Nur 19,875 Fuß lang, aber oho!

Die Blechbox. Die Containerschifffahrt. Der Welthandel.

spezial 2: globalisierung & transport

Als Ende März dieses Jahres der Containerfrachter Ever Given bei Passage des Suez-Kanals vom Kurs abkam, sich quer legte und beidseitig in die Uferböschung wühlte, hat sich die globalisierte Wirtschaft einmal kurz und kräftig verschluckt – hustet und würgt nun aber seit Monaten: Anlass für einen Überblick über das komplexe Thema Container-Schifffahrt als logistischem Rückgrat dieser Wirtschaftsweise.

Mehr als 370 Schiffe lagen tagelang fest; im Suez-Kanal selbst, aber vor allem vor den Kanaleinfahrten im Mittelmeer und im Roten Meer, darunter zahlreiche Megacarrier mit Hunderttausenden Containern für Europas Seehäfen. Ob nun Sandsturm oder Manövrierfehler oder beides als Unfallursache ausgemacht werden – die Größe des 400 Meter langen, 59 Meter breiten und 20.388 TEU1 fassenden Schiffs hat maßgeblich zu Unfall-Verlauf und -Folgen beigetragen2. Nach Freischleppen des Schiffs dauerte es noch Wochen, bis der Stau aufgelöst werden konnte. Der globale Handel erlebte ein Chaos – erst wegen zusammenbrechender Produktions- und Lieferketten infolge im Stau steckender Fracht, dann durch Ansturm von Schiffen und Ladung auf die Häfen nach Freigabe der Kanalpassage.

Auch wenn die aktuelle Suez-Blockade Tanker, Massengut- oder Stückgut-Schiffe ebenso getroffen hat wie die Container-Schifffahrt, fokussiert sich dieser Beitrag auf die Blechboxen und was sie für die globalisierte Wirtschaft bedeuten: 2019 belief sich der Weltseehandel auf 11,94 Milliarden Tonnen, davon entfielen 15,7 Prozent oder 1,877 Milliarden Tonnen auf die Container-Schifffahrt.3 Der jährlich erscheinende UNCTAD-Bericht zur maritimen Wirtschaft beziffert diesen Anteil auf 151,891 Millionen TEU4 – und bilanziert, dass 39,14 Prozent davon über die Haupt-Ost-West-Routen transportiert werden: 26,8 Millionen TEU transpazifisch, 7,9 Millionen TEU transatlantisch – und 24,7 Millionen TEU zwischen Ostasien und Europa, also via Suez-Kanal.

Diese wenigen Zahlen verdeutlichen die Bedeutung der ägyptischen Wasserstraße für den Welthandel. Ihre Blockade hat in der maßgeblichen Container-Linien-Schifffahrt mit einem Schlag exakt getaktete Fahr- und Staupläne für Hunderte Schiffe und Dutzende Häfen platzen lassen. Auch wenn der Stau vor Ort selbst relativ zügig aufgelöst werden konnte – die resultierenden Verspätungen der Schiffe verursachen von Zielhafen zu Zielhafen kumulierende Verzögerungen: Hier fehlen Liegeplätze, müssen Schiffe auf Abfertigung warten, dort mangelt es an Umschlagkapazität oder Leercontainern, mal gibt es Engpässe bei Austausch oder Weitertransport, mal werden Boxen unplanmäßig – zu früh, zu spät oder gar nicht – entladen.

Langzeitfolgen

Das hat Folgen für die Vernetzung von Schifffahrt und Seehafen-Hinterlandverkehr, denn auch Feederschiffe, Bahn oder Lkw sind fahrplanmäßig organisiert; und natürlich für die Abläufe der am Ende der Logistikkette „hängenden“ Fabriken, Zulieferer oder Händler. Der Chip-Mangel der Autobauer schaffte es in die Schlagzeilen, Mitte April gab die dänische Reederei Mærsk bekannt, man rechne mit „Langzeitfolgen bis ins dritte Quartal hinein“.5

Rund 50 Schiffe passieren täglich den Suez-Kanal, die meisten davon Interkontinental-Schiffe auf besagter Ost-West-Hauptroute. Zwar können theoretisch alle derzeit betriebenen Containerschiffe den Kanal passieren, weil es keine Längenbeschränkung gibt – und die Grenzmaße für Tiefgang, Breite oder Höhe von keinem der aktiven Carrier erreicht werden.6 Dennoch wurde im Zusammenhang mit der Ever-Given-Havarie über eine Verschärfung von Lotsenpflicht oder Schlepperbegleitung sowie über die Manövrierfähigkeit der ULCV (ultra large container vessel) diskutiert, die – eine brisante Entwicklung – seit Jahren ebenso rasant wie ungebrochen immer größer werden.

Später mehr dazu – zunächst ein gedanklicher Sprung von Ägypten in die USA und zeitlich rund 70 Jahre zurück: Der US-amerikanische Spediteur Malcolm McLean gilt als Erfinder des Containers als Transportmittel. Um die seinerzeit üblichen Lade- und Umschlagszeiten zu verkürzen, kam er auf die ebenso einfache wie geniale Idee, eine Norm-Box zu entwickeln, die nicht nur alles aufnimmt, was in sie hinein passt – sondern die sich auch schnell und einfach laden, stapeln, entladen, transportieren lässt. McLeans erste Versuche beschränkten sich noch auf inneramerikanischen Landverkehr, bevor er 1956 erstmals Container auf dem Seeweg von New York nach Houston beförderte. Zehn Jahre später wagte er den Sprung über den Atlantik: Anfang Mai 1966 setzte das Frachtschiff Fairland von McLeans eigens gegründeter SeaLand-Reederei erstmals Container in einem deutschen Hafen an Land: Der damalige Überseehafen der Freien Hansestadt Bremen als ehemaliger US-Enk lave der Besatzungszeit war spezialisiert auf transatlantische Verkehre.7 Erst gut zwei Jahre später, Ende Mai 1968, wurden auch in Hamburg die ersten Container gelöscht.

Zum Standard wurde zwar der so genannte 20-Fuß-Container (TEU), aber der – Raffinesse des Systems! – ist eigentlich nur 19,875 Fuß lang: Damit sind zwei hintereinander gestapelte Boxen einschließlich des nötigen Zwischenraums kombinierbar mit der exakt 40 Fuß langen zweiten Standardgröße. Diese oft auch „FEU“ genannte Norm – für 40-Fuß-Äquivalent – entspricht also zwei TEU. Außer diesen beiden Versionen – jeweils geschlossene Stahlblechboxen mit einem doppelflügeligen Klapptor auf einer Seite – gibt es inzwischen etliche Spezialformen für verschiedene Ladungsarten: mit abnehmbarem Dach oder Luken für Schüttgut, mit eingepasstem Tank für Flüssigkeiten, Kühlcontainer für empfindliche oder „Flats“ und „Plats“ für sperrige Güter. Aber sie alle sind 19,875 oder 40 Fuß lang und in nur wenigen, aber gleichfalls genormten Breiten und Höhen verfügbar.

Ob Blechbox oder „Plat“ – McLeans Erfindung hatte weitreichende Folgen. Die „Containerisierung“ prägt heute die gesamte Logistik in Technik, Struktur und Verwaltung, veränderte Schiffbau und Nautik ebenso wie die Arbeit an Bord und in den Häfen, beeinflusst Verkehrswege- und Hafenbau, sogar die Städteplanung, wirkt in weite Bereiche gesellschaftlichen Lebens. Nur einige Beispiele sollen das an dieser Stelle illustrieren – wer mehr wissen möchte, beschaffe sich das geniale Buch „Das Container-Prinzip“ von Alexander Klose aus dem Jahre 2009, das bis heute konkurrenzlos sein dürfte.7 Klose hat seinerzeit versucht, die Gegenwart des globalen Konsumkapitalismus ursächlich aus der Verpackungseinheit Container herzuleiten und zugleich die Wirkung der Containerisierung auf die Gesellschaft zu hinterfragen. Er warnte damals schon vor den Gefahren eines in Blechbox-Kategorien zerlegten Denkens und Seins für demokratische Prozesse und gesellschaft liche Solidarität: „Das Containersystem ist Ding und Un Ding zugleich“.

Radikaler Wandel

Die Wirkung der Containerisierung setzt an den Anfangs- und Endpunkten der Produktion an, bei Zulieferung, Lagerhaltung und Distribution. Vor den Blechbox-Zeiten brauchte die Logistikkette eine Vielzahl geschulter Spezialisten, je nach Warenart und Transportvorgang: Da wurden Waren – Fertigprodukte ebenso wie Halbzeug – industrie- oder herstellerseitig auf Lkw oder in Bahnwaggons verpackt, je nach Art und Bedarf in unterschiedlichsten Kisten, Ballen, Säcken oder Fässern. Auf dem weiteren Weg musste Stück für Stück oft mehrmals umgeladen, dann (mit oder ohne Zwischenlagerung in Schuppen) an Bord verstaut werden. Jeder Bahnarbeiter, Lkw-Fahrer und Hafenarbeiter brauchte Fachkenntnis, um jedes Stück sachgerecht vom einen ins andere Transportmittel zu bewegen und dort so zu stauen, dass das jeweils nächste Ziel sicher erreicht werden konnte.

Der Container hat diese personal- und zeitintensiven Abläufe radikal verändert. Heute wird beim Hersteller oder Lieferanten ein Container mehr oder weniger hastig „gestufft“, dann das Klapptor verschlossen, möglicherweise aus Zoll- oder Versicherungs-Interesse verplombt – und ab diesem Zeitpunkt wird die Ware in der Regel bis zum Zielort nicht mehr angefasst. Alles Weitere ist mit einem Bruchteil früheren Aufwands zu bewältigen: Die Lager- und Stau-Logistik ist durch den Container weitgehend aus der Transportkette herausgelöst und auf deren beiden Enden konzentriert worden.

Eine Entwicklung, die auch landseitig nicht nur Vorteile hat: Wo früher qualifizierte Lager- und Hafenarbeiter gestaut, bewegt, geladen, gelöscht und betreut haben, beklagen Transportversicherer heute vielfach einen „Fürsorgemangel“: Häufig würden Container nur von angelernten oder minderqualifizierten Billiglöhnern gepackt oder entladen; die Versicherer sprechen von einer „neuen containerspezifischen Schadenssituation“ infolge des Einsatzes ungelernten Personals beim Beladen der Boxen oder anderweitig unterlassener Ladungssicherung.8

Schnellerer Hafen-Umschlag? Dazu ein Beispiel: Das bekannte Hamburger Museumsschiff Cap San Diego fuhr in seiner „aktiven“ Zeit (1962-86) als Stückgutfrachter, mit 160 Metern Länge und einer Größe von knapp 10.000 gross tons (gt) war er einer der größten seiner Zeit. Dieses Schiff in damals üblicher Handarbeit zu be- oder entladen, erforderte eine mehrtägige Liegezeit im Hafen. So dauerte etwa das Löschen von 360 Kaffeesäcken durch eine „Gang“ von Hafenarbeitern im Schnitt vier Stunden. Diese Kaffeemenge passt heute in einen Container, ein geübter Brückenfahrer benötigt etwa drei bis vier Minuten, diese Box von Bord zu holen. Kein Wunder also, dass ein großes Containerschiff wie die Ever Given für eine volle Be- oder Entladung seiner 20.388 TEU an einem modernen Terminal nur etwas mehr als einen Tag Liegezeit bräuchte – ein, zugegeben, theoretischer Wert, weil ein Komplettumschlag in nur einem Hafen so gut wie nie vorkomm t.

Kein Wunder auch, dass in der Frühzeit der Container-Schifffahrt die Hafenarbeiter-Gewerkschaften vor allem in den USA teilweise massiven Widerstand leisteten. In einer Lerneinheit der Universität Bremen über „Die Container-Revolution“ heißt es dazu: „Die Gewerkschaften hatten vorausgesehen, dass der Container vor allem zu einer großen Arbeitsplatzvernichtung führen würde… Wahrscheinlich waren die kontinuierlich erkämpften Lohnsteigerungen auch ein wichtiges Motiv für die Etablierung des Containers, war doch McLean für seine außergewöhnliche Sparsamkeit bekannt. Man könnte also sagen, der Container war eine Art Streikbrecher“.9

Massive Jobverluste in den Häfen sind aber nur eine Folge der Containerisierung: Mit dem Durchbruch dieser Transportform veränderten sich sowohl Schiffbau als auch Hafensuprastruktur. Schiffe wie die Fairland hatten noch spezielles Geschirr fürs Laden und Entladen der Container. Alsbald wurden sowohl für Blechkisten-Transport spezifische Schiffe entwickelt als auch passende Krananlagen („Brücken“) in den Häfen installiert. Auf den Terminals waren und sind diese Brücken ebenso wie die boxenverteilenden „Van Carrier“ von ungleich weniger Menschen zu bedienen als es zuvor zwischen Schuppen, Kaianlagen und Schiffsluken an menschlicher Arbeitskraft bedurfte. In Hamburg etwa haben um 1970, in der Frühzeit der Container-Ära, geschätzt 10.000 qualifizierte Hafenarbeiter einen Jahresumschlag von knapp 47 Millionen Tonnen bewältigt – 2020 wurde ein 126-Millionen-Tonnen-Umschlag von 3600 Beschäftigten (davon 1900 an den Terminals) erledig t, Tendenz weiter sinkend.

Knowhow-Export

Auch im Schiffbau – als „Vorstufe“ der Schifffahrts-Containerisierung – kostete McLeans Erfindung Zigtausende Arbeitsplätze. Zunächst wurden die neuartigen Schiffe noch auf hiesigen Werften gebaut – es brauchte aber deutlich weniger Knowhow und damit weniger spezialisierte Arbeiter als der vorherige Frachtschiffbau. Es war der Anfang einer Entwicklung mit verheerenden Folgen: Denn die deutschen Reeder (für ihre europäischen Kollegen gilt Ähnliches), die der Spiegel wegen ihres Subventions-Gejammers bereits 1961 als „Heulbojen“ bezeichnete,10 waren sich schon damals mit vielen Werftmanagern einig, dass Kosten und Löhne etwas Übles sind, das gedrückt und vermieden gehört. Schon vor dem Container-Boom hatte daher die Ära eines Schiffbaus begonnen, dessen Risiken zu einem beträchtlichen Teil durch staatliche Gelder und damit vom Steuerzahler abgedeckt wurden – bis heute ist dies „branchenüblich“.

Ab den 1960er Jahren entwickelte sich ein komplexes System staatlicher Förderung nicht nur von inländischem Schiffbau. Die Ablösung des bis dahin üblichen Spezialschiffbaus mit hohem Einzelfertigungsanteil durch Großschiffbau in standardisierter Serienfertigung – siehe oben: weniger Knowhow, viel billige Arbeitskraft –, hatte ambivalente strategische Folgen: Deutsche ebenso wie andere europäische Werften verkauften ihre neue Produktionstechnik in andere Länder und wurden dafür („Entwicklungshilfe“) sogar noch extra gefördert. Tatsächlich schufen sie so aber neue Werftkapazitäten und damit sowohl ein strukturelles Überangebot als auch neue Wettbewerber.

Erst Japan, dann Südkorea, schließlich China – vor allem in Ostasien entstand eine für den Containerschiffbau ideale Werftindustrie: hohe Quantität, billig, pünktlich – technologische Defizite half der Westen mit besagtem Knowhow-Export abzubauen, staatliche Subventionen, Steuervorteile und Schutzzölle sicherten den Vorgang ab. Erst spezialisierten sich in den 1960er und 1970er Jahren Japan und kurze Zeit später Südkorea auf die Serienfertigung immer größerer Carrier für die Blechboxen; ab den 1990er Jahren begann China eine Aufholjagd, mit der sich die Volksrepublik binnen 20 Jahren an die Weltspitze der Schiffbauer katapultierte (siehe Tabelle 1, Seite 46).

Beschleunigung

Zu dieser Entwicklung wäre noch viel zu sagen, ist aber nicht Thema dieses Beitrags.7 Tatsächlich erkannten Reeder und maritime Wirtschaft sehr schnell die Chancen, die McLeans Blechboxen als genormtes Rundum-Transportmedium ihnen boten. Die oben kurz beschriebene Verkürzung logistischer Abläufe hat durch Beschleunigung des Warentransports sowie durch verminderten Arbeitskräfte-Bedarf die weltumspannende Logistik erheblich verbilligt. Experten unterschiedlicher Lager sind sich einig: Was heute, als Globalisierung von den einen gefeiert, von den anderen verdammt, die weltweite Vernetzung von Rohstoff- und Vorprodukt-Lieferung über Herstellung, Design, Transport und Konsum ausmacht, hätte ohne den Container kaum so effektiv entwickelt werden können.

Aber die betriebswirtschaftlichen Vorteile für die Logistikbranche – in der Schifffahrt für Charterer und Reeder – sind nur das eine. Das andere sind die Folgekosten der Containerisierung, die fortlaufend und zunehmend der öffentlichen Hand zu Lasten fallen. Die massiven Jobverluste im Schiffbau und in den Häfen wurden bereits beschrieben – sie bedeuten nicht nur schwer wiegende persönliche Probleme für Betroffene, sondern auch eine starke gesellschaftliche Belastung. Für die Reeder indes erwiesen sich nicht nur die Beschleunigung und Vereinfachung der Umschlagsabläufe vor, in und ab den Häfen als Vorteil: Vielmehr konnten die alsbald immer größer werdenden und schneller fahrenden Containerschiffe auch mit deutlich weniger Personal gefahren werden. Hatte beispielsweise ein Stückgutfrachter wie die Cap San Diego, Baujahr 1961, eine Besatzungsstärke von 38 Mann, fahren heute ungleich größere Containercarrier mit einer rund 20-köp figen Crew oder weniger.

Stolz schreibt die Marketing-Gesellschaft des Hamburger Hafens: „Je größer das Schiff, desto mehr Container können geladen werden, und das bei annähernd gleichen Kosten. Ein 15.000-TEU-Schiff hat ebenso viel Mann Besatzung wie ein 20.000-TEU-Schiff“ 11.

Häfen-Anpassung

Damit nicht genug. Schifffahrt bedeutet zwar weit mehr als nur Container-Transport – Tanker für Rohöl, Flüssigprodukte oder Gas, Massengutfrachter für Erz, Kohle oder Futtermittel sowie diverse Spezialtransporter stellen zusammen einen erheblich größeren Teil der Welthandelsflotte als die Containerschiffe. Ein chronologischer Überblick (siehe Tabelle 2, Seite 51) zeigt aber, dass das Wachstum sowohl der Gesamtflotte als auch der Durchschnittsgröße ihrer Einheiten langsamer verläuft als die Zunahme von Zahl und Größe der Containerschiffe. Hier ergänzen und beeinflussen sich zwei Faktoren gegenseitig: die betriebswirtschaftlichen Vorteile des Transportmediums Container und die gestiegenen Möglichkeiten, immer mehr Güterarten in die Blechboxen verfrachten zu können.

Zur gesellschaftlichen Bilanzierung der Containerisierung gehört zudem ein Blick auf die Anpassung der Häfen-Infrastruktur an die ULCV. Mit Neu- und Ausbau von Terminals und Kajen nicht getan, es bedarf auch des Ausbaus und Unterhalts der Hafenzufahrten zu Wasser und zu Lande: Ob Flussvertiefungen, Brücken, Tunnels, Kanäle, Schienen- oder Straßenanbindungen ins Hinterland – was immer für nötig erklärt wird zur Anpassung von Infrastruktur an immer größere Schiffe und höhere Ladungsmengen, bezahlen Bund, Länder und Kommunen aus Steuergeldern.

Das ist nicht mehr unumstritten. Umweltverbände oder Flussanlieger entlang Weser und Elbe kritisieren seit langem die immer neuen weiteren Vertiefungspläne (siehe Kasten): Sowohl die Ausbau- und Unterhalts- als auch die ökologischen oder hydrogeologischen Folgekosten seien eine ebenso teure wie nicht endende Subvention der maritimen Branche. Und selbst eine wirtschaftsfreundliche Zeitung wie die Welt bemerkte Anfang 2016 anlässlich der Havarie des Containerschiffs CSCL Indian Ocean auf der Elbe: „Die Sicherheitsrisiken immer größerer Containerfrachter sind für die Öffentlichkeit nicht tragbar. Die Schifffahrt profitiert, nicht aber die Hafenstädte. Eine Debatte ist längst überfällig“.12 Wenige Tage zuvor hatte der angesehene Deutsche Verkehrsgerichtstag (VGT) das Wachstum dieser Schiffsriesen problematisiert, diverse Gutachten bestätigen die Kritik. Trotzdem geht der Größenwahn ungebrochen weiter, die Rufe, den subventionierten Reede rn klare Grenzen zu setzen, haben noch längst nicht genug öffentlichen Druck erzeugt.

Vor rund 15 Jahren hatte die Prognos AG in einer Studie gewarnt, ab einer Kapazität von 10.000 TEU seien „Restriktionen bezüglich Wirtschaftlichkeit, Containerhandling und Stabilität sowie Sicherheit und Hafenkapazität“ zu erwarten; das „wirtschaftlichste“ Containerschiff werde in Zukunft das 8000-TEU-Schiff als „Arbeitstier“ sein.13 Folgenloses Gerede, das Wachstum scheint unaufhaltsam: Seit Mai 2020 ist Südkoreas Reederei HMM Weltrekordhalter, ihre HMM Algeciras und deren elf Schwesterschiffe sind 400 Meter lang und 61 Meter breit und haben eine Kapazität von 23.964 TEU. Aber die norwegisch-deutsche Klassifikationsgesellschaft DNV projektiert seit Ende 2019 zusammen mit einer chinesischen Werft ein neues ULCV, das 432,5 Meter lang und 63,3 Meter breit werden und 25.600 TEU tragen können soll.14

Größen-Probleme

Die Branche hat die Pandemie wirtschaftlich glimpflich überstanden7, rasant fortschreitende Gigantomanie ist ein Ausdruck dessen: Nach einer Corona-Delle Anfang 2020 nehmen die Neubaubestellungen im Rekordtempo zu, die Transportkapazität im Containersektor wächst drastisch schneller als die Zahl der Schiffe (siehe auch Tabelle 2):

• Mitte April 2013 konnte die globale Containerflotte mit rund 4800 Schiffen etwa 16 Millionen TEU befördern.

• Ende Mai 2021 sind mehr als 6200 Schiffe in Dienst – mit einer Kapazität von 24,68 Millionen TEU.

• Ende März 2021 standen weltweit 376 Containerschiffe mit einer Gesamtkapazität von 3,4 Millionen TEU in den Orderbüchern der Werften – rund 14 Prozent der globalen Containerflotte: Bis Ende Mai ist diese Neubauquote auf 18 Prozent gestiegen.15

Für die Reeder mögen die Folgen dieser Entwicklung bei drastisch gestiegenen Frachtraten positiv sein – Spediteure und Industrie sehen das vielleicht anders, denn sie zahlen dafür. Aber es gibt auch andere Folgen: Nautisch wird es schwieriger, solche Riesen zu manövrieren, wie es der Fall der MSC Zoe Anfang 2019 unmittelbar an der deutschen Nordseeküste deutlich gezeigt hat (siehe Kasten Seite 50). Und Mitte März dieses Jahres erst warnten Versicherer vor Mängeln bei der Ladungssicherung: Seit November 2020 seien allein im Pazifik-Verkehr mehr als 3000 Container über Bord gegangen.7

Das hat triftige Gründe: Das Container-Motto „stuffen, Klappe zu und weg“ macht die Blechboxen zu einem schwer kontrollierbaren Transportmedium. Zum Stauen der Container an Bord ist es unerlässlich zu wissen, welche Ware innen drin wie gepackt und gestaut wurde, davon hängt die Stabilität eines Schiffes ab: Zwar sind die Carrier seit langem mit regalartigen Gerüsten (so genannte cell guides) zur Aufnahme der Boxen ausgestattet. Aber die Platzierung eines jeden Containers in diesem cell-guide-Regalsystem erfordert eine exakte Planung, die ohne Kenntnis auch von Verteilung und Lagerung der Ware in den Boxen nicht möglich ist.

Sind die Kisten einmal an Bord, können sich aus dem Neben-, Über- und Untereinander unterschiedlich bepackter Boxen – spätestens bei starkem Wind und Wellengang – ungeahnte Kräfte entwickeln und schwere Havarien verursachen: Auch hierfür ist der Fall MSC Zoe ein aktuelles Beispiel. Das hat dann nicht nur betriebswirtschaftliche Folgen (für Reeder und Versicherer), sondern ist auch als Allgemein-Last zu verbuchen; sei es wegen langfristiger Küsten- oder Meeresumweltschäden, sei es, weil die Havarie-Folgekosten die Endpreise von Konsumgütern verteuern.

Bleibt noch zu erwähnen, dass der Container auch ein Problem für jedwede staatliche Kontrolle darstellt. Zum einen lassen die verschlossenen Boxen durchaus Schmuggel und andere illegale Geschäfte gedeihen; zum anderen interessieren sich auch Sicherheitsbehörden für das, was drinnen ist, aber möglicherweise nicht in den Ladepapieren steht. Die Möglichkeiten einer Boxen-Überprüfung auf dem Terminal sind begrenzt. Zwar gibt es Röntgenschleusen, aber die sind teuer und ihr Einsatz ist aufwändig und zeitraubend: Also bleibt es bei Stichproben – mit allen Risiken. Denn ein Hafen, in dem ein Schiff mehrere tausend TEU entlädt, auf die zig Waggons und Lkw warten, würde kollabieren, wenn alle Boxen diese Schleusen durchlaufen müssten – zeitlich und natürlich auch finanziell.

Humanitärer Skandal

Das Sicherheitsproblem hat übrigens auch zu einer – nicht nur die Containerschifffahrt betreffenden – humanitären Krise geführt. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erpressten die USA in hysterischer Vorgehensweise die Häfen der Welt, ein spezifisches Hafenmanagement einzuführen: Wer mit den USA weiter Handel treiben wollte, musste sich fügen. Basta. Der so genannte International Ship and Port Facility Security Code (ISPS Code), 2004 weltweit in Kraft getreten, zwang die Häfen, ihre Areale kategorisch abzuschotten und zu überwachen – was den Häfen und damit meist der öffentlichen Hand erhebliche Kosten aufbürdet. Zu einem humanitären Skandal aber wurde der ISPS-Code, weil er auch die ohnehin vielfach gestressten Schiffsbesatzungen drangsaliert: Indem er alle Seeleute pauschal zu Verdächtigen erklärt und ihre Freizügigkeit einschränkt, macht er sie für die Dauer ihres Aufenthalts quasi zu Gefangenen ihr er Schiffe und des Hafens.7 Wobei nicht vergessen werden darf, dass die Abschottung die Häfen und ihren Betrieb auch dem Blick der breiten Öffentlichkeit entzieht, die aber Steuern zahlend für den Hafenbetrieb aufkommt: In der Regel sind die den Reedern abverlangten Hafengebühren alles andere als kostendeckend.

Apropos Geld: Reedereien – auch und gerade in der Container-Schifffahrt – sind äußerst kreativ, wenn es um Kostensenkung, Subventionen, Tarife und Profite geht. Das meinten nicht nur Deutschlands erwähnte „Heulbojen“, sondern gilt weltweit. Einerseits findet hier ein Verdrängungswettbewerb statt, der mittlerweile zur Bildung mächtiger Oligopole geführt hat. 2013 beispielsweise entfielen rund 67 Prozent der globalen Transportkapazität auf die zehn größten Reedereien, 2021 ist dieser Anteil auf rund 84 Prozent gestiegen. Konzen-trationen, Fusionen und Übernahmen sowie einzelne Pleiten haben zudem die Entwicklung beschleunigt.16

Andererseits gehört es zum Geschäft, sich gegenseitig nicht mehr als nötig weh zu tun: Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich sogenannte Linienkonferenzen etabliert, mittels derer Reedereien einen ruinösen Konkurrenzkampf zu verhindern suchten. Für jeweils abgegrenzte Fahrtgebiete berieten und vereinbarten sie Fahrpläne, Kapazitäten und Frequenzen sowie Tarife/Frachtraten und weitere Bedingungen. Mittlerweile sind Linienkonferenzen sowohl seitens der USA als auch der EU als Kartellstruktur verboten. Experten gehen zwar davon aus, dass eine erste Welle von Unternehmensfusionen in der Branche in den 1990er Jahren diese Kartellverbote beschleunigt, wenn nicht ausgelöst hat. Allerdings zeigt – siehe oben – die Erfahrung, dass die weitere Konzentration damit nicht hat gestoppt werden können.

Dafür haben sich die Größten der Großen jetzt zu so genannten Allianzen zusammengefunden und bieten abgestimmte Fahrtgebiete und Fahrpläne an, ohne jedoch auch Frachtraten und andere Bedingungen gemeinsam zu diktieren. Der dänische Weltmarktführer APM-Mærsk und sein Schweizer „Verfolger“ MSC bilden so die „2 M Alliance“, Frankreichs CMA CGM, Chinas COSCO und Taiwans Evergreen haben die „Ocean Alliance“ vereinbart; und dann gibt es noch die „THE Alliance“ (das THE steht für „Transport High Efficiency“) mit Deutschlands Hapag-Lloyd, Taiwans Yang Ming und dem japanischen Reedereiverbund ONE. Allerdings bedürfen auch diese Allianzen einer kartellrechtlichen Erlaubnis, die in der EU bekannt ist unter dem Begriff „Gruppenfreistellungsverordnung für Konsortien“. 17

Süden abgehängt

Der Streit um diese kartellähnlichen Pakte hat dazu beigetragen, dass sich interkontinentaler Containerverkehr zunehmend auf bestimmte Handelsrouten konzentriert hat. Mit Blick auf die globale Verteilung von Wirtschaftsmacht erstaunt es wenig, dass sich alle Hauptrouten auf die Nordhalbkugel des Planeten konzentrieren, der Süden bleibt abgehängt.

Wie eingangs erwähnt, werden hier knapp 40 Prozent des Weltcontainerhandels abgewickelt: transpazifische Verkehre zwischen Nordamerika und Ost- und Südostasien, transatlantische zwischen Europa und Nordamerika und die mengenstarken Ostasien-Europa-Verkehre passieren als südlichsten Punkt die Straße von Malakka – alles Routen nördlich des Äquators.18

Die übrigen 60 Prozent verteilen sich weltweit, addieren sich aber – neben dem vergleichsweise schwächeren Interkontinentalverkehr von und nach Lateinamerika, Afrika und Australien – vorwiegend aus meist starkem Regionalverkehr.19

Im Kontext der interkontinentalen Routen dürfen die diversen Nadelöhre nicht unerwähnt bleiben: Von Ost nach West sind dies die Straße von Malakka, der Golf von Aden und der Suez-Kanal (siehe auch Seiten 76ff), die Straße von Gibraltar sowie in Europa der Nord-Ostsee-Kanal und im Westen der Panama-Kanal. Die natürlichen Meeresstraßen sind weitgehend problemlos – sieht man davon ab, dass Malakka und Aden in wechselndem Maße beliebte Angriffspunkte für Piraterie darstellen.

Über den Nord-Ostsee-Kanal, mit jährlich rund 32.000 Passagen die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt, wäre viel zu erzählen, zumal der Bund als Eigentümer ihn weitaus schlechter pflegt als die Schifffahrt es verlangt. Das aber ist ein Thema für sich. Erwähnt sei nur, dass der Nord-Ostsee-Kanal im Vergleich zu Suez- oder Panama-Kanal nicht annähernd seine Kosten erwirtschaftet, folglich vom deutschen Steuerzahler massiv subventioniert wird. Trotz der vergleichsweise niedrigen Passagegebühren aber wird bei Reedern scharf kalkuliert: Sobald der Ölpreis mal wieder fällt, bevorzugen viele trotz des Zeitverlustes den Umweg über Skagen.

Der Panama-Kanal ist zwar die längste künstliche Wasserstraße der Welt, wird aber im Vergleich zu Nord-Ostsee-Kanal oder Suez-Kanal weniger genutzt: 2020 passierten knapp 14.000 Schiffe die mit fünf Schleusenanlagen recht komplizierte Strecke. Hauptsächliche Nutzer sind übrigens nicht die interkontinentalen Verkehre (etwa Asien – US-Ostküste oder Europa – US-Westküste), sondern der quasi „inländische“ US-Verkehr zwischen Atlantik- und Pazifikküste. Seit Ausbau 2016 kann der Kanal Schiffe bis zu 367 Metern Länge und gut 51 Metern Breite schleusen,20 ist also für aktuelle ULCV längst nicht mehr passierbar: Maximal können Carrier mit einer Kapazität um 13.000 TEU den Kanal befahren.

Diese und andere Einschränkungen beleben seit langem schon Überlegungen, alternative Querungen zu bauen – von Mexiko über Nicaragua bis Kolumbien: Geworden ist daraus bislang nichts (siehe der Beitrag von Gerold Schmidt auf Seite 56).

Aber sie wecken auch ganz andere Begehrlichkeiten: Immer lauter wird in Schifffahrtskreisen über die wegen des Klimawandels absehbar passierbaren arktischen Routen diskutiert. Das betrifft momentan zwar noch nicht die Verkehre im Norden des amerikanischen Kontinents, denn die Nordwestpassage gilt Experten zufolge als frühestens 2030 in stärkerem Maße passierbar.21

Die Nordostpassage zwischen Nordostasien und Europa hingegen ist schon seit längerem zumindest in den Sommermonaten befahrbar. Immer wieder werden neue Versuche unternommen, diese Route auch wirtschaftlich zu etablieren. Allerdings gibt es hier auch in der maritimen Branche Differenzen – während die einen den Verzicht auf jedwede Handelsschifffahrt durch arktische Gewässer erklären, treiben andere die Erprobung voran.7

Chinas „Seidenstraße“

Was schließlich den Blick nach China lenkt: Als Ergänzung ihres transozeanischen Konzepts der „Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ hat die Volksrepublik vor etwas mehr als drei Jahren in einem „Arktischen Weißbuch“ die Vision einer „polaren Seidenstraße“ entwickelt. Dabei geht es nicht nur um eine Verkürzung des Handelswegs, sondern auch um Zugang zu polaren Rohstoffreserven. Die Realisierbarkeit hängt daher nicht nur von den Akteuren der maritimen Wirtschaft ab, sondern vor allem auch von Russland, das bereits vor Jahren eine Ausweitung seiner seerechtlichen „Ausschließlichen Wirtschaftszone“ beantragt hat.

Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, detailliert auf das Seidenstraßen-Konzept einzugehen.7 Soviel aber sei erwähnt: Die maritimen Teile dieses Plans beeinflussen schon heute den interkontinentalen Verkehr zwischen Asien und Europa, denn sie sind nicht nur auf den Seetransport als solchen fokussiert, sondern auch auf dessen landseitige Vernetzung – Erwerb bestehender oder Bau neuer Häfen entlang der Routen samt geeigneter Hinterlandanbindungen sollen Beijings Dominanz stärken. Bereits heute ist China nicht nur in Piräus, sondern in mehr als einem halben Dutzend weiterer Mittelmeer- und Nordostatlantik-Häfen präsent – demnächst vielleicht auch in Hamburg.

Und es ist bemüht, diese auch auf dem Landweg zu vernetzen, mittels Ausbau von Seidenstraßen-Schienen-Verbindungen. Zu Jahresbeginn bilanzierte etwa der Spiegel, dass laut Deutscher Bahn im vergangenen Jahr auf der Strecke China-Europa rund 12.000 Züge mit insgesamt 200.000 TEU gefahren seien. Das soll in den kommenden Jahren auf bis zu 500.000 TEU gesteigert werden.22 Wer das aber als Konkurrenz zur Schifffahrt begreift, liegt schief: Eine halbe Million Standardcontainer ersetzt gerade einmal 25 ULCV. Gegenrechnung: Wenn ein Zug von China nach Europa 44 Container transportiert,23 dann bräuchte es mehr als 1500 Züge pro Tag, um den Handel zwischen diesen beiden Destinationen auf seinem aktuellen Niveau zu ersetzen.

So gesehen, scheint es sinnvoller, über Deglobalisierung und eine andere Schifffahrtspolitik zu reden, um die Auswüchse heutiger Container-Schifffahrt in den Griff zu bekommen.

Burkhard Ilschner ist verantwortlicher Redakteur des Projekts WATERKANT: 1986 als maritime Zeitschrift gegründet, musste deren Erscheinen Ende 2019 eingestellt werden; seither entwickelt sich daraus ein kostenloses digitales Informationsprojekt zur Meerespolitik: https://waterkant.info (Beteiligung erwünscht).


Die Sache mit McLego…

Zur McLean‘schen Konzerngeschichte gibt es einen netten Gimmick: Hartnäckig hält sich das Gerücht, Lego-Spielklötze hätten Malcolm McLean inspiriert, den Container als universell stapelbaren Transportbehälter zu entwickeln. Falls das stimmt, wäre es in gewisser Weise auch makaber: Denn rund 40 Jahre später wurde McLeans Container-Reederei SeaLand vom mittlerweile global führenden dänischen Reedereikonzern Mærsk geschluckt: Eine dänische Spiel-Idee hätte so auf Umwegen dänisches Schifffahrts-Wachstum begünstigt…


Baggern bis St. Nimmerlein

Anfang Mai hat Hamburg großspurig der jahrelang umstrittenen neunten Elbvertiefung eine so genannte Teil-Freigabe erteilt. Die im Bündnis „Lebendige Tideelbe“ zusammengeschlossenen Hamburger Umweltverbände bezeichneten die amtliche Verkündigung als einen „verkappten Verzweiflungsakt, der gesichtswahrend als Erfolg gefeiert wird“. Angesichts massiver Schwierigkeiten „insbesondere im Hamburger Hafen, mit dem hohen Sedimenteintrag fertig zu werden“, würden die Unterhaltungsbaggerungen und damit die stetigen Eingriffe in das sensible Ökosystem Tideelbe deutlich zunehmen.

Mag sein, dass der durch die Vertiefung erreichte zusätzliche Tiefgang von 90 Zentimetern für die Riesenschiffe der einen oder anderen Reederei einen kleinen Vorteil bringt, weil sie ein paar hundert Container „Ziel Hamburg“ mehr pro Fahrt einplanen kann. Dass das aber die gesellschaftlichen Kosten rechtfertigt, darf bezweifelt werden: Das Umweltbündnis geht von deutlich mehr als einer Milliarde Euro aus, amtliche Stellen bilanzieren „nur“ 800 Millionen. Hinzu kommen aber die Kosten für die Unterhaltung der Fahrrinne, die aktuell bei jährlich rund 150 Millionen Euro liegen und mit Sicherheit weiter zunehmen werden. Der Förderkreis Rettet die Elbe e.V. (RdE) hat anlässlich der amtlichen Teil-Freigabe die Baggerungs-Daten von 1999 bis 2019 ausgewertet und veröffentlicht (https://www.rettet-die-elbe.de/). RdE-Kommentar: Die Maßnahme stärke lediglich „das umweltfeindliche Denken geldgieriger Pfeffersäcke“.


Keine Lehren aus dem Fall „MSC Zoe“

Anfang 2019 verlor das unter der Billigflagge von Panama fahrende Containerschiff MSC Zoe vor der niederländischen und deutschen Küste 342 Container. An den Stränden mussten defekte Boxen und Zigtausende Konsumgüter eingesammelt werden, dazu Unmengen von Ladungstrümmern und Verpackungsmaterial in zum Teil kleinsten Fragmenten.

Knapp anderthalb Jahre später legten die zuständigen Behörden den Untersuchungsbericht vor. Als Flaggenstaat hatte Panama die Federführung, ferner waren die betroffenen Küstenstaaten Niederlande und Deutschland beteiligt. Obwohl es nicht Aufgabe der Untersuchung war, Schuld- oder Haftungsfragen zu klären, enthielt der Bericht bemerkenswerte Anregungen. Der Schiffsführung der MSC Zoe wurde attestiert, für keine größeren Fehler verantwortlich zu sein. Etliche internationale Regeln wurden jedoch als, vereinfacht formuliert, unzureichend bezeichnet.

Das Schiff fuhr in östlicher Richtung bei starkem Seitenwind aus Nordnordwest. Das führt zu Bewegungen um die Längsachse. Dieses so genannte Rollen kann nicht nur heftiges Vibrieren und Verformen des Schiffskörpers verursachen, sondern entfaltet auch beträchtliche zerrende und beschleunigende Kräfte auf Ladung und Ladungsbefestigung. Das hat die so genannte Laschung der geladenen Container, also deren Fixierung mit stählernen Eckverriegelungen (twistlocks) und diagonalen Spannstangen, zu stark beansprucht: Container gingen über Bord.

Laut Bericht muss geprüft werden, ob der bislang zulässige küstennahe Weg für solche Mega-Schiffe auch künftig noch erlaubt sein soll. Explizit kritisiert wird das anhaltende Größenwachstum der Containerschiffe, das zu einem Überschreiten „der meisten internationalen technischen … Standards für die Berechnung von Beschleunigungen“ führe. Etliche Normen seien bislang nur für Schiffe bis zu 300 Metern Länge ausgelegt. Die MSC Zoe kann mit einer Länge von 397 Metern theoretisch 19.224 Standardcontainer befördern, hatte aber auf der fraglichen Fahrt nur 8062 Boxen unterschiedlicher Größe geladen – einen großen Teil davon an Deck. Der Bericht empfiehlt nachdrücklich die Entwicklung von „Industriestandards …, die die Sicherheit von Containertransporten erhöhen“, sowie eine „Initiative für Neuerungen in der Schiffskonstruktion“, die „besser für die … beschriebenen Bedingungen geeignet“ seien.

Die Debatte über diese und weitere Empfehlungen läuft bis heute – ohne greifbares Ergebnis.


Havarien mit Containerschiffen.

Eine endlose Liste – hier nur: der Mai 2021

Die Havarie des Containerschiffs X-Press Pearl vor Colombo hat Versicherungsexperten veranlasst, das anhaltende Problem des falschen Umgangs mit gefährlichen Gütern anzuprangern. Aber nicht nur fehlerhaft deklarierte Ladung mit möglicherweise gefährlichem Inhalt, auch nautische (also Fahr-) Fehler, technisches Versagen, widriges Wetter oder, wie seinerzeit im Falle der MSC Zoe (siehe Kasten Seite 52), unzureichende Vorschriften bezüglich der Laschung von Containern können zu Unfällen auf See oder in Küstennähe führen. Allein für den Monat Mai 2021 listet ein einschlägiges Forum (fleetmon.com) 60 derartige Zwischenfälle auf – allerdings einschließlich aufgetretener Corona-Fälle. Sechs ausgewählte Beispiele aus dem Bereich Container-Schifffahrt mögen hier das Risiko-Potential für Schiff, Fracht, Mensch und Umwelt verdeutlichen, das den Alltag auf See und an Bord prägt:

Am 28. Mai ist das 13.000-TEU-Schiff Maersk Emerald aufgrund einer mechanischen Fehlfunktion im Suez-Kanal auf Grund gelaufen. Es wurde zum Great Bitter Lake geschleppt, wo das Problem behoben werden konnte, worauf das Schiff seine Fahrt Richtung Oman fortsetzte. Weitere Schäden entstanden nicht.

Am 23. Mai lief das 260-TEU-Schiff Muzah östlich der Küste vom Oman auf Grund, der Rumpf brach auf, der Maschinenraum wurde überflutet. Die Royal Oman Air Force evakuierte alle zwölf Besatzungsmitglieder per Hubschrauber, das Schiff soll anschließend gesunken sein.

Am 20. Mai brach auf dem oben erwähnten 2756-TEU-Schiff X-Press Pearl ein Feuer aus, anscheinend Folge einer chemischen Reaktion in geladenen Containern. Wenige Tage später verschlimmerte eine Explosion die Lage. Zwar wurden alle 25 Besatzungsmitglieder evakuiert, aber Meer und Strände sind mit Plastikgranulat verseucht und von Ölpest bedroht. Anfang Juni begann das Wrack zu sinken.

Am 15. Mai geriet das 1581-TEU-Schiff SSL Ganga vor dem indischen Mangalore durch einen Zyklon: Ein Besatzungsmitglied ging über Bord, drei wurden verletzt, die Suche nach dem Vermissten blieb vergebens, das Schiff konnte dann aber sicher den Hafen von Mangalore erreichen.

Am 14. Mai meldete das 4882-TEU-Schiff NYK Delphinus südlich von San Francisco einen Brand im Maschinenraum, während es auf dem Weg von Vancouver nach Oakland auf Einlauferlaubnis wartete. Zwar blieben alle 24 Besatzungsmitglieder sicher an Bord und konnten das Feuer selbsttätig löschen, das Schiff trieb aber zwei Tage lang mit Schlepperunterstützung, bevor es nach Oakland geschleppt werden konnte.

Am 6. Mai abends kollidierte das 1060-TEU-Schiff Sinar Solo in der Straße von Malakka östlich von Singapur mit dem Massengutfrachter Taho Australia (43.648 gt). Während letzterer mit nur oberflächlichen Schäden seine Fahrt nach China fortsetzen durfte, wurden auf dem Containerschiff Steuerbord-Frachtdeck und etliche Container beschädigt. Der Carrier ankerte zunächst nahe der Kollisionsstelle, bevor er am Folgetag nach Singapur verlegt wurde.