Bunkerbabys – bestellt und nicht abgeholt

Das Leihmutterschaft-Geschäft in der Ukraine

„Wir betrachten die Leihmutterschaft als eine medizinische Behandlungsmethode, nicht als eine käufliche Dienstleistung.“

Oksana Kashyntseva, ukrainische Juristin und Gastwissenschaftlerin an der Universität Zürich

Unter dem Krieg in der Ukraine leidet auch der Handel. Neugeborene, ausgetragen in Leihmutterschaft, können nicht ausgeliefert werden und sind bis auf weiteres in Bunkern untergebracht.

Die sogenannten Wunscheltern – womit nicht Eltern gemeint sind, die man sich wünschen würde, sondern ungewollt kinderlose Paare – sind in Sorge und wissen nicht, wann sie ihre bestellten Kinder werden abholen können. Das Auswärtige Amt fordert deutsche Staatsangehörige dringend auf, die Ukraine zu verlassen. Der Luftraum ist geschlossen.

Anbieter und Vermittler von Leihmutterschaften versuchen ihre Kund:innen mit Videos zu beruhigen, die eine sichere und komfortable Unterbringung von Neugeborenen und Leihmüttern in den Bunkern zeigen: Die Babys werden dort regelmäßig gefüttert, gewickelt und gebadet, jedes hat ein eigenes Bettchen, alles hygienisch und mit Handschuhen.

Wer „Leihmutter – Ukraine“ googelt, kommt sofort zu den Angeboten von reproduktionsmedizinischen Kliniken mit den schönen Namen La vita nova oder BioTexCom , deren Leistungen in Deutschland zwar nicht zugelassen sind, deren Angebote im Netz aber keine Empörung und kein Löschen wegen strafbarer Inhalte zur Folge haben wie bis vor kurzem bei Ärztinnen, die auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informierten.

Die ukrainischen Metropolen Charkiw und Kiew sind die Hotspots des Geschäfts für die Kundschaft aus Europa, Asien und Amerika, in deren Ländern Leihmutterschaft oder auch eine Eizellspende verboten oder teurer sind.

all inclusive

Für rund 40.000 Euro bieten sogenannte Kinderwunschzentren einen kompletten Service, präsentieren zur Leihmutterschaft oder auch zu einer Eizellspende bereite Frauen in Katalogen, preisen deren Schönheit und Gesundheit, ihre menschlichen Qualitäten, ihre altruistische Motivation – und ihre guten eurasischen Gene. Für nichtweiße Kund:innen sind entsprechende Frauen im Angebot, im Katalog mit „andere Rassen“ beschrieben. Die Abgabe eines gesunden Kindes wird garantiert.

Das VIP-Angebot inklusive Hotelunterbringung der Wunscheltern, Erledigung der rechtlichen Formalitäten wie Ausstellung der Geburtsurkunde und eines Reisepasses für das Kind beim deutschen Konsulat, sowie einer Nanny für das Neugeborene bis zum Abflug in die Heimat beläuft sich auf 54.0000 Euro. Bei Nichtgelingen oder Verschwinden der Leihmutter sind neue Versuche mit einer anderen Frau bis zum Erfolg inbegriffen.

GESAMTPREIS DES PROGRAMMS MACHT 55.000 EUR

In Rahmen des Programmpakets „VIP GARANTIE“ gewährleistet La Vita Nova Klinik die zugesicherte Geburt des gesunden Kindes. Im Fall der jederzeitigen Fehlgeburt oder Tod des Kindes während der Entbindung, wird das Programm neu gestartet und bis zur Geburt des gesunden Kindes erfüllt. OHNE ZUSATZKOSTEN!

Die sogenannte Leih- oder Surrogatmutter bekommt eine Prämie von 300 bis 400 Euro pro Monat und nach gelungener Entbindung eine Erfolgsprämie von 15.000 Euro. Sie verpflichtet sich zu einem gesunden Lebensstil und tritt alle Rechte am Kind an die sogenannten leiblichen, das heißt, die genetischen Eltern ab. Ungewollt kinderlose Paare, die mit den in Deutschland erlaubten Methoden nicht schwanger geworden sind, können sich auf diese Weise ein Kind kaufen.

Die Leihmütter genießen keinerlei rechtlichen Schutz. Wenn etwas schief läuft, wenn sie eine Fehlgeburt haben, es Schwangerschaftskomplikationen gibt oder das Kind behindert ist und die Annahme verweigert wird, gehen sie leer aus. Gegen gesundheitliche Schäden, die sie eventuell erleiden, gibt es keinerlei soziale Absicherung.

Zwischengelagert

Nun aber stockt das Geschäft. Schon zu Coronazeiten konnten die Wunscheltern die Kinder nicht abholen – die Leihmütter durften sie vertragsgemäß nicht behalten, die Kliniken mussten sie aufbewahren oder in Waisenhäuser abgeben. Jetzt werden „Bunkerbabys“ gelagert.

Zu den Wunscheltern ausreisen, mit einem Neugeborenen im Strom der Kriegsflüchtlinge, können die Leihmütter auch nicht. Zudem würden sie im Ausland laut Gesetz als die Mutter gelten, die ihr Kind nicht abgeben darf. Und gegenüber der Reproklinik wären sie vertragsbrüchig.

Die hiesigen Medien beklagen vor allem das Schicksal der Wunscheltern, die nicht an ihre Kinder kommen, die Leihmütter bleiben im Dunkel. In der Ukraine gibt es eine kritische Diskussion und Forderungen nach mehr Rechten und Absicherung für die Leihmütter, aber auch nach Ausweitung des Angebotes auf queere und nicht verheiratete Wunscheltern.

Osteuropäische Frauen hüten nicht nur die Kinder und pflegen die Alten in Westeuropa, sie stellen auch noch ihren Körper für die Wünsche der internationalen Kundschaft zur Verfügung.

Natürlich arbeitet keine Frau aus altruistischen Gründen als Leihmutter, wie die Kataloge künden und die Kund:innen glauben mögen. Das ganze Geschäft entstand vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation in der Ukraine: der Finanzierung der Aufrüstung während der letzten Jahre, einer Austeritätspolitik samt eingesparter sozialer Absicherungen, ungesicherter Arbeitsbedingungen und Verarmung, wovon Frauen besonders betroffen waren. Reicht das Gehalt nur knapp zum Leben, mag der Job als Leihmutter als ein gutes Zusatzeinkommen erscheinen, hat aber mit Selbstbestimmung wenig zu tun.

Die Reproduktionszentren werben ausdrücklich mit den ausgefeilten Verträgen, die die Leihmütter eingehen und die sie einer starken Kontrolle unterwerfen, mit Verpflichtungen, auf einen gesunden Lebensstil, kein Rauchen, kein Alkohol, kein Sex, mit intensiver Schwangerschaftsüberwachung und allen genetischen Tests – die sich die Leihmütter für eigene Kinder vielleicht gar nicht leisten könnten oder wollten.

Die Agenturen vermitteln den Kund:innen, dass das Kind genetisch ihr eigenes sei, die Leihmutter sozusagen nur der Brutkasten. Die psychische Verfassung der austragenden Frauen, deren Wohlergehen und emotionale Bindung an das Kind interessieren nicht.

Schätzungsweise zwei- bis dreitausend Kinder tragen ukrainische Leihmütter pro Jahr aus und bescheren den Reproduktionskliniken einen Umsatz in Höhe von 100 Millionen Euro.

Auch als Eizellspenderinnnen sind ukrainische Frauen gefragt. Sevilla und Alicante haben sich zu Zentren dieses Geschäfts entwickelt. Die dortigen Kliniken preisen ihrer internationalen Kundschaft gerne junge Frauen aus der Ukraine als Spenderinnen an. Gerade unter den zahlreichen Arbeitsmigrantinnen in Spanien finden sich Frauen, die sich für eine ihnen hoch erscheinende Vergütung zu solchem Eingriff bereit erklären. Osteuropäerinnen sind bei den überwiegend hellhäutigen Kundinnen beliebt – die späteren Kinder sollen ja als leibliche durchgehen.

An den Umsätzen des Geschäfts mit der Reproduktionsmedizin möchten natürlich auch die deutschen Kliniken teilhaben.

Begehrlichkeit

Sie propagieren im Namen individueller Selbstbestimmung ein Anrecht auf ein biologisch eigenes Kind und erklären auch die Eizellspende zu einem Akt der Selbstbestimmung. Frauen sollten dafür nicht ins Ausland reisen müssen.

Sie kritisieren das deutsche Embryonenschutzgesetz als nicht mehr zeitgemäß, da die medizinische Entwicklung es überholt hätte. Auch wären die Spenderinnen durch die gute deutsche Medizin und Rechtslage besser geschützt als in der Ukraine. Es wird behauptet, über zehn Prozent aller Paare wären ungewollt kinderlos.

Als Hebel zur Liberalisierung der deutschen Rechtslage fungiert die Unterscheidung von kommerzieller Leihmutterschaft als quasi Lohnarbeit und altruistischer Leihmutterschaft gegen nur eine Aufwandsentschädigung. Letztere sei ethisch vertretbar.

Moralphilosophisch ist das schwerlich nachvollziehbar, und eine Abgrenzung von Entlohnung und Entschädigung dürfte kaum überzeugend gelingen. Und warum sollte ausgerechnet diejenige, die keinen Nutzen von einer medizinischen Behandlung hat, keine Gratifikation erhalten?

Es ist zu vermuten, dass sich die Richtung des Kinderwunschtourismus umkehren wird, dass Wunscheltern nicht mehr in die Länder legaler Leihmutterschaft reisen, sondern dass Leihmütter und Eizellspenderinnen nach Deutschland kommen werden – und nach erbrachter Dienstleistung wieder verschwinden. Das Recht des Kindes, seine genetische Abstammung zu kennen, dürfte später kaum einzulösen sein.

Ich meine, niemand hat ein Recht, andere Menschen und ihre Körper für seine persönlichen Wünsche zu funktionalisieren. Es handelt sich bei der ganzen Diskussion um eine rückwärtsgewandte Biologisierung und Genetisierung von Familie und sozialen Nahbeziehungen als Begründung für ein Geschäftsmodell. Das Produkt, das Kind, kommt dabei nur nach Aufwand und Ertrag in Betracht; die spätere seelische Verarbeitung seiner Herkunft und Werdung scheint keine der beteiligten Parteien zu interessieren.

Die Reproduktionsmedizin gibt sich aus als Fürsprecherin verzweifelter kinderloser Paare und deren individueller Selbstbestimmung. Aber Kinder sind keine Ware und es gibt keinen Anspruch auf ein biologisch eigenes Kind. Darüber hinaus stößt der Humanismus der Repromedizin an Grenzen, sobald es um die sozialen Folgen geht, um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, die als Leihmütter dienen sollen, um deren Einwilligung aufgrund materieller Misere, um deren fehlende rechtliche Absicherung, um die horrende Ungleichheit der Vertragsparteien: Medizinkonzern auf der einen, junge zumeist schlecht situierte Ausländerin auf der anderen Seite. Das ganze Business beruht auf prekären Verhältnissen in ärmeren Ländern.

Silke Koppermann ist Frauenärztin im Ruhestand und regt sich immer noch über den Sprachgebrauch in der Repromedizin auf, weshalb sie dauernd das Wort „sogenannt“ benutzt.


Eizellspende – eigentlich Eizellgabe: Eine möglichst junge und gesunde Frau wird mit Hormonen behandelt um eine Eireifung zu fördern. Gelingt das, werden die Eier unter Ultraschallkontrolle abpunktiert und in der Retorte mit dem Samen des Wunschvaters befruchtet. Wenn das auch klappt, wird der Embryo in die Gebärmutter der Wunschmutter eingepflanzt in der Hoffnung, dass er dort anwächst. Das Risiko der Spenderin, besteht in den Folgen der hormonellen Stimulation bis zum Überstimulationssyndrom mit gefährlichen Wassereinlagerungen in Bauch und Lunge und der Verletzungsgefahr durch die Punktion, die zu Verklebung der Eileiter und damit zur Unfruchtbarkeit führen kann. Untersuchungen über Langzeitfolgen gibt es nicht. Für die Wunschmutter ist eine Schwangerschaft mit fremden Eizellen mit einem höheren Risiko für Komplikationen wie Schwangerschaftshochdruck, Diabetes und Frühgeburtlichkeit, besonders bei häufiger vorkommenden Zwillingsschwangersc haften, verbunden. Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet die Eizellspende, hauptsächlich wegen Bedenken gegen eine genetisch geteilte Elternschaft. Als Mutter gilt diejenige, die das Kind geboren hat. Adoptionen werden in Deutschland über staatliche Adoptionsstellen vermittelt, so dass die Abgabe des Kindes nicht privat vereinbart werden kann. Feministinnen halten die Frage der Gefährdung, Vernutzung und Ausbeutung einer anderen Frau und ihres Körpers für bedeutsamer.


Leihmutterschaft – nach Retortenbefruchtung mit Ei und Samen der sogenannten Wunscheltern wird der Embryo der Leihmutter eingepflanzt, die dann ein genetisch fremdes Kind austrägt.

In Deutschland ist das verboten. Nach ukrainischem Gesetz sind entsprechende Vereinbarungen erlaubt, wobei die austragende Frau alle Rechte an dem Kind an die Wunscheltern abtritt und letztere als gesetzliche Eltern gelten. In die Geburtsurkunde werden nur die Wunscheltern eingetragen, was im Gegensatz zu Regelungen von Adoptionen in Deutschland steht, die Kindern eine größtmögliche Transparenz zugestehen.