Mehr Chefinnen in Unternehmen?

Brauchen wir Quotenfrauen in der Wirtschaft?

„Der Kulturwandel hat begonnen. Das Gesetz wird nicht nur für Frauen in Führungsgremien wirken. Es wird für alle Frauen wirken, die in den Unternehmen und im öffentlichen Dienst arbeiten“, so die damalige Bundeministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, nachdem der Bundestag am 6. März 2015 das Gesetz über die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG) beschlossen hatte. Sie war stolz darauf, dass die Auseinandersetzung im Bundestag gezeigt habe, „dass wir für Frauenrechte kämpfen müssen. Veränderung kommt nicht von allein.“ Und der damalige Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, Heiko Maas, der das Gesetz mit vorgelegt hatte, wollte gar in die Geschichte eingehen, wie die Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht beinahe 100 Jahre zuvor, wenn er kommentierte: „Die Frauenquote ist der größte Beitrag zur Gle ichberechtigung seit Einführung des Frauenwahlrechts. Nach der politischen Macht bekommen Frauen endlich einen fairen Anteil an der wirtschaftlichen Macht.“

Das war natürlich übertrieben, denn auch mit Frauenwahlrecht und Quotenregelungen in politischen Gremien waren Frauen bekanntlich lange nicht so mächtig wie ihre männlichen Kollegen. Immerhin: Den oft vorgebrachten Vorwand, es gäbe nicht genug qualifizierte Frauen, ließ Maas nicht gelten. Nun ging es aber um die Wirtschaft. Jetzt mussten diejenigen, die für Quoten in den Führungspositionen eintreten, beweisen, dass sich eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen volks- und betriebswirtschaftlich rechnen würde. Wobei offensichtlich die Ökonomien von Ländern wie Norwegen, in denen schon seit Jahren Quotenregelungen gelten, und in denen es für die Betriebe schlicht peinlich ist, wenn sie diese nicht einhalten, erkennbar nicht zusammengebrochen sind. Maas hatte Recht: Noch nie waren so viele Frauen so gut ausgebildet wie heute. Auch die Gewerkschaft 
ver.di, deren Mitgliederschaft einen hohen Anteil von Frauen verzeichnet, jubelte auf ihrer Website: „Endlich – ein Anfang ist gemacht!“ Endlich – und ein Anfang, das war schon zurückhaltender.

Was war das Revolutionäre an dem Gesetz? Es sah vor, dass der Aufsichtsrat von börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen sich ab 1. Januar 2016 zu jeweils mindestens 30 Prozent aus Frauen und Männern zusammensetzen muss (fixe Quote). Bei Gesellschaften, die lediglich börsennotiert oder mitbestimmt sind, muss der Aufsichtsrat dagegen eine Zielgröße für Vorstand und Aufsichtsrat festlegen (flexible Quote).

Den Gewerkschaftsfrauen ging es nicht weit genug, Sie plädierten für die Einführung einer Quote getrennt nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in Aufsichtsräten. „Sonst könnten sich die Arbeitgeber unter Verweis auf den Frauenanteil auf der Arbeitnehmerbank von der Pflicht befreien“, warnten sie anlässlich des Internationalen Frauentages 2015.

Grundgesetzauftrag ernst nehmen

Das FüPoG war lange fällig, denn die Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung der tatsächlichen gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen und auf allen Ebenen – insbesondere auch im Wirtschafts- und Berufsleben – ergibt sich aus Artikel 3, Absatz 2, des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Dass der zweite Satz zur Verwirklichung der faktischen Gleichberechtigung 1994 im Zuge der Wiedervereinigung eingefügt wurde, ist den überparteilichen Frauenbündnissen aus Ost- und Westdeutschland zu verdanken, die sich Gehör zu verschaffen wussten. Bei der Ergänzung handelt es sich um einen wichtigen gleichstellungspolitischen Fortschritt, indem der Staat aufgefordert wird, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichbe rechtigung der Geschlechter aktiv voranzubringen. Der Verfassungszusatz bildete damit die Rechtsgrundlage für das längst fällige Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen.

Was ist daraus geworden?

Dass freiwillige Vereinbarungen, Selbstverpflichtungen und selbstbestimmte Zielquoten der Unternehmen keine nennenswerten Wirkungen entfalten, haben die letzten Jahrzehnte gezeigt. Die deutschen Unternehmen hatten sich schon 2001 verpflichtet, einen höheren Frauenanteil anzustreben – und damit das schon damals unter Familienministerin Christine Bergmann (SPD) geplante Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft verhindert.

Die vom Familienministerium in Auftrag gegebene Evaluation des FüPoG hat bestätigt, dass Regelungen nur dann eingehalten werden, wenn sie verbindlich und mit Sanktionen versehen sind. Die fixe Quote für Aufsichtsräte börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen hat sich als wirkungsvoll erwiesen. Mit rund 35 Prozent Frauenanteil in diesen Gremien geht der aktuelle Anteil von Frauen in den per Gesetz zur Quotierung verpflichteten Aufsichtsräten sogar über die vorgeschriebene Zielmarke hinaus. Weniger zufriedenstellend sind die Ergebnisse, die mit den Zielvorgaben (flexible Quote) erreicht wurden. Ein Drittel der Dax-Unternehmen, die im Rahmen einer Studie Angaben zur flexiblen Frauenquote im Vorstand gemacht haben, gaben als Zielgröße Null an. Ein durchschnittlicher Frauenanteil von nur 7,6 Prozent in Vorständen und die Zielgröße „Null“ bei 78,2 Prozent der Unternehmen bedeuten eine Zementierung des Status Quo. Diese Unternehme n werden bei ihrer sexistischen Haltung bleiben, wenn sie nicht dafür bestraft werden. Der von Manuela Schwesig damals vorhergesehene Kulturwandel steht also noch aus. Durch die Corona-Krise wuchs in vielen Ländern der Frauenanteil in Führungspositionen, während er in den wichtigsten börsennotierten Unternehmen Deutschlands rückläufig war.

Wie ging es weiter?

Bereits im Koalitionsvertrag 2017 haben Union und SPD Verbesserungen für Frauen in Unternehmensvorständen verabredet. Dem ging viel Gezänk voraus. Anfang des Jahres 2021 hat das Bundeskabinett dann ein weiteres Gesetz für Frauen in Führungspositionen (FüPoG II) vorgelegt. Der Gesetzentwurf ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bundesministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und für Justiz und Verbraucherschutz und soll u. a. verbindliche Vorgaben für die Wirtschaft und den öffentlichen Dienst enthalten. Nach monatelangen Auseinandersetzungen konnten sich SPD und Union kurz vor der Sommerpause einigen. Am 11. Juni 2021 [nach Redaktionsschluss dieser LP21] entscheidet der Bundestag endgültig.

Nach dem zu verabschiedenden Gesetz soll nun zusätzlich zu den Geschlechterquoten für Aufsichtsräte auch in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mindestens drei Vorstandsmitgliedern künftig mindestens ein Mitglied eine Frau sein. Die Regelung betrifft in Deutschland rund 70 Unternehmen; in mehr als 30 ist zurzeit keine Frau im Vorstand tätig. Für Unternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes soll bereits bei mehr als zwei Mitgliedern in der Geschäftsführung mindestens eine Frau sein. Die feste Quotenvorgabe von mindestens 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten findet nun unabhängig von einer Börsennotierung oder der Geltung der paritätischen Mitbestimmung auf Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes Anwendung. Die Bestellung eines Vorstandes, dessen Zusammensetzung dagegen verstößt, ist in beiden Fällen nichtig. Die Verpflichtung für die börsenorientierten und mitbestimmten Unternehmen, eine Zielgröße (flexible Quote) für die Unternehmensvorstände festzulegen, bleibt bestehen. Die Zielquote Null ist weiterhin erlaubt. Dass sie die Null künftig lediglich begründen müssen und darüber berichten müssen, warum sie sich das Ziel setzen, keine Frau zu berufen, ist frauenpolitisch unerträglich. Auch der Vorsitzende des DGB fände es wichtig, diese Möglichkeit künftig qua Gesetz auszuschließen. Bis jetzt gilt, dass Unternehmen, die keine Zielgröße festlegen oder keine Begründung für die Zielgröße Null angeben, künftig effektiver sanktioniert werden können.

Trotz seiner Kritik begrüßen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die Einigung der Koalitionsfraktionen auf eine verbindliche Frauenquote. Das Ziel, dass in einem mehr als dreiköpfigen Vorstand künftig eine Frau vertreten sein soll, sei allerdings eher bescheiden. Der DGB verweist auch darauf, dass die Mehrheit der erwerbstätigen Frauen von diesem Gesetz nicht unmittelbar, sondern bestenfalls mittelbar profitieren wird. Er bleibt bei seiner Forderung, dass in größeren Vorständen Frauen mindestens gemäß ihrer Repräsentanz im Unternehmen vertreten sein müssen. Als einen „überfälligen Schritt“ bezeichnet auch die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack das FüPoG II, weil „zumindest in einer begrenzten Anzahl von Unternehmen frauenfreie Vorstände in Zukunft passé sein sollen“. Es gilt also, den begrenzten Bereich auf Unternehmen anderer Rechtsformen und Unternehmen mit erheblicher Beteiligung des Bundes auszuweiten .

Warum fordert der DGB als großer Interessenverband der Lohnabhängigen keine 50-Prozent-Quote? Frauen stellen mehr als die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung. Und die 30 Prozent Frauenquote ist schließlich auch eine 70 Prozent Männerquote. Ohne gesellschaftlichen Druck sowie gesetzliche Regelungen, deren Wirksamkeit kontrolliert werden muss, und ohne Sanktionen für verweigernde Unternehmen, wird sich der Frauenanteil in Leitungs- und Entscheidungsgremien nicht wesentlich erhöhen.

Wirksame Sanktionen können nicht alleine aus Bußgeldern bestehen; auch die Verpflichtung ein Aufsichtsratsmandat unbesetzt zu lassen („leerer Stuhl“), sofern die Quote verfehlt wird, scheint nicht zu greifen. Man kann die patriarchalen Hierarchien auch auf weniger Personen verkleinern. Bei Nichteinhaltung des Gesetzes braucht es Strafen, die die Unternehmen empfindlich treffen. Etwa öffentliche Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die die gesetzlichen Maßnahmen einhalten. EU-Mitgliedsstaaten, die eine Frauenquote gesetzlich beschlossen haben, dürfen bereits entsprechende Vorgaben für die Vergabe öffentlicher Aufträge machen. Berichte darüber, dass deutsche Unternehmen Nachteile bei der Vergabe von Aufträgen im Ausland befürchten müssten, wenn es in Deutschland keine Frauenquote gibt, waren der Presse zu entnehmen.

Es gibt keinen Grund gegen die Quote

Auch wenn der Beweis, dass durch mehr Frauen in Führungspositionen eine Veränderung der Arbeitskultur einhergeht, menschenwürdiger produziert und humaner geleitet wird, bisher ebenso wenig erbracht ist, wie der Gegenbeweis, weil eine ausreichende empirische Basis fehlt, ist das kein Argument gegen Quote. Die Quote ist geeignet, mehr Frauen in Führungsgremien in Wirtschaft und Verwaltung zu bringen, dort werden auch wichtige Entscheidungen getroffen, die die Gesamtgesellschaft betreffen. Es wird schwer sein, einen Grund dagegen zu finden, solange die Hierarchien sind, wie sie sind. Die Frauenbewegung der 1970er Jahre stellte die patriarchalen Strukturen und Hierarchien generell in Frage. Unter anderem gründete sie Frauenbetriebe, Projekte und Genossenschaften mit egalitären Strukturen und konsensualen Entscheidungsfindungen. Zum Teil bestehen sie heute noch.

Mit der „Hälfte der Macht für die Frauen“ wären die patriarchalen Strukturen nicht automatisch verschwunden. Die Diskriminierung der Frauen auf den unteren Ebenen, die klassische und rassistische Verteilung der Arbeit wird durch wenige weitere Führungsfrauen leider nicht geändert werden. Auch die zunehmende Prekarisierung und fortschreitende Armut, die Zuweisung von Sorgearbeiten an Dienstbotinnen aus armen Ländern, Ehegattensplitting, Lohnungleichheit, Refamilialisierung, Privatisierung und die Verlagerung auf ehrenamtliche Gratisarbeit, mangelhafte Infrastruktur für Kinder, Alte und Kranke, die Diskriminierung von anderen Lebensformen werden nicht automatisch der Vergangenheit angehören.

Aber das hat ja auch niemand behauptet. Will man die Ebenbürtigkeit für alle, die Menschenantlitz tragen, wirklich erreichen, bedarf es noch vieler anderer Maßnahmen.

Gisela Notz ist Frauen- und Geschlechterforscherin, beschäftigt sich mit alternativer Wirtschaft und mischt sich auch in andere Themen ein. Sie ist Redaktionsmitglied in LunaPark21. Soeben ist ihr Buch „Genossenschaften. Geschichte. Aktualität und Renaissance“ im Schmetterling Verlag in Stuttgart erschienen.