Ivan Illich zur Autogesellschaft

Ein Volk kann durch die Energiemenge seiner Maschinen ebenso überfahren werden wie durch den Kaloriengehalt seiner Nahrung, aber die energiemäßige Übersättigung der Nation gesteht man sich viel schwerer ein als eine krankmachende Diät. […]

Wenn mehr als ein gewisses Quantum Energie in das Transportsystem eingefüttert wird, so bedeutet dies, dass mehr Menschen sich im Lauf eines Tages schneller über weite Distanzen bewegen und immer mehr Zeit einsetzen, um befördert zu werden. Der tägliche Radius eines jeden erweitert sich auf Kosten der Möglichkeit, den eigenen Weg zu gehen. […]

Die Lähmung der modernen Gesellschaft, die sich Energiekrise nennt, kann nicht durch einen höheren Aufwand an Energie überwunden werden. Sie kann nur gelöst werden, wenn wir die Illusion aufgeben, dass unser Wohl von der Zahl der Energiesklaven abhängt, über die wir gebieten. Zu diesem Zweck ist es notwendig, dass wir die Schwelle erkennen, jenseits welcher Energie korrumpiert, und dass wir dies in einem politischen Prozess tun, der die Gemeinschaft im Bemühen um diese Erkenntnis und die darauf gebaute Selbstbeschränkung vereinigt.

Aus: Ivan Illich, Die sogenannte Energiekrise oder die Lähmung der Gesellschaft. Das sozial kritische Quantum der Energie, Reinbek bei Hamburg, 1974

In einer Gesellschaft, die dem Geschwindigkeitswahn verfallen ist, zeigt der Tacho die Klassenzugehörigkeit an. Jeder Bauer konnte [in den frühen 1930er Jahren den mexikanischen Präsidenten; die LP21-Red.] Lazaro Cardenás begleiten, wenn er auf seinem Pferd saß. Wenn heute ein Gouverneur in seinem privaten Hubschrauber sitzt, kann ihn nur sein persönlicher Tross begleiten. Wie häufig jemand in den kapitalistischen Ländern größere Entfernungen zurücklegen kann, hängt davon ab, wieviel er bezahlen kann. In den sozialistischen Ländern hängt die Reisegeschwindigkeit davon ab, welche gesellschaftliche Bedeutung ein Mensch in den Augen der Bürokratie hat. In beiden Fällen zeigt die spezielle Reisegeschwindigkeit an, welcher Schicht ein Mensch angehört und welchen Umgang er pflegt. In einer Leistungsgesellschaft trägt die Geschwindigkeit zur Schichtenbildung bei.

Aus: Ivan Illich, Selbstbegrenzung – Eine politische Kritik der Technik, München 1998, S. 64 [Erstveröffentlichung 1975]