Großartig! Die neue Regierung will endlich die Zivilgesellschaft modernisieren und die längst gelebte Realität der Bürger:innen rechtlich untermauern.
Im Sinne der Freiheit zur Selbstdefinition und der Vielfalt anzuerkennender Lebenskonzepte sollen lesbische Paare nun endlich die doppelte Mutterschaft erhalten, „Verantwortungsgemeinschaften“ aller Art Rechte bekommen, die bislang nur nahen Verwandten, vorzugsweise Ehepaaren, zustehen, und Minderjährige dürfen sich ohne Zustimmung der Eltern „geschlechtsanpassend“ verstümmeln lassen, obwohl vielen der pubertierenden Mädchen, die derzeit verstärkt zu dieser Prozedur neigen, mehr mit einer wirklich geschlechtergerechten Politik geholfen wäre und sie vor der immer häufigeren Retransition bewahren würde. Während hier 14-Jährige vom „Leidensdruck der Zwangsberatungen“ entlastet werden, ist erwachsenen Frauen, und natürlich auch minderjährigen Schwangeren, gerade mal in Aussicht gestellt, sich endlich rechtssicher darüber informieren zu dürfen, wie sie eine ungewollte Schwangerschaft beenden könnten. Doch es ist noch immer kei n vordringliches Thema, dass sie über diese, ihr ganzes weiteres Leben bestimmende, Entscheidung allein befinden dürfen. „Eine Politik für Erwachsene, die wissen, was gut für sie ist“, wie sie die FDP proklamiert?
Während alle nur denkbaren Lebensentwürfe eine Chance bekommen sollen, ist einer noch immer außen vor: ein erfülltes Leben ohne (eigene) Kinder. Es ist immer noch undenkbar (oder soll nicht gedacht werden?). Da wird die Frauenkörper kolonisierende Pflicht zu Kindern (fürs Vaterland, für die Rente, als billige Arbeitskräfte) unauffällig ins Recht auf eigene Kinder gedreht und neuerdings soll sogar das feministische Tabu von (Frauenarmut ausnutzender) Leihmutterschaft (die sich bis dato bevorzugt in der Ukraine fand) und Eizellspende fallen, gekehrt zum altruistischen Akt, der Paaren hilft, ihren „sehnlichen Kinderwunsch“ zu erfüllen. Ja, da muss eine Frau plötzlich „doch entscheiden können, was sie mit ihren Eizellen macht“, so die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr, während freiwillig oder unfreiwillig Kinderlose nicht nur diese fragwürdige Form der Selbstverwirklichung mitfinanzieren müssen, sondern auch all die st aatlichen Fördermaßnahmen zur Produktion von Nachkommen. Und als sei das nicht genug der Diskriminierung, werden sie auch noch durch Sonderzuschläge (z.B. Pflegeversicherung) zur Kasse gebeten. Von der gesellschaftlichen Missachtung einer Entscheidung zur freiwilligen Kinderlosigkeit mal ganz abgesehen.
Für wen das alles?
Statt zu fragen, wie „natürlich“ denn der Kinderwunsch tatsächlich ist, und warum gerade diesem Wunsch eine so große Erfüllungs-Dringlichkeit zuerkannt wird, statt zu fragen, wie sinnvoll die vordringliche Verwirklichung im Kind für unsere Gesellschaften noch sein kann, zielt selbst die grüne Familienministerin auf noch mehr Elternförderung (und das noch bevor die jetzt von der Regierung vorgesehene „schlagkräftige Bundeswehr“ nun auch wieder ein Argument werden könnte). So werden junge Frauen, die womöglich auf die Idee kommen, sich auch anders verwirklichen zu können, immer wieder in die Vereinbarungsfalle (samt Teilzeit, Minderbezahlung und Überforderung) gelockt, die ihnen manches interessante Berufsfeld versperrt – und damit auch die Chance, ihrem durchaus vorhandenen Forscherinnendrang und ihren naturwissenschaftlich-technischen Interessen folgend, dem Männerprojekt der Naturbeherrschung machtvolle Alternativen entgegenzuset zen. Und wozu das Ganze? Dieses Projekt, das dem Tod beikommen will, indem es das ewige Werden unbeirrt weiterbetreibt und zugleich alles tut, um das Vergehen (nur des Menschen wohlgemerkt) zumindest weit hinauszuschieben, bietet doch nun wirklich miese Aussichten für die so hochgehaltenen künftigen Generationen, für die es wohl recht eng und ungemütlich werden dürfte, je mehr die werden, mit denen sie die schrumpfenden bewohnbaren Räume und Ressourcen werden teilen müssen.
Da ist es fast ein Anachronismus, für „unsere Kinder“ die Erde bewahren zu sollen, zumal wir sie nicht von ihnen, den künftigen Erdbewohnenden „geliehen“ haben, sondern von den heute Lebenden weltweit, an deren Anteil der Erde wir uns unentwegt bereichern – und für die auch unsere neue so soziale Bundesregierung überwiegend keine Empathie aufbringt (so ganz anders, als für die Ukraine-Flüchtlinge), zum Beispiel weder für die in undichten Zelten in der Kälte griechischer Flüchtlingslager zum Ausharren Gezwungenen noch für die an der belarussisch-polnischen Grenze in den Wäldern Vergessenen. Und das obwohl sie genauso gut und längst schon dazu beitragen könnten, den Fachkräftemangel zu beheben und die bei uns beschworenen demographischen Probleme abzufedern (statt die Wachstumsspirale immer weiter zu treiben und mit jeder Generation mehr Rentenzahlerinnen und mehr Pflegekräfte zu brauchen).
Wachstum wirklich konsequent bremsen
Kein Thema für unsere Grünen Regierungsvertreter:innen. Sollten sie wirklich keine Verbindung herstellen zwischen den multiplen Umwelt- und Klimakrisen und dem weltweiten Bevölkerungswachstum? Wollen sie nicht sehen, dass alle Bemühungen, mit regulatorischen, technischen oder Werte verschiebenden Maßnahmen die Misere aufzuhalten, durch dieses Wachstum torpediert wird, werden muss? Oder unterliegen sie in der Wahl ihrer politischen Mittel gar einem Reprodukionszwang?
Der Hunger von demnächst zehn Milliarden Menschen wird kaum noch durch halbwegs hochwertige Lebensmittel zu stillen sein (auch wenn nicht mehr ein Drittel der hier produzierten Nahrungsmittel weggeworfen würde), der Bedarf an Energie kaum durch grünen Wasserstoff und regenerative Energien, ohne dass neue unwägbare Eingriffe in die Atmosphäre, die Gewässer und Böden nötig werden und es wieder auf Kosten der Machtlosesten geht. Und den berechtigten Konsumwünschen derer, die heute leer ausgehen, wäre vermutlich auch mit einem 90-prozentigem Verzicht des Globalen Nordens (den hier aber niemand will) kein Ausgleich zu schaffen, selbst mit der perfekten Kreislaufproduktion, die aber, wäre sie denn möglich, zu spät kommen könnte. Heute droht uns das Aus nicht mehr, wenn wir weniger werden, ziemlich sicher aber wenn wir noch mehr werden.
Zwar dürfen wir uns freuen über all die fleißig Forschenden und Erfindenden, auf kuhfreien Käse und tierleidfreies Protein, auf nitratärmeres Getreide durch computergenaue Düngung oder Gemüse, das in mehrstöckigen Großgewächshäusern inmitten unserer Städte in Aquakulturen wächst (der Humus wächst nun mal zu langsam nach) – wie gesund oder schmackhaft es ist, fragen wir nicht. So sehr wir hoffen müssen, unsere künftigen Kleinst- und Cluster-Wohnungen, in die wir werden zusammenrücken müssen, emissionsfrei heizen (wie schwer das sein wird, zeigen die Folgen des Kriegs in der Ukraine ja gerade überdeutlich), die ganze digitale Zukunft regenerativ betreiben und das Mikroplastik aus Meeren und Böden filtern zu können, so groß die Bemühung, all unsere Elektronik und unsere Gebäude wiederverwendbar zusammenzubauen und was der nun endlich denkbaren Lösungsansätze mehr sind – all diese wunderbaren Einfälle (deren Realisierung meist auch ziemlich viel Energie benötigt) werden nach aller Erfahrung ab einer bestimmten Größenordnung ins Negative kippen, soweit nicht wie bisher üblich, von vornherein Neben- und Folgewirkungen ausgeblendet werden. Es fällt uns schwer zu glauben, dass das in Zukunft und bei immer noch steigendem Bedarf anders laufen wird.
Eveline Linke, Diplom-Ingenieurin, Feministin, freie Autorin, lebt in Hamburg und Berlin.