Heft 43: Hellas Monopoly

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sonntag, 16. September, gegen 15 Uhr. Ich werde am Bahnhof von Ludwigshafen am Bodensee abgeholt und in einem alten Volvo nach Bodman gefahren. Dort bekomme ich an der Hafenpromenade Bodman – Seeum Fassade – exklusiv „Das Narrenschiff“ – siehe linke Seite (2) – erklärt. Doch was heißt da exklusiv. Binnen weniger Minuten versammelt sich um uns ein knappes Dutzend Laufpublikum, überwiegend Touristen; man genießt nicht nur den sonnigen Nachmittag am See, sondern nun auch eine Gratisführung. Den Hintergrund des Werks, so Peter Lenk, bilde die Moralsatire von Sebastian Brant (1457-1521) über „die Laster seiner Zeit“. Diese Laster seien „bis heute aktuell geblieben“. Auf besonderes Interesse stoßen die Autobosse Zetsche, Winterkorn und Stadler. Zwischenruf: „Und wer ist diese Marionette, die Puppe in der ausgestreckten Hand vom Audi-Boss?“ Lenk erklärt´s: „Das ist Christine Hohmann-Dennhardt. Die bekam für ein paar Monate Präsenz als VW-Feigenblatt zwölf Millionen Euro. Das war doch Schweigegeld.“ Die werte Dame war von 1999 bis 2011 Richterin am Bundesverfassungsgericht, dann Vorstandsmitglied bei Daimler. Nachdem der Dieselskandal aufflog, ging sie als Leihgabe zu VW, um dort als Vorstandsmitglied „für Integrität und Recht“ zu wirken. „Und die da mit dem MG?“ Das sei die AfD-Frau Beatrix von Storch. „Die passt auf, dass keine Flüchtlingsmütter mit ihren Kindern aufs Schiff kommen und ihr was wegfressen.“

So stelle ich mir fortschrittliche Volkskunst vor: im Rahmen des Möglichen emanzipatorisch und aufklärend wirkend. Inmitten der Leute. Zu aktuellen Themen. Aha-Effekte und Debatten auslösend. Eine naheliegende Frage: „Gibt es da keinen Vandalismus; wird Ihre Arbeit das nicht besprüht?“ Antwort Lenk: „Sowas gibt es bislang so gut wie nie.“

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Am 29. September erscheint (wenige Tage nach Druck dieser LP21-Ausgabe) in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ auf einer ganzen Seite ein an den deutschen Bundestag gerichteter „Appell zum Ausstieg aus Stuttgart21“. Er fand binnen weniger Wochen – über die Monate August und September hinweg – mehr als 2600 Unterstützerinnen und Unterstützer, die wiederum die (erheblichen) Kosten für die großflächige Anzeige finanzierten. Siehe https://www.stuttgart21-ausstieg-jetzt.de/ Ziel des Appells ist es auch, die relative Isolation der Bürgerbewegung gegen Stuttgart21 aufzubrechen – eine Isolation, die vor allem durch den medialen Boykott entsteht. Ist es doch europaweit einmalig, dass es nun seit knapp neun Jahren wöchentlich die Montagsdemo gegen das Monsterprojekt gibt und dass seit mehr als acht Jahren gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof ein 18 Quadratmeter großes Mahnwachenzelt steht, das Tag und Nacht, bei minus 15 Grad Celsius und bei plus 30 Grad, besetzt ist; wo es Infomaterial zum Stand von Stuttgart21 und zum Widerstand gegen das größte Infrastrukturprojekt in Deutschland gibt. Längst greift die Bürgerbewegung Themen auf, die weit über Stuttgart21 hinausgehen. Letztlich geht es um das „Recht auf Stadt“, um Urbanität, um die Rückgewinnung von öffentlichem Raum. Wobei hier ja bereits das Mahnwachenzelt dieses Ziel verkörpert: mitten in der Stadt, eigentlich illegal, auf alle Fälle legitim.

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Wenige Wochen nach der Auslieferung dieses LP21-Heftes erscheint ein neues LP21-Extra Heft (Nr. 18). Schwerpunkte in demselben sind ein weiterer alternativer Geschäftsbericht Deutsche Bahn (2017/2018), die europaweite Kampagne zum Erhalt und zur Wiederbelebung der Nachtzüge („back on track“), der Kampf gegen zerstörerische Großprojekte und gegen Immobilienspekulation (z.B. in Altona; Verlegung des Bahnhofs nach Diebsteich; z.B. in München die neue Tunnelwahn-S-Bahnstrecke ). Und eben erneut Stuttgart21. Diejenigen Abonnenten, die ein AboPLUS haben, erhalten das Extra-Heft im Rahmen ihres Abos zugestellt. Leider ließ es sich nicht verhindern, dass damit in recht kurzer Zeit zwei Hefte in den entsprechenden Briefkästen landen. Wer von einem Normalabo auf AboPLUS umstellen will, möge dies mitteilen; Entsprechendes ist relativ unbürokratisch kurzfristig möglich.

Ich wünsche lustvolle und erhellende Lektüre

Winfried Wolf

LP21-Chefredakteur