Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus (HKWM)

Neue LP21-Rubrik in Kooperation mit dem Berliner Institut für Kritische Theorie

1983 wurde das Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus (HKWM), anlässlich des hundertsten Todestages von Karl Marx, von Wolfgang Fritz Haug ins Leben gerufen. Von dieser Ausgabe an werden wir in Lunapark21 – abgesprochen mit den Verantwortlichen dieses beeindruckenden Projekts – regelmäßig ein Stichwort aus diesem Wörterbuch aufgreifen und in einem Auszug dokumentieren. Wir werden dabei auf die Quelle hinweisen und dazu einige ergänzende aktuelle Kurznachrichten bringen.

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Tempowahn und Eisenbahn

Bündnis für den Widerstand gegen Schädigungen jeglicher Art – Alliance pour l´opposition à toutes les nuisances*

Die Bewegungsfreiheit war als Freizügigkeit einer der wichtigsten Gründe für den Umsturz despotischer Regime. Doch am Ende sind es nun die Waren, die Bewegungsfreiheit genießen, während die Menschen, zu zahlenden Handelsgütern degradiert, von einer Ausbeutungsstätte zur anderen transportiert werden. Das Befreiungsversprechen hat sich am Ende in die bedauerliche Gewissheit verkehrt, nirgend mehr zu Hause zu sein und sich ständig auf die Suche nach sich selbst machen zu müssen. Der [französische Hochgeschwindigkeitszug] TGV entspricht diesem letzten Stadium. Es liegt tatsächlich eine gewisse Logik darin, eine Landschaft so schnell wie möglich zu durchqueren, wenn daraus beinahe alles verschwunden ist, was es wert war, dort zu verweilen, und wenn deren parodistische Nachbildung jederzeit im Euro-Disneyland [sic!] konsumiert werden kann, das zweckmäßig an einem Hauptknotenpunkt des Streckennetzes platziert wurde.

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meldungen & ansprachen

Corona & Capital

Am 23. Februar schickte Giorgio Armani seine Models ohne Gäste auf die Laufstege. „Keiner unserer wertvollen Gäste soll ein Risiko eingehen“, so der Firmen-Boss. Die Gäste aus China sagten ihr Kommen zur Maländer Modemesse eine Woche vorher ab. Kein Problem, man kann auch aus dem Corona-Virus Kapital schlagen: Vor pechschwarzen Wänden das Défilé von wenig Textil und viel Haut – das Streaming live in Peking und Schanghai zu sehen. Heidi Klum ließ 2018 ihre Models durch einen Gefängnishof nach Art von Guantánamo stolzieren – hinter dem Gitterzaun geifernde orange gekleidete Gefangene. The show must go on…

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quartalslüge I/MMXX

„Das Corona-Virus löst eine weltweite Wirtschaftskrise aus“

„Wirtschaft steht unter Corona-Schock“, so lautete am 28. Februar die Überschrift über einem halbseitigen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In Bild konnte man am selben Tag lesen: „In Deutschland werden immer mehr Corona-Fälle gemeldet. Die Wirtschaft droht das in eine Krise zu stürzen“. Zwei Tage später, am 1. März, war es dann bereits so weit; nun wurde man im selben Blatt wie folgt ins Bild gesetzt: „Wirtschaft schon jetzt in der Corona-Krise“. Im gesamten Spektrum der Wirtschaftsnachrichten läuft es seit Februar 2020 darauf hinaus: Die Weltwirtschaft stürzt in eine neue schwere Krise, die entscheidend vom Corona-Virus geprägt sei.

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(capitalist) system change – not climate change!

Am 27. September und am 29. November, den Tagen weltweiter Aktivitäten gegen die drohende Klimakatastrophe – gingen Hunderttausende – überwiegend sehr junge – Menschen auf die Straßen und Plätze. Sie demonstrierten unter der gemeinsamen Losung „System change not climate change“. Einen Auftakt bildete die Rede von Greta Thunberg in New York am 23. September vor den Vereinten Nationen (siehe Seite 34). Thunberg dürfte – nach dem Redaktionsschluss dieser LP21-Ausgabe – auch auf der Weltklimakonferenz, die kurzfristig von Chile nach Madrid verlegt wurde, sprechen.

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quartalslüge IV/MMXIX

„Der Anstieg des Ölpreises nach dem Anschlag in Saudi Arabien gefährdet die Weltwirtschaft. Die Attacke stellte einen Angriff auf die Weltenergieversorgung dar.“

Der Anschlag auf zwei zentrale Ölverarbeitungsanlagen des saudischen Ölförderers Saudi Aramco am 14. September 2019 hat angeblich einen „Ölpreis-Schock“ ausgelöst. So, im Wortlaut identisch, die beiden Tageszeitungen „Die Welt“ und das „Handelsblatt“. Die „Börsen-Zeitung“ schlagzeilte: „Ölmarkt im Schockzustand“.

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quartalslüge IV/MMXIX

„Jetzt kommt die Verkehrswende“

In den Debatten über die erforderlichen Maßnahmen für eine konsequente Verkehrswende ist immer wieder das Argument zu hören: Ein damit geforderter Umbau der bestehenden Verkehrsinfrastruktur und damit der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel sei in der Zeit, die uns zur Verfügung steht, um ein weitgehend CO2-freies Wirtschaften und Kommunizieren zu ermöglichen, nicht möglich. Wobei für die Zahl der Jahre, die uns hierfür noch zur Verfügung stehen, meist einerseits eine kurze Periode von zehn Jahren für erste wegweisende Schritte – also bis 2030 – und andererseits eine Gesamtzeit, um das weitgehend CO2-freie Wirtschaften flächendeckend zu verwirklichen, von 30 Jahren – also bis 2050 – genannt werden.

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Quartalslüge II/MMXIX „Jetzt kommt die Verkehrswende“

Die „Verkehrswende“ ist spätestens seit der Fridays for FutureBewegung in aller Munde. „Wende“ sollte eigentlich heißen, dass der Autoverkehr rückläufig ist. Vor allem müsste die Ölförderung rückläufig sein. Das letztere sollte zumindest in den letzten Jahren stattgefunden haben, da es doch die viel gefeierte „Wende“ zum E-Auto gibt.

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Ivan Illich zur Autogesellschaft

Ein Volk kann durch die Energiemenge seiner Maschinen ebenso überfahren werden wie durch den Kaloriengehalt seiner Nahrung, aber die energiemäßige Übersättigung der Nation gesteht man sich viel schwerer ein als eine krankmachende Diät. […]

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