Lucas Zeise zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs
Vorbemerkung der LP21-Redaktion: Ist China ein sozialistisches Land oder ist es ein kapitalistisches Land, das von einer kommunistischen Partei regiert wird? In der DKP gibt es seit Jahren, besser Jahrzehnten einen Streit um diese Frage. Für die Praxis der Partei spielt sie keine unmittelbare Rolle. Aber sehr wohl betrifft er die Zielstellung der Partei, in deren gültigem Programm aus dem Jahr 2006 der Sozialismus als Ziel eindeutig festgehalten wird. Der Parteivorstand der DKP hatte im vergangenen Sommer dazu einen Antrag vorgelegt, der sich gegen antichinesische Propaganda und dagegen wendet, „die VR China als Reich des Bösen darzustellen“. Vom Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist dagegen nicht die Rede. Deshalb befürchten die orthodoxen Sozialismusanhänger in der Partei, dass das Ziel des Sozialismus auf dem Parteitag im März aufgeweicht und damit entsorgt werden soll.
Einen dieser Orthodoxen, Lucas Zeise, hat es am letzten Tag des vergangenen Jahres erwischt. Zeise schreibt seit mehr als zehn Jahren in jeder Wochenendausgabe der Tageszeitung junge welt eine Kolumne unter dem Titel „Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs“. In der Jahresschlussausgabe schließt er – wenig überraschend – aus der Tatsache, dass es einen hochentwickelten Kapitalmarkt in der VR China gibt, dass es sich in diesem Land um ein kapitalistisches (und keineswegs sozialistisches) Wirtschaftssystem handelt. Für die Chefredaktion der Jungen Welt war diese eher trivial anmutende Wahrheit offensichtlich Grund genug, sie aus dem Blatt zu nehmen. Sie kommt in diesem Jahr ohne diesen Altkolumnisten aus.
Im Folgenden der Text von Lucas Zeise, der den jW-Lesenden vorenthalten wurde.
Lucas Zeise
Im realen Sozialismus der DDR gab es Geld. Es gab Scheine und Münzen, die man brauchte, um Güter des täglichen und nicht so alltäglichen Bedarfs einzukaufen. Aber es hatte nicht diese überragende Bedeutung, die es unter unseren heutigen kapitalistischen Bedingungen hat. Der Grund dafür ist offensichtlich und grundsätzlich: Geld konnte nicht zu Kapital werden. Das ist zugleich der Hauptunterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus.
Im Sozialismus gibt es noch Privateigentum. Deshalb gibt es auch Personen, die über mehr Eigentum als andere verfügen. Der Reiche mag einen großen Teil seines Reichtums wie Marx‘ Schatzbildner in Geldform (bei der Sparkasse oder als Scheine in der Truhe) ansammeln, aber er kann diesen Geldreichtum nicht in Kapital verwandeln, um damit jene Selbstvermehrung des Reichtums zu veranstalten, die im Kapitalismus nicht nur möglich, sondern allumfassend ist. Er kann auf dem Arbeitsmarkt keine Arbeitskräfte kaufen, auf dem Waren- und Grundstücksmarkt nicht die Produktionsfabrik, die Maschinen und Rohstoffe einkaufen, die er braucht, und noch weniger auf dem Kapitalmarkt Kredit erhalten, um das Ganze zu finanzieren, oder gar an der Börse schon bestehende Kapitalunternehmen erwerben. Schwierigkeiten überall. Alles streng geregelt, statt über Märkte organisiert.
Die fehlende Fähigkeit des Geldes, als Kapital zu fungieren, war für das internationale Ansehen der Währung sozialistischer Länder von Nachteil. Nur wer produzierte Waren oder Rohstoffe in diesen Ländern erwerben wollte, kaufte am Devisenmarkt Geld dieser Länder ein. Die Nachfrage dafür war entsprechend gering. Wer früher an Rubel oder DDR-Mark kam, weil er vielleicht dorthin Maschinen oder Fischmehl verkauft hatte, versuchte dieses Geld schnell in Dollar oder D-Mark zu wechseln. Sozialistische Währungen waren daher, ähnlich wie die von Entwicklungsländern strukturell unterbewertet. Sich in westlichen Währungen zu verschulden, wie es Rumänien und Polen besonders exzessiv betrieben, war schon deshalb ökonomisch ungünstig und trug zusätzlich zum Niedergang der europäischen sozialistischen Länder bei.
Arbeitskräfte werden zwar auch im Sozialismus eingestellt, um zu arbeiten, aber der Lohn ist politisch festgelegt. Vom Wert einer Arbeitskraft kann keine Rede sein, weil sie keine Ware ist. Produktionsgüter werden zugeteilt statt frei eingekauft. Den für den Kapitalismus zentralen Kapitalmarkt (im höher entwickelten Kapitalismus auch Finanzmarkt genannt) gibt es schon gar nicht. Im Kapitalismus findet dort der Kapitalverkehr in Geldform statt, Kapital strömt von den weniger profitablen Branchen in die profitableren, stützt dort die Investitionstätigkeit und bestimmt damit, in welche Richtung sich die Gesellschaft ökonomisch entwickelt. All diese wunderbaren Dinge kann Geld im Sozialismus nicht. Umgekehrt gilt: Wenn es in einem Land einen entwickelten Kapitalmarkt gibt, wie etwa im heutigen China, kann man daraus schließen, dass es sich um ein kapitalistisches und kein sozialistisches Land handelt.
Kurz, Sozialismus erkennt man daran, dass Geld nicht zu Kapital werden kann.