin: „Diese negative Entwicklung ist auch ein Ergebnis der Rüstungsexport-Förderungspolitik der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD. Bleibt die Hoffnung, dass unser Druck auf ein neues Rüstungsexportkontrollgesetz (der Ampelkoalition) hierzulande die Umkehr bewirkt und positive Signalwirkung über Deutschland hinaus haben wird. Wir bleiben wachsam und wirksam!“


Krisenbewältigung in der Pandemie und Inflation

Die Covid-19-Pandemie führte auf Weltebene zu der bislang größten Unterbrechung der gesellschaftlichen Arbeit. Mitte 2020 befanden sich zwei Milliarden Arbeitskräfte in Zwangsurlaub. Im April 2020 gab es beim Welt-Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zu Anfang 2020 eine Kontraktion um ein Fünftel. Das gab es selbst in der Weltwirtschaftskrise 1929-1933 nicht – und erst recht nicht in den Jahren der letzten Weltwirtschaftskrise 2008/2009. Dass es in dieser Zeit nicht zu einem Kollaps des Weltfinanzsystems kam, hat nur eine Ursache: Die Regierenden und die Zentralbanken fluteten die Märkte mit Tausenden Milliarden Dollar und unterstützten die von der Pandemie Betroffenen mit Hunderten Milliarden Dollar. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass allein im Zeitraum März 2020 bis Anfang 2021 staatliche Hilfen in Höhe von 14 Billionen Dollar dafür eingesetzt wurden, um „einen Zusammenbruch des Systems zu verhindern“. Das ist rund das Doppelte dessen, was in der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 an staatlichen Hilfen aufgeboten wurde.

Welche Folgen diese Politik hat, wird kontrovers diskutiert. Der Umschwung von deflationären Tendenzen in deutlich angestiegene Preissteigerungsraten ist in jedem Fall Teil des veränderten Szenarios. Bis November 2021 argumentierten dabei die westlichen Regierungen und die Zentralbankchefs in den USA und in der EU, es handle sich um ein „vorübergehendes Phänomen“. 2022 würde der Geldanstieg wieder rückläufig werden. Ende November überraschte jedoch Jerome Powell, Präsident der US-Notenbank Federal Reserve, mit der Aussage: „Das Risiko einer höheren Inflation hat zugenommen.“ In den USA lag die Inflationsrate im Dezember 2021 bei fünf Prozent. In Deutschland lag sie zu diesem Zeitpunkt bereits über 5 Prozent. Weltweit waren die Inflationsraten Ende 2021 weiter im Anstieg begriffen.


Türkei in tiefer Krise

Die Türkei befindet sich am Jahresende in einer tiefen ökonomischen Krise. Die Inflationsrate hat auch nach offiziellen Angaben die 20-Prozent-Marke überschritten; realistische Schätzungen liegen deutlich höher. Die Preise für Lebensmittel sind nach offiziellen Angaben um 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Die türkische Lira befindet sich im freien Fall. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde von der Ratingagentur Fitch auf „negativ“ herabgestuft. Der staatliche Mindestlohn von monatlich 3577 Lira (Ende 2021 = rund 230 Euro) werde, so das Forschungszentrum der Konföderation progressiver Gewerkschaften der Türkei „zum Durchschnittslohn im Land“. Angesichts von Inflation und Lira-Krise würden „die Löhne der Arbeiterklasse von Tag zu Tag niedriger“. Laut dem Institute of International Finance belaufen sich die Schulden der Türkei in ausländischer Währung mit Stand Jahresmitte 2021 auf 576 Milliarden Dollar. Das en tspricht 80 Prozent des türkischen Bruttoinlandsprodukts. Die Fremdwährungsschulden haben damit eine ähnliche Größenordnung erreicht wie die Lehman-Schulden, die sich 2008 auf 613 Milliarden Dollar beliefen.


Pandemie und Gewalt gegen Frauen

Rund eine Stunde dauerte Ende November die Pressekonferenz der scheidenden Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD) zum Thema „Partnerschaftsgewalt“. In dieser Zeit, so die Ministerin, würden „durchschnittlich 13 Frauen Opfer von Gewalt“, begangen von ihren Partnern oder Ex-Partnern. Alle zweieinhalb Tage wird in Deutschland eine Frau getötet. 2020 gab es in diesem Bereich eine Steigerung von vier Prozent. Der Trend wachsender Partnerschaftsgewalt – in rund 80 Prozent der Fälle sind Frauen die Opfer, in knapp einem Fünftel der Fälle sind Männer betroffen – nimmt seit 2015 ungebremst zu. In absoluten Zahlen wurden 2020 359 Frauen und 101 Männer Opfer solcher Tötungsdelikte. Lambrecht appellierte, bei dem Thema strikt auf die Sprache zu achten: „Wenn ein Partner Gewalt ausübt, ist das keine Tragödie, sondern nichts anderes als ein Gewaltdelikt. Wir müssen da ganz klare Kante zeigen.“

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