Was uns alles um die Ohren fliegt

Zwei Drittel wünschen sich die Vier-Tage-Woche. Und alle: Frieden

Die vorherrschende Wirtschaftsweise ist dabei, die Grundlagen für menschliches Leben auf der Erde unwiderruflich zu zerstören. Und nein: Es geht nicht darum, dass das Leben der späteren Generationen perspektivisch zerstört wird. Es geht um das Hier und Heute, um die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen in absehbarer Zeit.

Schon richtig: In einer allgemeinen Form schreiben wir Vergleichbares seit Jahrzehnten. Zuletzt schrieb ich vor einem Jahr an dieser Stelle, Niko Paech zitierend, dass es einen „ökosuizidale Überfluß“ geben würde, bei dem gilt: „Entweder wir ändern uns oder wir werden geändert.“ Nun hat sich in den letzten zwölf Monaten diese Perspektive nochmals zugespitzt – so auf den Ebenen Wirtschaftskrise, Krieg und Klimanotstand.

Wir stehen vor einer neuen schweren Wirtschaftskrise. Sie wird Ende dieses Jahres in voller Härte einsetzen und das Jahr 2023 bestimmen. Es wird erneut eine weltweite Krise sein. Sie könnte die Dimension derjenigen von 2008/2009 übertreffen. Unter anderem, weil es einen langen Schwelbrand in der Weltökonomie mit Spekulationsblasen gab, weil China nicht mehr ein stabiler Anker sein wird, weil es weiterhin die Pandemie-bedingten Verwerfung gibt (Stichworte: Lieferketten und mögliche neue Covid-19-Welle im Winter) und weil diese Krise durch die exorbitanten Energiepreissteigerungen und die hohen Inflationsraten verschärft wird.

Wie reagieren die Politik, die Institutionen, die Wirtschaftsverbände darauf? Die Notenbanken begannen einen Wettlauf zur Anhebung der Leitzinsen mit dem abstrakten Ziel, die Inflation auf einen willkürlich bestimmten „Pfad“ zurückzubringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie damit die Krise verschärfen und einen Finanzcrash auslösen, ist beträchtlich. In der Politik und bei den Gewerkschaften erschallt der Ruf nach „Konjunkturpaketen“. Damit sind, solange es keine eindeutig definierten Maßnahmen zu Energiereduktion und zur Förderung erneuerbarer Energien sind, neue massive CO2-Emissionen und noch mehr Klimabelastungen verbunden. Beispiel: Im Saarland freut sich nach dem Teilrückzug von Ford die Landesregierung darüber, dass die Bundeswehr dem Spezialstahl, der bei der Dillinger Hütte hergestellt wird, das Gütesiegel „TL 2350-0000“ verliehen hat, was meint: Panzerstahl. Schließlich „soll die deutsche Rüstungsindustrie jetzt stark wachsen.“1 Wobei diese Stahlproduktion ausgesprochen energieintensiv ist.

Im Ukraine-Krieg erhöht sich in diesen Wochen die Gefahr eines nuklear geführten Kriegs. Russland hat auf die Erfolge der ukrainischen Armee mit einer Teilmobilisierung und mit Pseudoreferenden in den von der russischen Armee besetzten Gebieten reagiert. Vieles spricht dafür, dass die Kreml-Führung ostukrainische Gebiete annektieren und dann Angriffe auf diese als Angriffe auf Russland bezeichnen wird. Putin, Medwedew und andere russische Offizielle haben unmissverständlich erklärt, dass sie in einem solchen Fall den Einsatz von Atomwaffen in Erwägung ziehen.

Wie reagieren die Politiker in Europa, in Washington und in der Ukraine darauf? Einige, eher leiser werdende Stimmen – argumentieren, das sei bekannt und ein Bluff. Ein wachsender Teil der westlichen Politiker und Militärs erklärt jedoch, die Drohung sei ernst zu nehmen. Man werde in einem solchen Fall „hart antworten“. Was heißt, dass man nach einem Einsatz russischer Atomwaffen nukleare Gegenschläge in Erwägung zieht. Die Regierung in Kiew fordert „die westlichen Atommächte“ dazu auf, „geschlossen zu reagieren“, also atomare Gegenschläge der US-amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte ins Auge zu fassen. Ganz allgemein heißt es, man müsse die Waffenlieferungen verstärken, wobei Deutschland schwere Panzer liefern müsse. Vergleichbare Debatten wurden nur im kältesten Kalten Krieg, als „lieber tot als rot“ galt, geführt. Vorschläge, massiv auf Deeskalation und auf eine Verhandlungslösung zu dringen, gibt es inzwischen im Westen fast nirgendwo. Und wenn ein sächsischer CDU-Ministerpräsident Vergleichbares anspricht, wird er mundtot gemacht. Das heißt im Klartext: Man nimmt ernsthaft hin, dass es in Europa zu einem nuklearen Inferno mit dem Tod von Millionen Menschen kommen könnte. Wobei man in Washington, aufgrund der 7000 Kilometer Distanz, und in London, aufgrund der 1000 Kilometer Distanz, dazu neigt, besonders mutig den millionenfachen Tod in Mittel- und Osteuropa ins Auge zu fassen.2

Wir erleben eine Beschleunigung der Klimakrise. Es gab weltweit in den letzten 30 Jahren 27 Klimakonferenzen. Auf jeder wurde beschlossen, dass die CO2-Emissionen gesenkt werden müssen. Nach jeder Konferenz sind sie gestiegen. Das setzt sich derzeit verstärkt fort. Die CO2-Emissionen wachsen 2022 beschleunigt. In diesem Jahr wurde der fossile Sektor (Öl- und Gaskonzerne, Bergbau- und Rohstoffunternehmen und Autoindustrie) enorm gestärkt; die Profite in diesem Bereich explodieren. Die 1,5-Grad-Latte wurde offensichtlich bereits gerissen. Die Gefahr, dass Kipppunkte bereits erreicht sind, ist erheblich. Die Indikatoren für den Klimanotstand – Hitzesommer, Wasserknappheit, Orkane und Taifune –– häufen sich. Ein Drittel Pakistans stand wochenlang unter Wasser.

Wie reagieren die Institutionen und die Politik darauf? Nachdem sich der Präsident der Weltbank, David Malpass, im September erneut als Klimaleugner outete, wurde er gefragt, ob auch nur ein Anteilseigner der Weltbank seinen Rücktritt gefordert hätte. Seine Antwort: „Nein, das tat keiner.“Die Ampel-Regierung handelt so, als bestünde sie ihrerseits aus Klimaleugnern: Steinkohle, Braunkohle, Flüssiggas, Frackinggas – all diese fossilen, das Klima besonders schädigenden Ressourcen werden seit Frühjahr in verstärktem Maß eingesetzt. Die Abhängigkeit von russischen Natur-gasimporten wird ausgetauscht gegen eine langfristige Abhängigkeit von Flüssiggas aus Nahost und vor allem von Fracking-Gas aus den USA.3 Und während die regierenden Marktwirtschaftler einerseits zu Maßnahmen wie Enteignung (Rosneft) oder Verstaatlichung (Uniper) greifen, die an einen Kriegskapitalismus erinnern, werden banale Maßnahmen zur Senkung der Emissionen wie ein Tempolimit erst gar nicht mehr debattiert. Beim Kauf von Millionen elektrischen Heizlüftern gilt dann wieder der „freie Markt“, obgleich deren Einsatz im kommenden Winter die Stromnetze an ihre Belastungsgrenze bringen kann.

Ist dieses Mit-offenen-Augen-ins-Verderben-Rennen Teil unserer DNA? Das mag zu einem gewissen Maß so sein. Es handelt sich jedoch in erster Linie um ein Versagen „der Politik“ im Allgemeinen und der Linken – nicht zuletzt auch der Partei DIE LINKE – im Besonderen. Das letztere betreffend: Am 27. September gab es längliche Medien-Auftritte des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, Mitglied der Partei DIE LINKE, einerseits und des Ko-Fraktionsvorsitzenden der LINKEn im Bundestag, Dietmar Bartsch, andererseits. Bei beiden: Kein Wort zum Tempolimit. Keine Worte zu notwendigen Energieeinsparungen. Kein Wort zur Forderung von Fridays for Future für ein 100 Milliarden-Sonderfonds zur Bekämpfung des Klimanotstands. Und bei beiden ein grummelndes Ja für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Bevölkerung deutlich weiter ist. Diese würde ein überzeugendes Programm zur Bekämpfung der Klimaaufheizung, was ja zugleich ein Programm gegen die drohenden sozialen Verwerfungen der kommenden Wirtschaftskrise sein würde, unterstützen. Laut einer aktuellen Umfrage treten inzwischen 63 Prozent der Bevölkerung für die Einführung der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ein. Weitere 14 Prozent unterstützen dies sogar dann, wenn es Einkommensverluste gibt. Und es sind vor allem die jüngeren, die für deutlich kürzere Arbeitszeiten eintreten. Diese Grundhaltung – weniger Arbeiten – heißt auch, Absage an das Wachstumsdiktat und Zustimmung zur Verteilung vorhandener Arbeit auf andere, was einen Abbau der Sockelarbeitslosigkeit möglich machen würde.4

Vor allem wollen die Menschen drei Dinge: Frieden. Frieden. Frieden.

Anmerkungen:

1 FAZ vom 27. September 2022.

2 Distanz Washington – Berlin = 6711km; Washington – Kiew = 7833km; London – Berlin = 934 km; London – Kiew = 2136 km.

3 2021 wurden aus Russland 147 Mrd. Kubikmeter Gas bezogen (und 82 Mrd. aus Norwegen und 22 Mrd. aus den USA). Für 2026 wird damit gerechnet, dass Deutschland 0 Kubikmeter aus Russland, 111 Mrd. Kubikmeter aus Norwegen, 23 Mrd. Kubikmeter aus Katar und 130 Mrd. Kubikmeter aus den USA bezieht. Nach: FAZ vom 22.9.2022. Die Überschrift lautete: „Große Westverschiebung beim Gas“.

4 Die Umfrage wurde durchgeführt vom Meinungsforschungsunternehmen Yougov im Auftrag des Versicherers HDI. Hier wiedergegeben nach: FAZ vom 27.9.2022. Bei den Arbeitnehmern, die jünger als 40 Jahre sind, wollen 83 Prozent eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, wobei zusätzliche 17 Prozent diese auch dann sich wünschen, wenn dies mit Einkommensverlusten verbunden ist.