Bauten für die Staatsraison

Berliner Schloss, Palast der Republik, Humboldt Forum

Daten & Fakten

Ort    Zentrum Berlins, U5-Station Museumsinsel

Was Repräsentationsbau. Zweimal zerstört, dreimal neu errichtet

Errichtung Berliner Schloss        1443-1894

Abriss Berliner Schloss               1950

Errichtung Palast der Republik  1973-1976

Abriss Palast der Republik         2006-2008

Eröffnung Humboldt Forum        20. Juli 2021

Abriss Humboldt Forum     ???


Alle Staaten brauchen repräsentative Bauten. In ihnen materialisieren sich Ideologie, Verfasstheit, Herrschafts- und Klasseninteressen. Diese Aspekte bestimmen auch den Umgang, den Staaten mit repräsentativen Bauten vergangener Staatsformen auf ihren Territorien pflegen.

In Berlin ist der Schlossplatz ein Ort, an dem dies in verdichteter Form nachweisbar ist. Hier wurden zunächst das Königreich Preußen, dann das deutsche Reich, später die DDR und schließlich die sogenannte Berliner Republik architektonisch gestaltet. Zwischen den verschiedenen Staats- und Herrschaftsepochen gab es immer wieder Brüche, die sich über politisch motivierte Abrissarbeiten manifestierten.

Daneben stehen Berliner Schloss, Palast der Republik und Humboldt Forum auch für die Krisen jener Staatssysteme, die sie repräsentieren. Regelmäßig stieß hier Macht auf Protest, Revolte und Revolution. Das war 1848 der Fall, und wieder im Jahr 1918. Beide Male reagierte der Staat mit blutiger Repression. Am 18. März 1848 ließ der im Berliner Schloss residierende König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., Tausende auf dem Schlossplatz demonstrierende Menschen, in ihrer Mehrheit Arbeiter und Handwerkerinnen, von seinen Dragonern vertreiben. Die Flüchtenden errichteten Barrikaden , die das Militär nach und nach wieder niederriss. Mehr als 200 Zivilisten kamen im Kugelhagel um, viele Hunderte mehr wurden verletzt. Am 22. März zogen Menschenmassen im Trauermarsch mit 183 Särgen am Schloss vorbei. Friedrich Wilhelm IV. und seine Minister auf dem Balkon mussten den Hut ziehen. Noch am 19. März hatte er behauptet, die Unruhen seien durch „fremde Ru hestörer und Aufrührer“ provoziert worden.

Gescheiterte Revolution

Am 9. November 1918 bedrängten wieder revoltierende Arbeiter:innen das Berliner Schloss, das bis dahin Wohnsitz des Herrscherclans der Hohenzollern und somit auch des deutschen Kaisers und Kriegstreibers Wilhelm II. gewesen war. Ab dem frühen Nachmittag wehte die rote Fahne auf dem Dach. Gegen 16.30 Uhr proklamierte der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und spätere Mitbegründer der KPD, Karl Liebknecht, aus einem Fenster des Schlosses die „freie sozialistische Republik Deutschland“. Das, eine Proklamation nicht reicht, der Staat gerade in einem imperialen Industriestaat wie Deutschland schwerer zu zerschlagen ist als gedacht, er dabei sowohl auf offenen Terror als auch den reformistischen Verrat setzt, all dies mussten die Revolutionäre in den kommenden Wochen erfahren. Liebknecht wurde wie Rosa Luxemburg von Mitgliedern proto-faschistischer Freikorps ermordet, ihre Leichen im Landwehrkanal versenkt.

Von symbolischer Bedeutung war der Ort, den Liebknecht für seine Ansprache gewählt hatte. Liebknecht proklamierte die sozialistische Republik vom großen Fenster des Portals IV des Schlosses aus. Von jenem Fenster aus hatte Kaiser Wilhelm II. am 6. August 1914 den Kriegseintritt des deutschen Reiches und den Beginn der Burgfriedenspolitik mit der Sozialdemokratie verkündet. Liebknecht hielt vier Jahre später dazu quasi die Gegenrede, wollte die alte Macht somit auch symbolisch auslöschen, und eine neue Welt verkünden.

Anstatt der neuen Welt kam zunächst die Weimarer Republik, deren dauerhafte Krisenanfälligkeit schließlich durch den deutschen Faschismus bewältigt wurde. Wieder führte das deutsche Reich einen Weltkrieg, diesmal als Vernichtungskrieg. Das derart entfachte Feuer kehrte nur wenige Jahre später nach Deutschland zurück. Wie viele Wohnhäuser deutscher Großstädte brannte auch das Berliner Schloss in Folge alliierter Luftangriffe am 3. Februar 1945 aus. Außenmauern und Treppenhäuser blieben  bestehen. Das deutsche Reich lag in Trümmern, das Gerippe des preußischen Herrscherhauses stand jedoch immer noch.

Abriss als Traumabewältigung

Der sich in den folgenden Jahren in Ostdeutschland etablierenden, zu großen Teilen aus zurückgekehrten Exilanten und KZ-Überlebenden bestehenden SED-Regierung musste die fortdauernde Existenz dieses Gebäudes als Beleidigung und Trauma erscheinen. Wieder stand eine Auslöschung an, diesmal in Form eines am 23. Juli 1950 von Walter Ulbricht auf dem dritten Parteitag der SED beschlossenen Abrisses. Das preußische Schloss wich einem Paradeplatz für staatlich verordnete sozialistische Massendemonstrationen. Demonstrationen, aus denen heraus sich in den 1980er Jahren Protest gegen die seit ihrer Geburt bestehenden schweren demokratischen Defizite der DDR richten sollte.

Statt eines demokratischen Umbruchs kamen jedoch mit der sogenannten Wende der Anschluss des DDR-Territoriums an Westdeutschland, die Enteignung des ostdeutschen Kollektiveigentums und dessen systematische Plünderung durch westdeutsches Kapital – eine bis heute andauernde Kolonisierungserfahrung.

Auch gegen diesen Anschluss regte sich Widerstand. Zehntausende beteiligten sich an Demonstrationen unter dem Motto „nie wieder Deutschland“, unter ihnen auch Winfried Wolf.

Die Demonstrationen sahen sich teils durchaus heftiger staatlicher Repression durch die Polizei des neuen, angeblich demokratischen Gesamtdeutschlands ausgesetzt.

„Wieder Deutschland“ war jedoch das Motto der neuen, alten Herrschenden. Seit den 1970er Jahren stand auf dem Berliner Schlossplatz der „Palast der Republik“, einer der wichtigsten repräsentativen Bauten der DDR und das bis heute einzige Stein gewordene antimonarchistische Bauwerk an diesem Ort. Nach der Wende musste der Palast der Republik weichen, das Berliner Schloss wieder hergestellt werden. Zwar wollte die Berliner Republik so die Erinnerung an den sozialistischen Staat auslöschen – wie es unter umgekehrten Vorzeichen die SED mit dem Abriss des Berliner Schlosses beabsichtigt hatte. Doch musste der monarchistischen Fassade eine scheinbar moderne demokratische Fassade vorgesetzt werden.

Das Ergebnis ist heute als Humboldt Forum zu besichtigen. Auf drei Gebäudeseiten wurde mittels privater Spenden, darunter auch eine siebenstellige Summe des antisemitischen und rechtsextremen Bankiers Ehrhardt Bödecker, der preußisch-kaiserliche Zustand des Berliner Schlosses wieder hergestellt. An der vierten Seite ist ein nüchterner Gebäudeteil. Das sich bietende Bild mag unbeabsichtigt sein, doch wird so sichtbar, wie hinter der parlamentarischen, nüchternen Fassade der alte Preußen-Autoritarismus lauert.

Eine wesentliche Funktion des Humboldt Forums ist die eines Kolonialmuseums. Hier werden Tausende aus ehemaligen deutschen Kolonien gewaltsam entwendete Kulturgüter ausgestellt. Mit Raubkunst will die Berliner Republik ihre Weltgewandtheit demonstrieren. Und nicht nur das, sie dichtet sich daraus sogar die „historische Verantwortung“ an, heute diplomatisch und militärisch in verschiedensten Gegenden der neokolonialen Welt intervenieren zu müssen.  „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen“, steht als Inschrift auf einem imperialen Denkmal im Andenken an die Gefallenen der deutschen Reichswehr im Ersten Weltkrieg in der Hansestadt Hamburg. „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ dichtete Jahrzehnte später die Punkband Slime die immer noch aktuelle Replik. Und das Humboldt Forum muss es auch.

Christan Bunke lebt in Wien und schreibt seit zehn Jahren die Rubrik „Ort und Zeit“ in Lunapark21.