Die „Verkehrswende“ ist spätestens seit der Fridays for Future–Bewegung in aller Munde. „Wende“ sollte eigentlich heißen, dass der Autoverkehr rückläufig ist. Vor allem müsste die Ölförderung rückläufig sein. Das letztere sollte zumindest in den letzten Jahren stattgefunden haben, da es doch die viel gefeierte „Wende“ zum E-Auto gibt.
Doch das ist eine Quartalslüge . Es gibt keiner Wende dieser Art. Und es ist eine solche auch nicht in den nächsten Jahren in Sicht, die doch für die Klimafrage so entscheidend sind. In Wirklichkeit wächst die Förderung von Rohöl ungebremst. Treiber ist dabei der wachsende Weltbestand an Kraftfahrzeugen und dessen Nutzung. Auch in Deutschland wächst der Pkw-Bestand von Jahr zu Jahr. Und dies ganz deutlich auch dem Bundesland, das einen grünen Ministerpräsidenten und einen grünen Verkehrsminister hat.
Doch im Einzelnen. Anfang 2019 meldeten die weltweit größten Ölkonzerne neue Rekorde. Die „Supermajors“ genannten fünf westlichen Ölriesen Shell (GB/NL), BP (GB), Exxon und Chevron (USA) und Total (F) hatten einen addierten Umsatz von 1,8 Billionen US-Dollar (1.800 Milliarden Dollar). Sie fuhren einen Rekordgewinn von 80 Milliarden US-Dollar ein. Das ist insofern bemerkenswert, als der Rohölpreis deutlich unter dem Niveau von 2014 steht, als der addierte Gewinn der Supermajors bei 74 Milliarden US-Dollar lag. Diese Konzerne stellen weiterhin den wichtigsten Machtblock im Weltkapitalismus dar – wobei sie längst in die Schiefergasförderung und bei den erneuerbaren Energien eingestiegen sind und sich zusätzlich im Stromerzeugungssektor engagieren, um beim E-Auto-Boom ergänzende Profite einzufahren.
Dabei boomt vor allem das Kerngeschäft. Von wegen BP = Beyond Petroleum![1] Die Förderung von Rohöl wächst ungebremst. Dabei gibt es regelmäßig Berichte, die das Gegenteil behaupten. Das Blatt Wirtschaftswoche schlagzeilte beispielsweise in der Ausgabe vom 17. August 2014: „Goodbye, Öl“. Dort hieß es: „Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzieht sich eine historische Zäsur: die Abkehr vom Erdöl.“ Nichts von alledem findet statt. Lediglich in den Krisenjahren 2007-2009 gab es Stagnation und in einem Jahr einen Rückgang. Tabelle 1 dokumentiert das historische Wachstum der Ölförderung im 125-Jahres-Zeitraum 1910-2025. Allein seit Anfang der 1970er Jahre, als der Club of Rome die Studie vom „Ende des Wachstums“ veröffentlichte, hat sich die Rohölförderung nochmals verdoppelt.
In Tabelle 2 haben wir das Wachstum der Förderung von Rohöl im Zeitraum 2005-2025 in einen Zusammenhang mit der weltweiten Flotte an Kraftfahrzeugen gebracht. Nimmt man in dieser Darstellung das Jahr 2009 als Bezugsjahr – damals gab es eine wichtige Klimakonferenz in Kopenhagen, in der ein Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft propagiert wurde – dann stieg die Ölförderung allein seither bis 2018 von 3869 Millionen Tonnen auf 4660 Millionen Tonnen oder um ein Fünftel (+20%). Der wichtigste Treiber dabei ist die weltweite Flotte von Lkw und Pkw. Der Welt-Kraftfahrzeugbestand wächst kontinuierlich – und nochmals schneller als die Ölförderung. Allein seit 2009 wuchs die Welt-Kfz-Flotte von gut einer Milliarde auf 1,45 Milliarden Lkw und Pkw oder um mehr als 40 Prozent. Wobei das gegenüber der Ölförderung schnellere Wachstum der Kfz-Flotte nicht auf höhere Effizienz der Kfz zurückzuführen ist. Teilweise ist das Gegenteil der Fall (siehe der Boom der SUVs). Vielmehr steigt der Anteil, den die Kfz an der Rohölförderung beanspruchen, weiter an, während die Anteile von Industrie und Heizungen leicht rückläufig sind[2]. Gleichzeitig nahmen die Beimischungen von Agrokraftstoffen („Biosprit“) erheblich zu. Alle belastbaren Prognosen gehen davon aus, dass die Weltölförderung weiter wächst – unter anderem weil der Bestand an herkömmlichen Kraftfahrzeugen (solche mit Verbrennungsmotoren) ungebremst zunimmt. Bis 2025 sollen es 1,7 Milliarden Kfz – 250 Millionen mehr als aktuell – sein. Hinzu kommen dann noch rund 100 Millionen Elektro-Pkw. Auf die mit den E-Pkw verbundenen Belastungen gingen wir ausführlich in dem vorausgegangenen LP21-Heft ein.
Tabelle 3 dokumentiert die Entwicklung des Pkw-Bestands in Deutschland und in Baden-Württemberg. Im Zeitraum 2010 bis Frühjahr 2019 wuchs der BRD-Bestand an Pkw nochmals um 5,6 Millionen Autos oder um 13,3 Prozent. In Baden-Württemberg wuchs er deutlich überproportional. Baden-Württemberg hat seit 2011 einen grünen Ministerpräsidenten und einen grünen Verkehrsminister. Das hat offensichtlich zu keinerlei Bremsspuren beim Pkw-Absatz geführt – im Gegenteil: die Autoindustrie konnte in diesem Bundesland mehr als in dem Rest der Republik zulegen. Dass hier vor allem die Zahl der Elektro-Pkw zugenommen gestiegen wäre, lässt sich auch nicht sagen. 2017 gab es in Baden-Württemberg gerade mal 4387 neu zugelassene E-Pkw, 2018 waren es 5.806. Gemessen an den insgesamt neu zugelassenen Pkw (2018: 480.095) waren es 1,209 Prozent. Doch gerade hier zeigt sich erneut im relativ Kleinen: Es geht bei dem, was man eigentlich unter einer „Verkehrswende“ zu verstehen hat, nicht um „Anteile“, sondern um die Entwicklung der absoluten Zahl von Einheiten, um absolute Einheiten . Und die besagt: In mehr als acht Jahren grün geführte Landesregierung wuchs der Bestand an Pkw in Baden-Württemberg um fast eine Million Pkw oder um 16,5 Prozent. Er wuchs nochmals deutlich schneller als im Rest der Republik. Damit stiegen die CO2-Emissionen massiv und sogar überproportional.
Anmerkungen:
[1] BP (was ursprünglich für „British Petroleum“ stand) hatte eine Zeitlang mit der „Neuübersetzung“ des Firmennamens „Beyond Petroleum = Jenseits von Öl“ geworben. Der Konzern hatte sich dabei einige Jahre lang verstärkt auf Erneuerbare konzentriert, war dann aber bald von dieser Orientierung abgerückt, um sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren.
[2] Die globale Ölnachfrage teilt sich grob auf wie folgt: 42% entfallen auf den Straßenverkehr (Pkw + Pkw). Luftfahrt = 6%; See 5%, sonstiger Verkehr = 2%. Petrochemie: 13%. Heizung = 8%; Ölkraftwerke = 6%. Rest = Sonstige (13%). Nach: World Energy Outlook 2015, Paris 2015.