Auf dem Weg zum Weltmarktführer

Chinas Elektroautoindustrie als Katalysator einer globalen Transformation

Der Übergang zu ›grünen‹ und ›digitalen‹ Fahrzeugen bedeutet einen tiefen Bruch in der Entwicklung der globalen Autoindustrie. Etablierte Großkonzerne wie Volkswagen oder Stellantis schließen Fabriken und streichen Tausende Jobs, während Produzenten von Elektroautos und Batterien aus China die Marktführerschaft übernehmen und Werke in Europa und anderen Weltregionen errichten. Chinas Fortschritte werden andernorts als Bedrohung wahrgenommen. Die USA und die EU führten massiv Zölle und andere Beschränkungen gegen die chinesischen Autobauer ein. Wenig ist jedoch über die Lage in China selbst bekannt und wie das Land zum Zentrum einer globalen Umstrukturierung des Kapitals in der Autoindustrie wurde.

Die ›grüne‹ und ›digitale‹ Revolution in der Mobilität erzeugt eine wesentliche Veränderung der überkommenen Industriestrukturen. Neue Produktionszweige wie Batterien und digitale Fahrsysteme wachsen rasch. Das alte Modell der Massenproduktion der Autoindustrie, das sich im Fordismus seit den 1920er Jahren herausbildete und in den 1990ern nach dem Vorbild von Toyota erneuert wurde, wird untergraben. Produktionsnetzwerke und Kapital werden neu zusammengesetzt.

Fahrzeugmontage und Design bleiben ein Kernbereich der Produktion. Doch das Know how der Fahrzeugproduktion ist nicht mehr der Schlüssel zur Kontrolle der Marktzyklen, Zulieferpyramiden und Innovationsprozesse. Die traditionellen Markenfirmen werden von spezialisierten E-Autoproduzenten wie Tesla und BYD herausgefordert, zu deren Kernkompetenzen Batterien und Informationstechnologie zählen, nicht Fahrzeugdesign und Montage.

Batterien und ihre Ausgangsminerale sind Schlüsselkomponenten für Elektroautos, ähnlich wie Mikrochips in IT-Produkten. Die großen Anbieter in diesem Bereich – Panasonic (Japan), SK (Südkorea) und CATL (China) – kontrollieren Technologie und Produktionswissen. Sie haben sich als relativ selbständige Global Player etabliert. Ihre Kernkompetenz ist die Beherrschung der Massenfertigung von Batteriezellen, ergänzt durch die Kontrolle der Bezugsquellen seltener Minerale und der Lieferketten in der Verarbeitung.

Strukturbruch in der Autoindustrie

Antriebsstrang und Fahrsysteme sind klassische Kernbestandteile jedes Autos, doch Elektrifizierung und Digitalisierung ändern die Technologie dieser Bereiche radikal. Sie besteht jetzt aus der Integration hochkomplexer Informationen von Sensoren, Radar, Karten und Software mit fortgeschrittener Mechanik, besonders in den Steuereinheiten. Autobauer kooperieren mit Internetfirmen wie Baidu und Alibaba und führenden Zulieferkonzernen wie Bosch und Continental. Eine einheitliche Struktur hat sich noch nicht herausgebildet, doch es handelt sich um einen Schlüsselbereich der Modularisierung von Produkt und Fertigung.

Die Software der Autos ist heute in komplexen Plattformen integriert, statt an spezifische Funktionen (Einspritzung, Bremsen, Unterhaltung) gebunden zu sein. Große Produzenten wie Tesla sind hier führend. Sie entwickeln neue Produktplattformen, die auch als strategische Schnittstelle zur Erfassung der Nutzerdaten dienen. Traditionelle Autokonzerne unternehmen große Anstrengungen, um Softwarefirmen zu gründen oder anzukaufen, so kooperiert das VW-Softwareunternehmen Cariad mit der chinesischen Firma Horizon Robotics. Zugleich entwickeln große Elektronik- und Telekommunikationskonzerne wie Foxconn und Huawei eigene Systeme, gestützt auf ihre Kompetenzen in der IT, im Cloud Computing und in der Mobilkommunikation, die selbst Marken werden können (›Huawei inside‹).

Ein ähnlicher Integrationsprozess zeigt sich bei Autochips. Die traditionelle Architektur bestand aus spezialisierten Chips für einzelne Geräte, deren Design und Verknüpfung immer komplexer wurde. Die zunehmende Digitalisierung des ganzen Systems in heutigen Modellen befördert die Zusammenfassung von Elementen in komplexen Mikroprozessoren wie schon in Computern oder Smartphones. Die klassischen Produzenten spezialisierter Steuerchips – wie Infineon, STMicroelectronics und Renesas – werden von Entwicklern hochintegrierter Prozessoren wie Qualcomm und Nvidia und Auftragsfertigern wie TSMC unter Druck gesetzt. Auch einige große Automobilzulieferer wie Bosch könnten hier künftig eine Rolle spielen.

Im traditionellen Fahrzeugbau waren die Möglichkeiten für Auftragsfertigung begrenzt. Die Entkopplung der Kernkompetenz in Fahrzeugentwurf und -fertigung von den strategischen Komponenten digitalisierter und »grüner« Fahrzeuge eröffnet neue Wege. Die zunehmende Modularisierung der Fahrzeuge ermöglicht die Endmontage ohne genaue Kenntnis der Komponenten und ihres Entwurfs, ähnlich wie in der Elektronikindustrie. Gleichzeitig wird das Management komplexer Beschaffungs- und Lieferprozesse eine Schlüsselaufgabe der Fertigung, getrieben von kürzeren Produktzyklen und begrenzten Gewinnmargen. Auftragsfertiger der Elektronikindustrie wie Foxconn werden zu neuen Konkurrenten in der Fahrzeugproduktion, bis hin zur Entwicklung eigener Plattformen für Autos und Softwaresysteme.

Die Entwicklung ähnelt dem Wandel in der Elektronikindustrie in den neunziger Jahren, während der PC- und Internet-Revolution, die von Chip- und Softwarefirmen wie Microsoft mit seinem Betriebssystem Windows und Intel angeführt wurde (»Wintel-System«). Charakteristisch war die Herausbildung einer verteilten Fertigungsstruktur, in der die Hauptkomponenten der Hard- und Software nicht von traditionellen integrierten Elektronik-Konzernen wie IBM oder Siemens, sondern von hochspezialisierten Firmen entwickelt und produziert wurden.

China: Wo sich das globale Kapital neu aufstellt

Die Transformation der Autoindustrie bringt eine neue Branchenstruktur hervor, in der Fertigung und Entwicklung nicht mehr exklusiv von den traditionellen Autobauern kontrolliert werden. Der Strukturwandel in der IT-Industrie ging vom Silicon Valley aus. Heute werden wesentliche Zweige der Industrie von Akteuren aus Schwellenländern geführt, insbesondere aus China. Dabei sind es nicht länger Joint Ventures zwischen chinesischen Staatsbetrieben und globalen Marken, die die Entwicklung treiben. Die neuen Akteure sind meist private Firmen und jenseits der bisherigen Zentren der Autoproduktion zu finden. Die meisten entstanden als Start-ups mit wenig oder gar keiner Erfahrung in der Fahrzeugproduktion. Firmen wie Nio, Li Auto und Xpeng wurden von Finanzinvestoren gegründet. Ihre Produktion erfolgt bei Auftragsfertigern oder über Joint Ventures mit kleineren chinesischen Autobauern. Ihre technologische Kompetenz besteht in systemkritischen Bereichen wie digitalen Fahrsystem en.

Der aktuelle Weltmarktführer in der Produktion von Elektroautos, BYD, entstand als Produzent von Lithiumbatterien für Computer und Smartphones im südchinesischen Elektronikzentrum um Shenzhen. Die Firma wurde Auftragsfertiger für Huawei und andere große Marken. Sie beschreibt sich selbst als neues Energieunternehmen, mit Batterien als Kerngeschäft und weitreichenden integrierten Anwendungen wie smarte Netze, Solarenergie, städtische und industrielle Stromversorgung, öffentlicher Verkehr und Autos. Die Autoproduktion prägt heute das Bild des Unternehmens, wurde aber erst spät zum Portfolio der Anwendungen der BYD-Batterien hinzugefügt. Inzwischen behindert die erfolgreiche Autoproduktion von BYD das Geschäft als Zulieferer von Batterien für andere Autohersteller; ein Konflikt, der durch den Aufstieg von CATL und anderen spezialisierten chinesischen Batterieproduzenten verschärft wird.

Der Umbau der Produktionsketten beginnt erst, hat aber schon zu einem raschen Wandel der Zulieferstrukturen der Autoindustrie geführt. Es geht nicht nur um neue Wertschöpfungsketten. Die entstehende Branchenstruktur kann neue, eigenständige Innovationssysteme um zentrale Hard- und Softwareprodukte schaffen. In der IT-Industrie ist dies der Kern des Wintel-Modells der Produktion und Innovation. Ob und wie die Elektroautoindustrie weiter einem solchen Weg folgt, hängt von vielen Umständen ab, auch von der Wirtschafts- und Geopolitik.

Vorbild Foxconn?

In Industrieländern wird die Umstellung auf Elektromobilität als Gefahr für die Jobs in der bestehenden Autoindustrie wahrgenommen. Es werden absehbar weniger Beschäftigte gebraucht und die traditionellen mechanischen Fähigkeiten von Produktionsarbeitern und Ingenieuren werden entwertet. In China gibt es kaum solche Debatten über Arbeit und Beschäftigung, da die Elektroautoproduktion umfangreiches Wachstum und Wettbewerbsvorteile für die chinesischen Produzenten verheißt. Aber auch hier verfolgen Arbeitsforscher kritisch den Wechsel des Beschäftigungswachstums hin zu schlechter bezahlten Industriebereichen.

Das bisherige Produktionsregime der großen Joint Ventures kombiniert die Praxis der alten globalen Marktführer mit dem parteizentrierten Managementsystem ihrer chinesischen Partner. Löhne und Arbeitsbedingungen sind relativ gut, mit hohen Grundlöhnen und stabilen Karrierewegen, wobei die meisten dieser Jobs nur Bewohnern der jeweiligen Städte offenstehen, nicht Wanderarbeitern. Der aktuelle Umbau der Produktionsnetzwerke setzt dieses Modell zunehmender Konkurrenz von neuen Elektroauto- und Elektronikfirmen aus. Bisher haben die meisten Autobauer die Herstellung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen in ihre bestehenden Produktionssysteme integriert. Doch Multis wie VW und Stellantis kooperieren zunehmend mit neuen Herstellern von Elektroautos mit geringeren Löhnen und flexiblerer Belegschaft.

Die Joint Ventures stehen vor einer Welle von Entlassungen. So hat VW 1400 Beschäftigte in Foshan, Südchina, einem der großen Werke für Elektroautos, entlassen und wird eine große Fabrik in Nanjing schließen. Die Joint Ventures von Toyota und Honda mit Guangzhou Automobile haben Hunderte von Jobs gestrichen. General Motors, Ford und Hyundai kündigen Entlassungen in anderen Zentren der Autoindustrie an, insbesondere in Shanghai. Auch die traditionellen Zulieferer schrumpfen, weil die Fabriken nicht einfach auf E-Autokomponenten wechseln können.

Andererseits bauen Elektroautoproduzenten und Batteriefertiger große Produktionssysteme auf, mit größerer Flexibilität gegenüber den Zulieferern und den Belegschaften. Die Löhne sind hier wesentlich niedriger: Facharbeiter in den Joint Ventures kommen auf umgerechnet etwa 9 Dollar Dollar pro Stunde, bei unabhängigen Produzenten wie Geely oder BYD sind es 4 bis 4,50 Dollar. Letztere Firmen beschäftigen viele Techniker und Ingenieure, meist von chinesischen Schulen und Universitäten. Auch deren Gehälter liegen niedriger als die ihrer Kollelg:innen bei den großen Joint Ventures, sind aber angesichts des Fachkräftemangels zuletzt gestiegen.

Die Hochleistungsregimes der neuen Anbieter sind Vorbildern in Südkorea, Taiwan und den USA nachgebildet. Die Arbeitsbedingungen sind vergleichsweise gut und genügen in der Regel den gesetzlichen und sonstigen Vorschriften. Doch die Löhne sind stark leistungsabhängig mit geringen Grundlöhnen, üblicherweise weniger als 50 Prozent des Monatseinkommens. Produktionsarbeiter, darunter viele Wanderarbeiter, müssen Überstunden machen, um über die Runden zu kommen. 

Die Arbeit bei den chinesischen Produzenten von Elektroautos ist viel weniger automatisiert als bei den globalen Marktführern oder den Joint Ventures in China. Sie beschäftigen große Belegschaften in Industrieparks, ähnlich wie Elektronikfirmen. Zum Beispiel konzentrierte BYD 2018 seine Fahrzeugfertigung in zwei Komplexen nahe Shenzhen, mit einer Belegschaft von mehr als 20.000 im einen und mehr als 70.000 im anderen Werk. Der gegenwärtige Boom führte zu umfangreichen Einstellungen. Die Firma hat große Industrieparks in Zentral- und Westchina errichtet und die Belegschaft zwischen 2019 und 2023 von 474.000 auf 900.000 vergrößert.

Herausforderungen für Gewerkschaften

Neben den alten und neuen Autoherstellern spielen Auf-tragsfertiger wie Foxconn eine große Rolle in den Zulieferketten. Diese Firmen sind bekannt für ihre schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Löhne, selbst nach chinesischen Standards. Ihre Werke, mit 100.000 oder mehr Beschäftigten, laufen unter einem Regime flexibler Arbeitsverhältnisse, das eng mit dem spezifisch chinesischen System der Binnenmigration verbunden ist. Seine Grundlage ist die umfangreiche Beschäftigung von ländlichen Wanderarbeitern in industriellen Zentren. Die Grundlöhne liegen für gewöhnlich beim lokalen Mindestlohn, und die Beschäftigten müssen massiv Überstunden fahren, oft über die legalen Grenzen hinaus. Die Arbeitsabläufe sind extrem zergliedert und dequalifiziert, um Massenanwerbung wie Massenentlassungen je nach Marktlage zu ermöglichen. Die Arbeitenden sind meist in Wohnheimen untergebracht, manche davon mit sehr schlechten Bedingungen.

Gute Arbeit in der Fertigung ist zentral, wenn die Produktion von Elektroautos nachhaltig werden und ein »gerechter Übergang« gelingen soll. In entwickelten Industrieländern genauso wie in China sind die Gewerkschaften dabei entscheidende Akteure. Sie müssen branchenweit Perspektiven entwickeln, für sichere Arbeit, ökologische und Sicherheitsstandards. Das Beispiel China zeigt, wie sich die Produktion von Elektrofahrzeugen als ein hochdifferenzierter Sektor, mit verschiedenen Typen von Firmen und Spezialisierungen und einem hohen Grad lokaler Konzentration entwickelt. Solch eine Umgebung schafft Bedingungen für eine branchenweite Organisierung, Tarifverhandlungen und Betriebspolitik.

Dabei müssen die gewerkschaftlichen Strategien über den Schutz der Interessen der Marktführer und ihrer Kernbelegschaften hinausgehen. Die Gewerkschaften müssen neue Ziele definieren, die Beschäftigte in der Batteriefertigung und entlang der globalen Wertschöpfungsketten einschließen: den Bergbau, die Materialgewinnung genauso wie den Recyclingsektor. Die Industriegewerkschaften sollten eine Politik fordern, die Vielfalt in der Batterieproduktion ermöglicht, statt eines globalen Konkurrenzkampfes, in dem Megafabriken staatlich subventioniert werden.

Die aktuelle Politik in Europa und den USA unterstützt unter dem Slogan sicherer Lieferketten eine Aufholjagd. Sie setzt nicht auf eine vielfältige industrielle Entwicklung, die dem entstehenden Oligopol von globalen Batterieproduzenten und Autobauern etwas entgegensetzen könnte. In Anbetracht der zentralen Position Chinas und anderer Schwellenländer in Produktion und Entwicklung sind jedoch Abkopplung und Protektionismus für Beschäftigte und Gewerkschaften weder möglich noch sinnvoll.

Der Einfluss der Belegschaften und Gewerkschaften in der chinesischen E-Autoproduktion ist schwach. Im globalen Vergleich ist dies allerdings eher die Regel als die Ausnahme. Die chinesischen Gewerkschaften mobilisieren nicht. Die Arbeitsbeziehungen werden vom Staat dominiert. Branchengewerkschaften in Nordamerika und Europa können jedoch die Organisierung der Beschäftigten in neuen Batteriefabriken in China und Südkorea unterstützen. Die Gewerkschaften sollten die Zusammenarbeit mit chinesischen Gewerkschaften, mit Behörden, Firmen und relevanten Organisationen suchen. Die Überwachung der Lieferketten multinationaler Fahrzeughersteller durch Beteiligte und Betroffene kann kritisches Bewusstsein schaffen und Verständigung befördern, wenn sie auf die selbständige Teilhabe der Beschäftigten gestützt ist.

Boy Lüthje ist Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main und emeritierter Professor der Sun Yat-sen University und der South China University of Technology. Er lebt und arbeitet in Guangzhou, China.

Quellen: Lüthje, B., Hürtgen, S., Pawlicki, P., & Sproll, M. (2013). From Silicon Valley to Shenzhen – Global production and work in the IT-industry, Rowman and Littlefield.// Lüthje, B., & Tian, M. (2015). China’s automotive industry: Structural impediments to socio-economic rebalancing. International Journal of Automotive Technology and Management, 15(3), 244–267.//Lüthje, B. (2022). Foxconnisation of automobile manufacturing? Production networks and regimes of production in the electric vehicle industry in China. In C. Teipen, P. Dünhaupt, H. Herr & F. Mehl (Eds.), Economic and social upgrading in global value chains (pp. 311-334). Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-030-87320-2_12 // Lüthje, B., Wu, D., & Zhao, W. (2023). China’s auto industry: Regimes of production and industrial policy in the age of electric cars. International Journal of Automotive Technology and Management, 23(1), 80–98.