Der Spargel ist sicher

Das Elend der Erntehilfskräfte in Deutschland wurde verlängert

Homeoffice und Maskenpflicht – und dann auch noch keinen Spargel? Aber soweit ließ es Julia Klöckner nicht kommen.

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat ihn gerettet – wie bereits im Jahr zuvor drohte Ausfall wegen der Pandemie, denn die verlässlichen Hilfskräfte hätten möglicherweise nicht einreisen können oder in Quarantäne gemusst – da reichte die Ministerin die rettende Hand und ließ den Bundestag per Gesetz die Aufenthaltsdauer von Saisonarbeitskräften für deren kurzfristige Beschäftigung von 90 auf 102 Tage verlängern.

Alles wieder gut? Kein Ernteausfall wegen fehlender Erntekräfte und Corona-Erkrankungen? Kein Gestümper mehr mit Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Langzeiterwerbslosen, die für die erfahrenen, aber verhinderten ausländischen Kräfte einspringen und nach wenigen Tagen aufgeben – weil die Arbeit zu schwer und zu schlecht bezahlt ist?

Was sind das für Bedingungen der Beschäftigung von ausländischen Erntehelferinnen, die so unentbehrlich sind, dass sie jedes Jahr wiederkommen sollen? Anders als in der Fleischindustrie, gibt es in der Landwirtschaft kein System von Subunternehmen. Der einzelne Hof bezahlt seine Saisonarbeitskräfte und ist für deren Unterkunft und Arbeitssicherheit, und aktuell auch für den Coronaschutz, verantwortlich.

Sozialversicherung?

Der Aufenthalt der Erntehelfenden im deutschen Betrieb wird so begrenzt, dass sie als kurzfristig Beschäftigte gelten. Dann, und sofern sie die Tätigkeit nicht berufsmäßig ausüben, sind sie nicht sozialversicherungspflichtig. Angeworbene aus dem EU-Ausland müssen dem Arbeitgeber eine sogenannte A1-Bescheinigung vorlegen, die bekundet, dass sie im Herkunftsland versichert sind und eigentlich einer anderen Beschäftigung nachgehen. Diese Bescheinigung wird jedoch kaum kontrolliert.

Wegen ihrer Qualifikation werden gern selbstständige Landwirte in den Nachbarstaaten geworben, die der deutsche Betrieb laut europäischer Verordnung nach dem Recht des Herkunftslandes versichern müsste, deren Status er aber verheimlicht. So spart er nicht nur am Lohn, sondern zahlt auch nichts für die Rente dieser Helfer, und das zu jener Jahreszeit, in der sie auch auf dem Feld zuhause am dringendsten benötigt würden.

Der Betriebsleiter kann auch protokollieren, seine Hilfskräfte seien Studierende oder Hausfrauen, so dass sie die Erntearbeit also nicht berufsmäßig ausüben und demzufolge auch nicht sozialversicherungspflichtig sind. Ob wahr oder nicht, was haben das Studieren und hausfrauliche Tätigkeiten mit der Bezahlung der Arbeit und den Sozialversicherungsbeiträgen zu tun? Die Landwirte sparen also Sozialversicherungsbeiträge auf Kosten der Renten ihrer Beschäftigten, die für die sich summierende Dauer wiederholter Beschäftigung keine Rentenansprüche in ihren Heimatländern erwerben.

Angestellte sind in Deutschland immerhin automatisch bei der Berufsgenossenschaft angemeldet und so gegen Arbeitsunfälle und deren Folgen abgesichert – wenn die Meldung denn tatsächlich erfolgt.

Krankenversicherung?

In den beengten Unterkünften sind Saisonarbeitskräfte einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt, in Zeiten der Pandemie um so mehr. So kam es im Mai auf dem Spargel- und Beerenbetrieb Thiermann im niedersächsischen Kirchdorf zu einem Corona-Ausbruch unter den rund 1000 vor allem polnischen Hilfskräften – davon 131 infiziert. Viele erwiesen sich als nicht krankenversichert.

Doch erneut soll es eine Bescheinigung richten, mit der die Beschäftigten nachweisen, dass sie in ihrem Heimatland krankenversichert sind. Aber in Rumänien, aus dem viele der Erntehelfenden in den letzten Jahren kamen, besteht keine allgemeine Krankenversicherungspflicht.

Auch hinsichtlich der Krankenversicherung ist der Arbeitgeber von den Pflichten üblicher Arbeitsverträge entbunden und spart noch einmal Kosten. Die Absicherung gegen Krankheit müssen die Saisonkräfte also selbst tragen, worauf sie jedoch angesichts des geringen Lohns meistens verzichten.

Auch wissen viele der Beschäftigten nicht, wie sie versichert sind. Manche Betriebe schließen freiwillig Krankenversicherungen für die Beschäftigten ab. Die Tarife der privaten Versicherungen für diesen Fall machen es aber nicht leicht, Leistungen zu erhalten, zumal wichtige Leistungen ausgeschlossen sind, etwa für Behandlungen und Medikamentierung vorbestehender Erkrankungen. Die ausländischen Saisonarbeitskräfte werden nicht so behandelt, wie es das Versicherungssystem für alle anderen Arbeitenden in Deutschland vorsieht.

Einreise und Unterkunft?

Die Ungleichbehandlung beginnt mit der Einreise: Die Beschäftigten müssen die Kosten für Corona-Tests selbst zahlen. Es sei „zu empfehlen, dass der Arbeitgeber den Test nachprüft“, aber auch da bleibt unklar, wie Testungen organisiert und von wem bezahlt werden. Nach einer Einreise aus einem Risikogebiet dürfen die Betroffenen, entgegen den ansonsten geltenden Quarantäne-Bestimmungen, zusammen in sogenannter Arbeitsquarantäne losarbeiten. Die bloße Durchreise durch Hochrisikogebiete löst keine Quarantäne aus – also bitte an der Raststätte höchstens pinkeln gehen!

Angesichts häufiger Ansteckungen unter den Saisonkräften hat sich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft bereits im vergangenen Jahr um die Unterkünfte der Beschäftigten gekümmert und einige Richtlinien formuliert: Es sollen feste Arbeitsgruppen von 4 Personen gebildet werden, wenn erforderlich auch bis zu 15 Personen. Die Wohneinteilung soll analog den Arbeitsgruppen erfolgen nach dem Motto: Zusammen Wohnen – Zusammen Arbeiten. War das nicht mal eine Utopien von Landkommunen? Aber bitte keine Außenkontakte! Anzustreben sind Einzelzimmer – möglich aber auch maximal acht Personen – und wenn es mehr sein müssen, sollen sie auf engem Raum Abstand halten beim Wohnen, Essen und Schlafen. Sämtliche Ratschläge sind allerdings unverbindlich.

Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung werden den Erntehelfenden vom Lohn abgezogen, so dass sich eine große Spanne von Möglichkeiten eröffnet, den ohnehin geringen Lohn noch zu mindern.

Die Erzeugerbetriebe leiden unter einem starken Preisdruck, der nicht nur von den Handelsketten ausgeübt wird, sondern auch von den Verbrauchern. Die Qualität von Lebensmitteln wird in Deutschland wenig gewürdigt und es besteht nur geringe Bereitschaft, einen angemessenen Preis für den Aufwand der Herstellung zu entrichten. Den Preis für die günstigen Lebensmittel zahlen die überwiegend migrantischen Ernte-helfenden.

Empörung in Rumänien

In den Gemeinschaftsunterkünften gab es 2020 viele Corona-Ausbrüche, die Gesundheitsversorgung war häufig ungeklärt und die Hygienemaßnahmen erfolgten auf Kosten der Beschäftigten. Das hat in Rumänien hohe Wellen geschlagen, und die rumänische Gesundheitsministerin beschwerte sich über den Umgang mit den Menschen aus ihrem Land. Das hatte Folgen – 2021 gab es weniger Bewerbungen aus Rumänien.

Was tun? Die Anreise erleichtern? Die Bezahlung erhöhen? Die Leute besser behandeln? Nein, das Landwirtschaftsministerium sah es vielmehr als Aufgabe, Ersatz zu suchen, neue Arbeitskräfte zu den gleichen schlechten Bedingungen anzuwerben – und schloss ein Anwerbeabkommen mit Georgien, dem Zehntausende folgten, die noch ohne Vorerfahrung und in Unkenntnis ihrer Rechte ihre Anreise erst mal selbst bezahlten und nun abarbeiten.

Ursprünglich hatte Julia Klöckner, unterstützt von der FDP, eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer von 90 auf 115 Tage – anstelle der beschlossenen 102 Tage – geplant. Damit scheiterte sie im Parlament vor allem wegen der IG-Bau-Initiative „Faire Mobilität“, die die tatsächlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Saisonarbeitskräfte publik machte, so dass wir nun wissen können, wie der Spargel auf den Teller kommt.

Wann gibt es den ersten Spargel und wie magst Du ihn am liebsten? Weiß oder grün, klassisch gekocht oder lieber gebraten?

Vielleicht ist die Frage, unter welchen Bedingungen der Spargel gestochen wird, die wichtigere. Die Lieferkette aus dem Alten Land nach Hamburg oder aus Beelitz nach Berlin ist nicht so lang, als dass sich die Arbeitsbedingungen nicht ermitteln ließen und Billigangebote durch schlechte Bezahlung und Behandlung der grünen Helfer sich meiden ließen.

Der Spargel ist sicher, aber Lohn, Krankenversicherung und Rente der langjährig jeweils mehr als ein Vierteljahr beschäftigten ausländischen Saisonarbeitskräfte sind es nicht.

Silke Koppermann ist Ärztin in Hamburg.

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