Unbezahlte Care-Arbeit – ein „öffentliches“ Gut?

Soziale Produktivität der Care-Arbeit messen, bewerten und bezahlen

Die Größenordnungen, um die es bei der Frage dieses Artikels geht, sollen mit einigen wenigen Daten [1] aus dem zweiten Gleichstellungsbericht [2] dargestellt werden. Mit der Entwicklung des Indexes „Gender-Time-Gap“ stellte der Bericht fest, dass Frauen im Lebensverlauf durchschnittlich etwa 18 Jahre mehr an Gesamtarbeitszeit erbringen als Männer. Ein großer Teil dessen ist unbezahlte Care-Arbeit (Haus- und Sorgearbeit). Diese Ungleichheit spiegelt sich im Index „Gender-Care-Gap“ wider, der ermittelt, dass Frauen im Durchschnitt täglich etwa die Hälfte (52,4 Prozent = 87 Minuten) mehr an Care-Arbeit leisten als Männer. Die Verteilung variiert stark im Lebensverlauf. Der größte Unterschied wurde für das Alter von 34 Jahren ermittelt, wo Frauen täglich 111 Prozent mehr Care-Arbeit (5:18 Std.) leisten als Männer (2:31 Std.). Die Erwerbsarbeitszeit der Frauen ist demgegenüber mit durchschnittlich 16 Wochenstunden erheblich niedriger. Das Beispiel Niedersachsen macht deutlich, woher der „Gender-Lifetime-Earnings-Gap“ kommt. Dort dümpelt die Quote der sozialversicherten Beschäftigung Frauen bei nur 52 Prozent.[3] Etwa die Hälfte davon ist teilzeitbeschäftigt. Hinzu kommen 18,5 Prozent geringfügig entlohnte Beschäftigungen (Minijob). Die von der EU geforderte Erwerbsquote von 70 Prozent wird zwar erfüllt. Der Einkommensunterschied im Lebensverlauf beträgt aufgrund solcher Verteilungen bundesweit im Durchschnitt jedoch 48,8 Prozent.

Zusammengefasst bedeuten diese Zahlen: Die Frauen tragen mit ihrer bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit erheblich zum Wohlstand des Landes bei. Aber nur ihr kleiner Anteil von einem Drittel an der bezahlten Arbeit spielt bei der Erfassung und Bewertung ihrer Leistung und in den Wohlstandsindizes eine Rolle. Alles was nicht monetär erfasst wird, bleibt außen vor, mit wenigen Ausnahmen in der gesetzlichen Sozialversicherung.

Für Frauen hat diese Situation zur Folge, dass sie ihre Existenz während der Erwerbsphase und im Alter nicht eigenständig sichern können und dass sie mit der Zuschreibung der unbezahlten Care-Arbeit im Hinblick auf ihren Berufsweg immer als Zuverdienerinnen mit dem familiären „Klotz am Bein“ behandelt werden. Zwar hat die gleichstellungspolitische Debatte der letzten Jahre die Wendung genommen, dass Frauen und Männer gleich an Berufs- und Familienarbeit zu beteiligen sind, dass ihnen für die Care-Arbeit die erforderliche Zeit zur Verfügung stehen muss und dass die typischen Frauenberufe aufgewertet werden müssen. Aber geändert hat sich wenig. An dieser Stelle fragt sich die engagierte Frau folgerichtig: Warum machen Frauen das überhaupt mit? Die Antwort ist einfach: Weil sie von den gesetzlichen Rahmenbedingungen dazu gebracht werden. Eine Erklärung, wo und wieso das so ist, ist wie immer, wenn verschleierte Nachteile aufzuklären sind, etwas komplizierter.

Unsere Gesetzeslandschaft basiert auf dem Bild der für Care-Arbeit zuständigen Frauen. Mit der Begünstigung von Ein-Verdiener-Ehen durch die Ehegattenbesteuerung oder dem Teilleistungscharakter der Pflegeversicherung wird unbezahlte Care-Arbeit gefördert und propagiert sowie der Grundsatz der Subsidiarität umgesetzt, nach dem die kleinste soziale Einheit „Familie“ zur Erfüllung der Anforderungen als erste zuständig ist. Diesem Frauen- und Familienbild liegen als Regelfall die Vergemeinschaftung in einer Bedarfsgemeinschaft und die gegenseitige Einstandspflicht von Eheleuten und Kindern zugrunde. In der praktischen Auslegung variierte der Grad der Zuschreibung ihrer Familienverantwortung im Laufe der Jahrzehnte, zum Beispiel bei schwankendem Fachkräftebedarf. Gesetze sorgen aber bis heute dafür, dass Frauen nicht oder nur wenig erwerbstätig sind. Obwohl die Entscheidung, Care-Arbeit zu leisten oder nicht, grundsätzlich frei ist, müssen Frauen sich gegen deren kurzfristige Wirkungen durchsetzen, um einen langfristig anderen Weg, als den geförderten, einzuschlagen – sogar unter Verzicht auf finanzielle Vorteile und ohne Langfristperspektiven. Die bis jetzt erschienenen beiden Gleichstellungsberichte identifizierten deshalb dringlich zu ändernde Gesetze: Das Ehegattensplitting, die Steuerklassen drei und fünf, die Privilegierung der geringfügig entlohnten Beschäftigung, der Teilleistungscharakter der Pflegeversicherung, fehlende Kinderbetreuung, die Partnereinkommensanrechnung und die Verpflichtung zur Annahme jeder Arbeit in der Grundsicherung für Erwerbsfähige sowie das Unterhaltsrecht. Ganz oben auf der Liste steht in beiden Gleichstellungsberichten die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit.

Im Zusammenspiel sorgen solche Gesetze dafür, dass Care-Arbeit unbezahlt und durch Frauen erbracht wird. Gesellschaft und Wirtschaft nutzen das massenhaft und flächendeckend vorhandene Ergebnis der Reproduktion unentgeltlich. Der wie selbstverständlich angenommene Nutzen einer guten häuslichen Erziehung sind gebildete und gut erzogene Kinder. Die häusliche Versorgung soll auch dem erwerbstätigen Ehemann den Rücken freihalten – für den vollen Einsatz am Arbeitsplatz. Bezahlt wird aber nur die Arbeitskraft, die das Ergebnis der unbezahlten Reproduktionsarbeit ist, jedoch nicht die Arbeitskraft, die es durch Care-Arbeit herbeigeführt hat.

Damit wird die Arbeitskraft der Hausfrau zum „öffentlichen Gut“, ist frei verfügbar und kann unentgeltlich genutzt werden. Nach der Volkswirtschaftslehre sind das die Hauptkennzeichen der sogenannten „öffentlichen Güter“. Zu diesen natürlichen Ressourcen gehören traditionell Boden, Luft und Wasser. Sie standen der Ökonomie unentgeltlich oder mit gering bezahlten Nutzungsrechten zur Verfügung. Anteile, die die Produktion nicht benötigte, wurden im oder nach dem Prozess wieder an die Elemente zurückgegeben, ebenfalls ohne Kosten für die Nutzenden. Erst die Erkenntnis, dass die Industriegesellschaft ohne Nachhaltigkeit auf Dauer nicht auskommt, führte dazu, dass der Schutz der Ressourcen Thema wurde und teilweise praktiziert wird.

Unbezahlte Care-Arbeit kann man damit vergleichen. Sie ist massenhaft und flächendeckend vorhanden. Sie wird unentgeltlich oder mit geringen Transferleistungen versehen in Wirtschaft und Gesellschaft genutzt. Denkt man die Care-Arbeit im Sinne der volkswirtschaftlich-ökologischen Betrachtung weiter, geht es auch hier um die Rückgabe von nicht mehr in der Produktion benötigten Anteilen. Alte und pflegebedürftige Menschen gehen dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend zurück in die häusliche Care-Arbeit. Es ist kein schöner Gedanke, die Care-Arbeit von Frauen als Gegenstand der gesellschaftlichen Ausbeutung zu sehen. Vergleichbar ist auch der Aspekt, dass die Belastbarkeit ihre Grenzen gefunden hat, indem Frauen sich zunehmend weigern, in eine solche Rolle gedrängt zu werden.

Der Subsidiaritätsgrundsatz und die darauf aufbauenden Gesetze sorgen so dafür, dass die unbezahlte Arbeit von Frauen als öffentliches Gut im volkswirtschaftlichen Sinne existiert und erhalten bleibt. So wird auch der Wohlstand in Deutschland zu einem großen Teil unbezahlt in Form von Care-Arbeit von Frauen erbracht, ohne jedoch in der Wachstums- und Wohlstandsmessung vorzukommen. [4] Sie gilt bis heute als nicht berechenbare Privatsache und wird höchstens gesellschaftlich ideell anerkannt, nicht jedoch ökonomisch und nur zum Teil sozialpolitisch.

In einer Gesellschaft, in der ein Großteil des sozialen Lebens inzwischen auf ökonomisierter Basis stattfindet, sind aber Erfassung und Bewertung unbezahlter Care-Arbeit nicht länger verzichtbar. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist dringlich um Indizes und entsprechende Berechnungen zu ergänzen und damit im Grunde komplett neu zu erfassen. Schließlich geht es hier um Dimensionen von mehr als einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts – was ungefähr so viel ist wie alle Exporte zusammengenommen. Das gilt auch für die verwandten professionellen Wirtschaftsbereiche, beispielsweise haushaltsnahe Dienste, die bisher nicht eigenständig erfasst werden. Ihr Wachstumspotential und ihr Wohlstandsbeitrag können deshalb nicht ermittelt und zur politischen Planung verwendet werden.

In den bisherigen Messverfahren wie dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) werden nur monetäre Transaktionen erfasst. Obwohl eine Enquetekommission vor einigen Jahren Vorschläge für Indizes zur erweiterten Wohlstandsmessung auch für immaterielle Tatbestände vorschlug, bewertete sie den Beitrag der Hausfrauen, Mütter und unentgeltlich Pflegenden ganz im ökonomisch-traditionellen Sinn als privat, nicht erfassbar und nicht berechenbar.

Für andere, schwer bewertbare Wohlstandselemente wie Ökologie oder Teilhabe an der Gesellschaft machte die Kommission dann durchaus Vorschläge, wie Indizes aussehen könnten. Aber anstatt einen Index auch für die Ökonomie des Haushalts vorzuschlagen, wurde für diese „nicht marktvermittelte Produktion“ eine „Hinweislampe“ vergeben, die die Bundespolitik lediglich darauf aufmerksam machen sollte, dass es sie gibt. Meine Vermutung aufgrund der dortigen Begründungen war, dass – wie oben skizziert – die monetären Größen, die bei einer einigermaßen sachlichen Bewertung der Care-Arbeit zu errechnen gewesen wären, die Ökonomen und Wohlstandsexperten vor allem sehr erschreckt haben, weil sie sehr hoch geworden wären.

Eine Folge der bisherigen Nichtbewertung ist, dass die der familiären Care-Arbeit vergleichbaren professionellen Tätigkeiten regelmäßig als geringwertig abgetan und schlecht bezahlt werden. Die Kritik der Frauen- und Gleichstellungspolitik befasst sich deshalb hier mit dem Grundsatz des gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit, nur in umgekehrter Richtung. Bisher gilt: Wenn häusliche Pflege, Erziehung und Hauswirtschaft nichts kosten, warum soll die gleiche oder vergleichbare Leistung in Einrichtungen hoch bezahlt werden? Gemeint sind die SAHGE-Berufe, die ebenfalls der zweite Gleichstellungsbericht als Begriff entwickelte.

Soziale Arbeit (SA) und Gesundheitsberufe (GE) sind traditionell als notwendige Voraussetzung für das Gelingen von Familien- und sozialem Leben anerkannt. Um beides gleichberechtigt leben zu können, erhalten die haushaltsnahen Dienste (H) zunehmende Bedeutung. Dies bietet Wachstumspotentiale für die Wirtschaft und das Volkseinkommen, indem Frauen vermehrt sozialversichert erwerbstätig sind.

Die gleichstellungspolitische Forderung lautet: Die Kenntnisnahme der SAHGE-Berufe als gesellschaftlich notwendige und wertvolle Leistung liefert hinreichende Argumente, um Arbeitsbewertung und Einkommen dieser Berufsgruppen nachhaltig aufzuwerten. Ein Umsteuern von Frauen in die MINT-Bereiche [5] würde damit überflüssig. Jedoch lässt die massenhafte Verfügbarkeit unbezahlter Care-Arbeit die Erwerbsarbeit in den vergleichbaren Segmenten der Wirtschaft und Daseinsvorsorge nach wie vor weniger Wert erscheinen und macht sie billiger. Als Maßstab dient dabei oft ein Care-Arbeit-interner Preis-Leistungs-Vergleich: Was könnte die unbezahlte Care-Arbeiterin selbst übernehmen, gegebenenfalls mit Transferleistung und verglichen mit dem Aufwand für eine Fremdbetreuung, für die die Kosten erst erarbeitet werden müssen? Ebenso versuchen die Anbieter in diesem reglementierten Sozial- und Gesundheitsmarkt sowie auch im aufstrebenden Markt der haushaltsnahen Dienste die Arbeitskosten gering zu halten. Das gelingt ihnen auch, solange die Konkurrenz auf dem spezifischen Arbeitsmarkt groß ist. Übersteigt die Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot, wie derzeit beispielsweise in der Pflege, müssen auch Arbeitgeber anfangen, über die Lohnhöhe nachzudenken. Sehr langsam folgt der Gesetzgeber den berechtigten Forderungen der Berufsvertreterinnen und der Angehörigen, die durch bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne in den SAHGE-Branchen ebenfalls mit einem besseren Angebot entlastet würden. Es gibt also Anlass zur Hoffnung.

Anmerkungen:

[1] „Was Frauen alles leisten“ und wofür sie nicht bezahlt werden, darüber schrieb die Autorin bereits in der Lunapark-Ausgabe 41/2018.

[2] Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung: Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten. Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Langfassung und Zusammenfassung.

[3] Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung: 3. Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Niedersachsen, 2017

[4] Deutscher Frauenrat, Vorstand (Mit-Autorin: Hannelore Buls), Berlin 2014: Frauenpolitischer Kommentar zum Beratungsergebnis der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wachstum und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ (BT-Drs. 17/3853 (Auftrag) und Kommissionsdrucksache 17(26)123 (Bericht).

[5] MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

Hannelore Buls ist Diplom-Volkswirtin und Diplom Sozialökonomin. Seit ihrem Studium befasst sie sich mit dem Einschluss von unbezahlten Teilen der Ökonomie in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, beispielsweise das „Grüne Punkt“-System als Weg vom Abfall zum Wirtschaftsgut. Sie war aktiv bei DAG und ver.di, zuletzt Leiterin der Frauen- und Gleichstellungspolitik; von 2012 bis 2016 Vorsitzende des Deutschen Frauenrates; haupt- und ehrenamtlicher Schwerpunkt war bzw. ist die Sozialpolitik für Frauen.