Bandera – mitverantwortlich für Tausende Morde an polnischen und jüdischen Menschen
Der Kiewer Bandera-Prospekt steht symbolisch für Probleme und Fragestellungen ukrainischer nationaler Geschichtsschreibung, deren Wurzeln bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückführen. Stepan Bandera war Antisemit, Nationalist und Faschist.
Für den heutigen ukrainischen Nationalismus ist er vor allem deshalb relevant, weil er als Kämpfer gegen alle auswärtigen Mächte gesehen wird, die jemals der Existenz eines ukrainischen Nationalstaats im Weg gestanden haben. Zu diesem Geschichtsbild gehört auch ein Ignorieren der Beteiligung ukrainischer Nationalisten am Holocaust.
Dafür zeichnet der frühere Direktor des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung Wolodymyr Wjatrowytsch verantwortlich, der auch als Geschichtsminister tituliert wurde. Er gilt als Bandera-Sympathisant und war für die sogenannte Entkommunisierungspolitik verantwortlich. Damit wurden sowjetische Relikte aus dem öffentlichen Raum entfernt und durch nationalistische Namensgebungen ersetzt.
Eine kritische Aufarbeitung der Rolle Banderas lehnt Wjatrowytsch bis heute ab – er ist Parlamentsabgeordneter der Poroschenko-Partei –, weil dies der nationalen Sache schade.
Dennoch waren in den vergangenen Jahren auch kritische Töne zu vernehmen. So entschied ursprünglich ein Kiewer Gericht gegen die Umbenennung des Moskowski Prospekts. Als 2019 mit Wolodymyr Selenskyj erstmals ein Jude zum Staatspräsidenten gewählt wurde, begann auch in der Ukraine eine Aufarbeitung des Holocaust.
Das hatte wohl auch pragmatische Gründe, denn das mit der Ukraine benachbarte Polen hatte sich mit der Bandera-Huldigung nie anfreunden können, im Gegenteil gab es aus Polen immer wieder scharfen Protest dagegen.
Banderas Bedeutung für den ukrainischen Nationalismus
Der 1909 in der zu Galizien gehörenden Satdt Staryj Uhryniw geborene Bandera schloss sich Ende der 1920er Jahre der „Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN)“ an. Diese Organisation bezeichnete sich bereits seit den frühen 1920er Jahren intern als eine faschistische Organisation, trat in der Öffentlichkeit aber zunächst nicht als solche auf. Ihr Ziel war der Aufbau eines unabhängigen ukrainischen Staates, wobei das faschistische Italien Mussolinis als Vorbild für dessen zukünftige Organisationsstruktur herhielt.
Bandera stieg in den Kaderstrukturen der OUN anschließend schnell auf. Er organisierte Attentate und professionalisierte von Polen aus die Organisation, insbesondere deren geheimdienstliche und militärische Strukturen. Für die Ermordung des polnischen Innenministers Bronislaw Pieracki wurde er zum Tode verurteilt, was jedoch zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe abgemildert wurde. In der Haft arbeitete er weiter an der Radikalisierung ukrainischer Zellengenossen im Sinne der OUN-Ideologie. 1938 scheiterte ein Befreiungsversuch durch eine Gruppe ukrainischer Nationalisten. Rechtzeitig zu Beginn des Zweiten Weltkrieges gelang ihm der Ausbruch.
In den folgenden Monaten führte eine Debatte über die strategische Ausrichtung des radikalen ukrainisch-nationalistischen Lagers zu einer Spaltung in einen konservativen (OUN-M) und einen offen antisemitisch-faschistischen Flügel (OUN-B). Bandera wurde der Führer des letzteren. Der Ausruf „Ehre der Ukraine! – Ehre den Helden!“ wurde zum offiziellen Wahlspruch dieser Bewegung. Er war auf dem Maidan oft zu hören und wird im Kontext des ukrainischen Nationalismus heute noch verwendet.
Mit der Eroberung Polens durch deutsche Truppen begann für die OUN-B eine neue Phase. Die Errichtung eines ukrainischen Nationalstaats schien in greifbarer Nähe, die ukrainischen Faschisten hofften dabei auf deutsche Unterstützung. Das NS-Regime baute die OUN-B tatsächlich in seine Angriffspläne gegen die Sowjetunion ein, es entstanden ukrainisch-nationalistische Kampfverbände unter deutscher Aufsicht.
Als diese, politisch von Bandera gesteuerten Verbände nach der Eroberung des Territoriums der heutigen Westukraine zur Gründung eines ukrainischen faschistischen Staates schreiten wollten, griff Berlin ein. Man wollte an der NSDAP-Spitze kein unabhängiges, wenn auch politisch nahestehendes Staatsgebilde in den östlichen eroberten Gebieten tolerieren. Bandera wurde, wie auch andere Führer der ukrainischen Nationalbewegung, verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Dort wurde er als so genannter Ehrenhäftling untergebracht. Somit verbrachte er die folgenden Jahre unter vergleichsweise komfortablen Haftbedingungen.
Trotz der Repressionen gegen die OUN-B Führung setzten deren Aktive vor Ort das antisemitische Programm der Bewegung um. Schon die Ausrufung des ukrainischen Staates Ende Juni 1931 war von antijüdischen Ausschreitungen begleitet, die sich schnell mit der Beteiligung deutscher Truppen zu Pogromen auswuchsen. Während der Haftzeit Banderas wurden auf dem Gebiet der Westukraine rund 800.000 Jüdinnen und Juden ermordet, rund die Hälfte der jüdischen Bevölkerung dort. Die OUN-B-Mordgesellen leisteten als Teil der Polizei ihren Beitrag. Ab 1943 führte die von der OUN-B kontrollierte Ukrainische Aufständische Armee (UPA) außerdem Massenmorde an der polnischen Bevölkerung durch. Zwischen 70.000 und 100.000 Polinnen und Polen wurden ermordet. Bandera, weiterhin inhaftiert, erteilte zu alldem keine direkten Befehle, war aber der ideologische Stichwortgeber für den von der OUN-B geleisteten Beitrag am Genozid.
Im September 1944 wurde Bandera aus dem KZ entlassen. Die Nazis erhofften sich von ihm Unterstützung im Abwehrkampf gegen die Rote Armee, was sich nicht mehr materialisierte. Die UPA führte allerdings in der Ukraine noch einige Zeit einen Partisanenkampf sowohl gegen die Rote Armee als auch gegen die Wehrmacht sowie gegen andere Partisanenverbände.
Ab Herbst 1946 versteckte Bandera sich in München. Dort arbeitete er anfangs mit einer Reihe westlicher Geheimdienste zusammen, darunter der CIA und dem britische MI6. Diesen erschien Bandera aber schnell als unkontrollierbar, auch weil er weiter am faschistischen Gedankengut festhielt und hier nicht kompromissbereit erschien. Nur der deutsche Bundesnachrichtendienst setzte weiter auf Zusammenarbeit. Am 15. Oktober 1959 wurde Bandera von einem KGB-Agenten ermordet.
In den folgenden Jahrzehnten hielten ukrainische Nationalist:innen im Exil die Erinnerung an Bandera wach. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde vor allem in der Westukraine eine Bandera-Gedenkkultur befördert, deren Ausbreitung in die östlichen Landesteile weitgehend erfolglos blieb, da die dortige, mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung sich nicht mit der ukrainischen Nationalerzählung identifizierte. Im Januar 2010 wurde Bandera posthum die Auszeichnung „Held der Ukraine“ von Präsident Wiktor Juschtschenko verliehen. Nach massiven Protesten aus dem Ausland, unter anderem Polen, wurde diese Ehrung 2011 wieder aberkannt.
Nach der Maidan-Bewegung setzte in der Ukraine eine so genannte Entkommunisierungspolitik ein. Sowjetische Straßennamen und Denkmäler wurden durch nationale Symbole ersetzt. Im Mai 2016 erklärte die ukrainische Regierung, seit 2013 bereits 1000 Lenin-Denkmäler entfernt und 700 Straßen, Plätze und Orte umbenannt zu haben. Im Zuge dieser Politik wurde auch der Kiewer Moskowski Prospekt umbenannt – in Stepan-Bandera-Prospekt.
Christian Bunke lebt in Wien. Er betreut die Rubrik „Ort & Zeit“.
Zahlen & Fakten
Was es ist: Eine Hauptstraße, die durch Kiew führt
Vorheriger Name: Moskowski Prospekt
Datum der Umbenennung: 7. Juli 2016
Grund für die Umbenennung: „Entkommunisierung der Ukraine“
Wer Stepan Bandera war: Ein Faschist und Freischärler
Wie man sich an ihn erinnert: Je nach politischem Standpunkt als Nazi-Kollaborateur oder Nationalheld