eingeblättert globaler lunapark

Der globale Lunapark:
das große Vergnügen
auf wessen Kosten?
das Glitzern der Verkaufsmeilen
Wer kann da noch kaufen?
das Feuerwerk über der Alster, über Hongkong und Sydney
Wer bezahlt, was da funkelt?

Rolf Becker

Klimakrise & Politik-Versagen (1)

Am 16.9. war in der Stuttgarter Zeitung zu lesen: „Die bis zu vier Kilometer dicken Eismassen in der Antarktika galten bisher als weitgehend stabil.“ Inzwischen würden „veränderte Strömungen im Südpolarmeer wärmeres Wasser“ unter die Antarktis schieben: „Sie drohen den größten Eismantel der Welt zu unterspülen, der sich über eine Fläche von der Größe der Vereinigten Staaten ausdehnt.“ Die Eismassen beginnen zu schmelzen. Es drohe ein erheblicher Anstieg des Meeresspiegels. Die Reaktion aus Politik und Wirtschaft: In derselben Zeitung wurde unkommentiert berichtet, es sei ein „Schatz im ewigen Eis entdeckt worden“. Danach lagerten unter dem eben nicht mehr „ewigen Eis“ „Erdöl- und Gasfelder in einem Gesamtumfang von bis zu 500 Milliarden Barrel Hydrogenkarbonaten“, was „fast das Doppelte der in Saudi-Arabien nachgewiesenen Reserven“ sei. Je mehr das Eis schmilzt, desto schneller sollen diese Öl- und Gasquellen von westlichen und von russischen Konzernen erschlossen werden.

Klimakrise & Politik-Versagen (2)

Im vergangenen Sommer wurde europaweit das Wasser knapp. Der Po in Italien – ein Rinnsal. Trinkwassernotstand in vielen Teilen Spaniens; eine bezeichnende Schlagzeile im Münchner Merkur: „Avocados tranken spanische Stauseen leer“. Der Wasserspiegel des Bodensees sank auf ein rekordverdächtig niedriges Niveau; Badegäste mussten in einigen Bodensee-Regionen oft hundert Meter waten, bis das Wasser tief genug zum Schwimmen war. Im Rhein musste die Binnenschifffahrt erstmals in weiten Teilen eingeschränkt werden. Im bayerischen Bad Königshofen erreichten die Zuckerrüben nur noch Tennisballgröße.

Zwei Reaktionen aus Politik und Wirtschaft: 1. Der bayerische Umweltminister entdeckte den Bodensee. Mit einem „neuen Leitungssystem“ werde künftig Bodenseewasser auf von Dürre betroffene landwirtschaftliche Gebiete in Bayern umgeleitet. 2. Auf dem Rhein sollen Spezialschiffe verkehren, die auch bei einer Fahrrinnentiefe von 1,20 Meter fahren können. Erwartet werden Großaufträge zum Bau solcher Spezialschiffe. Die Kohletransporte auf dem Rhein sollen sich aufgrund der Neuorientierung der Energiepolitik „absehbar wohl verdoppeln“ (FAZ, 13.9.).

Klimakrise & Politik-Versagen (3)

Die USA waren in diesem Sommer be-
troffen von einer fatalen Mixtur aus Wald-bränden, Niedrigwasser in Stauseen und Dürreperioden. Der Spiegel: „Rinder, die auf Viehauktionen versteigert werden, landen immer häufiger beim Schlachter statt auf der Wiese. Denn dort wächst kaum noch Gras“ (25.8.). Wenig anders die Lage in Deutschland. Neben einem Foto mit gelben Wiesen hieß es in den Stuttgarter Nachrichten (23.8.): „Egal, wo man hinschaut, ob am Rosensteinpark, vor dem Killesbergturm oder rund um den Egelsee: … Wiesen … haben eine gelbbraune Farbe angenommen.“

Zwei Reaktionen aus Politik und Wirtschaft: 1. Die konservative Mehrheit am Obersten Gericht der USA schränkte im Juli die Befugnisse der Umweltbehörde EPA drastisch ein. Die wollte strengere Vorschriften für Kraftwerke verhängen. Dagegen wehrte sich die Kohleindustrie vor Gericht und gewann. Damit sind selbst die bescheidenen Klimaziele der USA für das Jahr 2030 kaum mehr erreichbar. 2. Die Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart organisierte im September eine „Mobilitätswoche“, mit der „alle Mobilitätsformen gefördert werden“ sollen, also auch der Pkw-Verkehr. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann stellte ein Programm der schwarz-christlichen Landesregierung mit der Bezeichnung „Cleverländ“ vor. Darin wird den Landeskindern erklärt, was bisher noch niemand wusste: Man möge „gering verschmutzte Wäsche nur bei 30 Grad waschen“, den „Dachgepäckständer vom Auto abmontieren“ und „ab 30 in den dritten Gang hochschalten“.

Bewaffnetes Bargeldabheben

Im Libanon bahnt sich eine soziale Explosion an. Die Inflation und der Verfall der Landeswährung sind dramatisch. Das Monatsgehalt eines Unteroffiziers reicht gerade noch für eine Tankfüllung. Es kommt vermehrt zu „bewaffneten Bargeldabhebungen“. Diejenigen, die sich dazu entschließen, werden in der Bevölkerung und in den Medien als Heldinnen und Helden gefeiert.

Der Hintergrund: Im Frühsommer wurden von einem Tag auf den anderen die Dollarguthaben auf allen libanesischen Bankkonten eingefroren. Zuvor hatten Großanleger mit entsprechenden Verbindungen noch Dollarbeträge in Milliarden-Höhe außer Landes geschafft. Alle anderen Menschen, die ihre Ersparnisse wegen des Verfalls der Landeswährung in Dollar angelegt hatten, können seither ihre Spareinlagen nur in begrenzten Mengen abheben – nur in der Landeswährung und zu Phantasiekursen. Währenddessen verfällt der Wert der Landeswährung im Rekordtempo.

Wie sieht eine bewaffnete Bargeldabhebung aus? Mitte September betrat Sali Hafez zusammen mit einer Gruppe von Aktivisten eine Beiruter Bankfiliale. Sie waren mit einer Pistole, die sich am Ende als Spielzeugpistole erwies, und einem Benzinkanister bewaffnet und drohten, die Filiale abzufackeln und den Bankmanager zu erschießen. Ihre Beute waren 13.000 Dollar – ausbezahlt vom Konto von Frau Hafez. Sie verbreitete nach der Tat ein Video und begründete die Aktion damit, dass sie Geld für eine Krebsbehandlung ihrer Schwester benötige. Bisher wurden ein Dutzend solcher Verzweiflungsaktionen bekannt. Die Polizei greift bislang oft nicht ein. Zu groß ist die Unterstützung für Täterinnen und Täter. Es zeichnen sich breiter koordinierte Aktionen dieser Art ab. Eine Organisation mit Namen „Aufschrei der Einleger“ ermutigt alle Kontoinhaber, die „Dinge in die eigenen Hände zu nehmen“ (FAZ, 22.9.).

Krise & Geopolitik – die Beispiele Türkei und Sri Lanka

In unseren letzten beiden Heften berichteten wir über die tiefe Krise mehrerer Länder (z.B. Türkei) und über die Staatspleite von Sri Lanka. Diese Krisen verschärften sich seither erheblich. Die Inflation in der Türkei und auf Sri Lanka liegt jeweils real deutlich über 100 Prozent. In der Türkei beträgt die Arbeitslosenquote offiziell 12 Prozent (real über 20%). Zehntausende junge Leute verlassen das Land; 2021 gingen allein 3000 Ärztinnen und Ärzte für immer ins Ausland. In Sri Lanka stieg die Staatsverschuldung dramatisch an; 2019 lag die Schuldenquote (öffentliche Schulden als Anteil am BIP) bei 82 Prozent, 2022 sind es 118 Prozent – der Großteil davon sind Auslandsschulden mit China als wichtigstem Gläubiger. China sprang bisher nicht als großzügiger Spender ein. Beide Länder betreiben als Ergebnis der Krise eine geopolitische Schaukelpolitik. In Sri Lanka verstärkt sich der Einfluss Indiens als Gegengewicht zum dominanten Gewicht Chinas. Die Türkei liefert zwar hochmoderne Waffen an die Ukraine, vertieft jedoch gleichzeitig die Beziehungen zu Russland – letzteres auch, weil die Türkei bei Energielieferungen zu 80 Prozent von Russland abhängig ist.

Argentinien bald pleite?

Argentinien ist mit einer Bevölkerung von 48 Millionen das drittgrößte Land in Südamerika, gemessen am BIP und der Wirtschaftskraft liegt es auf Rang 2. Das Land ist von einer sich verschärfenden Krise geprägt. Gut 40 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, 22 Millionen Menschen beziehen Sozialhilfe, die Inflation erreichte im August 90 Prozent und das BIP ist rückläufig. Im August wandte sich der neue Wirtschaftsminister Massa an den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der Bitte um Hilfe – unterstützt von Präsident Fernández, aber heftig angegriffen dafür von der politisch einflussreichen Vizepräsidentin Kirchner. Der IWF will einen Kredit in Höhe von 44 Milliarden Dollar bereitstellen – verbunden mit harten Sparauflagen. Die werden noch größere Teile der Bevölkerung in die Armut treiben. Die Gewerkschaften und der linke Flügel der peronistischen Partei mobilisieren gegen den Pakt mit dem IWF. Eine soziale Explosion und die Staatspleite stehen auf der Tagesordnung.

Preiswertes 9-Euro-Ticket & steigende Pkw-Dichte

Für Juni, Juli und August gab es beim 9-Euro-Ticket auf der sozialen und auf der PR-Ebene eine deutlich positive Bilanz. Im Nahverkehr waren es jeweils im Monat rund 15 Millionen zusätzliche Fahrgäste; ein paar Hunderttausend scheinen zum ersten Mal öffentliche Verkehrsmittel genutzt zu haben. Der Verlagerungseffekt von der Straße auf die Schiene war aber gering. Der größte Teil der neuen Fahrten mit Öffis waren zusätzliche Fahrten. Parallel stieg die Pkw-Dichte Monat für Monat: Die absolute Zahl der zugelassenen und fahrbereiten Pkw wächst. Mitte September gab das Statistische Bundesamt bekannt, dass mittlerweile 580 Pkw auf 1000 Menschen kommen, Säuglinge und Ältere eingerechnet. Vor 10 Jahren waren es 517. Besonders stark steigt die Zahl der Zweit- und Drittwagen: 33 Prozent aller Haushalte verfügen über zwei oder mehr Pkw. Erkennbar gibt es einen Zusammenhang mit dem Zustand der öffentlichen Verkehrsmittel. Im rheinland-pfälzischen Landkreis Bingen – mit deutlich unzureichendem ÖPNV – kommen 824 Pkw auf 1000 Einwohner; in Berlin mit einem akzeptablem ÖPNV sind es nur 337.

Es gibt keine erkennbaren parteipolitischen Unterschiede bei der wachsenden Pkw-Dichte. Baden-Württemberg hat seit mehr als einem Jahrzehnt eine grün geführte Landesregierung und einen grünen Verkehrsminister. Das Land ist Spitze bei der Pkw-Dichte: 613 Autos auf 1000 Einwohner. 2011, als erstmals die Grünen den Ministerpräsidenten stellten, lag die Pkw-Dichte noch bei 539. Auch hier gibt es das typische Bild: Je besser der öffentliche Verkehr, desto niedriger die Pkw-Dichte. Im Hohenlohekreis kamen auf 1000 Einwohner 750 Autos. In Heidelberg 388.

Übrigens: Die Zahl der reinen Elektroautos an allen Pkw liegt 2022 bundesweit bei 1,5 Prozent. Das absolute Wachstum der Verbrenner übersteigt deutlich das absolute Wachstum der E-Pkw. 9-Euro-Ticket hin oder her; die Fakten sind hart und fatal: Die vom Verkehr ausgehende Klimabelastung steigt. Ohne harte Maßnahmen gegen den Straßenverkehr gibt es keinen Rückgang der Klimabelastung.