Schön gesund – gesund schön

Weltweit boomt der Markt für Schönheits-OPs mit einem Umsatz von mehr als 100 Milliarden Dollar, während das Gesundheitswesen immer stärker verschlankt wird.

Was das eine mit dem anderen zu tun hat, könnte eine zu fragen geneigt sein. Kosmetische Korrekturen sind doch ein reines Privatvergnügen, nicht einmal ein besonderer Ausdruck kapitalistischer Auswüchse – allenfalls in der Mixtur von Machbarkeitsdenken und Selbstoptimierungsdruck.

Schönheit war schon immer ein Luxus, ein über das Notwendige hinausgehendes Begehren, ihre Herstellung verbunden mit Manipulationen der Körper, die teilweise extreme Formen annahmen. Schönheit war auch immer gesellschaftlich, der Begriff „natürliche Schönheit“ quasi ein Widerspruch in sich. Tatoos, Brand- und Schnittnarbenmuster, Verformungen von Körperteilen wie durch Lippenteller oder überdimensionale Ohr-Ringe Kenn-Zeichnungen der Zugehörigkeit – oder der Zuordnung, des Standes und des Geschlechts. In geschlechtspolarisierten Gesellschaften häufig besonders aufwändig, einengend und behindernd für den weiblichen Teil, gleich, ob mit schweren Metallringen um den künstlich gestreckten Hals noch schwere Arbeit zu leisten ist oder, ob die verkrüppelten Füße, der atem-beraubend verformte Brustkorb oder das bis zur Unbeweglichkeit angemästete Fett der Braut die Freiheit von Arbeit und den Wohlstand des zugehörigen Mannes sign alisiert.

Gesund ist das alles nicht – aber darauf kam es nie und kommt es auch heute nicht an. Nicht den jungen Frauen, die ihre schlanke Silhouette mit Magersucht bezahlen und auch nicht der Gegenbewegung, in der Body-Positive ihre Adipositas feiern. Und schon gar nicht denen, die sich von den digital manipulierten Bildern makelloser Schönheiten, die ihnen überall entgegenblenden, angeblich zu Hauf verführen lassen, ihre auf Instagram und Co. geposteten Bilder optimal an die Fakes anzunähern, und sich dafür nicht immer nur digital zu schönen. Und wo das nötige Geld fehlt, die neue Brust als Abi-Geschenk von Papa kriegen.

Selbstoptimierungen

Was tut mensch nicht, um dazu-zugehören, wie eh und je, nur heute scheinbar freiwillig. Denn auch wenn wir in den westlichen Kulturen frei aus einer Vielfalt von Schönheitsidealen das uns Gemäße wählen und uns ganz individuell zu modellieren glauben, ist es illusionär anzunehmen, dass diese neue Freiheit der Selbstinszenierung nicht von gesellschaftlichen Erwartungen beeinflusst wäre. Erstaunlich hartnäckig halten sich bei aller Geschlechtervielfalt im Mainstream für Frauen Leitbilder, die (heterosexuelle) Verfügbarkeit signalisieren. Weniger, wie manche unterstellen, von Resten kolonialistischer Schönheitsideale ge-prägt, sind dies zumeist Reloads der immer gleichen Motive: der Harmlosen (Kindfrau) oder der Sexpositiven (Nutte) oder am besten beides in Einer. Dass das nicht allein mit modischen Accessoires angestrebt wird, zeigt sich an der Nachfrage bis hin zu den immer stärker nachgefragten „Korrekturen“ der intimsten Körperbereiche,  dem Trend zur Designer-Vagina (ganz, als würden nicht in der Praxis nebenan immer noch Mädchen aus „Tradition“ genitalverstümmelt).

Schwer einzuschätzen, inwieweit die jungen Frauen sich wirklich diesen Bildern unterwerfen – zumindest spielen sie damit – oder doch der ihnen attestierten Urteilsfähigkeit gemäß überwiegend ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen, sich vielleicht auch ganz dem Schönsein verweigern. Wenn aber nicht sie den Markt der künstlichen Aufhübschung befeuern, der ja überwiegend Verjüngung verspricht, sind es vielleicht doch eher die nicht mehr ganz so Jungen, die aus Angst vor dem Alter und der dahinter lauernden Vergänglichkeit diesen Markt so lukrativ machen – Deutschland nimmt hier übrigens mit rund 480.000 (2021; inzwischen vermutlich mehr) ästhetisch-plastischen Eingriffen eine der Spitzenpositionen ein.

Und wie es aussieht, muss nun auch Mann, der das Problem bisher elegant über das Medium Frau erledigt hat, sich, um im Spiel zu bleiben, seinen selbstgeschaffenen Regeln der marktgemäßen Optimierung unterwerfen. Wenn nämlich Männer, vor allem der höheren Etagen, sich heute zunehmend eine verjüngte Optik verpassen lassen, so, weil diese Gesundheit, Dynamik und Leistungsfähigkeit suggeriert, was in einer alternden Gesellschaft, die bei längerer Lebenszeit künftig immer länger wird arbeiten müssen, geradezu zur Jobsicherung dient.

Verirrungen des Gesundheitssystems

Es könnte auch als eine Form der Vorsorge gesehen werden, Self-care, die eigentlich im Sinne der Gesundheitskassen sein müsste. Deren Bestreben sollte zwar sein, die Älteren möglichst lange gesund und arbeitsfähig zu halten, was sie aber möglichst billig haben wollen und deshalb mehr und mehr die Vorsorge in die Selbstverantwortung der potenziellen Patient:innen verlagern. Dazu finanzieren sie die Entwicklung von Apps für digitale Care-Dienste, die ihnen Daten zur Überwachung des Gesundheitsstatus und des angemessenen Verhaltens frei Haus liefern, wo Ärzt:innen der Schweigepflicht unterliegen. Eine Investition, die aber auch den Markt für Medizintechnik weiterwachsen lässt, während sie die Versorgung durch menschliches Personal immer weiter vernachlässigt, was die geplante Gesundheitsreform sicher nicht zurückfährt.

Wen wundert da, dass vom bekanntlich kaputtgesparten Gesundheitssystem gestresste und für ihr Empfinden unterbezahlte Klinikchirurgen, lieber in Privatkliniken abwandern oder sich in einer Privatpraxis mit weniger risikoreichen, dafür profitableren Schönheitskorrekturen befassen. Sie gehen, samt mitgenommenem Personal, dem öffentlichen Gesundheitssystem ebenso verloren wie so manche Kollegen aus anderen Sparten, etwa Zahn- und Hautärzte oder Orthopäden (bewusst nicht gegendert), die sich auch an der Schönheit versuchen.

Ob sie ein echter Verlust sind, sei dahingestellt, handelt es sich doch häufig um solche Vertreter der Zunft, deren Berufsethos gerade dafür reicht, die „Patien:innen“ vom psychischen Leiden an ihren optischen Mängeln zu „heilen“. Ihre durch häufig mangelhafte Zusatzausbildung produzierten Murx-Opfer – so traten zeitweilig bei annähernd jeder zehnten Fettabsaugung, einer als harmlos beworbenen Maßnahme, Behandlungsfehler mit oft heftigen Folgen auf – belasten dann die gesetzlichen Krankenkassen zusätzlich mit Notoperationen und Nachsorgebehandlungen. Ähnlich bei den massenhaft unbedarft angewandten Botox-Gaben, die inzwischen nicht mal nur von ausgebildetem medizinischem Personal verabreicht werden. Welche Langzeitwirkungen zudem durch die, oft vielfach wiederholte, Anwendung auf die Pflegekassen zukommen könnten, mag frau sich gar nicht ausmalen. Immerhin wird hier mit einer (sehr starken) Verdünnung eines der wirksamsten Nervengifte e xperimentiert, Botulinum-Toxin, das neben dem Milzbrand-Erreger zu den Biowaffen zählt, was schon gruseln lässt.

Von öffentlichem Interesse

Dass auf diesen Abwegen Gelder aus Beiträgen der Sozialversicherten der öffentlichen Gesundheitsvorsorge verloren gehen, abgesehen von den Ausbildungskosten der abgewanderten Ärzt:innen, macht das Geschäft mit der Schönheit dann doch zu einer öffentlichen Angelegenheit. Zumindest ansatzweise lösen könnte auch dieses Problem die inzwischen vielfach reklamierte Bürgerversicherung. Käme nämlich der bekanntlich nicht an Profitgenerierung gebundene Staat seiner Aufgabe der sozialen Umverteilung konsequent nach, die er ja auch im Gesundheitssystem bereits wenn auch unzulänglich erfüllt, würde er also von allen ihren Einkommen entsprechende Sozialleistungen einziehen – möglichst ohne Mindest- wie ohne Höchstbemessungsgrenze –, so käme ein hübsches Sümmchen zusammen für ausreichend viel und gut bezahltes medizinisches Personal. Die Wohlhabenden hätten einen direkten Beitrag fürs Gesundheitswesen geleistet, der sie kaum d aran hindern würde, weiterhin Millionen in ihre Schönheitspflege zu stecken. Ja, pikanterweise könnten sie sogar auch einen Teil ihrer Beiträge über Health-Care-Investments wieder zurückholen, wenn das System ansonsten so bleibt. Denn diese Branche ist so stabil wie kaum eine andere (die deutsche Gesundheitswirtschaft z.B. trägt ca. 12% zum BIP und 8% zum Export bei). Sie bietet Sicherheit wie Gewinnchancen gleichermaßen – allein das Wachstum des Weltmarkts für Medizintechnik wird auf 800 Milliarden Dollar bis Ende des Jahrzehnts prognostiziert, und das wird kaum leiden, selbst wenn unsere Bundesregierung ihre Gesundheitspolitik Richtung Personalintensität ändern würde.

Eveline Linke, Diplom-Ingenieurin, Feministin, freie Autorin, lebt in Hamburg und Berlin.