LP21-Extra: Privatisierungen

 LP21-Extra:

Privatisierung, PPP, ÖPP – ein immer subtilerer Raubzug // Die Privatisierung von Schulen // Privatisierung im Verkehrssektor // Privatisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen // Gegenwehr

Hier veröffentlichte Artikel:

Privatisierung, PPP, ÖPP – ein immer subtilerer Raubzug

ÖPP-Pleite mit Ansage – der exemplarische Fall A1 mobil

Warum Staat und Eigentum getrennt werden müssen

Starke Stadt für alle!

Boden: Erbbau als Deus exmachina?

Wider das neoliberale Märchen „ÖPP macht Politik wieder handlungsfähig“

Die Privatisierung von Schulen

Schule mit beschränkter Haftung

ÖPP macht Schule (teuer) …

Das Beispiel Frankfurt am Main

Versteckspielen mit dem Bürger

Der Autobahn-Krimi: So geht Privatisierung

Liebe Leserin, Lieber Leser,

rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland sind gegen weitere Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten hinreichend über privatisierte Infrastrukturen und Gemeingüter geärgert. So viel, dass sie sogar den mühsamen Kampf für Rekommunalisierungen nicht scheuen. Wer nun aber glaubt, das Thema Privatisierung sei damit vom Tisch, irrt. Mit dem in den Jahren 2014/15 von der sogenannten Fratzscher-Kommission entwickelten Instrumentarium wurde den Regierungen in Bund und Ländern ein Privatisierungsleitfaden an die Hand gegeben, der jetzt abgearbeitet wird. Er gleicht einer Bedienungsanleitung für einen Privatisierungsmotor. Wie dieser Motor an Fahrt aufnimmt, davon berichtet das vorliegende Lunapark21- Extra-Heft, das in Kooperation mit den Aktivistinnen und Aktivisten des privatisierungskritischen Netzwerks Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) entstand. Bereits 2011 gab es ein Lunapark21-Extra-Heft (Nr.4 ) zu diesem Thema, damals in Kooperation mit der österreichischen Dienstleistungsgewerkschaft vida.

Angesichts des Gegenwindes aus der Bevölkerung müssen Politikerinnen und Politiker derzeit geschickt zu Werke gehen, wenn sie neuen Privatisierungen den Weg bahnen wollen. Dabei spielen Sprachregelungen eine Rolle, aber auch die Propagierung scheinbar alternativloser Lösungen. Daher gilt: Wer Privatisierung verhindern will, muss auch gegen ein Verwischen der Begriffe vorgehen. In fünf Themen- Blöcken stellen sich auf den nachfolgenden 70 Seiten die Autorinnen und Autoren der Aufgabe, das gesamte Spektrum der aktuellen Privatisierungsoffensive einschließlich des Widerstands dagegen darzustellen.

Denn, was ist heute überhaupt eine Privatisierung? Was für Sie und uns klar ist, scheint für Politikerinnen und Politiker ein weites Feld, in dem man sich der Verantwortung wunderbar entziehen kann. „Das ist keine Privatisierung“ – diesen Satz schleudert beispielsweise die rot-rotgrüne Regierung in Berlin derzeit allen Engagierten entgegen, die die Übertragung von Schulgebäuden und -grundstücken an eine GmbH unter dem Dach der Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE verhindern wollen. Die HOWOGE sei doch ein kommunales Unternehmen. Mit dieser Übertragung findet jedoch eine Rechtsform-Privatisierung statt. Es handelt sich um eine von drei Privatisierungsformen: eine formelle Privatisierung. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Deutsche Bahn AG. Weitere Privatisierungsformen sind die funktionale und die materielle Privatisierung. Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) zählen zu den funktionalen Privatisierungen. Bei ÖPP bleibt das Eigentum öffentlich, aber das Geld für die Daseinsvorsorge fließt in die Renditen der privaten „Partner“ und der finanzierenden Banken. So wie bei der A1, wie bei den Schulen im Landkreis Offenbach oder wie bei der Elbphilharmonie Hamburg.Unter materielle Privatisierung fällt schließlich der (Teil-)Verkauf. Beispiele dafür sind: Post, Telekom, Stadtwerke, Wasserbetriebe oder die von der Treuhand verkauften Unternehmen und Liegenschaften.

Jede Privatisierung ist schädlich für die Allgemeinheit. Egal mit welcher Privatisierungsform begonnen wird, immer folgt die Talfahrt. Am Ende ist regelmäßig die Infrastruktur kaputt, ein Großteil der Beschäftigten entlassen, die Kosten sind höher als geplant und Steuergelder werden in großem Maßstab verpulvert. Da helfen auch nicht die vielbeschworenen Privatisierungsbremsen. Wenn im Zuge der im Juni 2017 beschlossenen Grundgesetzänderungen zur Gründung der Autobahn-GmbH beispielsweise mit in die Gesetzgebung einfloss, dass kein ÖPP-Autobahnprojekt länger als 100 Kilometer sein darf und Politikerinnen und Politiker dies als großartige Privatisierungsbremse feiern, muss man wissen: Alle bisher in Deutschland realisierten ÖPP-Vorhaben betrafen kürzere Streckenabschnitte. So wird aus einer Privatisierungsbremse eine Zierbremse.

Ähnlich fatal: die Schuldenbremse, die der öffentlichen Hand ab 2020 eine Nettokreditaufnahme im Wesentlichen verbietet. Statt angesichts des Sanierungsstaus über eine Erhöhung der Einnahmen (zum Beispiel finanziert mit einer Vermögens- oder Erbschaftsteuer) oder über eine Umschichtung von Ausgaben (weniger Ausgaben für Rüstung und Diesel- und Kerosin-Subventionen, mehr Ausgaben für Infrastrukturerhalt) nachzudenken, stecken Politiker und Politikerinnen ihre Energie in die Schaffung von Parallelstrukturen. Sie lagern staatliche Aufgaben und Gemeingüter in privatrechtliche Infrastrukturgesellschaften aus (Autobahn-GmbH, Schul-GmbH), um die Schuldenbremse zu umgehen. So entstehen Schattenhaushalte. Das Vorgehen wird als unausweichlich präsentiert.

Aber Demokratie darf sich nicht erpressen lassen! Erhalt und Ausbau der Daseinsvorsorge sind Kernaufgabe von Staat und Politik.

Carl Waßmuth

Katrin Kusche

Winfried Wolf

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