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gesundheitssektor – epidemie – krankenschwestern

Nur wenige werden oder können sich an die belgische „Sœur Sourire“ („Die lächelnde Schwester“) und an ihren lebensfrohen Song „Dominique“ aus den 1960er Jahren erinnern, der in der gesamten westlichen Welt ein Hit war. Das heiter-christliche Liedchen überträllerte die Untaten der USA in Vietnam und die Verbrechen der belgischen Kolonialmacht im Kongo (Ermordung von Patrice Lumumba).

Ein gutes halbes Jahrhundert später erleben wir mit den Lobgesängen auf die „Heldinnen der Corona-Krise“ eine vergleichbare Mischung aus Kitsch, Lüge und Betrug. Das Pflegepersonal in den Seniorenheimen und Krankenhäusern erhält, wie damals die singende Nonne, den Beifall, nicht nur der Oberen. Doch die Verhältnisse in den Altenheimen und den Kliniken bleiben trostlos und menschenverachtend. In der Corona-Krise erlebt das Pflegepersonal mehr Stress und sich verschlechternde Arbeitsbedingungen. Das Lunapark21-Spezial zieht eine Bilanz der zweiten Wel le der Epidemie (Seite 31) und berichtet von der Ausnutzung der Krise durch die Herrschenden (Seite 38). Hannes Hofbauer bewertet die Epidemie grundsätzlich anders und betont „Der autoritäre Staat macht sich breit“ (Seite 40). Wir bringen eine Zusammenfassung der hochspannenden Studie von Wolfgang Hien und Hubertus von Schwarzkopf über die „Kranken- und Altenpflege in Corona-Zeiten“ (Seite 43). Marcel van der Linden analysiert die „Weltweiten Veränderungen in einem strategischen Berufsstand zwischen Spanischer Grippe und Corona-Epidemie“ (Seite 48). Das LP21-Spezial wird abgeschlossen von einem Artikel zum Thema „Pflege, Krieg und Euthanasie-Morde“ (Seite 56).

Übrigens, was bei dem Rummel um die „Singende Schwester“ kaum wahrgenommen wurde: Die echte Nonne, die die nebenstehende Abbildung nicht zeigt, verließ das Kloster, bekannte sich zu ihrer lesbischen Liebe, zerbrach jedoch an den Realitäten und wählte den Freitod. Anstelle von Flucht aus dem Leben sollte Widerstand organisiert und geleistet werden, fordern Carl Waßmuth („Krankenhausschließungen gefährden Ihre Gesundheit“, Seite 37) und Jürgen Bönig („Warum Kulturarbeit bezahlt werden sollte“; Seite 41f.).

Den Texten dieses LP21-Spezial stellen wir zwei Foto-Serien sehr unterschiedlicher Herkunft zur Seite: eine Auswahl von Portraits, die der italienische Fotograf und Journalist Alberto Giuliani im Frühjahr 2020 in Krankenhäusern Norditaliens auf dem Höhepunkt der dortigen ersten „Corona-Welle“ aufnahm, sowie eine Auswahl von Standbildern aus dem Fernsehspiel „Schwestern“, das der Autor, Regisseur und Sozialwissenschaftler Klaus Gietinger zusammen mit Susanne Lob 1982 für das ZDF drehte. Für das Fernsehspiel, das sich auf die Spuren von Krankenschwestern durch die Geschichte begab, wurden historische Situationen – zum Beispiel aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg – von Schauspielerinnen und Schauspielern nachgespielt. Bei beiden Fotoserien verzichten wir auf Bildunterschriften (siehe auch Seite 74).