Bewusstsein und Verantwortung

Die Frauenfriedensbewegung im Kalten Krieg

In den letzten beiden Jahren treibt mich die Frage um, warum die Menschen aus der Geschichte nicht lernen. Warum haben sie aus den Erfahrungen der beiden großen Weltkriege mit den vielen Verlusten nichts gelernt? Warum herrscht – auch bei weiten Teilen der Feministinnen – die Ansicht vor, man könnte, indem man Bomben auf ein Land wirft, Konflikte lösen?

Nach den großen Kriegen waren es vor allem Frauen, die „Nie wieder Krieg“ auf ihre Transparente schrieben. Beinahe vergessen sind die Frauen-Friedensbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre pazifistischen Grundpositionen sind von bleibender Aktualität.

Wie kam es zur Nachkriegsfriedens-Bewegung?

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind CDU und CSU 1949 bei der ersten westdeutschen Bundestagswahl in der neu gegründeten Bundesrepublik als Sieger hervorgegangen. Bundeskanzler wurde Konrad Adenauer, der zugleich CDU-Vorsitzender war und sie binnen weniger Jahre zur stärksten Partei in Westdeutschland machte.

Viele Männer und Frauen des weithin zerstörten Deutschlands wollten gar nicht glauben, dass es sich bei den unmissverständlichen Äußerungen der Politiker, darunter auch Adenauer, Deutschland wolle nie wieder Krieg und die Wehrmacht solle der Vergangenheit angehören, lediglich um Lippenbekenntnisse gehandelt hatte.

Adenauer hatte noch 1947 – vor Gründung der Bundesrepublik – unmissverständlich geäußert: „Wir sind einverstanden damit, dass unsere reine Kriegsindustrie zerstört wird, und dass wir nach beiden Richtungen hin einer langen Kontrolle unterworfen werden. Ja, ich will noch weiter gehen: Ich glaube, dass die Mehrheit des deutschen Volkes damit einverstanden sein würde, wenn wir wie die Schweiz völkerrechtlich neutralisiert würden“. Auch Bundespräsident Theodor Heuss hatte in einem Interview betont, dass er sich „selbst wenn die Alliierten die Schaffung einer deutschen Wehrmacht vorschlagen würden“, dagegen wehren würde. Politiker aller Parteien – selbst Franz Josef Strauß (CSU) – sprachen sich gegen die Wiederbewaffnung aus. Die Bevölkerung wähnte sich sicher. Als 1950 nach Beginn des Koreakrieges die Parolen über eine Gefahr aus dem Osten zunahmen, vor der sich auch die neugegründete Bundesrepublik angeblich schü tzen müsse und als bekannt wurde, dass Bundeskanzler Adenauer die Wiederbewaffnung für die Bundesrepublik vorbereiten ließ, wuchs die Angst, dass eine Aufrüstung der Bundesrepublik die Gefahr eines erneuten Krieges beinhalten und die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten verhindern würde.

Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung

In Westdeutschland schrieben viele Frauen leidenschaftliche Protestbriefe an den Bundeskanzler gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik, für eine friedliche Verständigung der Staaten, für die Aussöhnung mit dem Osten und die Wiedervereinigung. Sie wurden entweder gar nicht oder lediglich von der Kanzlei beantwortet. Das bestärkte die Erkenntnis, dass es an der Zeit sei, sich mit Gleichgesinnten zu solidarisieren.

Eine der zentralen Aktivistinnen, die 1951 westdeutsche Frauen zu einem Frauenfriedenskongress gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik mobilisierten, war Klara Marie Faßbinder (1890-1974). Sie war bereits während des Ersten Weltkrieges zur überzeugten Pazifistin geworden. Der gemeinsame Wille, friedenspolitisch aktiv zu werden, führte dazu, dass sich am 14. Oktober 1951 fast 1000 Teilnehmerinnen zum „Kongress der Frauen und Mütter für den Frieden“ in Velbert in Nordrhein-Westfalen, zusammenfanden. Faßbinder hielt auf dem Kongress ein beeindruckendes Referat über die Notwendigkeit der Erziehung zum Frieden, das, wie sie selbst sagte, richtungsweisend für die Zukunft sein sollte.

Im Anschluß an den Kongreß wurde die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB) gegründet, die eines der wichtigsten über- und außerparteilichen Organe des Frauenprotests gegen die Wiederbewaffnung der BRD wurde. Faßbinder wurde zur Vorsitzenden gewählt. In ihrer Gründungserklärung verdeutlichten die Frauen ihren Standpunkt:

Die WFFB „umfaßt Frauen verschiedenen Standes und verschiedener Berufe, verschiedener innenpolitischer Auffassungen, verschiedener Weltanschauungen und religiöser Richtungen. Sie will in allen Frauen das Bewußtsein ihrer Verantwortung für die Gestaltung des öffentlichen Lebens wecken, damit sie gemeinsam arbeiten für die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes, für Abrüstung bei uns und in der Welt, für die Freihaltung unseres Bodens von atomaren Waffen, einerlei, wer sie besitzt und wo sie hergestellt sind, für eine Verständigung unter den Völkern trotz ihrer Verschiedenheiten. Sie will den Frieden in der Welt, ohne den auf die Dauer kein leibliches, geistiges und seelisches Wohlergehen unter den Menschen herrschen kann.“

Im Mai 1952 erschien erstmals die Monatszeitschrift Frau und Frieden als Organ der WFFB. Auch Frauen, die niemals einer Frauenbewegung angehört hatten und die es vorher abgelehnt hätten, sich einer Frauengruppe zu nähern, waren nun der Überzeugung, dass es Frauen sein müssen, die Widerstand leisten sollten. Einige warfen sich wohl auch selbst vor, dass sie viel zu lange geschwiegen hatten. Sie wollten ihr unpolitisches Verhalten nicht fortsetzen und sie konnten nicht verstehen, dass  Parlamentarierinnen – und nicht nur die –, die Politik Adenauers und seiner Anhänger unterstützten. In ausdrücklichem Bezug auf Bertha von Suttner, die bereits 1859 das Buch „Die Waffen nieder!“ geschrieben hatte und unter dem Motto „Wir sind die Hüterinnen, Wachen ist unser Auftrag, unser Amt ist der Friede“, war es das Ziel der WFFB, der Stimme der Frauen als „Bewahrerinnen des Lebens und des Friedens“ öffentlich Gehör zu verschaffen.

Viele Mitglieder hatten aus den eigenen Erlebnissen zweier Weltkriege die Erkenntnis gewonnen, dass alle Kraft aufgewendet werden muss, um weitere Kriege zu verhindern, und einer Wiederbewaffnung entgegenzutreten. Sie organisierten Friedenstreffen, bemühten sich um eine Vernetzung der WFFB-Aktivitäten mit der internationalen Friedensbewegung und versuchten auf zahlreichen internationalen Reisen den Gedanken der Verständigung und Versöhnung voranzubringen. Die WFFB arbeitete mit der 1915 gegründeten Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) und anderen Organisationen, deren Programme frauen- und friedenspolitische Anliegen verknüpften, zusammen.

Auf Einladung des Antifaschistischen Frauenkomitees Moskau reiste die WFFB 1956 mit sechs Frauen, einer IFFF-Delegierten und einer des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands (DFD) nach Moskau. Sie wollte angesichts des Rüstungswettlaufs in den friedenspolitischen Dialog mit den Frauenverbänden der UdSSR treten. Sie war davon überzeugt, dass nur eine Verständigung zwischen Ost und West den Frieden sichern konnte. Eine solche Delegation erregte Aufsehen, denn es war mitten im Kalten Krieg.

Diffamierung als kommunistische Tarnorganisation

Das friedenspolitische Netzwerk der WFFB reichte in die USA, nach England, Frankreich, die Sowjetunion und nach Vietnam. Durch die weltanschauliche und politische Offenheit, die Distanzierung vom Denken in politischen Blöcken und die Kontakte zu Frauengruppen in andere auch kommunistische und sozialistische Länder sahen sich die Mitglieder der WFFB immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, kommunistisch unterwandert oder gar eine kommunistische Tarnorganisation zu sein. Sie wurden vom Verfassungsschutz beobachtet, polizeilich überwacht, ihre Häuser und Wohnungen durchsucht.

In Rheinland-Pfalz, wo die WFFB verboten wurde, musste das Verbot nach einem viereinhalbjährigen Prozess gegen das Land aufgehoben und die WFFB rehabilitiert werden. Klara Marie Faßbinder, die selbst unter Diskriminierungen zu leiden hatte, schrieb dazu in ihrer Autobiografie: Sie habe „versucht, die Verleumdungen als ›Tarnorganisation‹, ›östlich gesteuert und finanziert‹, zu widerlegen. Diese ist ein Produkt der merkwürdigen Geisteshaltung in der Bundesrepublik, als ob es undenkbar sei, daß irgendein biederer Bundesbürger einen selbständigen politischen Gedanken haben könne. Entweder muß er ihn von Adenauer oder von Ulbricht entliehen haben!“

Die politische Verfolgung von Klara Marie Faßbinder selbst liest sich wie eine Kriminalgeschichte. In ihrem Bemühen um die deutsche Wiedervereinigung und die Heimkehr der Kriegsgefangenen wollte sie ihre Kontakte zu Politikern in der DDR und der Sowjetunion nicht aufgeben. Sie dachte immer wieder, sich durch die Beteuerungen, dass sie eine stets gläubige Christin gewesen sei, vom Verdacht des Kommunismus und der Finanzierung von kommunistischer Seite freihalten zu können. Aber auch von ChristInnen wurde ihr nicht selten raffinierte Tarnung vorgeworfen. Wenn sie nicht wegen ihrer „Ostkontakte“ diffamiert wurde, dann weil sie sich „als Zugpferd für böse Absichten“ ausnutzen ließe. Also entweder selbst böswillig oder naiv genug, um sich für böswillige Absichten missbrauchen zu lassen. Eigenes Denken wurde auch ihr nicht zugetraut.  Auf die Frage nach ihrer politischen Haltung antwortete sie: “Ich bin keine Kommunistin. (…) Ich bin aber auch  keines sture Antikommunistin. Ich halte den undurchdachten Antikommunismus für eine der größten Torheiten unserer Zeit“.

Schwer, mitunter unmöglich war es, die zunehmende Ost-West-Konfrontation, die sich im Zeichen des Kalten Krieges verschärfte, zu überwinden. Staatliche Repressionen waren immer wieder die Antwort auf die antimilitaristische Haltung auch von anderen Frauen und Frauengruppen.

Die Themen ändern sich

Die Tatsache, dass Ende 1953 die ersten nuklearen Raketen aus den USA in Westdeutschland eintrafen, die Änderung des Grundgesetzes, die Verabschiedung der Wehrgesetze und die damit verbundene Wiederbewaffnung Deutschlands sowie die Einführung der Wehrpflicht für alle jungen Männer im März 1956 waren harte Schläge für die Frauenfriedensbewegung. In den folgenden Jahren waren es die atomare Aufrüstung und das Wett- und Nachrüsten, die Unterstützung der kriegsdienstverweigernden Söhne, die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und der Krieg in Vietnam, die die Arbeit der WFFB in Anspruch nahmen. Als es im Frühjahr 1958 im Bundestag um die atomare Aufrüstung ging, wurde die Bundesregierung auch von der WFFB aufgefordert, das atomare Wettrüsten nicht mitzumachen und eine Politik der Entspannung zu betreiben. Hunderttausende Menschen gingen für diese Forderungen auf die Straße. Trotz der vielen Proteste stimmte der Bundestag im Mä rz 1958 der atomaren Aufrüstung zu. Statt der Wiedervereinigung kam es im Oktober 1961 zum Bau der Berliner Mauer.

 1965 organisierte die WFFB in der BRD die erste große Vietnamveranstaltung. An Themen fehlte es also nicht. 1974 löste sich die WFFB auf, nachdem die Zeitschrift Frau und Frieden eingestellt worden war. Einige ihrer Mitglieder zogen sich aus Altersgründen zurück, einige jüngere gründeten 1976 die Demokratische Frauen-Initiative und manifestierten damit ihre Vorstellungen einer neuen außerparlamentarischen und links-politischen Frauenfriedensorganisation, die die Friedenspolitik nicht als einzige verbindende Klammer hatte, sondern für viele frauenpolitische Themen und für junge Frauen offen war.

Ohne die Organisationen, die, wie die WFFB und die IFFF, in den schwierigen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und während der Frühzeit des Kalten Krieges die Tradition der deutschen Frauenbewegung fortgeführt haben, hätte eine neue Frauenbewegung ab 1968 wesentlich schlechtere Startchancen gehabt. Als Teil der Nachkriegs-Friedensbewegung kann die WFFB als Bindeglied zwischen der Alten und der Neuen Frauenbewegung bezeichnet werden, auch wenn sie von den meisten Feministinnen später nicht mehr als solche erkannt wurde.

Gisela Notz lebt und arbeitet in Berlin und ist seit der Gründung Mitglied der Redaktion von Lunapark 21.