Mensch-Natur-Verhältnis

historisch-kritisches wörterbuch des marxismus

ist nach Finanzkrise und Kurzarbeit das dritte ausgewählte Stichwort aus der alphabetischen Stichwörtersammlung im Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus (HKWM), das wir im LP21 auszugsweise zitieren. Dieser wiedergegebene Ausschnitt aus dem HKWM enthält mehr als man bei Eingabe des Links: http://www.inkrit.de/e_inkritpedia/e_maincode/doku.php?id=m:mensch-natur-verhaeltnis zum Stichwort Mensch-Natur-Verhältnis findet, aber wesentlich weniger als im Original. Das beginnt genauso, nämlich nach der Begriffsnennung und den Übersetzungen des Stichworts mit einer allgemeinen Definition, die anschließend (unter I.) in weiteren sechs Abschnitten und (unter II.)in drei Abschnitten ausgeführt wird. Daraus ziteren wir hier weitergehend. Im HKWM befindet sich am Ende eines jeden Stichworts eine umfangreiche Bibliographie.

Wer das Original lesen und die Bibliographie haben will, muss nicht das gesamte Wörterbuch kaufen, sondern kann sich jedes einzelne interessierende Stichwort direkt beim Institut für Kritische Theorie (InkritiT) gegen einen geringen Betrag bestellen. Der Bestellvorgang wird auf der Website des InkriT erläutert.

Wer ein weiterführendes Lemma am Ende des Artikels im Internet aufruft, kommt direkt auf die Stichwortseite des InkriT. (JHS)

E: relationship of humans and nature. – F: relation homme-nature. – R: otnošenie ˇ celoveka s prirodoj. – S: relación hombre-naturaleza. – C: rén

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Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (I.), Manfred Bürger (II.)

HKWM 9/I, 2018, Spalten 592-610

I. Das Mensch-Natur-Verhältnis (MNV) ist durch den gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozess vermittelt und bestimmt. Die Menschen sind unaufhebbar in die Natur eingebunden. Sie modifizieren durch die Produktion ihr Verhältnis zur Natur, ihre gesellschaftlichen Organisationsformen wie auch ihre eigene und die sie umgebende Natur.

Die Entwicklung der Produktion schafft nicht nur unermessliche Reichtümer und Abhängigkeiten der arbeitenden Klassen. Die schrittweise Emanzipation der Menschen aus unmittelbaren Naturabhängigkeiten geht zugleich einher mit fortschreitenden Zerstörungen der Umwelt, ihre Lebensgrundlage fortwährend riskanter untergrabend. Indem das kapitalistische Verwertungsregime durch Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen »die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter« (Marx, K I, 23/530), hinterlässt es den kommenden Generationen schier unlösbare Probleme.

II. Der auf der elektronisch-automatischen Produktionsweise basierende Hightech-Kapitalismus (HTK) tritt mit der Vernetzung der Computer zum Internet (ab 1990) in eine Phase der beschleunigten Globalisierung ein. Dabei vollziehen sich auch im Bereich der Mensch-Maschine-Symbiose und damit im MNV insgesamt epochale Umbrüche. In der Forschung wird, von „biovisionären Diskursen“ angefeuert, die „von der Eugenik bis zum Human Enhancement“, der hochtechnologischen Leistungssteigerung des menschlichen Organismus (Heil/Coenen 2013), reichen, die „Konvergenz von Nano-, Bio-, Informations-, Kommunikations- und Neurotechnologien und den zugehörigen Wissenschaften“ (Kehl/Coenen 2016, 41) vorangetrieben. Konnte man die durch die Gentechnologie des 20. Jh. ausgelösten Inwertsetzungsprozesse zu Recht als „Geburt des Biokapitalismus“ fassen (vgl. dazu Argument 242, 2001, H. 4/5), tritt dieser im 21. Jh. in ein neues Entwicklungsstadium und verschränkt sich mit dem, was unbestimmt die ›digitale Revolution‹ genannt wird. Dies hat Umwälzungen des MNV zur Folge. Zur Jahrhundertwende kündigten sie sich in der techno-theologischen Hybris an, die Frank Schirrmacher es zum „Wesen der gegenwärtigen Revolution“ erklären ließ, „dass sie die Urkraft der Evolution, dass sie die Zeit selbst in ihre Hände gelegt bekam“, was der damalige Chef von Incyte Genomics, Roy Whitfield, mit dem Ausruf überbot: „Wir haben hier so etwas wie den Heiligen Gral in der Hand“ (zit.n. Haug 2003, 89). […]

Die Entwicklung lern- und entscheidungsfähiger „Autonomer Intelligenter Systeme“ bzw. „Autonomer Software-Systeme“ vollzieht sich zu Beginn des 21. Jh. sprunghaft. Selbstfahrende Autos und programmierte Strategiespiele (Schach, Go u.a.) machen dies exemplarisch deutlich. […]

Biotechnologien – Mit der CRISPR/Cas-Methode beginnt seit 2012eine neue Epoche der Biotechnologie. Während bis dahin Veränderungen des Genoms „eine Zeit raubende, mühsame“ Arbeit waren (Knox 2016, 5) erlaubt die neue Methode, werbewirksam als „Genom Editing“ oder auch „Genchirurgie“ bezeichnet, schnell und mit geringem apparativem Aufwand, Gene einzufügen oder auszuschneiden. […]

Konzeptionen der MNVe – Gegen die Zerstörung menschlicher und außermenschlicher Natur, die der HTK in globalem Maßstab in Gang setzt, formieren sich unterschiedliche soziale Bewegungen. Die Diskurse bewegen sie zwischen den Polen einer technokratischen Anthropozentrik, die das Privateigentum an Produktionsmitteln ausblendet und meint, durch beschleunigte Technikentwicklung alle Probleme lösen zu können, und einer holistischen Perspektive, die die Eigenständigkeit der Natur betont und eine Neubestimmung der MNVe anstrebt. […]

Anthropozän vs. Kapitalozän – James W. Moore nimmt die 2009 von Andreas Malm vorgeschlagene Bezeichnung „Kapitalozän“ auf. […] Moores Ansatz, die Geschichte des Kapitalismus in Anlehnung an Immanuel Wallersteins Weltsystemanalyse „als Weltökologie von Kapital, Macht und Pro/Reproduktion im Netz des Lebens zu rekonstruieren, wendet sich gegen die Gefahr eines „Grünen Holismus“, der „Unterschiede kollabieren“ lässt, wodurch die Vielschichtigkeit der Krise und die Unmöglichkeit nachhaltiger Produktion im Kapitalismus verkannt wird. [….]

Die ungebrochene Dynamik der Produktivkraftentwicklung im HTK des 21. Jh. zeigt gleichwohl, dass die „geschichtliche Produktivität“ des Kapitalismus noch nicht erschöpft ist (vgl. Haug 2012, 327ff) und führt zur Frage nach alternativen Entwicklungspfaden.

Stichworte / Suchfunktionen:

χ Aufklärung, Automation, Destruktivkräfte, Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, Entfremdung, Erde, Evolution, Exkremente der Produktion, Exterminismus, Fortschritt,


meldungen nerz

Weltmarkt Nerze

Weltweit werden im Jahr 75 Millionen Pelze von Nerzen „produziert“. Das Pech der ca. 40 Zentimeter großen Tiere ist, dass sie ein weiches, wasserabweisendes Fell haben. Und das bringt zwei Milliarden Euro Jahresumsatz. Die Hälfte der Nerzfarmen befindet sich in China. Wichtige Länder mit großen Anlagen sind auch die Niederlande, Spanien, Italien, Tschechien, Polen und Dänemark. Dänemark ist Marktführer in Europa (1600 Farmen und 19 Millionen Nerze). Die Tierschutzorganisation Peta berichtet von „grausamen Haltungsbedingungen der Tiere in der Pelzindustrie: Tausende, zum Teil kranke Wildtiere werden in winzigen, verdreckten Drahtkäfigen gehalten, die dicht aneinandergereiht stehen. Dadurch können sich Viren rasant verbreiten und gefährlich mutieren.“

Nerze & Corona

Im April 2020 wurden erstmals auf einer Nerzfarm in den Niederlanden Nerze mit dem Corona-Virus entdeckt. Im Mai gaben die dortigen Behörden bekannt, dass sich zwei an Covid-19 erkrankte Mitarbeiter „sehr wahrscheinlich bei den Tieren angesteckt“ hätten. Im Juli gab es vergleichbare Vorgänge auf spanischen Nerzfarmen. In Dänemark kam es zeitgleich auf einer Nerzfarm zur Übertragung des Corona-Virus auf Katzen. Im November wurde im gleichen Land festgestellt, dass es bei Nerzen zu einer Mutation des Corona-Virus kam. Hastig wurden 17 Millionen Nerze getötet.

Nerz, Mensch & Seuche

Die Virologin Isabel Eckerle vom Center for Emerging Viral Deseases der Universität Genf zu den Nerzfarmen: „Das [die Nerzfarmen] sind menschengemachte Evolutionsbeschleuniger. So viele Tiere leben normalerweise nicht zusammen auf engem Raum.“ Beim Sprung von SARS-COV-2 auf den Menschen würden „Marder als Zwischenwirte“ diskutiert; denkbar seien damit auch Nerze. Laut Bericht des britischen Independent plant China, „viele Arten wie Nerze und Marderhunde, die als Überträger von Corona-Viren und anderen Erregern in Frage kommen, nicht mehr als Wildtiere einzustufen. Mit dieser Reklassifizierung soll der Handel erleichtert werden.“ Nach: FAZ vom 14.5. und 5.11.2020