John Wick, 2014 bis 2023

Ein schlagkräftiger Filmvierteiler um eine ungewöhnliche Heldenfigur

Seit März schwirrt zum vierten Mal ein John Wick über möglichst viele Großleinwände: Matrix-Star Keanu Reeves als Hitman wider Willen, einst in Diensten weltweiter Gangstersyndikate, jetzt, im Ruhestand, ruhelos. Alte Verpflichtungen und Ansprüche holen ihn turnusmäßig ein, Leichen und Einspielergebnisse von mehr als einer Milliarde Dollar pflastern seinen Weg.

Die Story dreht sich im Grundriss darum, wer, wie und warum John Wick eliminieren oder rekrutieren will; wen alles er seinerseits zu massakrieren hat –  ein auslaufender Running Gag als Vehikel für vier Filmkapitel elegant-rasant choreographierter Kampf- und Waffenkunst, phänomenaler Stunts und Actionszenen. Wer mag, findet ein durchaus tiefer gelegtes, schnörkelloses Gewaltepos, mörderisches Grand-Guignol-Kintopp – aberwitzig, spektakulär, existentiell. Wer nicht, den verschreckt wirres Dauergemetzel.

Die Person John Wick bleibt generell unergründet. Er ist Waise sowjet-russischer Abkunft, vielsprachig, schweigsam, stark; gelernter Superkiller, kein Superheld. Der Gram um den frühen Tod seiner Frau Helen, mit der er wenige Jahre Frieden in New Jersey fand, die Rage nach der Mordtat an seiner jungen Hündin Daisy, Helens letztem Geschenk an ihn, sind Auftakt und Leitmotiv seiner anhaltenden Gegenwehr; für die  eigene Freiheit, gegen arrogante, brachiale Provokationen der Unterwelt.

Zentrale New Yorker Anlaufstelle und neutrales Terrain für John Wick und sonstige Profikiller und -killerinnen im Außendienst ist stets das Grand-Hotel Continental, untergebracht im denkmalgeschützten Beaver Building. Eine Goldmünze an der Rezeption über den Tresen geschoben garantiert diskrete Check-Ins, das Management ist hilfreich und liefert passenden Service. 

Mr. Wick verlässt sich gern auf diese Institution. Erst recht, seit er sich in Kapitel Zwei mit früheren Auftraggebern angelegt hat, der zwölfköpfigen Machtelite diverser mafiöser Organisationen; wer gegen ihren Ehrenkodex verstößt, wird geächtet und einem Mördermob von Kopfgeldjägern ausgesetzt, die selbst einen ramponierten John Wick nie lange überleben. 

John Wick, Nachfahr von Melvilles Jef Costello, dem eiskalten Samouraï, ist damit nach vier Thrillern in neun Jahren zu einem der dunkleren Charismatiker des Antihelden-Genres avanciert, – ein krimineller Stoiker als Gegenentwurf des klassischen Film Noir mit seinen korrupten, glanzlosen Kleinbürgern – eine neo-noire Identifikationsfigur in schwarzem Anzug und archaischer Frisur von schon alttestamentarischer Gerechtigkeitswut. Einschlägigen Figuren gegenüber, Zivilisten sind tabu und kommen ohnehin kaum vor.  

Neben fabelhafter Action directe allerdings liegt auch Feinsinnigeres an: Tierliebe, Kunst und Kultur dank exquisiten Drehorten allüberall, Zeitgefühl durch lange Einstellungen, schöne Retro-Werte wie Unbestechlichkeit, Gelassenheit, Loyalität, Anstand und Würde.

Weder übermenschlicher Widerstand aber noch der spröde, doch sehr biegsam agierende Keanu Reeves verhelfen diesem John Wick mit dem tragischen Flair zum richtigen Leben. Von der Mordindustrie, deren Teil er war und ist, wird nur der eigene Tod ihn befreien.

Der nun ereilt John Wick in Kapitel Vier nach einem aufreibenden Duell vor Sacré-Coeur in Paris. Eigentlich. Uneigentlich dürfte der legendäre Extremkiller für ein mögliches Kapitel Fünf reanimiert werden. Astronomische Zuschauerzahlen winken, das Medienunternehmen Lionsgate Entertainment denkt an den weiteren Ausbau der John-Wick-Franchise in alle Richtungen – Prequel, Sequels, Spin-offs. Kein Tod wird John Wick so schnell in Ruhe lassen dürfen.

Keanu Reeves wiederum ist diesen März in die Pharma-Geschichte eingegangen: „Keanumycin“ heißt ein neues, durchschlagend tödliches Mittel gegen Grauschimmelfäule, frei nach dem gleichfalls durchschlagend tödlichen Wirken des Actionstars.

Ilse Henckel hat als Dokumentarin, Übersetzerin und Filmkritikerin für den Spiegel-Verlag gearbeitet. Sie lebt in Hamburg.


John Wick
Kapitel 1 bis 4
Regie: Chad Shahelski; Originaldrehbuch: Derek Kostad.
Mit Keanu Reeves, Ian McShane, Lance Reddick, Laurence Fishburne, Donnie Yen.