strichcode

Bilder Schreiben: Während ich am Layout dieses Heftes saß – es war heiß in Köln und ich hatte die Tür des Ladenlokals offen, in dem mein Rechner steht – kam ein Nachbarsjunge rein und sah auf meinem Bildschirm die hier abgebildete Montage. Er kannte das da-Vinci-Bild mit dem rätselhaften Lächeln von Abbildungen und war spürbar irrtiert. „Mama, der Joachim hat der Mona Lisa einen I-Mac anstelle des Kopfes gemacht,“ sagte er zu seiner Mutter.

„Weniger arte, mehr Arbeiter-Illustrierte-Zeitung,“ schreibt Sebastian Gerhardt in seiner Nachbetrachtung über Lunapark21 (siehe Seite 80).

Beide Zitate führen mitten hinein in mein Tun bei Lunapark21. Mit Sebastian setze ich fort: „Es ging mir um die ziemlich schwierige Verbindung zwischen dem Alltag der Leute und einer gründlichen Kritik der kapitalistischen Ökonomie.“

Ich gebe hier einige Überlegungen wieder, die ich vor vier Jahren aufgeschrieben habe:

Fragmentarische Bezüge

„Der Kältestrom der Kritik darf nicht ohne den Wärmestrom der utopischen Zielorientierung bleiben“ (Ernst Bloch).

„Es geht um eine Politisierung der Ästhetik – und nicht umgekehrt“ (Walter Benjamin).

Ein Einfaches schwer zu Machendes

Seit 40 Jahren beteiligt an linker Zeitungsproduktion. Von den Texten zur Gestaltung. Zehntausende bearbeiteter Bilder.

Auswahl, Beschnitt, Positionierung und – Montage:

• aus Not wg. fehlender Bildrechte

• aus surrealistischer Überzeugung

• weil Realitätsauffassung schärfer wird durch Zusammenhangtrennung und Neuzusammensetzung.

Poesie der text-bildlichen Wechselwirkungen.

Fotografieren ist u.a. Realitätsverbiegung und Schaffung neuer Realität. Montage tut gar nicht erst dokumentarisch. Die elektronische Aufzeichnungs-, Bearbeitungs- und Wiedergabetechnik virtualisiert und entrealisiert Abbildung. Kunst ist seit Duchamp und der Durchsetzung der Fotografie als Massenpraxis nicht mehr Abbild, sondern Produktion neuer Realitäten. Die Annahme eines offenen, der Gestaltung großes Gewicht beimessenden Konzepts für Lunapark21 durch das erste Redaktionsplenum öffnete mir den Raum für neue künstlerische Praxis: angewandte Grafik. Lunapark21 hat sich nicht der Geldvermehrung durch Produktion und Verkauf verschrieben. Es geht darum, „die Welt zu verändern“. Dafür wird ein gebundenes Bündel bedruckter Blätter in Umlauf gebracht. Auf diesen Blättern werden textliche und grafische Elemente zu einem, hoffentlich dem gemeinsamen Ziel, dienlichen Ganzen zusammengeführt.

Die grafischen Elemente einzig als Dienerinnen der Texte wären verzichtbar. Sie sind aber offenbar zur Steigerung der Verführungskraft vorgesehen (Verführung zur Aufklärung – ein spannendes Feld verschränkter dialektischer Beziehungen), und bestehen darauf, auch Inhalt zu sein, mit den Texten zu diskutieren, zu streiten und fordern die Texte ihrerseits zu Dienstleistungen heraus.

„Ich bin über 10.000 Jahre alt, und mein Name ist Mensch“(Ton, Steine, Scherben).

„Ich bin das grob entworfene Skizzenbild, des Menschen, den es noch zu malen gilt. Ihr nennt uns Menschen, wartet noch damit“ (Jura Soyfer).

Verbildlichende Vorstellungen haben Pferdefüße, pathetische Metaphern neigen sich schief: Babylon, nicht als Fronbau aus Stein, sondern als Bild der Generation auf Generation stehenden Menschen. Wir sollten anfangen, die Lebenslinien unserer Handflächen zu betrachten, uns gegenseitig zu zeigen und daraus unser Herkommen und Hinwollen zu lesen. Arbeit ist darin und die Freiheit der Entwicklung unserer Hirne. Wir können sie uns reichen, damit schlagen und streicheln, wir können mit ihnen tragen; sie zur Faust ballen, und wenn unsere Lippen und Ohren versagen damit sprechen. Ich bin über 10.000 Jahre alt, und meine erste Sprache formte ich mit meinen Händen.

Wenn ich auch du werde und du ich, können wir uns erinnern an die Spurenelemente des Lebendigen, das im sprachlosen babylonischen Geflüster überliefert ist. Dechiffriert geht das Lied so:

Es ist vorbei mit der Ausbeutung der Natur, vorbei mit der Lohnarbeit, dem Tausch, dem Raub, der Selbstentfremdung, dem Opfer, dem Schuldgefühl, dem Verzicht auf Glück, vorbei mit dem Geldfetischismus, der Macht, der hierarchischen Autorität, der Verachtung und Angst vor der Frau, der Bestechung des Kindes, der intellektuellen Karrierelinie, dem Despotismus von Militär und Polizei, vorbei mit den Religionen, den Ideologien, der Verdrängung und dem tödlichen Abreagieren in ihrem Gefolge.