Kannibalismus

Die US-amerikanische Philosophin Nancy Fraser ordnet den kapitalistischen Dschungel

Der Kapitalismus ist chancenlos. Das versteht, wer Nancy Frasers Buch „Der Allesfresser“ gelesen hat.

Und man versteht auch, dass das nicht unbedingt eine gute Nachricht ist. Der Kapitalismus zehre in zunehmendem Maße seine eigenen Grundlagen auf, indem er sämtliche gesellschaftlichen und außergesellschaftlichen Bereiche kannibalisiere. Das legt die Autorin auf rund 250 Seiten überzeugend dar. „Cannibal Capitalism“ lautet denn auch der Originaltitel des 2022 erschienenen Werks, das seit März dieses Jahres auf Deutsch vorliegt.

Nancy Fraser, 1947 in Baltimore geboren, ist Professorin an der New School for Social Research in New York. In ihrem jüngsten Buch knüpft sie an Karl Marx und dessen Analyse kapitalistischer Ökonomie an, fasst den Gegenstand aber weiter und unterzieht außerökonomische Bereiche ihrer Betrachtung. Den Kapitalismus nur als eine besondere Wirtschaftsweise zu sehen, reiche nicht aus. Wir müssten uns als „kapitalistische Gesellschaft“ verstehen.

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Vom Kriege

Frieden schaffen, womit?

Das Sterben muss aufhören. Mehr Waffen bedeuten mehr Tote, lautet eine These. Und dennoch hat die Regierung Panzer geschickt, um „die brutalen Invasoren zurückzuschlagen“, wie sie am 22. September in London erklärte. Es war das Jahr 1941.

Den ersten ausgelieferten Panzer taufte die Gattin des sowjetischen Botschafters auf den Namen Stalin. Die weiteren blieben namenlos. Insgesamt lieferten Briten und Kanadier während des Zweiten Weltkrieges 5000, die USA 7000 Panzer an die Sowjetunion – und Lkw, Flugzeuge, Lokomotiven, Frachtschiffe, Reifen, Schienen, Telefone, Verbandskästen.

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Kapitalverkehr im Sozialismus?

Lucas Zeise zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs

Vorbemerkung der LP21-Redaktion: Ist China ein sozialistisches Land oder ist es ein kapitalistisches Land, das von einer kommunistischen Partei regiert wird? In der DKP gibt es seit Jahren, besser Jahrzehnten einen Streit um diese  Frage. Für die Praxis der Partei spielt sie keine unmittelbare Rolle. Aber sehr wohl betrifft er die Zielstellung der Partei, in deren gültigem Programm aus dem Jahr 2006 der Sozialismus als Ziel eindeutig festgehalten wird. Der Parteivorstand der DKP hatte im vergangenen Sommer dazu einen Antrag vorgelegt, der sich gegen antichinesische Propaganda und dagegen wendet, „die VR China als Reich des Bösen darzustellen“. Vom Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist dagegen nicht die Rede. Deshalb befürchten die orthodoxen Sozialismusanhänger in der Partei, dass das Ziel des Sozialismus auf dem Parteitag im März aufgeweicht und damit entsorgt werden soll.

    Einen dieser Orthodoxen, Lucas Zeise, hat es am letzten Tag des vergangenen Jahres erwischt. Zeise schreibt seit mehr als zehn Jahren in jeder Wochenendausgabe der Tageszeitung junge welt eine Kolumne unter dem Titel „Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs“. In der Jahresschlussausgabe schließt er – wenig überraschend – aus der Tatsache, dass es einen hochentwickelten Kapitalmarkt in der VR China gibt, dass es sich in diesem Land um ein kapitalistisches (und keineswegs sozialistisches) Wirtschaftssystem handelt. Für die Chefredaktion der Jungen Welt war diese eher trivial anmutende Wahrheit offensichtlich Grund genug, sie aus dem Blatt zu nehmen. Sie kommt in diesem Jahr ohne diesen Altkolumnisten aus.

Im Folgenden der Text von Lucas Zeise, der den jW-Lesenden vorenthalten wurde.

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Sozialismus 3.0?

Zu Beiträgen von Michael Brie, Frank Deppe und Klaus Dörre

Seit einigen Jahren werden  Überlegungen zu einer etwaigen dritten Welle des Sozialismus angestellt.

2016 veröffentlichte Michael Brie einen knappen Text mit der Überschrift „Die dritte Welle des Sozialismus – eine Skizze“. Die erste datierte er zwischen 1789 und 1917: von der Französischen Revolution mit ihrem allgemeinen Freiheits- und Gleichheitsversprechen über die Konstituierung der Arbeiterbewegung bis zu deren Heranwachsen zu einem Machtfaktor noch in der Opposition. In der zweiten Phase ab 1917 errichteten die Kommunist:innen eine Herrschaftsform, die sie als Diktatur des Proletariats proklamierten, im kapitalistisch verbleibenden Teil der Welt traten Sozialdemokrat:innen in Regierungen ein und verfochten im politischen System die Interessen der Arbeiterklasse ebenso wie die Gewerkschaften in der Ökonomie mit zeitweise beträchtlichem Erfolg. Beide Modelle endeten: im Osten mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, im Westen durch den Sieg eines neuen Marktradikalismus („Neoliberalismus“).

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Grünes Wachstum oder blaues Wunder? Klimapolitik auf dem Prüfstand

Direkt vom Festival, noch mit dem Schlamm von Woodstock an den Hosen, kamen „Crosby, Stills and Nash“ 1969 im New Yorker TV-Studio bei Dick Cavett an, der sie in seine Talkshow eingeladen hatte. In der Sendung erklärte David Crosby, der einzige Weg, die Atmosphäre sauber zu kriegen, wäre, „GM, Ford, Chrysler, 76 Union*, Shell und Standard zu überzeugen, ihr Geschäft aufzugeben.“

Fünf Jahrzehnte später scheinen auch die Funktionäre in Industrie und Ministerien verstanden zu haben, dass der Ausstoß an Kohlenstoffdioxid drastisch reduziert werden muss, wenn der Planet sich nicht weiter aufheizen soll. Doch anders, als David Crosby meinte, brauchen Ford und Shell ihre Produktion deshalb nicht einzustellen, ebenso wenig VW, Mercedes und BASF.

Das versprechen zumindest McKinsey und Anton Hofreiter, aber auch renommierte Institute wie Agora Energiewende und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Produktion müsse nur umweltfreundlich werden. „Grünes Wachstum“ sei der Weg, der nicht allein das Überleben der Menschheit, sondern weiterhin Profite und Beschäftigung garantiere.

Dass aber ein grüner Kapitalismus die Klimakatastrophe verhindern werde, bestreitet die Publizistin Ulrike Herrmann und legt in ihrem jüngsten Buch „Das Ende des Kapitalismus“ dar, warum Wirtschaftswachstum und Klimaschutz unvereinbar sind.

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Kapitalismus mit Drehtüren

Branko Milanović sieht den Kapitalismus auf der Suche zu neuen Ufern

Der aktuelle Zusammenstoß zwischen kapitalistischen Großmächten wird immer wieder mit Begriffen des Kalten Kriegs beschrieben. Das Buch „Kapitalismus global. Über die Zukunft des Systems, das die Welt beherrscht“ des Ökonomen Branko Milanović gibt die Möglichkeit, auch solche Verwerfungen in eine Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung einzuordnen – und zwar so sehr, dass sie im Einzelnen gar nicht mehr erwähnt werden müssen.

Der Autor wurde 1953 in Belgrad geboren, studierte dort Ökonomie und promovierte 1987 über soziale Ungleichheit in Jugoslawien. Später war er leitender Ökonom in der Forschungsabteilung der Weltbank. Schwerpunkt seiner Untersuchungen blieb die Verteilungs-Ungleichheit.

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„Keine Schande, eine ›Schlampe‹ zu sein“

Laurie Pennys Buch zur Sexuellen Revolution

Mit ihrem jüngsten Buch, das im Februar in London erschienen ist und schon einen Monat später auf deutsch vorlag, liefert Laurie Penny ein feministisches Manifest und zugleich eine Charakterstudie der aktuellen gesellschaftspolitischen Verhältnisse, wobei sie vor allem die Entwicklungen in Großbritannien und in den USA in den Blick nimmt.

Die Mittdreißigerin ist eine erfolgreiche Journalistin und bedeutende Feministin. Und sie ist eine brillante Stilistin, deren Texte durch analytische Schärfe und schnoddrige Metaphorik bestechen. Mit Anne Emmert hat ihr der Nautilus-Verlag eine kongeniale Übersetzerin zur Seite gestellt, so dass auch die deutsche Ausgabe eine zündende Lektüre bietet. Wollte man die prägnanten Sätze der „Sexuellen Revolution“ unterstreichen, würde man den Stift wohl gar nicht mehr aus der Hand legen.

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Heile und herrsche

Das deutsche Krankheitswesen

Das deutsche Gesundheitswesen krankt an allen Ecken und Enden und ist daher in Wirklichkeit ein Krankheitswesen. Bernd Hontschik kennt es aus eigener Erfahrung, denn in seinem Berufsleben war er über viele Jahrzehnte praktizierender Chirurg und zudem als Notarzt tätig. Wer die Frankfurter Rundschau liest, kennt seine Gesundheitskolumnen, und die sind stets mit leichter Hand geschrieben, sehr fundiert, nie moralisierend und zuweilen ätzend-kritisch. So auch sein im Mai erschienenes Buch „Heile und herrsche“.

Die Hauptursache für die vom Autor analysierte „gesundheitspolitische Tragödie“ sieht er in der Kommerzialisierung der Medizin. Es geht nicht mehr um die Kranken, sondern nur noch um Krankheiten, vor allem um solche, bei denen die Aussichten auf Heilung gering sind, denn Heilung ist schlecht für das Geschäft. So jedenfalls das Fazit einer Expertise, die der Pharmaindustrie von Goldman Sachs (also von Investmentbankern!) zur Verfügung gestellt worden ist. Als Beispiel wurde ein Medikament gegen Hepatitis C genannt mit Heilungsraten von 90 Prozent, wodurch zwar die Zahl der Neuinfektionen reduziert wird, aber auch Umsatz und Profit. Am besten sind stark ansteigende Krankheitszahlen, wie die durch Covid 19 auf das Tausendfache gestiegenen Umsätze der Impfstoffe produzierenden Firmen zeigen. Die schlimmsten Fälle sind demnach die Gesunden, die sich nur den Gesundheits-Checks unterziehen und keine Medikamente benötigen.

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Taras Bulba: Ein ukrainisches Heldenepos

Russisch oder Ukrainisch? „Ich weiß selbst nicht, welche Seele ich habe“, gestand Gogol, der große russische Dichter.

Nikolai Wassiljewitsch Gogol wurde 1809 in der Ukraine geboren. Im Alter von 19 Jahren ging er nach Sankt Petersburg und etablierte sich allmählich als russisch schreibender Autor. 1835 veröffentlichte er die Erzählung „Taras Bulba“ über einen Vollblut-Kosaken in der Mitte des 17. Jahrhunderts.

„Ukraina“ bedeutet Grenzland und bezeichnete die Region nördlich des Schwarzen Meeres. Es war der westliche Teil des eurasischen Steppengürtels, ein unzugängliches und unbefestigtes Gebiet, über Jahrhunderte umstritten zwischen Polen, Russen und Osmanen. In diesen Steppen lebten Nomaden, darunter Geflüchtete aus dem Kiewer Reich, das Mitte des 13. Jahrhunderts unter dem Mongolensturm zerfiel. Später kamen Geflüchtete aus polnischer und russischer Leibeigenschaft hinzu, die sich ein Leben in der Steppe zutrauten.

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Mission Ein Plädoyer für einen anderen Kapitalismus

„Wir haben uns entschlossen, unser Land noch in diesem Jahrzehnt CO2-neutral zu machen, nicht weil es leicht wäre, sondern gerade weil es schwer ist, weil diese Aufgabe uns helfen wird, unsere besten Energien und Fähigkeiten einzusetzen und zu erproben, weil wir bereit sind, diese Herausforderung anzunehmen und sie nicht widerwillig aufschieben werden und weil wir beabsichtigen, zu gewinnen.“

Diese Rede von Olaf Scholz in der Münchner Allianz-Arena vor 70.000 begeisterten Menschen … Nein, natürlich nicht. – Es sind die Worte von US-Präsident Kennedy, verkündet 1962 im Football-Stadion in Houston, mit dem Unterschied, dass er nicht von CO2-Neutralität sprach, sondern von der Mondlandung.

Und die ist gelungen. Ein für un-möglich gehaltener Erfolg. Welche Ressourcen, welche organisatorischen Maßnahmen und koordinierten Anstrengungen dazu erfordert und geleistet wurden, das hat die italienisch-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato in ihrem jüngsten Buch „Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“ eindrücklich beschrieben.

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