quartalslüge III/MMXXII

„Die Royals sind unpolitisch“

Als Elizabeth II am 8. September starb, bestimmte dieses Ereignis wochenlang die westliche Medienwelt. Dabei wurden immer zwei Aspekte unterstrichen: Erstens, dass die Dame ihren Job als Königin „vorbildlich“ gemacht habe. Zweitens, dass sie, respektive die Royals, die demokratischen Institutionen respektiert und sich aus der Politik herausgehalten hätten. Das Erstere lässt sich mangels einer nachvollziehbaren Beschreibung des Jobs „Königin“ nicht befriedigend beurteilen. Das Zweite ist eine Quartalslüge.

Entspräche es der Wahrheit, dass die britischen Royals eine unpolitische Funktion hätten, wäre es bereits eine grandiose Zeitverschwendung gewesen, dass sich die Queen in den sieben Jahrzehnten ihrer Regentschaft wöchentlich mit der gewählten politischen Führung des Landes traf. Richtig ist, dass der Inhalt der Gespräche zwischen dem Premier respektive der Premierministerin und der Queen strikt vertraulich war und bleibt. Sichtet man die kritische Berichterstattung über die königliche Familie, so lassen sich vier Ebenen herausdestillieren, auf denen der hochpolitische Charakter der Aktivitäten der Royals deutlich wird.

Über dem Gesetz stehend und die Gesetzgebung kontrollierend

Die Royals verstehen sich als über den Gesetzen stehend. Das äußert sich in eher kleinen Dingen; so gilt für sie Straßenverkehrsordnung nur bedingt: Als Prinz Philip 2019 bei einem selbst verschuldeten Unfall in seinem Pkw ohne angelegten Gurt gesichtet wurde, hieß es, der 97jährige habe damit „exakt so gehandelt, wie es der Haltung der königlichen Berater entsprach, die diese bereits vor 50 Jahre eingenommen hatten“. Wesentlich wichtiger: Alle Gesetzesentwürfe werden vor der Befassung im britischen Unterhaus der Königin beziehungsweise inzwischen dem König Charles III vorgelegt. Die Queen (beziehungsweise ihr Sekretär) intervenierten bei mehr als tausend Gesetzesentwürfen; fast immer wurden dann Änderungen im Interesse des Könighauses durchgesetzt.

Die Reste des Empire sichernd

Das britische Empire, das rund 150 Jahre lang die Weltmärkte beherrschte, ist nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Zweifel deutlich geschrumpft. Aufgrund seiner Vergangenheit verfügt es jedoch weiterhin über einen erheblichen Einfluss in Dutzenden Staaten, so vermittelt über den Staatenverbund des Commonwealth mit seinen 56 Mitgliedstaaten und einer addierten Bevölkerung von zwei Milliarden, in dem ehemalige britische Kolonien locker verbunden sind. Und es übt diesen Einfluss aktiv aus – siehe in der Tabelle die Beispiele Neuseeland und Australien.

Die letzte Instanz der bürgerlichen Herrschaft darstellend

Was in bürgerlich-demokratischen Staaten mit dem Ausnahmerecht, mit einem Ermächtigungsgesetz oder mit einem Präsidenten, der auf der Grundlage von (nicht demokratisch legitimierten) Dekreten handelt, erreicht wird, kann in Großbritannien durch das Handeln der Königin oder des Königs bewirkt werden. Als Jeremy Corbyn Labour-Chef war und in Großbritannien ernsthaft die Möglichkeit bestand, dass er auf Basis eines dezidiert linken Programms in demokratischen Wahlen gewählt werden könnte, wurde in der Führung des britischen Militärs ernsthaft darüber diskutiert, dass das Militär in einem solchen Fall sich nicht der Regierung, sondern allein der Queen verpflichtet fühlen würde. Was einem stillen Putsch gleichgekommen wäre. Das Problem wurde dann auf andere Weise aus dem Weg geräumt – mit einer Schmutzkampagne und der Behauptung, Corbyn und seine Leute seien „Antisemiten“. Sein Nachfolger, Keir Starmer, überschlug sich nach dem Tod der Queen in Ergebenheitserklärungen gegenüber der Krone. Als Putsch im Namen der britischen Krone lässt sich auch das bezeichnen, was 1973 passierte, als der „Willy Brandt Australiens“, der Labour-Ministerpräsident Gough Whitlam, per royales Dekret aus London zu Fall gebracht wurde.

In revolutionären Zeiten treu der Konterrevolution dienend

Den mit Abstand engsten Kontakt zu ausländischen Regierungen hielt die königliche Familie zu den absolutistischen Herrschern im Nahen Osten und in Nordafrika. Und dies wiederum in den Jahren nach Beginn des „Arabischen Frühlings“, den massenhaften demokratischen Protesten in Katar, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Bahrein, in Saudi Arabien und in Marokko, Länder, in denen in diesen Jahren die dort herrschenden Despoten in Frage gestellt wurden. Dieser Einfluss zur Stabilisierung dieser Regime wurde im Interesse des gesamten Westens ausgeübt, geht es doch um die fortgesetzt billige Zufuhr von Öl und Gas. Im Zeitraum 2001 bis 2021 dokumentieren diese Politik mehr als 200 Besuche der Royals in diesen despotisch regierten Ländern bzw. Empfänge von Despoten aus dieser Region bei den britischen Royals. Auf eine entsprechende Anfrage der Plattform Declassified UK antwortete ein Sprecher der Queen, alle diese Besuche erfolgten immer „in enger Koordination mit dem Ausschuss ´Königliche Besuche` des Kabinetts des Premiers“. Diese Reisen wurden von den Steuerzahlenden bezahlt. Die Geschenke im Wert von Dutzenden britischen Pfund, die die Queen bei diesen Gelegenheiten erhielt, gingen in ihren Privatbesitz über. Nicht zuletzt ging es bei diesen Treffen um Rüstung und Krieg. Die im Detail bei Declassified UK aufgeführten Besuche und Empfänge der britischen Royals mit den erwähnten Despoten waren meist verbunden mit Aufträgen für neue Rüstungslieferungen des britischen Konzerns BAe, mit Vereinbarungen über militärische Ausbildungen und britische Unterstützung für Kriege, so im Fall des Kriegs, den u.a. Saudi Arabien und die VAE im Jemen führen. Die erwähnte Plattform listet allein im Zeitraum 2011 bis 2020 neue Rüstungsaufträge für BAe aus den genannten Staaten im Wert von 12,5 Milliarden britischen Pfund auf.

Quellen für die Tabelle:

Rassismus: Socialist Party.org.uk vom 12.9.2022 und https://netpol.org/2022/09/19/anti-royal-arrests-the-after-effects/

Royals und Gesetzgebung: https://www.theguardian.com/uk-news/2021/feb/08/queen-lobbied-for-changes-to-three-more-laws-documents-reveal

Australien 1975: Süddeutsche Zeitung vom 14. Juli 2020

Außenpolitik der Royals: Wikipeaks und Declassified UK

Zusammenarbeit mit Nahost-Despoten: außer „Declassifed“ auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Muhammad_bin_Raschid_Al_Maktum

Bröckelndes Commonwealth: Süddeutsche Zeitung vom 30.11.2021

Britische Militärs und Corbyn: https://www.socialistparty.org.uk/articles/101605/12-09-2022/after-the-queens-death-no-basis-for-national-unity-fight-continues-against-cost-of-living-squeeze/

Royale Pkw ohne Sicherheitsgurt-Sensoren: (Britischer) Express vom 25.1.2019