Ein Hochhaus an der Elbe

Der Bau von Bürotürmen hat in Hamburg eine schlechte Tradition.

Warum ausgerechnet ein rot-grüner Senat mit dem Elbtower an der Spitze der Hafencity eines der höchsten Gebäude in Deutschland an die Elbe stellen wollte und das als ökologisch empfahl, lässt sich nur mit den Interessen der beteiligten Personen und dem Treiben der Investoren erklären.

Um Hochhaus und Brückenpfeiler im Elbgrund sicher zu gründen, hatten Bauingenieure Versuchsbohrungen gemacht und Versuchsfundamente in Övelgönne und am Altonaer Elbufer. Und sie machten die enttäuschende Feststellung, dass Elbgrund und Geestufer kaum tragen würden und Pfählungen bis zu dreißig Meter Tiefe erforderten.

Die Ergebnisse teilten sie 1941 Konstanty Gutschow mit, der 1938 den Wettbewerb über die Gestaltung des Elbufers gewonnen hatte und von Adolf Hitler zum „Architekt des Elbufers“ ernannt, das gesamte Ufer der Elbe von bisherigen Wohnbauten freiräumen und in ein Aufmarschgelände verwandeln sollte, das, von Wirtschaftsbauten gesäumt, zum Gauhochhaus an der Elbe neben der den Fluss überspannenden Hochbrücke führte.

Vom 60. Stockwerk des nach amerikanischen Vorbildern gestalteten Hochhauses sollte in dem mit 250 Metern Höhe alle anderen Gebäude Hamburgs überragenden Gauhochhaus Reichsstatthalter Karl Kaufmann die „Führerstadt“ Hamburg leiten.

Viel später

80 Jahre später, als Gau bereits nicht mehr einen Organisationsbezirk meinte, sondern den Größten Anzunehmenden Unfall, freuten sich drei Männer vor den Wettbewerbsmodellen, dass sie ihrem Wirken mit einem neuen Elbtower ein Denkmal setzen konnten: Der scheidende Baudirektor Jörn Walter, der die auch nach den Plänen Gutschows in die Stadt geschlagene Schneise der Ost-West-Straße am Elbufer nicht zu schließen vermocht hatte, sondern höchstens mit Bäumen zu beschmücken; Olaf Scholz, der als Erster Bürgermeister Hamburgs nur die von seinem Vorgänger Ole von Beust angefangene Elbphilharmonie teuer fertig bauen lassen konnte und Jürgen Bruns-Berentelg, der als Geschäftsführer der HafenCity Hamburg GmbH die Bauplätze der neuen Hafencity so hochpreisig verkaufte, dass die Bauten der Speicherstadt von 1888 entgegen der ursprünglichen Planung hinter den dann immer höher gebauten Büro-Gebäuden nicht mehr zu sehen sind.

Unter dem sonderbaren Titel „Der Wille zur Zukunft“ würdigte im März 2018 die 50. Ausgabe seiner HafenCity News den geschlossenen Wettbewerb, der entschied, welcher Bauherr mit welchem Architekturbüro das an die Norderelbbrücken versetzte (Gau-) Hochhaus nach Beschluss der Bürgerschaft gestalten sollte. Von den eingeladenen acht Büros gewann Signa Invest mit David Chipperfield Architects, die das „vornehme Wahrzeichen“ Hamburgs auf private Rechnung errichten dürfen.

Dem Architekturbüro David Chipperfield war es gerade gelungen, die 2009 privatisierten Gebäude des Stadthauses, dem ehemaligen Sitz der Gestapo in Hamburg, in das Luxuseinkaufszentrum „Stadthöfe“ umzubauen. Dem Investor Signa gehören Immobilien in städtischen Bestlagen, die KaDeWe-Gruppe und die Galeria-Kette zählen zum Portfolio.

Bürostapel aus Platzmangel?

Im Unterschied zum Staatsbau des Gau-Hochhauses solle das in der Ausschreibung 235 Meter, letztlich 245 Meter hohe Gebäude auf 64 Stockwerken 104.000 Quadratmeter Fläche bieten – in einem Sockelgeschoss für ein Hotel, für Freizeit, Einkauf und Vergnügen, darüber „wegen des Lärms“ kein Wohnraum, sondern nur Büroraum, der die entsprechende Gewerbemiete erzielen könnte.

Das Aufeinandertürmen von Büros zu immer größeren Höhen ist nie aus Platzmangel erfolgt. Schon die ersten Wolkenkratzer wurden errichtet, um begehrte und deshalb teure Grundstücke durch aufeinandergetürmte Nutzungen auf gleicher Fläche zu verwerten.

Das fing Ende des 19. Jahrhunderts in Chicago an, in der Ebene am Michigan-See. Bis heute drängeln sich dort Manager in aufgetürmten kleinen Bürokuben, um bei Feierabend durch die vorzugsweise von armen Schwarzen bewohnte Stadt in die sich endlos ausdehnenden Vorstädte zu ihren einstöckigen Wohngebäuden zu fahren und demonstrieren so, dass nicht Mangel an Platz, sondern Mehrnutzung teuren Baugrundes der Grund für den erheblichen technischen Mehraufwand für solche Gebäude ist.

Ökologisch?

Die Entscheidung, Investoren Büroraum aufhäufen zu lassen, unterfüttert mit Einkaufszentren, setzt die unheilvolle verkehrsfördernde Trennung von Wohnen, Arbeiten und Konsumieren fort, die Hamburg bereits mit der Ost-West-Straße eingeleitet hat, die dann ihren Ausdruck im Zwölf-Stunden-Geschäftsviertel City Nord fand und schließlich in der allein durch Gewerbebauten rings um die Autobahn gebauten City Süd.

Weil am Standort des Elbtowers neue S- und U-Bahnstationen mit öffentlichen Mitteln gebaut wurden, sorgt die Konzentration von Gewerberäumen dafür, dass die Arbeitskräfte diese Verkehrsmittel auch nutzen müssen und der Riesenbau nachts leer stehen wird.

Hält das auch?

Als die Entscheidung für die Form dieses reinen Bürobaues 2018 gefallen war, wurde die Bauingenieurin Hatice Kaya-Sandt mit der „sehr herausfordernden Aufgabe“ betraut: die Dimension der Fundamentierung für das nach oben breiter werdende Gebäude an einem Ort zu ermitteln, wo Schmelzwässer der Eiszeit Rinnen in den Grund gefräst und darin in unvorhersehbarer Anordnung Schlick, Ton, Schluff und Sand zu sehr unsicherem Baugrund gehäuft hatten.

Statt, wie bisher in Hamburg üblich, Pfähle von 15 bis 20 Metern Länge zu setzen oder wie für die Hochhäuser in Frankfurt am Main 30 Meter lange, wird der Elbtower auf 63 Pfählen stehen, die zwei Meter Durchmesser haben und bis in 75 Meter Tiefe reichen, umrahmt von 1367 Sockelpfählen von 15 Metern Länge und 60 Zentimeter Durchmesser, die die grundstücksfüllenden Sockelgeschosse tragen.

Für diese Fundamentierung kam einzig die Firma infrage, die bereits die höchsten Gebäude der Welt auf günstigerem Grund fundamentiert hatte – so den 828 hohen Burj Khalifa mit bis zu 50 Meter langen Pfählen in Dubai oder noch tiefer für den auf 1000 Meter Höhe geplanten Jeddah Tower in Saudi-Arabien.

„Der Elbtower gehört zu den anspruchsvollsten Bauwerken der Welt, zumindest unter der Erde.“ Die Zeit, 44/2021

Weil ein solcher Turm in diesem weichen Grund so fundamentiert werden muss, weil an dieser windigsten Ecke Hamburgs der Turm selber immer stärker werdenden Winden ausgesetzt sein wird, weil Fenster und Fassade diesen Belastungen standhalten müssen, weil keine natürliche Belüftung möglich ist, weil alle Personen mit schnellen Liften und auch das Wasser nach oben transportiert werden müssen, wird dieser Büroturm beim Bau und später im Betrieb ein Vielfaches an Energie fressen und für einen entsprechenden CO2-Ausstoß sorgen, als die gleiche Geschossfläche in geringerer Höhe beanspruchen würde.

Zugleich bricht dieser Riesenturm mit einer Tradition der Hansestadt, nicht über eine gewisse Höhe zu bauen und stets die Kirchtürme der Stadt sichtbar bleiben zu lassen. Dem vormaligen Oberbaudirektor Egbert Kossak hätte es das Herz gebrochen, dass der brutale Bruch einer Höhenbeschränkung auf zehn bis elf Stockwerke, der weitere Begehrlichkeiten von Anlegern im Gefolge haben wird, in der Lyrik der Verantwortungslosigkeit als „Rahmung“ und Hinwendung zur Innenstadt verkauft wird.

Wenn dieser Bau den Willen zur Zukunft ausdrückt, wird Hamburg untergehen, und mit ihr die Gesellschaft, die solche unsinnige Gebäudenutzung fordert und mit ihr auch unsere Art zu wohnen, zu arbeiten und zu leben.

Dieser Elbtower sollte einfach nicht gebaut werden.

Jürgen Bönig hat an der benachbarten HafenCity-Universität Bauingenieure, Stadtplaner und Architekten in Soziologie von Gebäuden unterrichtet in einem Neubau mit Außen-Jalousien, die an dieser windigsten Stelle Hamburgs während beinahe jeder Beamer-Präsentation hochfuhren, sobald ein mildes Lüftchen aufkam.